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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 10 K 4166/07
Rechtsgebiete: EStG, MuSchG, AO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2
EStG § 70 Abs. 2
MuSchG § 3 Abs. 2
MuSchG § 6 Abs. 1 S. 1
AO § 37 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 4166/07

Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung des Kindergelds für A von November 2005 bis Juli 2007

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter der am ....05.1982 geborenen A. A begann am 13.09.2004 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Heilerziehungspflegerin. Voraussichtliches Ausbildungsende war im Juli 2007. Am 15.08.2005 gebar A eine Tochter. Ihre Ausbildung unterbrach A vor der Geburt. Am 04.08.2007 heiratete A den Vater ihrer Tochter. Im September 2007 setzte sie ihre Ausbildung fort.

Die Beklagte (die Familienkasse --FK--) gewährte für A bis einschließlich Juli 2007 Kindergeld. Mit Bescheid vom 27.07.2007 hob die FK die Kindergeldfestsetzung von Juli 2005 bis Juli 2007 auf und forderte das für diesen Zeitraum ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 3.850 EUR von der Klin zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 29.10.2007 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Die Klin habe sich in der Zeit von Februar bis April 2005 mehrfach mit der FK telefonisch in Verbindung gesetzt, um das Fortbestehen des Kindergeldanspruchs zu klären. Infolge unvollständiger oder missverständlicher Auskünfte der FK sei die Klin in der Folgezeit davon ausgegangen, zu Recht Kindergeld zu beziehen, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Vater des Enkelkindes als Abiturient nicht leistungsfähig und selbst unterhaltsbedürftig gewesen sei. Die Klin habe die Kindergeldbeträge gutgläubig an A weitergegeben. Die Rückforderung stelle aufgrund der Einkommenssituation der Klin eine Härte dar. Auch nach der Entbindung habe die Klin der FK mitgeteilt, dass A ihre Ausbildung unterbrechen müsse und erst nach Erhalt eines Krippenplatzes fortsetzen könne. Die Regelung des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2b Einkommensteuergesetz (EStG) sei der Klin weder von der FK erläutert worden noch anderweitig bekannt gewesen.

Im Laufe des Klageverfahrens schränkte die FK unter Berücksichtigung der gesetzlichen Mutterschutzfristen durch Änderungsbescheid vom 31.03.2008 den Aufhebungs- und Rückforderungszeitraum auf die Monate November 2005 bis Juli 2007 ein und reduzierte den Rückforderungsbetrag auf 3.234 EUR. Der Rechtsstreit wurde insoweit nach Teilerledigungserklärung der Beteiligten abgetrennt.

Die Klin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 27.07.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.10.2007 und des Änderungsbescheids vom 31.03.2008 insoweit aufzuheben als die Kindergeldfestsetzung für die Monate November 2005 bis Juli 2007 aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von 3.234 EUR zurückgefordert wurde.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass zur Berufsausbildung nur Unterbrechungszeiten wegen Mutterschutz, nicht aber solche wegen Kinderbetreuung gehörten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ... Bezug genommen. Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 05.09.2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

II. 1. Die Klage ist unbegründet.

a) Die FK hat die Kindergeldfestsetzung zu Recht aufgehoben.

Nach § 70 Abs. 2 EStG ist, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung aufzuheben oder zu ändern.

Im vorliegenden Fall haben sich die Verhältnisse insoweit geändert, als die Anspruchsvoraussetzung des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG im streitigen Zeitraum nicht mehr vorlagen.

aa) A befand sich nicht mehr in Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 15.07.2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848) kommt es für die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestands auf die tatsächliche Durchführung von auf die Ausbildung gerichteten Maßnahmen und nicht auf das Weiterbestehen eines Ausbildungsverhältnisses an. Unschädlich für den Kindergeldanspruch ist insoweit nur der Zeitraum, in dem das Kind sein Ausbildungsverhältnis wegen des Eingreifens der Schutzfristen nach §§ 3 Abs. 2 und 6 Abs. 1 Satz 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) unterbricht. Denn in solchen Fällen hat das Kind den Willen, sich der Ausbildung zu unterziehen, ist aber aus objektiven Gründen wegen des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG daran gehindert, Ausbildungsmaßnahmen durchzuführen. Demgegenüber unterbricht das Kind im Falle der Betreuung seines Kindes nach Ablauf der Mutterschutzfristen die Ausbildung aufgrund eines eigenen, der Förderung des Eltern-Kind-Verhältnisses dienenden Entschlusses. Es führt daher insoweit weder tatsächlich Ausbildungsmaßnahmen durch noch ist es hieran aus objektiven Gründen gehindert. Die FK hat den Kindergeldanspruch bis zum Ablauf der Mutterschutzfristen anerkannt. Im noch streitigen Zeitraum hat A die Ausbildung aus eigenem Entschluss wegen der Betreuung des Kindes unterbrochen. Die Ausbildung wurde erst im September 2007 wieder fortgesetzt. Dies ergibt sich aus dem eigenem Vortrag der Klin (Schreiben vom 11.08.2007), dem vorliegenden Schulwochenplan (Beginn Mittelkurs 24.09.07) und dem Aktenvermerk der FK über das mit der Schulmitarbeiterin M am 28.03.2008 geführte Telefongespräch.

