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Gericht: Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 01.10.2002
Aktenzeichen: 2 K 375/00
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG, UStDV


Vorschriften:

UStG § 6 Abs. 4
AO 1977 § 227
UStDV § 8
UStG § 4 Nr. 1a
UStG § 6a Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

In der Rechtssache

wegen

Erlaß von Umsatzsteuer für die Jahre 1995 bis 1998

hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 2. Senat, durch ... auf die mündliche Verhandlung

vom 01. Oktober 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert beträgt ....

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Erlaß von Umsatzsteuer, die die Klägerin wegen des Fehlens der Voraussetzungen von Ausfuhrlieferungen an den Beklagten abführen muß.

Die Klägerin betreibt ...

In den Jahren 1992 bis 1998 erstattete sie folgende Umsatzsteuerbeträge (gerundet) an ihre Kunden:

 1992... DM,
1993... DM,
1994... DM,
1995... DM,
1996... DM,
1997... DM und
1998... DM.

Betriebsintern hatte sie festgelegt, dass sie die Umsatzsteuer im nichtkommerziellen Reiseverkehr nur erstattet, wenn sich der Stempelaufdruck hälftig auf dem Bon und dem Zollformular befindet und der ausländische Bürger seinen Pass vorlegt. Diese Regelungen führte sie vor dem Erscheinen des Merkblatts des Bundesministeriums der Finanzen (IV D2 S - 7133 - BMF 4/99) zur Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr vom 18. März 1999 ein, in dem Empfehlungen für den Nachweis der Ausfuhr im nichtkommerziellen Reiseverkehr enthalten sind.

Die Leiterin der Buchhaltung und der Verwaltungsleiter der Klägerin suchten am 12. August 1998 das Hauptzollamt ... ... auf, um festzustellen, ob der häufig auftretende Zollstempel Nr. 73 und die dazu gehörenden Papiere der Zollbehörde gefälscht waren. Nachdem die Gesprächspartnerin im Hauptzollamt die Stempel für echt gehalten hatte, informierte das Hauptzollamt am 29. September 1998 den Verwaltungsleiter der Klägerin, die von der Klägerin übergebenen Unterlagen seien nach nochmaliger Prüfung als gefälscht erkannt worden. Die Angelegenheit wurde sodann der Steuerfahndungsstelle übergeben. Die Steuerfahndungsstelle ermittelte mit Hilfe sog. Stempelfolien, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrnachweise für die Jahre 1993 bis 1998 von polnischen Staatsbürgern nachgefertigt worden bzw. die Ausfuhrnachweise mit einem falschen Zollstempel versehen worden waren. Die Steuerfahndungsstelle stellte fest, dass die polnischen Staatsbürger Einkäufe und Ausfuhren vorspiegelten, indem sie liegengebliebene Kassenbons auf den Parkplätzen, in den Einkaufskörben und den Papierkörben der Supermärkte einsammelten, zum Teil mit gefälschten Vordrucken und gefälschten Zollstempeln Ausfuhrnachweise "fertigten", diese mit Namen und Anschrift des jeweiligen polnischen Staatsbürgers versahen und die Erstattung der Umsatzsteuer von der Klägerin beantragten und gewährt bekamen.

Von einem weiteren Teil konnte zwar nachgewiesen werden, dass die Ausfuhrbelege gefälscht worden waren, um die Einfuhrzölle auf die Waren in Polen zu umgehen, nicht aber, dass die Ausfuhren nicht stattgefunden haben.

Am 11. Oktober 1999 erließ der Beklagte geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1997, die weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen. Mit Bescheid vom 12. November 1999 setzte der Beklagte eine erhöhte Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Dezember 1998 fest. Insgesamt wurden aus diesem Sachverhalt folgende Umsatzsteuerbeträge nachgefordert:

 1993...Zinsen...
1994...Zinsen...
1995...Zinsen...
1996...Zinsen...
1997...Zinsen...
1998...  
Gesamt... ...

Mit Schreiben vom 29. Oktober 1999 und 29. November 1999 beantragte die Klägerin den Erlaß der nachgeforderten Umsatzsteuer für die Jahre 1993 bis 1998.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2000 lehnte der Beklagte die Erlaßanträge ab.

