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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 23.01.2009
Aktenzeichen: 1 K 561/04
Rechtsgebiete: AO, EStG


Vorschriften:

AO § 165 Abs. 1
AO § 181 Abs. 1
EStG § 4 Abs. 3
EStG § 15 Abs. 1
EStG § 18 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 1. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...............

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Finanzamt wird verpflichtet, die bis zur endgültigen Klärung der Gewinnverteilung aufgrund der derzeitigen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Klägers weiterhin vorläufigen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der D GbR für 1998 und 1999 dahingehend zu ändern, dass der dem Kläger vorläufig zugewiesene Gewinn für 1998 um 78.504 DM niedriger und für 1999 um 73.586 DM niedriger festgestellt wird.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Die Beigeladen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Streitig ist, ob das Finanzamt verpflichtet ist, den dem Kläger zuzurechnenden Gewinn aus einer Mitunternehmerschaft vorläufig niedriger festzustellen.

Die Kläger war bis zum 19. Oktober 1999 Gesellschafter der D Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden: Gesellschaft). Die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung der Streitjahre 1998 und 1999 erfolgt durch den Beklagten - das Finanzamt (FA).

Die gesellschaftsvertraglichen Gewinnbezugsrechte für die Gewinnermittlungszeiträume 1998 und 1. Januar 1999 bis 19. Oktober 1999 gestalteten sich wie folgt: Die Gesellschafter erhielten einen monatlichen Gewinnvoraus und Vorausabgeltung für gewisse Aufwendungen.

Dem Gesellschafter D (Beigelandener zu 1) stand vom danach verbleibenden "Verteilungsgewinn" ein Anteil von 70% zu, der Gesellschafterin U (Beigeladene zu 2) und dem Kläger je ein Anteil von 15%. Die Gesellschaft ermittelte den Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Wegen der Gewinnermittlung im Einzelnen wird auf die Feststellungsakte verwiesen: 1998 Bl. 5, 1999 Bl. 40).

Das Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft war von Streitigkeiten überschattet bzw. durch solche ausgelöst worden. Insbesondere machte die Gesellschaft Schadenersatzansprüche und Zurückbehaltungsrechte gegenüber dem Kläger geltend. Der dem Kläger zugewiesene Gewinn wurde aufgrund der vorstehend dargestellten Streitigkeiten nicht vollständig ausgeschüttet, in Beträgen (DM):

 19981999
festgestellter Gewinnanteil des Klägers282.504181.586
dem Kläger von der Gesellschaft ausgezahlte Vorabvergütung-144.000-108.000
weitere Auszahlung von der Gesellschaft an den Kläger-60.000 
noch nicht ausbezahlter Rest78.50473.586
dem Kläger somit von der Gesellschaft ausgezahlte Vorabvergütung204.000108.000

Die Feststellungsbescheide vom 22. März 2000, geändert mit Bescheid vom 19. April 2000 (für 1998) und vom 10. Mai 2001 (für 1999) ergingen (mit vermerktem Vorbehalt der Nachprüfung) unter Übernahme der von der Gesellschaft erklärten Beträge und nach dem vorstehenden Gewinnverteilungsschlüssel, der Gewinn jeweils um die gesondert vom Kläger erklärten Sonderbetriebsausgaben (zuletzt 3.254 DM) korrigiert. Festgestellt wurden für die Streitjahre jeweils "Einkünfte aus selbständiger Arbeit - einschließlich Veräußerungsgewinne, jedoch vor Abzug eines etwaigen Freibetrags nach § 18 Abs. 3 EStG". In der beigefügten Anlage ist der laufende Gewinn im Wesentlichen wie erklärt und in - vorbehaltlich des Klagevortrags - unstreitiger Höhe ausgewiesen. Das Feld für die Eintragung eines Veräußerungsgewinnes/- verlusts blieb unausgefüllt.

