Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.10.2005
Aktenzeichen: 1 K 2894/05
Rechtsgebiete: GG, AO 1977


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
AO 1977 § 110 Abs. 2 S. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

1 K 2894/05

Einkommensteuer 2001

In der Streitsache

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

ohne mündliche Verhandlung am 19. Oktober 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Einspruchsfrist versäumt wurde sowie ob Zuschätzungen des Finanzamts gerechtfertigt waren.

Der Kläger wurde für das Streitjahr 2001 vom Beklagten - dem Finanzamt X (FA) - zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Das FA setzte mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 die ESt für 2001 unter Hinzuschätzung von Einkünften fest. Der Bescheid wurde - wie in der Steuererklärung beantragt -an den Steuerberater (StB) übersandt. Dieser legte mit Schreiben vom 22. Dezember 2003 Einspruch ein. Diesen Einspruch adressierte er jedoch fälschlicherweise an das Finanzamt Y. Der Einspruch trägt den Eingangsstempel des FA Y vom Montag, dem 29. Dezember 2003 (Frühleerung). Das FA Y ermittelte die Steuernummer und übersandte den Einspruch mit Schreiben vom Montag, dem 5. Januar 2004 an das FA X, wo er am 14. Januar 2004 einging.

Das FA verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2005 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Ziel einer Sachentscheidung weiter, ohne etwas zur versäumten Frist vorzutragen.

Der Kläger beantragt,

die ESt für 2001 unter Änderung des ESt-Bescheides vom 1. Dezember 2003 in Gestalt der EE vom 5. Juli 2005 neu festzusetzen und dabei die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 23.000 DM niedriger anzusetzen, im Gegenzug einen Betrag von 14.415,45 DM für Zwecke des Progressionsvorbehalts als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

Das FA beantragt,

die Klage wegen Versäumung der Einspruchsfrist abzuweisen.

II.

Die Klage ist nicht begründet. Der Einspruch des Klägers war verspätet.

Der am 1. Dezember 2003 ergangene ESt-Bescheid gilt gem. § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post und damit am 4. Dezember 2003 bekannt gegeben. Die Rechtsbehelfsfrist begann mit Ablauf dieses Tages (§ 108 Abs. 1 AO, § 187 Abs. 1 BGB) und endete somit regulär mit Ablauf des 4. Januar 2004. Da dieser Tag ein Sonntag war, lief die Frist mit Ablauf des 5. Januar 2004 ab.

Das Einspruchsschreiben des Klägers ist innerhalb der Rechtsbehelfsfrist bei der unzuständigen Behörde, nämlich dem FA Y, eingegangen. Der Eingang des Rechtsbehelfs bei der unzuständigen Finanzbehörde konnte die ablaufende Frist nicht wahren. Da diese Behörde das Schriftstück an die zuständige Behörde mit einer Verzögerung weitergeleitet hat, ist der Einspruch bei dem zuständigen FA X erst mit Schreiben des FA Y vom 5. Januar 2004, eingegangen beim beklagten FA X am 14. Januar 2004, --mithin verspätet--erhoben worden.

Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) wurde nicht gestellt, die Wiedereinsetzung ohne Antrag (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO) jedenfalls konkludent in der Einspruchsentscheidung abgelehnt.

Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Das Finanzgericht ist zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung berufen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 17. Oktober 1972 VIII R 36/69, BStBl II 1973, 271). Ist diese zu verneinen, so ist die Klage ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (BFH-Urteil vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BStBl II 1984, 791).

Ursächlich für die Versäumung der Einspruchsfrist war sowohl die dem Kläger zuzurechnende fehlerhafte Adressierung des Einspruchsschreibens, die zur Anbringung des Rechtsbehelfs bei dem unzuständigen FA Y geführt hat, als auch die nicht beschleunigte Weiterleitung des Schriftstücks an das beklagte FA. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass der Einspruch noch am 29. Dezember 2003, spätestens aber am 30. Dezember 2003 einem Bearbeiter zur Kenntnis gelangt sein muss. Bei sofortiger Weiterleitung auf dem Postweg hätte das Schreiben unter günstigen Umständen am 31. Dezember 2003 aufgegeben und noch am 5. Januar 2004 - mithin rechtzeitig - beim zuständigen FA X eingehen können.