Auf den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch vom 28. Februar 2000 erließ der Beklagte die Umsatzsteuernachforderungen 1993 und 1994 nebst Zinsen sowie die Zinsen zu den Umsatzsteuernachforderungen für die Jahre 1995 bis 1997. Die Umsatzsteuernachforderung für die Jahre 1993 und 1994 erließ der Beklagte, weil für diese Jahre eine Betriebsprüfung durchgeführt worden war und die Steuerbescheide nicht mehr hätten geändert werden dürfen. Die Zinsen erließ der Beklagte, weil der Klägerin nur ein fiktiver Liquiditätsvorteil entstanden war.

Im übrigen wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 03. Mai 2000 den Einspruch zurück.

Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Einziehung sei nicht sachlich unbillig. Sachlich unbillig sei die Einziehung, soweit die Besteuerung zwar dem gesetzlichen Tatbestand entspreche, die Durchsetzung des Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis aber unter den besonderen Umständen des Einzelfalles den gesetzlichen Wertungen zuwider laufe. Sachlich unbillig sei die Einziehung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis, wenn sie u. a. dem Zweck der anspruchsbegründenden gesetzlichen Regelung widersprechen würde.

Die Klägerin schulde die Steuer, da sie keinen ordnungsgemässen Ausfuhrnachweis habe erbringen können. Die Durchsetzung des Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis unter den besonderen Umständen des Einzelfalles laufe den gesetzlichen Wertungen nicht zuwider.

Der Zeitraum von 1993 bis 1998, in dem die Klägerin nicht bemerkt habe, dass ein erheblicher Teil der Ausfuhrpapiere von polnischen Staatsbürgern nachgefertigt und mit einem falschen Zollstempel versehen worden sei, sei langandauernd. Zudem sei die Erstattung von Umsatzsteuer in Höhe von 223.390,00 DM an polnische Staatsbürger ein erheblicher Schaden. Der Schaden sei nicht durch die falsche Auskunft der Zollbehörden verursacht worden. Die Maßnahmen, die die Klägerin ergriffen habe, hätten nicht ausgereicht. Bei angemessener Sorgfalt hätte ein über Jahre andauernder Betrug verhindert werden können. Zwar seien die Vorschriften des § 8 UStDV eingehalten worden, der Echtheit der abgestempelten Ausfuhrnachweise sei jedoch zu wenig Bedeutung geschenkt worden. Erst nach Jahren sei den aufgekommenen Zweifeln nachgegangen worden.

Die Klägerin müsse sich zurechnen lassen, dass sie die ungerechtfertigte Auszahlung der Umsatzsteuern mit verschuldet habe, auch wenn durch ihr bedachtes Handeln weiterer Schaden verhindert worden sei. Die Umsatzsteuer könne zurückgefordert werden, auch wenn die Klägerin wesentlich zur Aufklärung des Sachverhaltes beigetragen habe. Dieser Tatbestand müsse nur im strafrechtlichen Prozeß positiv bedacht werden, für einen Erlaß der gesamten Umsatzsteuern reiche dies jedoch nicht. Eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG komme nicht in Betracht. Dort sei ebenfalls Voraussetzung, dass der Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Hätte es sich im Fall der Klägerin um eine innergemeinschaftliche Lieferung gehandelt, würde die Vorschrift keine Anwendung finden. Davon abgesehen handele es sich um keine planwidrige Lücke im Gesetz. Die Gesetzgebung des § 6a Abs. 4 UStG gehe davon aus, dass die Steuerforderungen im EU-Binnenmarkt leichter realisierbar seien als bei Lieferungen, die dem § 6 Abs. 4 UStG unterliegen.

Mit der am 2. Juni 2002 eingegangenen Klage begehrt die Klägerin den Erlaß der Umsatzsteuernachforderungen für die Jahre 1995 bis 1998 in Höhe von ...

Sie meint, die Steuereinziehung sei sachlich unbillig.

Es müsse gewürdigt werden, dass die Fälschungen "perfekt" gewesen seien, sie interne Kontrollen angewiesen habe, die über die Anforderungen des BMF hinausgingen, und auch die Aufklärung des Sachverhaltes allein auf ihre Initiative zurückgehe. Die Klägerin verwehrt sich gegen die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, sie habe ihre Sorgfaltspflichten verletzt. Sobald ihr Zweifel an der Echtheit der Stempel aufgekommen seien, sei sie aktiv tätig geworden und habe sie die Aufklärung vorangetrieben.

Auch würden der lange Zeitraum, in dem sie die Fälschungen nicht bemerkt habe, und die Höhe des Schadens nichts über die Sorgfaltspflichtverletzung aussagen.