Mit seinen Einsprüchen gegen die Feststellungen für 1998 und 1999 begehrt der Kläger, den ihm zugewiesenen Gewinnanteil um den nicht ausgeschütteten Betrag zu kürzen. Nach Abschluss der Betriebsprüfung hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung auf (Feststellungsbescheide vom 26. April 2002). Angesichts der fortlaufenden zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Auseinandersetzung der Gesellschafter ergingen diese Bescheide teilweise vorläufig "bis zur endgültigen Klärung der Gewinnverteilung aufgrund der derzeitigen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Herrn B".

Der Einspruch des Klägers gegen die Feststellung der Einkünfte 1999 blieb in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 29. November 2002 ohne Erfolg, bei Beibehaltung der Vorläufigkeit im bisherigen Umfang.

Mit Urteil vom 31. Januar 2003 (Rechtsmittel abgelehnt am 28. Juli 2003) wies das Landgericht München I die Zahlungsklage des Klägers gegen die Gesellschaft auf Auszahlung der noch nicht ausgeschütteten Beträge ab, weil derartige Ansprüche nur nach Feststellung in der Auseinandersetzungsbilanz geltend gemacht werden könnten, weshalb derzeit eine Durchsetzungssperre bestehe. Über die Auseinandersetzungsbilanz ist derzeit ein weiterer Rechtsstreit vor dem LG München I (Az. 3 O 19.../03) anhängig.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2003 beantragte der Kläger unter Berufung auf dieses Urteil erneut die Änderung des Gewinns in den Feststellungsbescheiden für die Streitjahre insoweit, als der dem Kläger zugewiesene Gewinn um die nicht ausgeschütteten Beträge vermindert wird, bei Aufrechterhaltung der Vorläufigkeit im Übrigen.

Die Gesellschaft stellte am 28. Oktober 2003 - bei Verwahrung des Klägers gegen einzelne Ansätze - eine Auseinandersetzungsbilanz zum 19. Oktober 1999 (den Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus der Gesellschaft) auf. Darin sind u.a. nicht ausbezahlte Gewinnanteile des Klägers für 1998 und 1999 in Höhe von zusammen 135.729,86 DM enthalten.

Dem gegenübergestellt sind mehrere Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe (siehe "Auseinandersetzungsbilanz vom 28. Oktober 2003" - Entwurf; Schriftsatz vom 1. August 2003, Trennblatt 1999/1999-Bl. 32 der Feststellungsakte). Über diese Bilanzposten ist ein Zivilrechtsstreit anhängig.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2004 lehnte das FA - mit beigefügter Rechtsbehelfsbelehrung - den Antrag des Klägers auf Änderung der Feststellungsbescheide ab.

Mit seiner Sprungklage, der das FA fristgerecht zugestimmt hat, verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt sinngemäß vor, durch die zivilrechtliche Durchsetzungssperre verlagerten sich die laufenden Gewinne statisch in die Auseinandersetzungsbilanz. Damit könnten sie nicht als laufender Gewinn besteuert werden, zumal er die streitigen Beträge definitiv nicht erhalten habe. Wegen der weiteren Argumentation des Klägers wird auf die Klagebegründung mit Schriftsätzen vom 11. Februar 2004 und 26. Februar 2008 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Finanzamt zu verpflichten, die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1998 und 1999 der D GbR dahingehend zu ändern, dass unter Beibehaltung des Vorläufigkeitsvermerks der dem Kläger zugewiesene Gewinn für 1998 um 78.504 DM niedriger und für 1999 um 73.586 DM niedriger festgestellt wird.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Es hält an seiner mit Schreiben vom 12. Januar 2004 dargelegten Rechtsauffassung fest, die Zurechnung der Gewinne nach dem gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilungsschlüssel werde durch die "Durchsetzungssperre" und die Ausübung von Zurückbehaltungsrechten nicht berührt.

Die Beigeladenen schließen sich der Auffassung des FA an. Wegen der Einzelheiten wird auf deren schriftsätzliche Äußerungen - insbesondere das Schreiben vom 7. November 2008 (Bl. 88 der Gerichtsakte) - verwiesen.

Auf die Niederschrift des Erörterungstermins am 17. November 2008 unter dem Berichterstatter und der mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2009 wird verwiesen.

