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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 09.05.2007
Aktenzeichen: 1 K 634/03
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
AO 1977 § 149 Abs. 2
AO 1977 § 166
AO 1977 § 191 Abs. 3 S. 3
UStG § 16 Abs. 1
UStG § 18 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern

1 K 634/03

Haftungsbescheid für Umsatzsteuerrückstände 1994

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 1. Senat,

aufgrund der mündlichen Verhandlung am 09. Mai 2007

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ... als Vorsitzenden,

der Richterin am Finanzgericht ... und

des Richters am Amtsgericht ... sowie

der ehrenamtlichen Richterin ... und

des ehrenamtlichen Richters ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Haftungsbescheid vom 06. Dezember 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2003 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in der gleichen Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert beträgt 16.910,05 EUR (33.073,18 DM).

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für Steuerschulden einer GmbH streitig.

Der Kläger errichtete gemeinsam mit dem Gesellschafter W. mit notarieller Urkunde vom 10. Mai 1990 die ... GmbH (nachfolgend GmbH genannt), am selben Tag wurden er sowie der Mitgesellschafter W. zu gleichrangigen Geschäftsführern der GmbH bestellt. Die Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichtes ... erfolgte am 29. Mai 1990.

Die GmbH geriet ab Mitte Juli 1997 durch größere Forderungsausfälle in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten, deren Resultat am 23. Januar 1998 ein Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens durch die beiden Geschäftsführer war.

Am 02. Februar 1998 wurde Sequestration über das Vermögen der GmbH angeordnet, am 06. Mai 1998 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Nach Verteilung des Erlöses wurde das Verfahren mit Beschluss des Amtsgerichtes ... vom 16. Dezember 2002 eingestellt. Die zur Tabelle angemeldeten Forderungen des Finanzamtes wurden bei der Verteilung des Erlöses nicht berücksichtigt. Am 17. Juli 2003 ist die GmbH wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen im Handelsregister gelöscht worden.

Wegen diverser Steuerrückstände (insbesondere Umsatzsteuer) der GmbH prüfte das Finanzamt die Möglichkeit der Haftungsinanspruchnahme der Geschäftsführer und führte am 21. November 2001 eine Anhörung durch.

Die rückständige Umsatzsteuer 1994 resultierte aus der Steuererklärung der Gesellschaft, die erst am 01. September 1997 und damit mit erheblicher Verspätung im Finanzamt eingegangen war. Die vom Beklagten verlängerte Frist zur Abgabe dieser Steuererklärung war bereits am 30. April 1996 abgelaufen. Trotz nachfolgender Erinnerungen des Finanzamtes reichte die GmbH die Umsatzsteuererklärung nicht ein, so dass am 17. Oktober 1996 ein Schätzungsbescheid erging. Die Schätzung erfolgte in Höhe der Voranmeldungen. Steuerrückstände gab es zu dieser Zeit nicht. Bei der Abgabe der Umsatzsteuererklärung stellte sich heraus, dass die Schätzung der Umsatzsteuerbemessungsgrundlage erheblich zu niedrig gewesen war. Die sich aus der Umsatzsteuerjahreserklärung ergebende Nachzahlung konnte von der GmbH nicht mehr geleistet werden, da sich zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Forderungsausfälle und somit Zahlungsschwierigkeiten ergeben hatten.

Am 06. Dezember 2001 erließ der Beklagte einen Haftungsbescheid. Die Haftungssumme setzt sich wie folgt zusammen:

 Steuerart Zeitraum Fälligkeit Betrag/DM Säumniszuschläge
Umsatzsteuer199401.10.199716.900,802.893,00
Umsatzsteuer199412.11.19979.817,80588,00
Umsatzsteuer199415.12.19979.817,80490,00
Zinsen zur USt199422.10.19976.740,000,00