Sie meint, die Umstände des Einzelfalls und der Vertrauensschutzgedanke würden zu einer Unbilligkeit führen.

Obwohl eine dem § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG entsprechende Vertrauensschutzregelung für die (angebliche) Ausfuhrlieferung in § 6 UStG fehle, bleibe dieser Gedanke auch im Rahmen der Unbilligkeitsprüfung relevant, dass nämlich das Vertrauen eines Unternehmers in das Vorliegen bestimmter, umsatzsteuerlicher, ihm günstiger Tatbestandsmerkmale, diesen Unternehmer in den Genuß einer Steuerbefreiung bringen könne. § 6a Abs. 4 UStG zeige, dass es auch bei formalisierten Nachweisen möglich sei, dem Vertrauen des Unternehmers Vorrang vor dem staatlichen Steueranspruch zu geben. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass die Täuschung nicht nur auf "unrichtigen Angaben des Abnehmers" beruhte, sondern sogar auf nicht erkennbar gefälschten Stempeln. Sie - die Klägerin - sei schutzwürdig, da sie auf die Echtheit der verwendeten Stempel vertraut habe und auch darauf habe vertrauen dürfen.

Sie habe alles gesetzlich Geforderte getan und sich selbst noch strengere Pflichten auferlegt. Sie sei Opfer "perfekter" Fälschungen geworden. Sie würde zur Nachzahlung von Umsatzsteuer herangezogen werden, die nur deshalb festgesetzt wurde, weil sie selbst maßgeblich zum Nachweis deliktischen Verhaltens ihr gegenüber beigetragen habe. Dies sei unbillig. Sie werde vom Staat für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben in Anspruch genommen, weil sie die Steuer vom Endabnehmer einsammele und an das Finanzamt abführe. Daraus sei abzuleiten, dass das Risiko des Steuerausfalls durch gefälschte Ausfuhrbelege auch in den Bereich der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und damit in den Bereich falle, für den die Finanzverwaltung das Risiko trage. Das gelte jedenfalls in einem Sachverhalt wie diesem, in dem dem Unternehmer kein Vorwurf gemacht werden könne, Opfer von Fälschungen geworden zu sein. Auch gehe die Neutralität der Umsatzsteuer auf Unternehmer-Ebene verloren, weil sie die erschwindelte Umsatzsteuerbelastung nicht mehr auf den Endverbraucher abwälzen könne.

Im Ergebnis stünden die Steuerbescheide daher nicht mehr mit den Wertungen des Gesetzes im Einklang.

Zur weiteren Begründung bezieht die Klägerin sich auf den Aufsatz von Dietlein/Mehrbrey BB 2001, 446 ff.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 14. Februar 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Mai 2000 zu verpflichten, die für 1995 festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von ... die für 1996 festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von ... die für 1997 festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von ... und die für Dezember 1998 festgesetzte Umsatzsteuer-Vorauszahlung in Höhe von ... zu erlassen.

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Dem Gericht lagen ein Band Umsatzsteuerakten, ein Band Sonderakten, ein Band Stundungs-/Erlaßakten, ein Hefter Einspruchsverfahren zu Steuernummer 071/160/00053 sowie zwei Ordner mit Ausfuhrbelegen vor.

Gründe

Die Klage ist unbegründet, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 Abs. 1 FGO.

1. Die Einziehung der Umsatzsteuer ist nicht sachlich unbillig im Sinne des § 227 AO.

Die Einziehung eines Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis ist aus sachlichen Gründen unbillig, soweit sie, obwohl der gesetzliche Tatbestand erfüllt wird, im atypischen Einzelfall aufgrund eines Überhangs des Gesetzes dessen Wertungen nicht entspricht oder dem auch von der Finanzbehörde zu beachtenden Grundsatz von Treu und Glauben nicht entspricht (Beermann § 227 Tz 76; Tipke/Kruse § 227 Tz. 42 jeweils mit Nachweisen der Rechtsprechung).

a) Die Einziehung der Umsatzsteuer widerspricht nicht den Wertungen des Gesetzes.

Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (BFH-Urteil 21. Oktober 1987, X R 29/81, BFH/NV 1988, 546, 547; BFH-Urteil vom 21. Januar 1992, VIII R 51/88 in BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 227, Tz. 126 ff. und 252 ff.; Tipke/Kruse, AO/FGO, 14. Aufl., § 227 AO, Tz. 42 ff. jeweils m. w. N.).