II. 1. Die als Verpflichtungsklage auf Änderung der vorläufigen Festsetzung der Einkünfte des Klägers aus der Gesellschaft ausgelegte Klage ist zulässig.

Das FA hat der Sprungklage mit Schriftsatz vom 8. März 2004 zugestimmt. Der Kläger hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem erstinstanzlichen Urteil im Zivilprozess vom 31. Januar 2003 steht fest, dass der Kläger den Ausgang des Rechtsstreits über die Auseinandersetzungsbilanz abwarten muss, bevor er Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft effektiv durchsetzen kann. Dies ist ein ausreichender Grund, eine Anpassung der vorläufigen Steuerfestsetzung, die ja gerade die Interimszeit bis zum Ausgang des Auseinandersetzungsrechtsstreits umfassen soll, zu verlangen. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist im Streitfall insoweit zu bejahen, als ihm ein Anspruch darauf zuzubilligen ist, dass der ihm vorläufig für die Interimszeit bis zur Klärung der zivilrechtlichen Situation zugewiesene Gewinn der zum Zeitpunkt der vorläufigen Feststellung gegebenen tatsächlichen Situation weitestgehend entspricht. Dies gilt auch in einer Situation, in der das FA zulässigerweise nach seinem Ermessen die Gewinnfeststellung aufgrund der ungeklärten Zivilrechtslage nur vorläufig vornimmt.

2. Die Klage ist begründet.

a) Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) kann das FA die Festsetzung einer vorläufig festgesetzten Steuer aufheben oder ändern. Dies gilt sinngemäß für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Dem FA steht damit ein Ermessen zur erneuten Überprüfung einer vorläufigen Steuerfestsetzung zu, das denselben Grundsätzen gehorcht, wie die anfängliche vorläufige Festsetzung. Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO kann eine Steuer insoweit vorläufig festgesetzt werden, als ungewiss ist, ob und inwieweit die Voraussetzungen für ihre Entstehung eingetreten sind. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfüllt, wenn beim FA in tatsächlicher Hinsicht eine subjektive Unsicherheit besteht. Die Vorläufigkeit muss in einem Zusammenhang mit der Ungewissheit über den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt stehen. Dabei ist der Finanzbehörde (nur) insoweit ein Ermessen eingeräumt, als sie die Steuer vorläufig festsetzen kann. Sie kann deshalb die Vorläufigkeit auf alle Besteuerungsfolgen ausdehnen, die noch in einem Zusammenhang mit der Ungewissheit über den verwirklichten Sachverhalt stehen (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1988 I R 189/84, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1989, 130). Zum Sachverhalt im steuerrechtlichen Sinne gehören auch solche Sachverhalte, die zivilrechtliche Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse darstellen. Das FA darf die Steuerschuld vorläufig festsetzen, wenn etwa ein anderes Gericht über das Zivilrechtsverhältnis zu befinden hat (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 106. Lieferung, § 165 Rz. 7; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 191. Lieferung, § 165 Rz. 8). Als Beispiel nennt Tipke etwa Ungewissheit über den Gewinnverteilungsschlüssel einer Gesellschaft oder die Frage, ob jemand an einer Gesellschaft beteiligt ist. Das ergibt sich auch aus dem Zusammenhang mit § 363 Abs. 1 AO und § 74 Finanzgerichtsordnung (FGO). Was § 363 Abs. 1 AO für das Einspruchsverfahren und § 74 FGO für das Gerichtsverfahren regelt, muss im Besteuerungsverfahren auf § 165 AO gestützt werden (vgl. Tipke, ebenda). Innerhalb des durch § 165 Abs. 1 Satz 1 AO eröffneten Ermessensspielraums muss das FA die Entscheidung über die Einbeziehung oder Ausklammerung des ungewissen Sachverhalts nach Maßgabe überwiegender Wahrscheinlichkeit treffen (so auch Heuermann, s.o., § 165 Rz. 21). Dies gilt auch für den zahlenmäßigen Ansatz, also die Höhe des anzusetzenden Betrages.