 Gesamtsumme47.247,40
x 70%33.073,18
endgültige Haftungssumme (in DM)33.073,18

Die Haftungsinanspruchnahme erfolgte auf Grundlage des § 69 AO. Das Finanzamt ging davon aus, dass die verspätete Abgabe der Steuererklärung und somit die Verletzung der steuerlichen Pflichten durch den Kläger zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich erfolgt war. Denn wie sich aus den bei der Bustra vorgetragenen Angaben ergeben hätte, seien die Steuererklärungen durch den Steuerberater bereits im November 1996 erstellt und eine erhebliche Nachzahlung dem Kläger bereits damals offensichtlich bekannt gewesen. Dennoch sei die Umsatzsteuererklärung für 1994 erst im September 1997 eingereicht worden. Die Umsatzsteuer für 1994 habe somit nicht rechtzeitig festgesetzt werden können. Die Zahlungsschwierigkeiten seien ab Juli 1997 verstärkt aufgetreten. Somit sei davon auszugehen, dass die Pflichtverletzung des Klägers, die im Streitfall in erster Linie in der verspäteten Abgabe der Umsatzsteuererklärung zu sehen sei, ursächlich für den entstandenen Schaden sei. Bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärung wäre unter Umständen eine 100%ige Tilgung der Rückstände möglich gewesen. Dafür spräche, dass im Jahre 1996 fällige Steueransprüche sämtlich getilgt worden seien.

Im Streitfall werde, da mangels Mitwirkung des Klägers eine genaue Ermittlung der Tilgungsquote nicht möglich sei, in Anlehnung an die Rechtsprechung u.a. des Finanzgerichtes Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 26. August 1998 I K 316/96) im Schätzungswege eine Tilgungsquote von 70% als angemessen angesehen. In Höhe dieses Betrages sei dem Kläger eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung vorzuwerfen.

Der Einspruch des Klägers vom 20. Dezember 2001 gegen den Haftungsbescheid vom 06. Dezember 2001 blieb erfolglos. Mit Einspruchsentscheidung vom 23. September 2003 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.

Am 24. Oktober 2003 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er vor,

der Haftungsbescheid sei rechtswidrig, weil ihm das Finanzamt zu Unrecht eine schuldhafte Pflichtverletzung unterstelle.

Das Amtsgericht ... habe das vom Finanzamt initiierte Strafverfahren gegen ihn mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft bereits durch Beschluss vom 05. Dezember 2001 rechtskräftig eingestellt. Danach könne auch der Umstand, dass er möglicherweise eine Ordnungswidrigkeit begangen haben könnte, sein Verschulden nicht näher begründen.

Aus dem Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung des Mitgeschäftsführers W. vom 03. Dezember 1998 im Bustra-Verfahren gehe hervor, wie schwierig für ihn und seinen Mitgeschäftsführer gerade die Umsatzsteuerabstimmung im Jahr 1994, also dem Jahr der Umstellung der Buchhaltung vom System der DATEV auf die neue Buchführung der Gesellschaft gewesen sei. Vor diesem Hintergrund könne den Geschäftsführern nicht vorgeworfen werden, sie hätten "in ungewöhnlich großem Maße" ihre Pflichten verletzt.

Leichte Fahrlässigkeit führe aber nicht zu deren persönlicher Haftung.

Es fehle auch an einem kausal von ihm verursachten Haftungsschaden. Die Umsatzsteuer 1994 sei vom Finanzamt am 17. Oktober 1996 geschätzt und auf 248.131,00 DM festgesetzt worden. Da der Antrag der GmbH auf Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs vom 29. Oktober 1996 abgelehnt worden sei, hätte das Finanzamt den festgesetzten Nachzahlungsbetrag sofort vollstrecken können. Dadurch, dass das Finanzamt zu diesem Zeitpunkt auf eine aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeit verzichtet habe, fehle es an der Ursächlichkeit seiner möglichen Pflichtverletzung für den späteren Ausfallschaden.

Schließlich sei der Haftungsbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil ihm das Finanzamt eine Frist zur Stellungnahme zur Haftungsanhörung bis zum 31. Dezember 2001 gesetzt habe, der Haftungsbescheid jedoch bereits vor dem 31. Dezember 2001 erlassen worden sei. Damit habe ihm das Finanzamt rechtwidrig die Möglichkeit abgeschnitten, nach Ablauf der ihm gesetzten Einlassungsfrist, die Einrede der Verjährung geltend zu machen.