Der BFH hat in einem solchen Fall dem Kläger Wiedereinsetzung versagt (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2000 VII R 7/99, BStBl II 2001, 158). Das Verschulden des Prozessvertreters entfalle auch durch ein Versäumnis des Finanzamtes bei der Weiterleitung nicht. Die Verantwortlichkeit könne nur ausnahmsweise - z.B. bei willkürlichem, offenkundig nachlässigem und nachgewiesenen Fehlverhalten - dazu führen, dass die Verantwortlichkeit des Absenders entfällt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die o.g. Entscheidung in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde aufgehoben und entschieden, dass die angegriffene Entscheidung des BFH den Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verletzt (BVerfG-Beschluss vom 2.9.2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835). Die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gebiete eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (BVerfG-Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 1 BvR 830/00, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2000, 1163). Deshalb dürften die Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den hierfür maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt werden. Zwar begründe die fehlerhafte Angabe der Behörde, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, nach der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichte regelmäßig die Annahme subjektiv vorwerfbarer Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt. Andererseits bestehe für die Behörden grundsätzlich die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Habe die unzuständige Behörde die Übermittlung schuldhaft verzögert oder überhaupt unterlassen, komme im Falle willkürlichen, offenkundig nachlässigen und nachgewiesenen Fehlverhaltens der Behörde auch nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 6. Mai 1998 IV B 108/97, BFH/NV 1999, 146).

Im Streitfall ist eine derartige zur Wiedereinsetzung führende schuldhafte Verzögerung seitens des FA Rosenheims nicht gegeben.

Im Streitfall käme allenfalls ein Fehlverhalten durch verzögerte Weiterleitung in Betracht.

Immerhin benötigte das FA eine Woche, um den Einspruch weiterzusenden. Der Brieflauf benötigte eine weitere Woche. Eine solche Verzögerung könnte nach Ansicht des Senats als nachlässig angesehen werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Sachverhalt in die Jahreswende mit etlichen Feiertagen fällt und dass der Steuerberater die Steuernummer falsch angegeben hatte, weshalb das FA erst anhand des Namens und der Anschrift die richtige Steuernummer und das zuständige Finanzamt ermitteln musste. Auch kann ein selbst ein etwaiges Verzögern dann keine Rolle spielen, wenn dieses nicht ursächlich für die Verfristung wurde, weil auch bei pflichtgemäßer Weiterleitung das Einspruchsschreiben erst verspätet das zuständige FA X erreicht hätte. So ist es hier.

Bei der Entwicklung von Maßstäben für ein schuldhaftes Verzögern sind nach Ansicht des erkennenden Senats keine überspannten Anforderungen zu stellen. Insbesondere können übliche Lauf-und Liegezeiten von Post in Ämtern grundsätzlich nicht zur Annahme einer schuldhaften Verzögerung führen. Die unzuständige Behörde ist nicht etwa gehalten, schnellere Kurier-oder Postdienste mit der Übermittlung zu betrauen. Sie darf vielmehr, muss aber auch zumindest den üblichen auch für sonstige Behördenpost üblichen Weg wählen. Das Risiko der hierdurch verursachten Laufzeiten trägt der falsch Adressierende.

Wendet man diesen Maßstab auf den Streitfall an, so ist die Sachbehandlung durch das FA jedenfalls nicht ursächlich für die Verfristung gewesen. Nach eigener Kenntnis des Senats ist davon auszugehen, dass falsch adressierte Post nicht am selben, wohl aber am auf den Eingang bei der Behörde folgenden Tag einen verantwortlichen Bearbeiter erreicht. In Anbetracht der gerade um Feiertage herum umfangreicheren Vertretungen ist eine Liegezeit von einem weiteren Tag nicht zu beanstanden. Danach hätte spätestens am 31. Dezember 2003, da an diesem Tag jedoch nicht oder allenfalls halbtags gearbeitet wird, allerdings erst am Freitag den 2. Januar 2004, ein Bearbeiter den falsch adressierten Einspruch sichten müssen.

Die Ermittlung des zuständigen Finanzamtes innerhalb Bayerns dürfte nach den üblichen Möglichkeiten binnen kurzer Zeit möglich sein, so dass die Fertigung eines Weiterleitungsschreibens noch am selben Tag zu erwarten wäre. Berücksichtigt man, dass am Freitag Nachmittag regelmäßig die Post nicht mehr abgetragen wird, war bei regelmäßigem Ablauf mit einem Abtragen am Montag, den 5. Januar 2004 zu rechnen. Unter günstigen Umständen wäre am gleichen Tag die Aufgabe zur Bayernweiten behördeninternen Post erfolgt.

Ein fristwahrender Zugang am selben Tag im zuständigen Finanzamt X wäre unter solchen Umständen auszuschließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

Zurück