b) Bei Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts können alle beiderseitigen Forderungen und damit auch entstandene Ansprüche auf Auszahlung des Gewinns zivilrechtlich nicht mehr isoliert geltend gemacht werden. Sie sind vielmehr als Rechnungsposten in die Abfindungsbilanz einzustellen (Palandt/Sprau, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB], 67. Aufl., § 738 Rz. 2). Der Auseinandersetzungsanspruch entsteht im Zeitpunkt des Ausscheidens (h. M., vgl. Münchner Kommentar zum BGB, § 378 Rz. 19), fällig hingegen wird er erst mit Feststellung der Abfindungsbilanz.

c) Mitunternehmern werden nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG die Ergebnisse, Gewinn und Verlust, der gemeinschaftlichen Tätigkeit anteilig als originäre eigene Einkünfte zugerechnet. In die Gewinnermittlung der Mitunternehmerschaft sind auch die (positiven und negativen) Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens sowie die Sonderbetriebseinnahmen, insbesondere die Vergütungen i.S. des § 15 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 EStG, und die Sonderbetriebsausgaben einzubeziehen (allgemeine Meinung, vgl. statt aller BFH, Beschluss des Großen Senats vom 3. Mai 1993 GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl II 1993, 616; Schmidt, Kommentar zum EStG, 27. Aufl., § 15 EStG, Rz. 441). Dazu gehören alle Einnahmen und Betriebsausgaben, die ihre Veranlassung in der Beteiligung des Steuerpflichtigen an der unternehmerisch tätigen Personengesellschaft haben (BFH-Urteil vom 14. Dezember 2000 IV R 16/00, BFHE 194, 151, BStBl II 2001, 238, m.w.N.). Verbindlichkeiten eines Mitunternehmers gegenüber Dritten oder der Gesellschaft sind notwendiges passives Betriebsvermögen, wenn sie unmittelbar durch den Betrieb der Personengesellschaft oder die Beteiligung an der Personengesellschaft veranlasst sind, also wirtschaftlich mit dem Betrieb der Gesellschaft zusammenhängen (Schmidt, a.a.O., § 15 EStG, Rz. 521; BFH-Urteile vom 28. Januar 1993 IV R 131/91, BFHE 170, 534, BStBl II 1993, 509; vom 18. Dezember 2001 VIII R 27/00, BFHE 197, 483, BStBl II 2002, 733).

d) Die Zurechnung des für das Gewinnermittlungssubjekt "Gesellschaft" ermittelten Gewinns auf die Gesellschafter erfolgt grundsätzlich nach dem gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilungschlüssel (std. Rspr., vgl. statt aller BFH-Urteil vom 22. Juni 2006 IV R 56/04, BFHE 214, 226, BStBl II 2006, 838). Von diesem Grundsatz ist jedoch dann abzuweichen, wenn etwa die nach einer Außenprüfung festgestellten Mehrgewinne ausschließlich einem Gesellschafter zugute gekommen sind, weder die Gesellschaft noch die anderen Gesellschafter in der Lage sind, etwa bestehende Erstattungsansprüche gegen den Mitunternehmer durchzusetzen, z.B. wegen dessen Vermögenslosigkeit, und - bei zwischenzeitlicher Auflösung und Beendigung der Gesellschaft - ein wegen der Mehrgewinne etwa bestehender erhöhter Auseinandersetzungsanspruch der anderen (früheren) Gesellschafter nicht mehr durchgesetzt werden kann (BFH-Urteil vom 7. Mai 1987 IV R 33/85, BFH/NV 1987, 775). Die Rechtsprechung verweist insoweit auf den Grundsatz, dass kein Steuerpflichtiger ein Einkommen versteuern soll, das ihm nicht zugeflossen ist (BFH-Urteile vom 1. August 1968 IV R 177/66, BFHE 93, 239, BStBl II 1968, 740; vom 24. Juni 1960 VI 16/60, Der Betrieb 1961, 795; BFH-Beschluss vom 23. Juni 1999 IV B 13/99, BFH/NV 2000, 29; Urteil des Reichsfinanzhofs vom 6. September 1939 VI 231/38, RStBl 1939, 1008). Nach der zitierten Rechtsprechung unterbleibt in diesem Fall auch die an sich gebotene Aktivierung der Ausgleichsforderung gegen den bevorzugten Gesellschafter bei der Gesellschaft im Realisationszeitpunkt und die erst spätere Ausbuchung mit Eintritt der Vermögenslosigkeit des bevorzugten Gesellschafters.

