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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 05.11.2008
Aktenzeichen: 10 K 1708/08
Rechtsgebiete: EStG, BVFG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1
BVFG § 4 Abs. 2
BVFG § 15 Abs. 1
BVFG § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 1708/08

Kindergeld von Januar 1996 bis Oktober 1996

In der Streitsache

...

hat der 10. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündliche Verhandlung am 05. November 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter der ...1984 geborenen I und des ...1989 geborenen A. Sie lebte zunächst mit ihrer Familie in Rumänien. Mit Bescheid vom 11. Juli 1994 lehnte das Bundesverwaltungsamt die Aufnahme der Klin und ihrer Familie als Spätaussiedler wegen fehlender Benachteiligung im Sinne des § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz --BVFG--) ab, bezog sie jedoch in den Aufnahmebescheid des Vaters der Klin mit ein (Einbeziehungsbescheid vom 05. Juli 1994). Am 03. Oktober 1994 reiste die Klin in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte eine Bescheinigung für Spätaussiedler bzw. deren Ehegatten und Abkömmlinge nach § 15 Abs. 1 und 2 BVFG. Am 06. Oktober 1994 erließ das Bundesverwaltungsamt einen Registrierschein. Der Klin wurde ein vorläufiger deutscher Reisepass erteilt. Die entsprechende Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG wurde jedoch von den zuständigen Behörden durch Bescheid vom 18.09.1996 und Widerspruchsbescheid vom 27. März 1997 abgelehnt. Auch das Verwaltungsgericht wies die dagegen gerichtete Klage durch Urteil vom 29. Oktober 1999 ab. Es hielt die Voraussetzungen für die Erteilung der Spätaussiedlerbescheinigung weder aus eigenem Recht der Klin noch aus abgeleitetem Recht für erfüllt, da es auch den Vater der Klin nicht als Spätaussiedler anerkannt hatte. Das Urteil wurde rechtskräftig. Den vorläufigen deutschen Reisepass forderte die zuständige Gemeinde mit Schreiben vom 24.10.1996 zurück.

Am 07. November 1996 beantragte die Klin einen Aufenthaltstitel. Am 28. November 1996 wurde der Klin eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt, die fortlaufend, zuletzt bis 06. November 2003, verlängert wurde. Am 10. Oktober 2002 erhielt die Klin eine befristete, am 23. Oktober 2003 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Am 29. April 2004 wurde die Klin eingebürgert.

Mit Formblattantrag vom 18. Oktober 1994 begehrte die Klin Kindergeld für I und A. Mit Bescheid vom 28. November 1994 bewilligte die Beklagte (die Familienkasse --FK--) antragsgemäß Kindergeld ab Oktober 1994. Mit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ergangenem Bescheid vom 05. Februar 1998 hob die FK die Kindergeldfestsetzung ab Januar 1996 auf und forderte das bereits ausbezahlte Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Dezember 1996 in Höhe von 4.800 DM und für den Zeitraum Januar 1997 bis Januar 1998 in Höhe von 5.720 DM von der Klin zurück. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 18. März 1998 als unbegründet zurück gewiesen.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Im Laufe des Klageverfahrens beschränkte die FK durch Änderungsbescheid vom 08. August 2008 den Aufhebungszeitraum auf die Monate Januar 1996 bis Oktober 1996 und den Rückforderungsbetrag auf 2.045,17 EUR. Hinsichtlich dieses verbliebenen Anspruchszeitraums trägt die Klin zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen Folgendes vor: Das BVFG-Verfahren sei erst mit der rechtskräftigen Entscheidung abgeschlossen worden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe der Aufnahmebescheid Rechtswirkung entfaltet. Die Klin sei auch im Besitz eines vorläufigen deutschen Reisepasses gewesen. Daher habe sie im noch streitigen Zeitraum sämtliche Rechte wie ein deutscher Staatsangehöriger gehabt. Eine Aufenthaltserlaubnis sei folglich nicht erforderlich gewesen. Jedenfalls habe die Klin einen Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz --EStG-- n.F., da die diesbezüglichen Aufenthaltstitel vorgelegen hätten.

Die Klin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 05. Februar 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 1998 und des Änderungsbescheids vom 08. August 2008 insoweit aufzuheben, als die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar 1996 bis Oktober 1996 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von 2.045,17 EUR zurückgefordert wird.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass die Klin die deutsche Staatsangehörigkeit erst mit der Einbürgerung vom 29. April 2004 erlangt habe und als Ausländerin erst ab November 1996 über den nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt habe.

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung ( § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung --FGO--).

