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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 10 K 2125/05
Rechtsgebiete: EStG, AO, BGB


Vorschriften:

EStG § 10d Abs. 4 S. 1
EStG § 10d Abs. 4 S. 4
EStG § 10d Abs. 4 S. 5
AO § 181 Abs. 1 S. 1
AO § 181 Abs. 5
AO § 169 Abs. 1 S. 1
AO § 171 Abs. 3
BGB § 133
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Streitsache

hat der 10. Senat des Finanzgerichts München am 1. März 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.

Der Kläger absolvierte in Zeitraum Juni 1995 bis April 1997 eine Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer. Seit 1998 ist er als Verkehrsflugzeugführer tätig.

Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 reichte der Kläger im Jahr 1996 beim Beklagten, dem Finanzamt (FA), ein. Das Feld "Einkommensteuererklärung" war angekreuzt, nicht aber das Feld "Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs". Im Mantelbogen der Einkommensteuererklärung machte der Kläger unter "Sonderausgaben - Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung" keine Angaben. Mit der Anlage N zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit machte der Kläger als Werbungskosten × Fahrten von der Wohnung zu seiner Arbeitsstelle und pauschale Aufwendungen für Fachliteratur (200 DM) sowie für die Kontoführung (30 DM) geltend. Im Einkommensteuerbescheid 1995 folgte das FA diesen Angaben und setzte bei einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte von × DM eine Einkommensteuer in Höhe von 0 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Die Vordrucke zur Einkommensteuererklärung 1996 gab der Kläger im Jahr 1997 beim FA ab. Im Mantelbogen war weder das Feld "Einkommensteuererklärung" noch das Feld "Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs" angekreuzt. Unter "Sonderausgaben - Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung" machte der Kläger folgende Angaben:

"Schulungskosten für die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer bei Lufthansa - × DM"

Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erklärte der Kläger nicht. Im Einkommensteuerbescheid 1996 setzte das FA bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM eine Einkommensteuer in Höhe von 0 DM fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Die Einkommensteuererklärung 1997 reichte der Kläger im Jahr 1999 beim FA ein. Sowohl das Feld "Einkommensteuererklärung" als auch das Feld "Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs" waren angekreuzt. In der Anlage N und einem Begleitschreiben beantragte der Kläger, Ausbildungskosten als Flugzeugführer in Höhe von × DM als vorweggenommene Werbungskosten aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erklärte der Kläger nicht. Im Einkommensteuerbescheid 1997 setzte das FA eine Einkommensteuer in Höhe von 0 DM fest. Dabei ging das FA von einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 0 DM aus. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Bescheide zur gesonderten Feststellung der verbleibenden Verlustabzüge erließ das FA für die Jahre 1995 bis 1997 nicht. Aus einem handschriftlichen Vermerk des Sachbearbeiters des FA auf der Anlage N des Jahres 1997 ist ersichtlich, dass der Sachbearbeiter den Werbungskostenabzug bei der Einkommensteuerveranlagung 1997 prüfte und zum Ergebnis kam, dass die Aufwendungen als Sonderausgaben anzusehen sind.

Im Jahr 2004 gingen beim FA Erklärungen zur Feststellung der verbleibenden Verlustabzüge zum 31.12.1995, 31.12.1996 und 31.12.1997 ein. Für die Feststellung zum 31.12.1995 machte der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Fortbildungskosten in Höhe von y DM und die bereits bisher geltend gemachten Werbungskosten geltend. Für die Feststellung zum 31.12.1996 machte der Kläger weitere im Jahr 1996 angefallene Kosten in Höhe von y DM geltend. Für die Feststellung zum 31.12.1997 machte er weitere im Jahr 1997 angefallene Kosten in Höhe von y DM geltend.

Die Anträge auf Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.1995, 31.12.1996 und 31.12.1997 lehnte das FA ab. Die Einsprüche des Klägers blieben erfolglos.

Im Laufe des Klageverfahrens half das FA dem Klagebegehren teilweise ab und stellte mit Bescheid vom ... zum 31.12.1997 einen verbleibenden Verlustvortrag in Höhe von × DM fest. Beide Parteien erklärten den Rechtsstreit anschließend für das Jahr 1997 für erledigt. Ausschlaggebend für die Teilabhilfe war für das FA, dass der Kläger in der Einkommensteuererklärung 1997 das Feld "Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs" angekreuzt hatte und als Folge des für das Jahr 1997 ausdrücklich gestellten Antrags keine Festsetzungsverjährung eintreten konnte. Betreffend die anderen Jahre macht das FA dagegen weiter geltend, es dürfe die beantragten Feststellungsbescheide nicht mehr erlassen.