Schließlich sei die Umsatzsteuerschuld fehlerhaft festgesetzt worden. Angesichts der hohen Außenstände, die nach Auskunft des Gesamtvollstreckungsverwalters größtenteils nicht mehr realisiert hätten werden können, hätte das Finanzamt im nachhinein Korrekturen bei der Festsetzung der Umsatzsteuer vornehmen müssen, so dass sich im Endeffekt ein Guthaben, nicht aber eine Restschuld der GmbH ergeben hätte. So habe das Finanzamt die Umsatzsteuerfestsetzungen nicht entsprechend den Forderungsausfällen berichtigt.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 06. Dezember 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2003 aufzuheben

und

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor,

der Haftungsbescheid sei rechtmäßig. Der Kläger habe eine grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen. Die vorgebrachte steuerrechtliche Unwissenheit könne den Kläger nicht entschuldigen.

Es sei höchstrichterlich geklärt, dass bei Übernahme der Geschäftsführertätigkeit die Pflicht zur Aneignung von Kenntnissen über elementarste handelsrechtliche und steuerrechtliche Pflichten und zur Einholung entsprechender Informationen bestehe. Dies gelte auch für den Nichtkaufmann-Geschäftsführer.

Die dem Kläger vorzuwerfende Schuld bestehe in der Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung bis zum 01. September 1997.

Die Höhe der festgesetzten Umsatzsteuer entspreche der durch die GmbH eingereichten Steuererklärung. Die sogenannte "Sollbesteuerung" sei bei der Größe des Unternehmens die durch das Gesetz vorgeschriebene Berechnungsart der Steuer (§ 16 Abs. 1 UStG). Eine Berichtigung der Steuer, z.B. bei Forderungsausfällen, sei erst in dem Veranlagungszeitraum möglich, in dem die Forderung endgültig ausfalle. Insofern sei die Steuerfestsetzung 1994 bei Forderungsausfällen im Jahre 1997 nicht zu berichtigen, sondern diese sei bei der Festsetzung der Umsatzsteuer für 1997 zu berücksichtigen. Ob dies geschehen sei, sei für die Beurteilung des Streitfalles ohne Bedeutung. Zwischenzeitlich sei für alle Veranlagungsjahre bis einschließlich 1998 Festsetzungsverjährung eingetreten, so dass eine Berichtigung verfahrensrechtlich nicht mehr möglich sei.

Des Weiteren sei auf § 166 AO zu verweisen.

Die Umsatzsteuer 1994 sei mit Ablauf der Einspruchsfrist am 01. Oktober 1997 unanfechtbar festgesetzt worden. Der Kläger als Vertreter der GmbH sei in der Lage gewesen, Einspruch gegen die Festsetzung einzulegen. Da er dies nicht getan habe, müsse er die Festsetzung nun gegen sich gelten lassen.

Der Haftungsbescheid sei auch nicht deshalb verfahrensrechtlich zu Unrecht ergangen, weil er vor Ablauf der gesetzten Frist zur Ausübung des rechtlichen Gehörs erlassen worden sei. Von der Anhörung könne nach § 91 Abs. 2 Nr. 2 AO abgesehen werden, wenn durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt werde.

Der Vortrag des Klägervertreters hinsichtlich eines Mitverschuldens des Finanzamtes wegen Unterlassung angekündigter und gebotener Vollstreckungsmaßnahmen sei nicht nachvollziehbar. Aus dem Schätzungsbescheid für Umsatzsteuer 1994 vom 17. Oktober 1996 resultiere eine Zahllast für Umsatzsteuer in Höhe von 0,00 DM. Die Haftungsschuld resultiere allein aus der aufgrund der verspäteten Umsatzsteuererklärung mit Bescheid vom 19. September 1997 für 1994 festgesetzten Umsatzsteuer.