II. 1. Die Klage ist unbegründet.

a) Die Klin steht im streitigen Zeitraum kein Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 EStG zu.

aa) Die Klägerin besaß nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, auch war sie nicht Statusdeutsche i.S. des Art. 116 Abs. 1 Alt. 2 des Grundgesetzes (GG). Ihre Bemühungen, als Spätaussiedlerin anerkannt zu werden, hatten keinen Erfolg. Wie das Verwaltungsgericht Augsburg im Urteil vom 29. Oktober 1999 festgestellt hat, lagen bei der Klin die Volkszugehörigkeitsmerkmale nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BVFG nicht vor.

bb) Auch der Umstand, dass die Klin in den Aufnahmebescheid ihres Vaters einbezogen wurde, führt nicht zu einer Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 EStG. Weder begründet der Einbeziehungsbescheid nach § 27 Abs. 1 S. 2 BVFG in der im Streitjahr geltenden Fassung konstitutiv die deutsche Staatsangehörigkeit der Klin, noch enthält die Einbeziehung eine gegenüber anderen Behörden bindende Entscheidung über die Stellung als Statusdeutscher im Sinne des Art. 116 GG. Die Regelung eines solchen Aufnahme- bzw. Einbeziehungsbescheides erschöpft sich in der "Aufnahme/Einbeziehung" als solcher. Lediglich als Vorfrage hat das Bundesverwaltungsamt die deutsche Volkszugehörigkeit zu prüfen, ohne dass hierüber jedoch mit letzter Verbindlichkeit entschieden würde (vgl. hierzu Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. April 2001 10 CS 00.3451, in [...]; und vom 30. Januar 2006 24 CE 06.21, in [...], jeweils m.w.N.). § 15 Abs. 1 S. 2 BVFG greift bereits deshalb nicht ein, weil der Klin eine solche Spätaussiedlerbescheinigung gerade nicht erteilt wurde.

cc) Ebenso führt der Besitz deutscher Ausweisdokumente im streitigen Zeitraum nicht zu der Annahme, die Klin sei deshalb kindergeldrechtlich als Deutsche zu behandeln gewesen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. April 2008 III R 16/05, DStRE 2008, 998). Die Klin erlangte nicht dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit, dass ihr ein vorläufiger deutscher Reisepass ausgehändigt wurde. Vielmehr war der Reisepass unrichtig, weil die darin eingetragene deutsche Staatsangehörigkeit nicht zutraf (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 des Passgesetzes --PassG-- i.V.m. § 11 Nr. 2 PassG). Folgerichtig wurde der vorläufige Reisepass wieder eingezogen ( § 12 Abs. 1 PassG).

dd) Die Klin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie aufgrund des erteilten Reisepasses darauf vertrauen durfte, bis zu dessen Entziehung als Deutsche behandelt zu werden. Der Klin wurde zwar ein Einbeziehungsbescheid und ein Registrierschein erteilt. Hierbei handelte es sich jedoch --wie ausgeführt wurde-- um vorläufige Maßnahmen, die weder bereits eine endgültige Anerkennung als Spätaussiedler beinhalteten noch im nachfolgenden Anerkennungsverfahren Bindungswirkung entfalteten. Entsprechend beruhte auch die Erteilung von Ausweispapieren nur auf dieser vorläufigen Prüfung. Die Klin durfte aufgrund der erkennbar noch nicht abschließend geprüften Spätaussiedlereigenschaft nicht darauf vertrauen, dass sie die ihr bis zur Beendigung des Anerkennungsverfahrens gewährten Leistungen endgültig behalten darf. Insbesondere lässt sich insoweit auch aus dem Verhalten der FK kein schutzwürdiges Vertrauen der Klin ableiten. Denn aus den Akten ergibt sich, dass die FK mehrfach die Abhängigkeit des Kindergeldanspruchs von dem Nachweis der Anerkennung deutlich gemacht hat (s. insbesondere die Anforderung des Vertriebenenausweises durch Schreiben vom 28. November 1994, 03. November 1995, 01. April 1996, 03. Juli 1996, 11. September 1996 und 20. Dezember 1996).

ee) Die deutsche Staatsangehörigkeit erlangte die Klin erst mit der Einbürgerung vom 29. April 2004 und damit erst nach dem streitigen Zeitraum.

b) Der Klin steht auch kein Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 EStG n.F. zu.

Die Neuregelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen --wie im Streitfall-- das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist ( Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 --AuslAnsprG--, BGBl. I 2006, 2915).

Im Streitfall hatte die Klägerin für den Zeitraum Januar 1996 bis Oktober 1996 keinen Aufenthaltstitel, der einen Anspruch auf Kindergeld begründete. Die Klin hat ihre Behauptung, sie sei im streitigen Zeitraum im Besitz eines den Anforderungen des § 62 Abs. 2 EStG n.F. genügenden Aufenthaltstitels gewesen, weder näher substantiiert noch unter Beweis gestellt. Vielmehr ergibt sich aus den Schreiben des Landratsamts X (Ausländerbehörde) vom 24. Februar 2006 und 09. November 2007, dass die Klin erstmalig am 07. November 1996 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt hat und ihr erst am 28. November 1996 eine befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde. Ab November 1996 hat die FK den Kindergeldanspruch der Klin jedoch bereits anerkannt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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