bb) A befand sich auch nicht in einer Übergangszeit im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Denn sie hat ihre Ausbildung für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten unterbrochen. Es entspricht dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, dass im Fall des Überschreitens des genannten Zeitraums eine Berücksichtigung auch für die ersten vier Monate nicht in Betracht kommt (BFH-Urteil in BFHE 203, 106 , BStBl II 2003, 848).

b) Die FK hat das überzahlte Kindergeld auch zu Recht zurückgefordert.

aa) Ist eine Steuervergütung wie das Kindergeld (§ 31 S. 3 Einkommensteuergesetz --EStG--) ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages. Im vorliegenden Fall hat die FK --mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG-- Kindergeld ohne rechtlichen Grund an die Klin als Leistungsempfängerin gezahlt. Der FK steht daher ein Erstattungsanspruch gegen die Klin zu.

bb) Der Erstattungsanspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Klin den ausgezahlten Betrag bereits verbraucht hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der im Zivilrecht geltende Einwand der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Rahmen des § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar (vgl. etwaUrteil vom 15.03.2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298).

cc) Auch auf eine Verwirkung des Rückforderungsanspruches infolge eines von der FK geschaffenen Vertrauenstatbestandes kann sich die Klin nicht berufen.

Verwirkung setzt voraus, dass sich der --hier zur Rückerstattung gemäß § 37 Abs. 2 AO-- Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grundsätzlich nicht aus. Hinzu kommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (sog. Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Die (Weiter-)Zahlung des Kindergeldes trotz Fehlens oder Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen reicht als Vertrauenstatbestand nicht aus. Bei einem Massenverfahren wie dem Kindergeldrecht ist ein besonders eindeutiges Verhalten der FK zu fordern, dem entnommen werden kann, dass die FK auch unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger ausgeschlossen ist. Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (BFH-Urteile vom 14.10.2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123;vom 15.06.2004 VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153;vom 27.10.2004 VIII R 23/04, BFH/NV 2005, 499; BFHBeschlüsse vom 22.01.2004 VIII B 289/03, BFH/NV 2004, 759;vom 28.05.2004 VIII B 63/04, BFH/NV 2004, 1526; undvom 24.03.2005 III B 190/04, [...]).

Die Beweislast für die das schutzwürdige Vertrauen begründenden Umstände liegt beim Kindergeldempfänger, der sich zu seinen Gunsten hierauf beruft.

Im vorliegenden Fall scheitert die Verwirkung des Rückforderungsanspruchs jedenfalls daran, dass ein Verhalten der FK, welches für die Klin bei objektiver Auslegung den eindeutigen Schluss zuließ, dass ihr das zu Unrecht gezahlte Kindergeld für ihre Tochter belassen werde, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen wurde. Hinsichtlich der geltend gemachten Anrufe im Zeitraum Februar bis April 2005 trägt die Klin nur vor, dass ihr insoweit unvollständige oder missverständliche Auskünfte erteilt worden seien. Ein besonders eindeutiges Verhalten der FK, dem zu entnehmen ist, dass die FK auch nach Prüfung des Falles unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht, und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann, wird insoweit bereits nicht substantiiert dargelegt. Auch ergeben sich aus der Akte für den fraglichen Zeitraum keine Hinweise darauf, dass mit der Klin Gespräche geführt wurden, in denen ein Fortbestand des Kindergeldanspruchs schlüssig zugesagt wurde. Vielmehr enthält die Akte bereits keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klin vor der Geburt des Kindes der FK eindeutig mitgeteilt hat, dass und wann die Ausbildung unterbrochen wurde. Dies deutet darauf hin, dass der FK vor der Geburt des Kindes noch nicht einmal der vollständige Sachverhalt bekannt war, so dass auch keine auf Prüfung der veränderten Umstände basierende eindeutige Auskunft erteilt werden konnte. Auch hinsichtlich des geltend gemachten Telefongesprächs nach Geburt des Kindes trägt die Klin bereits kein eindeutiges Verhalten der FK vor. Die dargelegte Auskunft "der Anspruch auf Kindergeld bestünde fort, wenn die Ausbildung fortgesetzt werde" lässt nicht den eindeutigen Schluss zu, dass der Kindergeldanspruch solange fortbesteht bis die Ausbildung fortgesetzt wird. Bei objektiver Betrachtung musste die Klin erkennen, dass der Kindergeldanspruch nicht auf unbestimmte Zeit fortbestehen kann, wenn jedenfalls der Zeitpunkt einer Fortsetzung der Ausbildung noch völlig unklar war. Darüber hinaus wird auch insoweit bereits nicht dargelegt, dass der FK überhaupt der volle Sachverhalt mitgeteilt wurde, nämlich insbesondere wann die Ausbildung genau unterbrochen wurde und bis zu welchem Zeitpunkt voraussichtlich die Unterbrechung fortdauern wird. Der Akte sind auch insoweit keine Hinweise auf mit der Klin geführte Gespräche zu entnehmen, in denen klare Sachverhaltsfeststellungen getroffen, Auskünfte erteilt oder konkrete und eindeutige Zusagen gemacht worden wären. Somit hat die Klin kein über die bloße Weiterzahlung des Kindergeldes hinausgehendes Verhalten der FK zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand liegt daher nicht vor.

c) Über Billigkeitsmaßnahmen wegen der geltend gemachten persönlichen Härte hat die FK in den angegriffenen Bescheiden keine Entscheidung getroffen. Diese sind daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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