Bezüglich der Festsetzungsfrist sei davon auszugehen, dass sich im Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung die Festsetzungsfrist für den Erlass des Haftungsbescheides in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des § 191 Abs. 3 Satz 2 AO auf fünf Jahre verlängere, im Streitfall somit bis zum 31. Dezember 2001. Der Haftungsbescheid sei am 06. Dezember 2001 und somit vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen. Der BFH habe sich bisher in zwei Beschlüssen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu dieser Problematik geäußert (1 B 145/01 vom 04. September 2002 und V B 86/01). Während der 5. Senat in seinem Beschluss vom 07. Februar 2002 die Aussage treffe, die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheides gegen den Geschäftsführer einer GmbH wegen leichtfertiger Verkürzung der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer betrage 5 Jahre, komme der 1. Senat in seinem Beschluss vom 04. September 2002 zu der Aussage, die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide werde gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO abweichend von den allgemeinen Regelungen unter der Voraussetzung einer Steuerhinterziehung ausdrücklich nur bei Haftungstatbeständen nach § 70 und § 71 AO verlängert, in anderen Haftungsfällen jedoch nicht, auch dann nicht, wenn Steuern hinterzogen worden seien. Für den Fall, in dem die Haftung auf § 69 AO beruhe, hätte dies zur Folge, dass es bei der grundsätzlich nur vierjährigen Festsetzungsfrist verbleibe. Das Finanzamt schließe sich der Auffassung des 5. Senates und somit der grundsätzlichen Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 5 Jahre im Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung an. Anders als zu dem Fall der Steuerhinterziehung gebe es für den Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung keine eigene Haftungsvorschrift. Der Geschäftsführer einer GmbH, der leichtfertig Steuern verkürze, könne nur nach den Vorschriften der §§ 69, 34 AO in Haftung genommen werden. Eine verlängerte Festsetzungsfrist von 5 Jahren für Haftungsbescheide in diesen Fällen sei im Hinblick auf die Festsetzungsfristen für die Haftung nach § 70 AO, wonach die Vertretenen bei leichtfertiger Steuerverkürzung durch ihre Vertreter innerhalb von 5 Jahren und bei durch ihre Vertreter begangener Steuerhinterziehung innerhalb von 10 Jahren in Haftung genommen werden können, auch nicht gerechtfertigt.

Dem Gericht lag zur Entscheidung 1 Band Haftungsakten vor.

Des Weiteren wurden die vom Beklagten zum Parallelverfahren des Geschäftsführers W. (1 K 633/03) übersandten Akten zum Verfahren beigezogen. Hierbei handelt es sich im einzelnen um folgende Akten: 1 Band Körperschaftsteuerakte der ...GmbH, 1 Band Umsatzsteuerakte der ...GmbH, 1 Band Gewerbesteuerakte der ...GmbH, 1 Band Dauerbeleg-Akte der ...GmbH, 1 Band Vollstreckungsakte der ...GmbH, 1 Band Allgemeine Haftungsakte der ...GmbH sowie drei Band Akten des Amtsgerichtes Abteilung Konkurs.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Zwar hat der Kläger grob fahrlässig seine Pflichten als Geschäftsführer verletzt, so dass er dem Grunde nach für Steuerschulden der GmbH in Haftung genommen werden durfte (vgl. dazu Punkt I.), der Inanspruchnahme des Klägers steht jedoch der Ablauf der Festsetzungsverjährung entgegen.

I. Nach §§ 34, 69 Abgabenordnung (AO) haften gesetzliche Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Als Geschäftsführer war der Kläger gemäß § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) verpflichtet, gemäß § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 2 AO bis zum 31. Mai des Folgejahres bzw. bis zum Ende der vom Finanzamt verlängerten Frist Steuererklärungen zur Umsatzsteuer abzugeben. Der Verpflichtung zur rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1994 für die GmbH ist der Kläger nicht nachgekommen.

Der Kläger hat seine ihm als Geschäftsführer der GmbH obliegende Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuererklärung zumindest grob fahrlässig verletzt. Die Umsatzsteuererklärung der GmbH für das Jahr 1994 ist - wie sich aus den Unterlagen der Bustra ergibt - durch den Steuerberater der GmbH bereits im November 1996 erstellt worden, dennoch hat der Kläger sie nicht beim Beklagten eingereicht. Somit können Probleme bei der Umstellung der Buchhaltung der GmbH nicht entschuldigen, dass die Umsatzsteuererklärung 1994 erst im September 1997 eingereicht worden ist.

Zwischen der Pflichtverletzung des Klägers und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden besteht auch ein Kausalzusammenhang.

Die Haftung eines gesetzlichen Vertreters nach §§ 69, 34 AO hat Schadensersatzcharakter, d.h. er haftet nur, sofern Steuern gerade infolge einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht festgesetzt oder entrichtet worden sind. Der insoweit erforderliche Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die Möglichkeit, dass infolge der Pflichtverletzung Steueransprüche nicht festgesetzt oder erfüllt werden, nicht so fern liegt, dass sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann (BFH vom 17. November 1992 VII R 13/92, BStBl II 1993, 471, 472 m.w.N.).