In einem gewissen Widerspruch hierzu geht die Rechtsprechung von einer Rückbeziehung der Folgen eines gerichtlichen Vergleichs aus, wenn sie postuliert, dass Mehrgewinnanteile, die dem Gesellschafter einer Personengesellschaft aufgrund eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleichs zustehen, grundsätzlich nicht im Jahr des Zuflusses zu versteuern sind, sondern in dem Jahr, auf das sie entfallen (BFH-Beschluss vom 23. Juni 1999 IV B 13/99, BFH/NV 2000, 29, m.w.N.).

Das BFH-Urteil vom 29. Mai 2001 (VIII R 10/00, BFHE 195, 486, BStBl II 2001, 747, m.w.N.) nennt als Grund, der es rechtfertige vom handelsrechtlichen Gewinn- und Verlustverteilungsschlüssel abzuweichen, vorrangige Bestimmungen des Ertragssteuerrechts, namentlich die Nichtanerkennung rückbezüglicher Gewinnverteilungsabreden, das Verbot der Abziehbarkeit privater Zuwendungen, den Grundsatz der Anknüpfung an den wirtschaftlichen Gehalt des Sachverhalts (als Beispiel wird das Feststehen des Nichtausgleichs eines negativen Kapitalkontos genannt) sowie die Nichtberücksichtigung von Verlusten auf der Vermögenssphäre bei den Überschusseinkünften.

e) Nach Maßgabe der vorstehenden Rechtsgrundsätze ist die Klage begründet.

Das FA hat zu Unrecht die Änderung der vorläufigen Feststellungsbescheide abgelehnt. Ob es sein Entschließungsermessen nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO zu einer neuerlichen Prüfung erkannt hat, kann dahingestellt bleiben, da es in dem Schreiben vom 12. Januar 2004 eine ausführlich neuerliche Prüfung tatsächlich durchführt. Bei dieser Prüfung hat es sein Ermessen jedoch fehlerhaft entweder nicht erkannt oder jedenfalls zu Lasten des Klägers ausgeübt, indem es den Gesellschaftsgewinn auch in Höhe der nicht ausgeschütteten Gewinne dem Kläger zugerechnet hat.

aa) Im Streitfall besteht eine tatsächliche Unsicherheit i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO über den verwirklichten Besteuerungssachverhalt.

(1) Der Besteuerungssachverhalt umfasst im Jahr 1998 den laufenden Gewinn aus der Mitunternehmerschaft und im Jahr 1999 sowohl den laufenden Gewinn, wie den aus dem Ausscheiden des Klägers sich ergebenden Gewinn und Verlust. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der formularmäßig ergangenen Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Grundlagen für die ESt-Besteuerung 1998 vom 19. April 2000) und für 1999 (vom 10. Mai 2001), die Inhalt der Bescheide vom 26. April 2002 geworden sind. Dort werden festgestellt "Einkünfte aus selbständiger Arbeit - einschließlich Veräußerungsgewinne". Angesichts dieses eindeutigen Wortlauts kann das leer gelassene Feld "b) (...) Veräußerungsgewinne [...]" in der beigefügten "Anlage ESt 1, 2, 3, B" nicht zu einer abweichenden Auslegung führen.

(2) Ungewiss sind aus Sicht des FA die Verpflichtung des Klägers zum Schadenersatz gegenüber der Gesellschaft dem Grunde und der Höhe nach, sowie die Bewertung des Gesellschaftsvermögens und damit letztlich auch der Aufgabegewinn oder -verlust des Klägers.

Über diese Fragen ist ein Zivilrechtsstreit anhängig.

(3) Die ungewissen tatsächlichen Fragen wirken sich auf die Gewinnfeststellungen 1998 und 1999 aus.