Die Initiative der Klägerin, den entscheidenden Hinweis an die Steuerverwaltung zu geben, um den Sachverhalt aufzuklären und die Ausfuhrlieferungen als Fälschungen zu entdecken, führt nicht dazu, dass die Einziehung der Umsatzsteuer den Wertungen des Gesetzes widerspricht. Für die Umsatzsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 1a i.V.m. § 6 Abs. 4 UStG ist entscheidend, dass die Ausfuhrbelege i. S. d §§ 8 ff. UStDV vorliegen. Aufgrund welcher Begleitumstände entdeckt worden ist, dass die Ausfuhrbelege nicht anzuerkennen sind, ist für die Umsatzsteuerfreiheit nicht entscheidend. Damit führt die Initiative der Klägerin zur Aufdeckung des Sachverhaltes nicht dazu, dass die Einziehung der Umsatzsteuer den Wertungen des Gesetzes widerspricht.

Auch die Tatsache, dass die Steuerbefreiung wegen der Fälschung der Ausfuhrbelege versagt wurde, führt nicht dazu, dass die Einziehung der Umsatzsteuer den Wertungen des Gesetzes widerspricht.

Der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 4 UStG das Risiko für das Vorliegen der Ausfuhrlieferung und damit auch das Risiko der Fälschung der Ausfuhrbelege dem Unternehmer auferlegt. Mithin entspricht es grundsätzlich auch dem Gesetzeszweck, Lieferungen, die - wie hier geschehen - aufgrund gefälschter Ausfuhrbelege vom Unternehmer als umsatzsteuerfrei behandelt wurden, als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln.

Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 UStG und Art. 239 Zollkodex (ZK) es für die Steuerfreiheit einer Lieferung als ausreichend ansieht, wenn der Unternehmer unrichtige Angaben des Abnehmers auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Ob die Klägerin tatsächlich nicht gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hat, kann hier dahinstehen. Dem Senat sind bei Durchsicht der Ausfuhrbelege einige Belege schon deshalb als gefälscht aufgefallen, weil die verwendeten Formulare Rechtschreibfehler auf wiesen. In welchem Umfang Fälschungen mit bloßem Auge zu erkennen waren, kann hier nicht ermittelt werden. Auch die Tatsache, dass von 1995 auf 1996 sich die Umsatzsteuererstattungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr mehr als verdoppelt haben, hätte durchaus vor 1998, als sich diese Entwicklung der Zahlen wiederholte, Anlaß zu Nachforschungen gegeben.

Selbst wenn unterstellt wird, dass die Klägerin nicht gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hat, kann eine dem § 6a Abs. 4 UStG ähnliche Regelung für § 6 Abs. 4 UStG nicht im Wege des Erlasses eingeführt werden.

Zwar vertreten insbesondere Dietlein/Mehrbrey (Grenzen der Umsatzbesteuerung bei Manipulationsfällen im Rahmen des sog. "Exports über den Ladentisch", BB 2001, 446, 450) die Auffassung, die Umsatzsteuerschuld sei zu erlassen, wenn Manipulationen auch bei Aufwendung aller gebotenen Sorgfalt nicht zu erkennen, insbesondere durch den Mißbrauch authentischer Dienstsiegel bzw. Siegelfarbe ermöglicht oder zumindest erleichtert worden seien.

Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen, denn bei der sachlichen Billigkeitsprüfung müssen, vor allem im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG), grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1987, X R 29/81, BFH/NV 1988, 546; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 227., Tz. 30 f. und 141; Tipke/Kruse, AO/FGO § 227, Tz. 34 f., jeweils m. w. N.). Aus dem gleichen Grund darf eine Billigkeitsmaßnahme unter gar keinen Umständen, selbst nicht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 227, Tz. 285 m. w. N.), dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen (Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 227, Tz. 128). § 6 Abs. 4 UStG differenziert nicht danach, aus welchen Gründen die Ausfuhrlieferung nicht vorliegt. Damit trägt das Risiko der Fälschung der Ausfuhrbelege typischerweise der Unternehmer. Würde der Beklagte hier im Wege des Erlasses darauf abstellen, ob der Unternehmer sorgfältig gehandelt hat, als er die Umsatzsteuer an die polnischen Staatsbürger ausgezahlt hat, würde die generelle Geltungsanordnung des § 6 Abs. 4 UStG unterlaufen werden. Dieses widerspräche dem Grundsatz der Gewaltenteilung. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewußt innergemeinschaftliche Lieferungen im Sinne des § 6a Abs. 1 UStG im Unterschied zu Ausfuhrlieferungen an Abnehmer außerhalb des Gemeinschaftsgebiets privilegiert hat.