Ein kausaler Schaden besteht demnach nur, wenn der gesetzliche Vertreter die Möglichkeit besaß, die Steueransprüche des Finanzamtes aus den vorhandenen Mitteln der Gesellschaft zu begleichen. Ansonsten ist die Haftung für Umsatzsteuerschulden einer Gesellschaft auf den Betrag begrenzt, um den das Finanzamt bei unzureichender Liquidität der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt wurde (BFH vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BStBl II 1990, 357, 358 m.w.N.).

Ob bei rechtzeitiger Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1994 eine Tilgung der sich daraus ergebenden Rückstände möglich gewesen und somit eine Vollhaftung des Klägers für die rückständigen Umsatzsteuern in Betracht kommt, kann der Senat dahinstehen lassen.

Der Beklagte hat den Kläger lediglich im Rahmen einer geschätzten Tilgungsquote von 70% in Haftung genommen, obwohl für eine Vollhaftung des Klägers spricht, dass im Jahre 1996 fällige Steueransprüche sämtlich getilgt worden sind. Die Höhe der vom Beklagten geschätzten Tilgungsquote ist nicht zu beanstanden.

Trotz wiederholter Aufforderung hat der Kläger die Frage des Finanzamtes, ob und ggf. in welcher Höhe er die privaten Gläubiger gegenüber dem Finanzamt vorrangig befriedigt hat, nicht beantwortet. Auch im Klageverfahren hat er hierzu keine Angaben gemacht. Mangels vorliegender aussagefähiger Unterlagen bzw. in Ermangelung von konkreten Werten war eine genaue Ermittlung der Tilgungsquote bzw. eine quotale Aufteilung der Rückstände durch das Finanzamt nicht möglich.

Auch das vom Beklagten ausgeübte Auswahlermessen bzgl. der Inanspruchnahme des Klägers als Geschäftsführer der GmbH ist nicht zu beanstanden. Der zweite Geschäftsführer der Klägerin - Herr W. - ist ebenfalls für die rückständigen Umsatzsteuern der GmbH einschließlich Nebenforderungen als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden.

Den Einwendungen des Klägers hinsichtlich der fehlenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerausfall ist nicht zu folgen. So liegt im Streitfall ein Mitverschulden des Finanzamtes wegen der Unterlassung angekündigter oder gebotener Vollstreckungsmaßnahmen nicht vor. Das Finanzamt hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus dem Schätzungsbescheid für Umsatzsteuer 1994 vom 17. Oktober 1996 eine Zahllast in Höhe von 0,00 DM ergibt. Die Haftungsschuld resultiert jedoch allein aus der Nachzahlung aufgrund der verspätet eingereichten Umsatzsteuererklärung. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Liquiditätsschwierigkeiten bereits eingetreten und aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten nicht mehr gegeben.

Auch dem Einwand des Klägers, dass die Steuerschulden für das Jahr 1994 in unzutreffender Höhe festgesetzt worden sind, ist nicht zu folgen. Die Höhe der festgesetzten Umsatzsteuer entspricht der durch den Steuerpflichtigen eingereichten Steuererklärung.

Eine Berichtigung der Steuer, z.B. bei Forderungsausfällen, ist erst in dem Veranlagungszeitraum möglich, in dem die Forderung endgültig ausfällt. Zudem sind nach § 166 AO dem Steuerpflichtigen Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung abgeschnitten, wenn er als Vertreter einer juristischen Person die Festsetzung hätte angreifen können. Der Umsatzsteuerbescheid für 1994 ist mit Ablauf der Einspruchsfrist am 01. Oktober 1997 unanfechtbar geworden. Die in § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG ausdrücklich als Steueranmeldung bezeichnete USt-Jahreserklärung der GmbH stand gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Gegen eine Steueranmeldung ist nach § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO der Einspruch gegeben. Der Einspruch muss im Falle des § 168 Satz 1 AO gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde eingelegt werden (vgl. BFH vom 25. Juni 1998 V B 104/97, BStBl II 1998, 649). Dies ist im Streitfall nicht geschehen.

Der Kläger als Vertreter der GmbH wäre in der Lage gewesen, Einspruch gegen die Umsatzsteuerfestsetzung einzulegen. Da er dies nicht getan hat, muss er die Festsetzung gegen sich gelten lassen.

II. Der Inanspruchnahme des Klägers für die Umsatzsteuerschulden für 1994 einschließlich der Säumniszuschläge und Zinsen steht jedoch der Ablauf der Festsetzungsverjährung entgegen.