(3.1) Die anteilige Zurechnung des Gewinns der Mitunternehmerschaft auf die einzelnen Mitunternehmer nach den Regeln des Gesellschaftsvertrags findet seine Rechtfertigung darin, dass das Steuerrecht die zivilrechtliche Verbindung derselben zu einer gemeinsamen unternehmerischen Tätigkeit nachvollzieht. Der Mehrheitsgesellschafter kann im Regelfall aufgrund seiner zivilrechtlichen Rechtsmacht seinen ihm zustehenden Gewinnanteil von der Gesellschaft auch tatsächlich erhalten, sei es durch Auszahlung oder Gutschrift. In der ungestörten Gesellschaft gilt dies grundsätzlich auch für den Minderheitsgesellschafter. Die theoretische Möglichkeit, dass die Mehrheitsgesellschafter ihm seinen Anteil vorenthalten, braucht das Steuerrecht in der ungestörten Gesellschaft nicht zu berücksichtigen.

Die grundsätzliche Rechtfertigung der Zurechnung nach vereinbarten Anteilen fällt jedoch weg, wenn die Gesellschafter und die Gesellschaft über zivilrechtliche Sachverhalte streiten, die Auswirkung auf die Gewinnermittlung haben (immer im Zusammenspiel von auf der Ebene der Gesellschaft erzieltem Gewinn und solchen des Sonderbetriebs der Gesellschafter).

Kommt bei einem solchen Streit einem oder mehreren (Mehrheits-)Gesellschaftern zusätzlich die faktische Macht zu, Zahlungen zurückzubehalten - sei es aufgrund bestehender oder behaupteter Zurückbehaltungsrechte -, so kann das Steuerrecht jedenfalls bis zur Klärung des Streits nicht negieren, wenn ein Gesellschafter tatsächlich und rechtlich für einen längeren Zeitraum nicht in der Lage ist, über den Gewinn tatsächlich zu verfügen. So ist es im Streitfall:

Durch das Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft im Jahr 1999 geht nämlich dessen noch nicht erfüllter Anspruch auf Auskehr des Gewinns nach § 738 BGB unter und wird durch einen Rechnungsposten bei Aufstellung der Auseinandersetzungsbilanz ersetzt. Dieser Abfindungsanspruch oder umgekehrt der Haftungsanspruch nach § 739 BGB entsteht nach allgemeiner zivilrechtlicher Auffassung im Zeitpunkt des Ausscheidens. Er ist jedoch erst mit Feststellung der Bilanz (notfalls - wie im Streitfall - im Gerichtswege) fällig (vgl. Münchner Kommentar zum BGB, § 738 Rz. 19 f.). Entsprechendes spricht auch das gegen den Kläger ergangene Urteil des LG München I aus. Bis zur Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz bestehen wegen dieser Ansprüche wechselseitige Zurückbehaltungsrechte nach 273 BGB (vgl. Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, § 379 Rz. 1).

