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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 10 K 2863/05
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 122 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 2863/05

Kindergeld für V

In der Streitsache ...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

... als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung

am 27. Juni 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob die Klägerin (Klin) die Einspruchsfrist versäumt hat.

I.

Die Klin ist die Mutter der am 02. April 1985 geborenen V. Die Klin bezog für V bis einschließlich Oktober 2004 Kindergeld. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2004 teilte der Beklagte (die Familienkasse --FK--) der Klin mit, dass trotz Aufforderung bislang kein Nachweis über das Ende der Schulausbildung vorgelegt worden sei und dass die Einkünfte der V den Freibetrag von 7.680 EUR im Kalenderjahr 2004 übersteigen. Es werde deshalb geprüft, ob seit Januar 2004 Kindergeld zu Unrecht gezahlt worden sei und deshalb der ausgezahlte Betrag in Höhe von 1.540 EUR erstattet werden müsse. Der Klin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und dabei insbesondere der Vordruck zu den Werbungskosten eines über 18 Jahre alten Kindes übersandt. Die Klin sandte diesen Vordruck ausgefüllt an die FK zurück. Mit Bescheid vom 04. November 2004, dessen Entwurf einen Absendevermerk vom 05. November 2004 trägt, hob die FK die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2004 auf und forderte das für den Zeitraum Januar 2004 bis Oktober 2004 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.540 EUR zurück.

Mit Zahlungsmitteilung vom 08. November 2004 forderte die für den Forderungseinzug zuständige Stelle der FK die Klin zur Zahlung des offenen Betrages auf. Die Zahlungsmitteilung enthält u.a. den Gegenstand der Forderung ("Kindergeld"), die Angabe der Behörde ("AA X ") und das Datum des Bescheides aus dem sich die Zahlungsverpflichtung ergibt. Hierauf teilte die Klin mit Formblattschreiben vom 25. November 2004 mit, dass sie erst ab 01. Februar 2005 ggf. in monatlichen Raten zahlen könne, weil die finanzielle Lage schlecht sei ("..weil Mein Konto z.Zt. übel aussieht. Bitte um Verständnis, das Kindergeld war immer ein Teil meines Einkommens"). Mit Schreiben vom 29. November 2004 übersandte die für den Forderungseinzug zuständige Stelle erneut eine Zahlungsmitteilung an die Klin. Bis Mai 2005 zahlte die Klin dann in Raten insgesamt 400 EUR an die FK zurück.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2005 (mit falscher Datumsangabe 23.06.2005) teilte der anwaltliche Vertreter der Klin mit, dass ihm die Schreiben der FK vom 15. Oktober 2004 und 29. Oktober 2004, nicht dagegen der in der Zahlungsmitteilung vom 29. November 2004 genannte Bescheid vom 04. November 2004 vorlägen und bat um Übersendung dieses Bescheides. Ferner bezog er sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (Az. 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164) und wies darauf hin, dass bei der Berechnung der Einkünfte der V die gezahlten Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen seien. Mit Schreiben vom 01. Juni 2005 übersandte die FK eine Kopie des Bescheides und wies darauf hin, dass dieser im Dezember rechtskräftig geworden sei. Mit Schreiben vom 09. Juni 2005 erhob der anwaltliche Vertreter gegen den Bescheid vom 04. November 2004 Einspruch und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Einspruchsentscheidung vom 08. Juli 2005 wies die FK den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig zurück und wies darauf hin, dass das Schreiben des Klägervertreters vom 23. Mai 2005 zugleich als Berichtigungsantrag für 2004 und Neuantrag für 2005 ausgelegt werde und hierüber durch gesonderten Bescheid entschieden werde. .

Zur Begründung der fristgerecht eingereichten Klage wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Der Einspruch sei nicht verfristet, da der Bescheid der Klin nicht zugegangen sei und damit keine Einspruchsfrist zu laufen begonnen habe. Die Klin sei aufgrund der Schreiben vom 15. Oktober 2004 und 29. Oktober 2004 von ihrer Rückzahlungsverpflichtung ausgegangen und habe deshalb eine Ratenzahlung aufgenommen. Das Verhalten der juristisch ungewandten Klin auf die Zahlungsmitteilungen der Forderungseinzugsstelle beweise nichts.

Die Klin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 04. November 2004 und die Einspruchsentscheidung vom 08. Juli 2005 aufzuheben.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass das auf die Zahlungsmitteilungen der FK folgende Verhalten der Klin den Zugang des Bescheids vom 04. November 2004 beweise.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 22. Juni 2006 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II.

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 04. November 2004 hat infolge Versäumung der Einspruchsfrist Bestandskraft erlangt. Nach § 122 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, als am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes nachzuweisen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534;vom 15. September 1994 XI R 31/94, BFHE 175, 327, BStBl II 1995, 41;vom 12. März 2003 X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031) kann der Beweis über den Zugang des Bescheides auf Indizien gestützt werden. Danach können bestimmte Verhaltensweisen des Adressaten innerhalb eines längeren Zeitraums nach Absendung des Bescheides im Zusammenhang mit dem Nachweis der Absendung im Wege der freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO dahin gehend gewürdigt werden, dass --entgegen der Behauptung des Adressaten-- ihm der Bescheid tatsächlich zugegangen ist. Auf den sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensablauf abstellt, kann der Zugangsnachweis nach § 122 Abs. 2 AO hingegen nicht gestützt werden (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534).