Die Festsetzungsfrist beträgt für Haftungsbescheide nach § 191 Abs. 3 Satz 2 AO grundsätzlich vier Jahre, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO). Insoweit ist auf die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Haftungsnorm sowie die Entstehung der Steuerschuld abzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1999 VII R 98/98, BStBl II 2000, 486; BFH-Beschluss vom 21. November 2001 VII B 108/01, BFH/NV 2002, 315).

Gemäß § 69 Satz 1 AO wird die Haftung der in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen ausgelöst, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit in Folge dessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Hiervon ausgehend ist im Streitfall als haftungsbegründende Pflichtverletzung an die nicht rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuererklärung 1994 anzuknüpfen.

Die Umsatzsteuerjahresschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes berechenbar ist. Das ist das Ende des Besteuerungszeitraumes, mithin das Ende des Kalenderjahres (BFH-Urteil vom 09. Mai 1996 V R 62/94, BStBl II 1996, 662).

Die Umsatzsteuerjahreserklärung hätte der Kläger als Geschäftsführer der GmbH gemäß § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 2 AO spätestens zum 31. Mai des jeweiligen Folgejahres abgeben müssen und den sich ergebenden Unterschiedsbetrag zu Gunsten des Finanzamtes, der gemäß § 18 Abs. 4 UStG einen Monat nach Abgabe der Umsatzsteuererklärung fällig geworden wäre, bis zum 30. Juni dieses jeweiligen Jahres an das Finanzamt entrichten müssen. Im Streitfall war dem Kläger vom Finanzamt für die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für 1994 Fristverlängerung bis zum 30. April 1996 gewährt worden. Die Umsatzsteuererklärung der GmbH wurde jedoch erst am 01. September 1997 im Finanzamt eingereicht. Der haftungsbegründende Tatbestand, auf den das Finanzamt die Inanspruchnahme der Klägers gestützt hat, war daher im Streitfall bereits zum 30. April 1996 verwirklicht.

Mit der Verwirklichung des Haftungstatbestandes beginnt zugleich der Lauf der Haftungsverjährung gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 AO (vgl. BFH-Beschluss vom 04. September 2001 I B 145/01, BStBl II 2003, 223). Demnach war die vierjährige Festsetzungsfrist bei Erlass des Haftungsbescheides am 06. Dezember 2001 für die in die Haftung einbezogenen Steuern bereits abgelaufen.

Eine verlängerte Festsetzungsfrist von 5 Jahren, weil nach Vortrag des Beklagten das Verhalten des Klägers zugleich den Tatbestand einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) erfüllt, kommt nach Rechtsauffassung des Senats nicht in Betracht. Die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide wird gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO unter der Voraussetzung einer Steuerhinterziehung ausdrücklich nur bei Haftungstatbeständen nach § 70 und § 71 AO verlängert, in anderen Haftungsfällen, also auch im Streitfall bei der Haftung gemäß § 69 AO nicht, auch dann nicht, wenn Steuern hinterzogen wurden (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 191 Rz. 149; Kruse in Tipke/Kruse AO/FGO, § 191 AO Tz 68; Dumke in Schwarz AO, § 191 Rz. 58). Die Gesetzesformulierung in § 191 Abs. 3 Satz 2 AO: "Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre" ist so zu verstehen, dass sich die Festsetzungsfrist lediglich dann bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängert, wenn ein Steuerpflichtiger als Haftungsschuldner gem. § 70 AO in Anspruch genommen wird. Der Beklagte hat den Haftungsbescheid ausschließlich auf § 69 AO gestützt, nicht hingegen auf § 70 AO, der die Haftung des Vertretenen betrifft und im Streitfall als Anspruchsgrundlage für die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ohnehin ausscheidet oder auf § 71 AO.

Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre kommt daher im Streitfall nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war zuzulassen, da der Auslegung des § 191 Abs. 3 Satz 2 AO grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommt und der V. Senat des BFH in seinem Beschluss vom 07. Februar 2002 (V B 86/01, BFH/NV 2002, 755) zur Festsetzungsfrist bei leichtfertiger Steuerverkürzung möglicherweise eine andere Rechtsauffassung vertreten hat.

Der Streitwert bestimmt sich nach den §§ 13, 25 Gerichtskostengesetz (GKG) a.F..



Ende der Entscheidung

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