Hiergegen richtet sich die Klage. Der Kläger macht geltend, die Steuererklärungen 1995 und 1996 seien als Anträge auf Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge auszulegen. Da das FA bis heute über diese Anträge nicht entschieden habe, könne keine Festsetzungsverjährung eingetreten sein. Aber auch bei anderer Ansicht in diesem Punkt liege keine Verjährung vor. Die Feststellungsbescheide seien noch für die Festsetzung von Einkommensteuern von Bedeutung. Zudem sei die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), nach der bei einem Einkommensteuerbescheid über 0 DM die Feststellung innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist beantragt werden muss, grundsätzlich verfehlt. Ferner greife diese Rechtsprechung nur bei Einkommensteuerbescheiden, in denen von einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte ausgegangen wird.

Der Kläger beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom ... und die Einspruchsentscheidung vom ... aufzuheben und das FA zu verpflichten, zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 Bescheide zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Einkommensteuergesetz zu erlassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Senat.

Gründe

II.

Die Klage ist nicht begründet.

1. Die vom Kläger in den Jahren 1995 und 1996 beim FA abgegebenen Steuererklärungen sind nicht als Anträge auf Erlass von Bescheiden zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 auszulegen.

Für Feststellungsbescheide gelten die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß (§ 181 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung -AO-). Danach sind auch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung entsprechend anzuwenden. Dies bedeutet, dass das FA Feststellungsverjährung (§ 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht geltend machen könnte, wenn der Kläger bereits mit der im Jahr 1996 abgegebenen Steuererklärung die Feststellung eines Verlustvortrags zum 31.12.1995 und mit der im Jahr 1997 abgegebenen Erklärung die Feststellung eines Verlustvortrags zum 31.12.1996 beantragt hätte. Denn dann wäre die Feststellungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 AO mangels einer unanfechtbaren Entscheidung über die Anträge bis heute noch nicht abgelaufen. Ebenso wenig könnte das FA sich aus anderen Gründen auf einen fehlenden Antrag berufen. Indes ist eine Auslegung der Steuererklärungen als Anträge auf Feststellung eines Verlustvortrags im Streitfall nicht möglich.

Ein Steuererklärung kann verfahrensrechtliche Anträge und damit eine Willenserklärung des Steuerpflichtigen enthalten (vgl. Tipke/Kruse, vor § 149 AO, Rz. 3). Ob der Steuerpflichtige eine Willenserklärung (hier: Anträge auf Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge) abgegeben hat, ist durch Auslegung festzustellen. Im Rahmen der Auslegung kommen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zur Anwendung, d.h. § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist entsprechend anzuwenden. Entscheidend ist hiernach, ob das FA als Erklärungsempfänger die Steuererklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert dahin verstehen musste, dass der Kläger die Feststellung von Verlusten nach § 10d Einkommensteuergesetz (EStG) begehrte (vgl. BFH vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6 und vom 6. Juli 2005 XI B 45/03, BFH/NV 2005, 2029). Dies ist nicht der Fall.

Bei der Auslegung der Steuererklärung des Jahres 1995 ist entscheidend, dass der Kläger das Feld "Erklärung zur Festsetzung des verbleibenden Verlustabzugs" nicht angekreuzt hat und in den weiteren Formularen keinerlei Angaben zu den Aufwendungen anlässlich seiner Fortbildung als Verkehrflugzeugführer gemacht hat. Damit war für das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1995 noch nicht einmal ersichtlich, dass Aufwendungen angefallen sind, die zu einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte führen könnten. Somit fehlten für das FA jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Feststellung vorzutragender Verluste begehren könnte.

Bei der Auslegung der Steuererklärung des Jahres 1996 ist entscheidend, dass der Kläger das Feld "Erklärung zur Festsetzung des verbleibenden Verlustabzugs" nicht angekreuzt hat und für das FA keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich waren, dass dies nur versehentlich nicht erfolgt sein könnte. Der Kläger hat die Aufwendungen für seine Fortbildung in der Steuererklärung ausdrücklich als Sonderausgaben und nicht als Werbungskosten geltend gemacht. Da ein Verlustvortrag von Sonderausgaben gesetzlich ausgeschlossen ist, war für das FA somit allein aus der Steuererklärung nicht erkennbar, dass der Kläger begehrte, vorzutragende Verluste festzustellen. Die Einkommensteuerveranlagung 1996 war auch bereits abgeschlossen, bevor der Kläger die eindeutige Steuererklärung für 1997 beim FA einreichte.