Die Inanspruchnahme der Klägerin verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer. Dieser Grundsatz bewirkt, dass nicht der Unternehmer, sondern der Verbraucher letztlich mit der Umsatzsteuer belastet ist, weil die bei einem Geschäft fällige Umsatzsteuer unter Abzug der Steuer berechnet wird, die bei dem vorigen Geschäft schon entrichtet worden ist (Vorsteuerabzug). Dass die Klägerin im Streitfall mit der Umsatzsteuer belastet ist, beruht allein darauf, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Umsatzsteuer gegen die polnischen Staatsbürger nicht durchsetzbar ist, nicht aber auf der Regelung des § 6 Abs. 4 UStG.

Die Klägerin kann einen Erlaß auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 6 Abs. 4 UStG herleiten.

Der Bundesfinanzhof hat mit Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung im Urteil vom 24. November 1988 (V R 186/83, BFH/NV 1989, 419) entschieden, ein Erlaß von Umsatzsteuer wegen Fehlens des Ausfuhrnachweises komme nur in Betracht, wenn der Unternehmer die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferung deswegen nicht beanspruchen kann, weil die Ausfuhrnachweise infolge höherer Gewalt verloren gegangen sind. Sachliche Billigkeitsgründe seien nicht vorhanden, wenn der Unternehmer die Belegvoraussetzungen in Form von Warenbegleitscheinen nicht erfülle, ohne dass er daran aus Gründen gehindert wäre, die denen von höherer Gewalt vergleichbar erscheinen. Im Urteilsfall des Bundesfinanzhofes waren die Unterlagen bei einem Einbruch gestohlen worden.

Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor.

Zum einen ist hier nicht sicher, ob als Ausfuhrlieferung bezeichnete Gegenstände überhaupt das Gebiet der Gemeinschaft verlassen haben, denn nach den Feststellungen der Steuerfahndung, die die Klägerin insoweit auch nicht bestritten hat, haben in vielen Fällen die polnischen Staatsbürger von anderen Personen liegengelassene Kassenzettel aufgesammelt und zu Ausfuhrbelegen "ergänzt". Für Lieferungen im Inland hätte die Klägerin die von den Kunden für diese Lieferungen vereinnahmte Umsatzsteuer ohnehin zu entrichten.

Zum anderen liegt auch kein Fall höherer Gewalt vor, in dem einst vorhandene Ausfuhrbelege abhanden gekommen sind.

b) Auch liegt keine Unbilligkeit wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes kommt es zu einer Verdrängung des gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben nur in besonders gelagerten Fällen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 5. September 2000, IX R 33/97, BFHE 192, 559, BStBl II 2000, 676, m. W. N.). Dies kommt nur dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerrechtliche Behandlung zugesagt worden ist oder wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. BFH-Urteil vom 30. September 1997, IX R 80/94, BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771).

Hier haben weder die Zoll- noch die Finanzverwaltung einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Einen solchen hätte man allenfalls für die Zeit zwischen dem 12. August 1998 und 29. September anerkennen können, denn für diesen Zeitraum durfte die Klägerin aufgrund der Auskunft des Hauptzollamtes von der Echtheit der Belege ausgehen. Für diesen Zeitraum hat der Beklagte jedoch ausweislich der Aufstellung Bl. 20 der Sonderakten keine Umsatzsteuer von der Klägerin aus diesem Sachverhalt gefordert.

2. Einen Erlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen hat die Klägerin nicht begehrt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass persönliche Billigkeitsgründe vorliegen.

II. Der Beklagte hat sein Ermessen auch in einer dem § 227 AO entsprechenden Weise ausgeübt.

Dazu gehört, dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Normzweck ausübt, § 5 AO. Dabei darf die Behörde die inneren Schranken ihres Handelns nicht verkennen. Diesen Grundsätzen entspricht die angegriffene Entscheidung, der Beklagte hat die zur Frage der sachlichen Unbilligkeit erforderlichen Gedanken entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes angestellt und danach ihr Ermessen ausgeübt und auch dargelegt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Streitwert wurde gemäß § 13 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) bemessen.

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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