Endet der Rechtsstreit durch Urteil oder Vergleich, so ändert dieses Ereignis rückwirkend die Gewinnermittlung desjenigen Zeitraums, der betroffen ist (vgl. BFH-Urteil vom 23. April 1975 I R 234/74, BFHE 115, 488, BStBl II 1975, 603; Beschluss vom 23. Juni 1999 IV B 13/99, BFH/NV 2000, 29). Dies muss nach Ansicht des erkennenden Senats unabhängig davon gelten, ob die Gewinnermittlung der Gesellschaft nach Zufluss/Abfluss, also nach § 4 Abs. 3 EStG, oder nach Realisationsgrundsätzen, also nach § 4 Abs. 1 EStG erfolgt. Umgekehrt kommt der Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten der genannten Art im Streit der Gesellschafter jedenfalls dann, wenn sie - wie im Streitfall - gerichtlich bestätigt werden, rückwirkende steuerliche Wirkung insoweit zu, als die Zurechnung des gemeinsam erzielten Gewinns den wirtschaftlichen Status Quo berücksichtigen muss. Danach muss hier die tatsächliche Verfügungsfähigkeit über den zuzurechnenden Gewinn jedenfalls für die Interimszeit bis zur zivilrechtlichen Klärung als Zurechnungskriterium beachtet werden. Die Herrschaftsmacht über die bislang nicht ausgeschütteten Gewinnanteile hat aber im Streitfall nicht der aus der Gesellschaft ausgeschiedene Kläger, sondern vielmehr die verbliebenen Gesellschafter - die Beigeladenen. Sie haben es tatsächlich in der Hand, über den nicht ausgeschütteten Betrag zu verfügen. Nur sie haben dadurch die Liquidität, die auf diesen Gewinn entfallende Steuer tatsächlich zu bezahlen. Denn festzuhalten ist auf der anderen Seite, dass das Finanzamt berechtigt ist, den unstreitig erzielten Gesellschaftsgewinn in vollem Umfang auch in der Interimszeit bis zum Abschluss des Gesellschafterstreites zu besteuern - wenn nicht bei dem einen Gesellschafter, so bei den anderen. Das Gericht geht insoweit von gleichgelagerten Interessen der verbleibenden Gesellschafter - der Beigeladenen - bei der Geltendmachung der Zurückbehaltungsrechte aus.

(3.2) Das soeben durch Zurechnung gefundene Ergebnis wird im Streitfall nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Gesellschaft den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Bei der Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten bzw. dem Untergang des Gewinnauszahlungsanpruchs durch Ausscheiden des Klägers handelt es sich um Fragen der Zurechnung.

Die Tatsache, dass im Übrigen bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG jedenfalls im Grundsatz nur tatsächliche Zahlungsvorgänge zu berücksichtigen sind, ändert daran nichts.

Zwar ist bei der Gewinnermittlung der Gesellschaft wie der Sondergewinnermittlung des Gesellschafters der Grundsatz phasengleicher Realisation zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1986 IV R 222/84, BFHE 149, 149, BStBl II 1987, 553). Demgemäß dürften tatsächliche Ausgleichszahlungen von Gesellschaftern an die Gesellschaft erst bei tatsächlichem Geldfluss berücksichtigt werden. Soweit aber Ausgleichsansprüche Zurückbehaltungsrechte gewähren, die sich auf den Gewinnauszahlungsanspruch beziehen, gehen Zurechnungsgesichtspunkte jedenfalls bei gerichtlicher Bestätigung des Zurückbehaltungsrechts dem Zuflussprinzip vor. Dem entspricht es, dass eine spätere Einigung der Gesellschafter oder ein Urteil im anhängigen Rechtsstreit steuerlich auf die Zurechnung der jeweiligen Streitjahre zurückwirkt. Wird der Gewinnanteil 1998 (laufender Gewinn) dabei bestätigt, so ist er dem Kläger rückwirkend im Jahr 1998 zuzurechnen. Dagegen werden wegen des gebotenen Übergangs von der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG auf Bilanzierungsgrundsätze zum Ausscheidensstichtag Forderungen der Gesellschaft gegen die Gesellschafter (etwa Schadenersatz) Gewinnauswirkung vermutlich im Wesentlichen im Ausscheidensjahr 1999 zeitigen. Auch ein Aufgabegewinn oder -verlust wird sich nach allgemeinen Grundsätzen im Jahr 1999 auswirken.

bb) Das FA hat das ihm danach zustehende Ermessen zum Ansatz oder Außerachtlassen der ungewissen Sachverhalte nicht ausgeübt.

Die Bescheide einschließlich der Einspruchsentscheidung leiden an einem Mangel schon deshalb, weil weder aus den Steuerbescheiden und auch nicht aus der Einspruchsentscheidung erkennbar ist, dass das FA erkannt hat, dass ihm ein Ermessen zusteht. Sodann hat es auch nicht erkennbar Überlegungen zur Ausübung des Ermessens angestellt. Dabei mag dem FA zugute gehalten werden, dass der Kläger im Anfechtungsverfahren keine bezifferten und hinreichend konkreten Anträge gestellt hat.