2. Festsetzungsverjährung steht den beantragten Feststellungen nicht entgegen, insbesondere da keine Entscheidung des Senats über die Höhe der verbleibenden Verlustvorträge beantragt wird.

Aus den Akten ist nicht ersichtlich, ob im Zeitpunkt der Anträge auf Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge im Jahr 2004 bereits Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer 1998 eingetreten war und deshalb möglicherweise die Voraussetzungen des § 181 Abs. 5 AO für den Erlass der Feststellungsbescheide fehlten, da sie für keinen Einkommensteuerbescheid mehr von Bedeutung sein konnten. Jedenfalls sind die Feststellungsbescheide zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 noch "von Bedeutung" im Sinne des § 181 Abs. 5 AO für den Feststellungsbescheid zum 31.12.1997 (vgl. hierzu BFH v. 12. Juni 2002 XI R 26/01, BStBl II 2002, 681). Denn die Feststellungsverjährungsfrist konnte aufgrund des unstreitig vom Kläger im Jahr 1997 gestellten Antrags zumindest insoweit nicht ablaufen, als die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO a.F. zur Anwendung kommt. Danach ist, da der Kläger im Jahr 1997 einen vortragsfähigen Verlust in Höhe von × DM beantragte und das FA nur in Höhe von y DM abhalf, mindestens noch (d.h. falls der Änderung einer für das Jahr 1998 festgesetzten Einkommensteuer 1998 im Jahr 2004 Festsetzungsverjährung entgegenstand) ein Verlustvortrag in Höhe von × minus y DM möglich.

3. Aber § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG steht dem Erlass der begehrten Verlustvortragsbescheide zum 31.12.1995 und zum 31.12.1996 entgegen.

Nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen. Gemäß Satz 4 sind Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist. Satz 4 gilt nach Satz 5 entsprechend, wenn der Erlass, die Aufhebung oder die Änderung des Steuerbescheids mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt.

a) Nach der Rechtsprechung des BFH ist Voraussetzung für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug, dass der zugrunde liegende Einkommensteuerbescheid noch entsprechend geändert werden kann. Bei einem Einkommensteuerbescheid, der einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte ausweist, muss ein Steuerpflichtiger daher ggf. innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Steuerbescheid einen Bescheid zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags beantragen. Erfolgt keine ordentliche Rechtsbehelfsbelehrung, kann der Antrag innerhalb einer Jahresfrist gestellt werden (vgl. BFH vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97, BStBl II 2000, 3 und vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFH/NV 2001, 1627).

Zu Recht geht das FA davon aus, dass - wenn diese Rechtsprechung zur Anwendung kommt - ein Feststellungsbescheid zum 31.12.1995 nicht mehr erlassen werden darf. Denn der Einkommensteuerbescheid 1995 weist einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte aus und der Kläger hat einen Antrag auf Feststellung des Verlustvortrags erst verspätet gestellt.

Unklar ist dagegen, wie die Rechtsprechung des BFH bei der Prüfung eines Feststellungsbescheids zum 31.12.1996 umzusetzen ist. Der Einkommensteuerbescheid 1996 weist einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM aus und der BFH hat im Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, BStBl II 2002, 681 ausgeführt, dass die oben genannten Urteile "nicht einschlägig sind, da sie Fälle betreffen, in denen der Steuerpflichtige in Abweichung von dem im Einkommensteuerbescheid ermittelten positiven Gesamtbetrag der Einkünfte die Feststellung von Verlusten nach § 10 d EStG begehrten." Aus dem Wortlaut dieser Formulierung könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass ausnahmslos unterschiedlich zu entscheiden ist, je nach dem ob der Einkommensteuerbescheid einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte ausweist oder nicht, mithin der Erlass von Feststellungsbescheiden bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM oder weniger regelmäßig zulässig ist. Aus dem Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung (Urteil des FG München vom 24. Mai 2000, EFG 2001, 1532), die dem BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, a.a.O., zugrunde lag, geht indes hervor, dass dem BFH-Urteil ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 000 DM zu Grunde lag. Hätte der BFH also tatsächlich abschließend nach dem Kriterium "positiver und negativer Gesamtbetrag der Einkünfte" differenziert, hätte er genau gegenteilig entscheiden müssen. Der Senat geht daher davon aus, dass eine durch die kurze Urteilsbegründung des BFH missverständlich gewordene Formulierung der tatsächlichen Entscheidungsgründe vorliegt.

b) Nach Ansicht des Senats ist klarstellend wie folgt zu unterscheiden:

§ 10 d Abs. 4 Satz 1 EStG regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Bescheid zur Feststellung verbleibender Verluste erstmalig zu erlassen ist. § 10 d Abs. 4 Sätze 4 und 5 regeln dagegen, unter welchen Voraussetzungen Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind, mithin alle Fälle, in denen es um eine zweite oder weitere Entscheidung über verbleibende Verlustvorträge geht. Die den Erlass von Feststellungsbescheiden einschränkende Rechtsprechung des BFH gilt nur, wenn sich der Erlass eines Feststellungsbescheids nach den Sätzen 4 und 5 richtet, nicht aber, wenn Satz 1 zur Anwendung kommt (vgl. hierzu Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d, Anm. 127).

Entscheidend ist, dass die Frage, ob ein Bescheid erstmalig zu erlassen ist, nicht rein formal zu beurteilen ist. Die Sätze 4 und 5 kommen also nicht nur dann zur Anwendung, wenn das FA bereits einen förmlichen Feststellungsbescheid erlassen hat, sondern auch dann, wenn für das FA aus seiner - nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilenden - Sicht keine Veranlassung bestand, einen Feststellungsbescheid von Amts wegen zu erlassen. Dies ist typischerweise der Fall, wenn das FA einen Einkommensteuerbescheid mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte oder einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM erlassen hat. Denn damit legt das FA für den Steuerpflichtigen offen, dass es Verluste, die nach § 10d EStG in zukünftige Veranlagungszeiträume vorgetragen werden könnten, verneint. Daher ist es in diesen Fällen dem Steuerpflichtigen zuzumuten, entweder unverzüglich Rechtsmittel einzulegen oder Beschränkungen bei späteren Feststellungen nach den Sätzen 4 und 5 in Kauf zu nehmen.

Ist für das FA dagegen bei Erlass eines Einkommensteuerbescheids erkennbar, dass es von Amts wegen einen Feststellungsbescheid erlassen muss, greift § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG. Die vom FA pflichtwidrig unterlassene Feststellung kann bis zum Eintritt der Feststellungsverjährung, die unter Beachtung des § 181 Abs. 5 AO zu prüfen ist, nachgeholt werden. Typischerweise ist diese Voraussetzung gegeben, wenn das FA in einem Einkommensteuerbescheid von einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte ausgeht.

In Sonderfällen kann § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG aber auch bei einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte und einer Steuerfestsetzung von 0 DM zur Anwendung kommen. Dies ist dann der Fall, wenn das FA trotz eines positiven Gesamtbetrags der Einkünfte im Streitjahr erkennen muss, dass eine Verlustfeststellung von Amts wegen geboten ist. Hat beispielsweise ein Feststellungsbescheid zum 31. Dezember des Vorjahres hohe vortragsfähige Verluste festgestellt, die durch (geringfügige) positive Einkünfte des Streitjahres nicht verbraucht werden, muss eine Feststellung des weiter verbleibenden Verlustvortrags erfolgen. Entsprechend lagen die Verhältnisse im Fall, der dem BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 26/01, a.a.O., zugrunde lag. Denn im dortigen Streitjahr 1990 hätte das FA die bekannten Verluste aus den früheren Jahren (ca. 625 000 DM nach dem Tatbestand des BFH-Urteils) berücksichtigen müssen, so dass auch bei einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 000 DM eine erstmalige Verlustfeststellung zum 31.12.1990 geboten war.

c) Im Streitfall bleibt die Klage nach diesen Gesichtspunkten ohne Erfolg. Bei der Einkommensteuerveranlagung des Jahres 1995 hat das FA einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte festgestellt. Anhaltspunkte, dass das FA zu diesem Zeitpunkt erkennen konnte, dass eine Feststellung vorzutragender Verluste geboten war, sind nicht gegeben. Die Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid nachträglich zu erlassen, richtet sich daher nach § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG und ist zu verneinen. Die Einkommensteuerfestsetzung 1995 kann wegen Ablauf der Feststellungsverjährung vor dem Jahr 2004 nicht mehr geändert werden.

Entsprechend liegen die Verhältnisse im Jahr 1996. Aufgrund des Einkommensteuerbescheids 1996 mit einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 0 DM konnte der Kläger auch bei dieser Veranlagung erkennen, dass das FA vortragsfähige Verluste verneint und nicht beabsichtigt, einen Feststellungsbescheid zum 31.12.1996 zu erlassen. Daher hätte er durch ein fristgerechtes Rechtsmittel bzw. einen Antrag auf Verlustfeststellung reagieren müssen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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