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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 25.10.2006
Aktenzeichen: 10 K 4397/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 4397/05

Kindergeld für ... ab April 2005

In der Streitsache

...

hat der 10. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

... sowie

der ehrenamtlichen Richter ... und ...

ohne mündliche Verhandlung am 25. Oktober 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob das Kind des Klägers aufgrund einer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

I. Gemäß Bewilligungsverfügung vom 02. April 2004 wurde dem Kläger (Kl) für sein Kind N (geb. ...1982) ab Juni 2003 Kindergeld gewährt. Mit Bescheid vom 28. Juni 2005 hob die Beklagte (die Agentur für Arbeit Kempten --Familienkasse--FK) die Kindergeldfestsetzung ab April 2005 mit der Begründung, die Behinderung des Kindes sei nicht ursächlich dafür, dass das Kind seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne, auf. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2005 als unbegründet zurück.

Mit der vorliegenden Klage wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass N infolge einer psychischen Erkrankung als behindert einzustufen sei und aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage sei, selbstständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zum Nachweis wurden u.a. entsprechende Bestätigungen des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. M und die Krankenakte vorgelegt. Die Meldung der N als arbeitslos sei auf Anraten ihres Arztes geschehen, um dadurch für N eine Maßnahme zu erlangen, die eine Ausbildung mit betreutem Wohnen beinhalte. Ferner teilte der Kl mit, dass N am 2006 eine Tochter geboren hat, ihre vom Arbeitsamt unterstützte Rehabilitationsmaßnahme zum 20. Februar 2006 endete und N frühestens nach ihrer Erziehungszeit eine entsprechende Ausbildung beginnen kann.

Der Kl beantragt sinngemäß,

die FK unter Aufhebung des Aufhebungsbescheids vom 28. Juni 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung 28. Oktober 2005 zu verpflichten, für den Zeitraum ab April 2005 Kindergeld festzusetzen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass N nach einem Gutachten des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit ... vom 19. Januar 2005 in der Lage sei, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeit zu verrichten. Nach Angaben der Reha-/Schwerbehindertenstelle der Agentur für Arbeit ... vom 07. Juni 2005 sei N in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes auszuüben. N sei daher nicht aufgrund einer Behinderung außerstande, sich selbst zu unterhalten. Zudem beziehe N Grundsicherung für Arbeitssuchende, was darauf hindeute, dass sie erwerbsfähig sei.

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. Die Klage ist unbegründet.

Nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht ein Kindergeldanspruch für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Kind muss nicht nur behindert sein, vielmehr muss die Behinderung auch ursächlich für die Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt sein. Davon ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Grad der Behinderung 50 v.H. oder mehr beträgt und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausgeschlossen erscheint (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH--vom 16. April 2002 VIII R 62/99, BFHE 198, 567, BStBl II 2002, 738). Weiter ist Voraussetzung, dass die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist. Für den Nachweis der Behinderung und der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt ist keine bestimmte Form vorgeschrieben (BFH-Urteil in BFHE 198, 567, BStBl II 2002, 738). Da diese Umstände den Kindergeldanspruch begründen sollen und damit für den Kläger günstig sind, geht deren Nichtnachweisbarkeit nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Klägers.

Vorliegend konnte der Senat nach den Gesamtumständen des Falles nicht zu seiner vollen Überzeugung feststellen, dass N im Streitzeitraum (April 2005 bis zum Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung in Form der Einspruchsentscheidung vom Oktober 2005) aufgrund einer Behinderung außer Stande war, sich selbst zu unterhalten. Der Kl hat zum Nachweis der Behinderung weder einen Schwerbehindertenausweis noch einen Bescheid bzw. eine Bescheinigung im Sinne des § 65 Abs. 1 Einkommensteuer- Durchführungsverordnung vorgelegt. Auch auf andere Weise ist kein ausreichender Nachweis erfolgt: Es liegen zwar verschiedene Befunde vor, in denen bei N im Wesentlichen ein Borderlinesyndrom, eine drogenindizierte Psychose, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, eine Bulimie und eine rezidivierende depressive Störung festgestellt wurden. Gleichwohl stellte aber der ärztliche Entlassungsbericht der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 31. Oktober 2002 eine Eignung für mittelschwere Arbeiten von 6 Stunden und mehr fest. Der Großteil dieser Befunde stammt aus dem Zeitraum 2000 - 2004. Für die Zeit ab 2005 liegen im Wesentlichen die Stellungnahmen des Dr. M und des Ärztlichen Dienstes bzw. der Reha/ Schwerbehindertenstelle des Arbeitsamtes vor. Diese kommen zu einander widersprechenden Ergebnissen. Dr. M gibt in seinen ärztlichen Bescheinigungen vom 17. Juli 2005, 12. Januar 2006 und 04. Mai 2006 an, dass N aktuell aufgrund ihrer seelischen Erkrankung (schwere Borderline- Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ) nicht in der Lage sei, selbstständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Ärztliche Dienst stellte dagegen in seinem Gutachten vom 19. Januar 2005 fest, dass zwar eine psychische Störung (Borderline- Persönlichkeitsstörung) vorliege, gleichwohl aber vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeit im Bereich einfacherer Hilfstätigkeiten ausgeübt werden könne. Ebenso kam die Re- ha/Schwerbehinderstelle in ihrer Stellungnahme vom 07. Juni 2005 zu dem Ergebnis, dass N in der Lage sei, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Auch ergab sich bei einem Praktikum vom 06. Februar bis 10. Februar 2006 im Bereich Wareneingang/Regalpflege eines Drogeriemarkts eine durchweg gute Bewertung durch den Betrieb. Die Beteiligten berufen sich auf die jeweils für sie günstige fachärztliche Bewertung. Der Senat ist jedoch aufgrund mangelnder eigener medizinischer Fachkenntnisse nicht in der Lage, zu beurteilen, welche dieser Bewertungen zutreffend ist. Aus Sicht des Senats ist daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Der Kl hat jedoch auf Wunsch der N eine Begutachtung der N durch einen vom Gericht vorgeschlagenen Sachverständigen mit Schreiben vom 31. März 2006 abgelehnt. Dabei erfolgten keine Einwendungen gegen die Person des vorgeschlagenen Sachverständigen, vielmehr führte der Kl aus, dass N generell nicht bereit sei, sich einem anderen Arzt als Herrn Dr. M anzuvertrauen.

Der Senat war daher gehindert, die aus seiner Sicht zur vollen Überzeugungsbildung erforderliche Beweiserhebung mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens durchzuführen. Die sich danach ergebende Nichtnachweisbarkeit der für den Kindergeldanspruch notwendigen Voraussetzungen geht nach den o.g. Regeln der objektiven Beweislast zu Lasten des Kl. Hierauf wurde der Kl in der gerichtlichen Anordnung vom 05. April 2006 auch ausdrücklich hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

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