Das FA hat aber auch den streitgegenständlichen bezifferten Antrag auf Änderung der Feststellung für die Interimszeit mit Schreiben vom 24. Februar 2003 unzutreffend beschieden.

Die Ablehnung vom 12. Januar 2004 lässt ebenfalls nicht erkennen, dass das FA sein Ermessen erkannt hätte. Nach seiner Begründung ging das FA davon aus, dass der Ausgang des Rechtsstreits die Gewinnverteilung der Gesellschaft nicht berührt. Eine Annahme, die - wie oben ausgeführt - nach dem Erkenntnis des Gerichts nicht zutrifft, weshalb eine Ermessensunterschreitung durch das FA vorliegt. Die Ablehnung vom 24. Februar 2003 leidet daher bereits insoweit an einem Fehler.

cc) Das Ermessen des FA ist im Streitfall hinsichtlich der vorläufigen Gewinnzurechnung beim Kläger auf eine Entscheidung reduziert, die der Klage zum Erfolg verhilft.

Wie vorstehend unter Tz. 3.1 ausführlich dargelegt, können seit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts, dem Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft, spätestens aber seit der landgerichtlichen Entscheidung, in der dieses die Durchsetzungssperre bestätigt hat, die Teile des Gewinns, deren Auszahlung der Kläger nicht durchsetzen kann, diesem zur Zeit auch nicht zugerechnet werden.

Die Möglichkeit, dass der Kläger im anhängigen Rechtsstreit um die Feststellung der Auseinandersetzungsbilanz obsiegt und damit ein steuerlich rückwirkendes Ereignis eintritt, das den zuzurechnenden Gewinn in den Streitjahren berührt, entspricht nicht der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Vielmehr ist nach dem gegenwärtigen Streitstand völlig offen, wer in dem Zivilrechtsstreit um die Auseinandersetzung obsiegen wird. Lassen sich jedoch keine überwiegenden Gründe für oder gegen ein Prozessergebnis finden, so muss das FA im Falle des bestrittenen Gewinnauszahlungsanspruchs eines ausgeschiedenen Gesellschafters in der Interimszeit zwischen Ausscheiden und Prozessende berücksichtigen, wer die tatsächliche Herrschaft über die Auszahlung des Gewinnanteils hat und ob dieser Willens ist, den Auszahlungsanspruch zu erfüllen (vgl. oben unter Tz. 3.1). Im Streitfall sind dies die in der Gesellschaft verbliebenen Gesellschafter, die auf ihr Zurückbehaltungsrecht pochen, nicht aber der ausgeschiedene Kläger. Eine vorläufige Zurechnung der einbehaltenen Gewinne beim Kläger überschreitet daher den Ermessensspielraum, der dem FA zusteht. Das FA wird daher verpflichtet, den festgestellten Gewinn des Klägers für 1999 um 73.586 DM und für 1998 um 78.504 DM herabzusetzen.

dd) Ob und in welchem Umfang das FA diese beim Kläger nicht anzusetzenden Gewinnteile den Beigeladenen zurechnet, ist in das pflichtgemäße Ermessen des Finanzamtes gestellt.

Dabei kann das FA sein Ermessen insoweit unabhängig von seiner Entscheidung beim Kläger ausüben und den beim Kläger vorläufig nicht zugerechneten bei den anderen Gesellschaftern ansetzen oder dies unterlassen.

3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO und hinsichtlich der Beigeladenen aus § 139 Abs. 4 FGO.

4. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen. Bei der Frage der Zurechnung von Gewinnen nach Betrag und in zeitlicher Hinsicht in der "gestörten Gesellschaft" bzw. nach Ausscheiden des Gesellschafters handelt es sich um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die in der Rechtsprechung des BFH höchstrichterlich bislang nur im Einzelfall entschieden sind. Gleiches gilt für die Frage der Ermessensausübung bei vorläufiger Steuerfestsetzung. Eine dogmatisch durchgängige Lösung, die anhand des Streitfalles weiterentwickelt werden kann, wäre der Fortbildung des Rechts dienlich.

Ende der Entscheidung

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