Im vorliegenden Fall ergibt sich ein Zugang des Bescheids zur vollen Überzeugung des Gerichts aus folgenden Indizien: Aus dem Anhörungsschreiben der FK vom 15. Oktober 2004 ergab sich durch eine ganze Reihe von einschränkenden Formulierungen ("..möglicherweise kein Anspruch...", "möglicherweise ab Januar 2004 zu Unrecht gezahlt...", "....in diesem Fall....", " bevor die FK entscheidet...", "für den Fall, dass Kindergeld zu erstatten ist...", "...sich ...zu äußern", "...wird nach Aktenlage entschieden") auch für den juristisch nicht gewandten Empfänger klar und eindeutig, dass die FK noch keine abschließende Entscheidung über die Aufhebung und Rückforderung getroffen hatte, sondern dies von den weiteren Auskünften der Klin abhängig machte. Für die Klin war daher ersichtlich, dass die FK erst aufgrund ihrer fristgerecht übersandten Werbungskostenerklärung entscheiden würde. Gleichwohl hat die Klin auf die Zahlungsmitteilung vom 08. November 2004, aus der sich zum einen eine Bezugnahme auf den Bescheid vom 04. November 2004, zum anderen aber keine näheren Angaben zur Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und zur Begründung der Rückforderung ergaben, nicht mit Fragen zu oder Zweifeln an der Berechtigung der Aufhebung und Rückforderung reagiert. Vielmehr lässt ihr Antwortschreiben vom 25. November 2004 an die Forderungseinzugsstelle erkennen, dass sie die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung kannte und akzeptierte. Insbesondere deutet der Hinweis "...das Kindergeld war immer Teil meines Einkommens..." darauf hin, dass die Klin Kenntnis von der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung hatte, obwohl sich diese aus der nur die Rückforderung betreffenden Zahlungsmitteilung vom 08. November 2004 gerade nicht ergab. Ebenso deutet die durch das (Raten-)Zahlungsangebot dokumentierte Akzeptanz des Rückforderungsanspruches darauf hin, dass die Klin die Tatsache der Rückforderung und den Grund hierfür kannte. Hätte die Klin den Bescheid vom 04. November 2004 nicht erhalten, hätte es sowohl aufgrund der nach dem Anhörungsschreiben noch ausstehenden Entscheidung der FK als auch aufgrund der Bezugnahme der Zahlungsmitteilung auf einen Bescheid vom 04. November 2004 nahe gelegen, sich bei der FK danach zu erkundigen, ob und wenn ja mit welcher Begründung bereits eine Entscheidung getroffen worden war. Auch auf die Zahlungsmitteilung vom 29. November 2004 griff die Klin weder die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung noch die Rückforderung an, sondern zahlte bis Mai 2005 Raten in Höhe von insgesamt 400 EUR. Schließlich deutet auch der Zeitpunkt der Beauftragung des anwaltlichen Vertreters darauf hin, dass die Klin erst aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BVerfG die Berechtigung der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und des Rückforderungsanspruches anzweifelte. Nach der vorliegenden Vollmacht betraute die Klin ihren anwaltlichen Vertreter am 23. Mai 2005 mit der Interessenswahrnehmung. Das BVerfG publizierte seinen Beschluss vom 11. Januar 2005 erst mit Pressemitteilung Nr. 40/2005 vom 13. Mai 2005. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Beschluss einer breiteren Öffentlichkeit erst in der Folgezeit über die allgemein verfügbaren Medien bekannt wurde. Die Beauftragung des anwaltlichen Vertreters steht in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Publizierung der BVerfG-Entscheidung und das Schreiben des anwaltlichen Vertreters vom 23. Mai 2005 nahm auch sogleich auf die veränderte Rechtsauslegung Bezug. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Bescheid vom 04. November 2004 der Klin spätestens am 25. November 2004 (Datum des Antwortschreibens an die Forderungseinzugsstelle) zugegangen ist. Die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 S. 1 AO lief daher spätestens am 27. Dezember 2004 ab. Der am 13. Juni 2005 bei der FK eingegangene Einspruch war daher verspätet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden weder vorgetragen noch sind sie anderweitig ersichtlich. Nach § 110 Abs. 1 S. 1 AO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Klin hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags nur darauf verwiesen, dass ihr der Bescheid vom 04. November 2004 nicht zugegangen sei. Dies stellt zum einen bereits keinen Wiedereinsetzungsfall dar, da es dann bereits an einer Fristversäumung fehlte. Zum anderen ist das Gericht --wie oben ausgeführt-- vom Zugang des Bescheides überzeugt. Ist ein Verwaltungsakt bestandskräftig, ist die Klage schon aus diesem Grund ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl. II 1990, 177). Über den Berichtigungsantrag 2004 und den Neuantrag 2005 hat die FK in den im vorliegenden Verfahren angegriffenen Bescheiden nicht entschieden. Dies ist daher nicht Verfahrensgegenstand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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