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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 14.03.2008
Aktenzeichen: 10 K 4849/06
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
AO § 8
AO § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 4849/06

Kindergeld für M für die Monate August 2004 bis Februar 2006

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

durch

... als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Bescheid vom 07.03.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2006 wird insoweit aufgehoben, als hierin die Kindergeldfestsetzung für die Monate August 2004 bis Februar 2006 abgelehnt wird. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

2. Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

Streitig ist, ob ein Kindergeldanspruch durch einen fehlenden Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin im Inland ausgeschlossen wird.

I. Die Klägerin (Klin) ist die Mutter des am ....08.2004 geborenen M. Mit Schreiben vom 30.08.2004 beantragte die Klin Kindergeld für M. Die Beklagte (die Familienkasse -FK--) lehnte die Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 07.03.2006 mangels Nachweises eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die FK mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2006 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Der Wohnsitz der Klin sei im streitigen Zeitraum im Anwesen L-Str., ..., gewesen. In dem ihren Eltern gehörenden sehr großen Haus habe die Klin das 1. Obergeschoss mit 2 Schlafzimmern, 1 Atelier und 1 Badezimmer/WC bewohnt. Die im Erdgeschoss befindliche Küche ihrer Eltern habe sie mitbenutzt. Die Festanstellung der Klin habe im Januar 2004 geendet. Ab Februar 2004 sei der Ehemann der Klin, der als Bauingenieur tätig sei, befristet nach Chile entsandt worden. Die Klin sei während des gesamten Jahres 2004 in Deutschland gewesen. Nur in der Zeit vom 02.11.2004 bis 02.02.2005 sei sie bei ihrem Ehemann in Chile gewesen.

Für das übrige Jahr 2005 sei der Ehemann der Klin gleichzeitig bei mehreren Projekten in Singapur und Indonesien tätig gewesen. Insoweit führte die Klin zu ihren Aufenthalten folgende Daten an:

 02.02. - 03.02.Argentinien
03.02. - 19.02.Chile
20.02. - 22.03.Deutschland
23.03. - 09.07.Singapur
10.07. - 14.07.Malaysia - Tiamon Urlaub
14.07. - 17.07.Singapur
18.07. - 09.09.Deutschland
10.09. - 26.10.Singapur
27.10. - 07.11.Thailand Urlaub
08.11. - 06.12.Singapur
07.12. - 31.12.Deutschland

Für 2006 gab die Klin an, jedenfalls bis einschließlich Februar zu großen Teilen in Deutschland gelebt zu haben. Der Ehemann der Klin sei ab Anfang 2006 bei einem Projekt in Bratislava und ab Juni 2006 bis Anfang 2007 in Graz tätig gewesen. Die Klin habe in Deutschland zeitweise (09.01. - 13.01) eine Praxisvertretung übernommen.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 07.03.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.11.2006 aufzuheben und die FK zu verpflichten, über die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum August 2004 bis Februar 2006 nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den mangelnden Nachweis des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland.

...

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19.02.2008 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 20.02.2007 Beweis durch Zeugenvernehmung der Mutter der Klin erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

II. 1. Die Klage ist begründet. Die Klin erfüllt jedenfalls im hier noch streitigen Zeitraum August 2004 bis Februar 2006 die von § 62 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz --EStG--) geforderte Anspruchsvoraussetzung eines Wohnsitzes im Inland.

a) Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Was unter Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in diesem Sinne zu verstehen ist, beurteilt sich nach den §§ 8, 9 Abgabenordnung --AO--. Melderechtliche Normen sowie bürgerlich-rechtliche Vorschriften zur Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind für die Auslegung dieser Vorschriften unmaßgeblich (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.05.1995 I R 8/94, BFHE 178, 294, BStBl II 1996, 2). Der Wohnsitzbegriff des § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit --wenn auch in größeren Zeitabständen-- aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff zunächst Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Das Innehaben der Wohnung muss unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Die gesetzliche Regelung geht dahin, aus äußeren objektiven Tatsachen im Wege einer Prognoseentscheidung Schlüsse auf das zukünftige tatsächliche Verhalten einer Person zu ziehen (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Nicht erforderlich ist, dass die Person sich während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr in der Wohnung aufhält (BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Ebenso wenig setzt der Wohnsitzbegriff voraus, dass sich dort auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet (BFH-Urteil in BFHE 182, 296 , BStBl II 1997, 447). Im Einzelfall können auch zwei Wohnsitze nebeneinander bestehen (vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 2 AO), wenn nach den äußeren Umständen der Lebensmittelpunkt zeitlich und örtlich zwei Wohnungen in verschiedenen Orten zuzuordnen ist und so zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse gebildet worden sind (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 m.w.N.). Eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort steht der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland ist vollzogen, sobald Umstände eingetreten sind, die erkennen lassen, dass der Steuerpflichtige nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird. Bei einer Auslandsreise kann dies der Zeitpunkt der Ausreise oder ein späterer Zeitpunkt sein, wenn sich der Steuerpflichtige zunächst nur vorübergehend im Ausland aufgehalten hat. Bei einem ursprünglich vorübergehenden Auslandsaufenthalt ist dann entscheidend, in welchem Zeitpunkt Umstände eingetreten sind, die die Annahme rechtfertigten, dass der Steuerpflichtige nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird (BFH-Urteil vom 19.03.2002 VIII R 62/00, BFH/NV 2002, 1146 m.w.N.).

b) Hiernach ergibt sich im vorliegenden Fall nach den Gesamtumständen, dass die Klin im streitigen Zeitraum August 2004 bis Februar 2006 ihren Wohnsitz im Inland beibehalten hat. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klin zunächst ihren Wohnsitz in Deutschland hatte. Sie arbeitete an verschiedenen Orten in Deutschland und hatte verschiedene Wohnsitze in Deutschland. Bis Ende Februar 2004 wohnte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in der angemieteten Wohnung in W. Diese Wohnung gaben die Klin und ihr Ehemann wegen der beruflichen Entsendung des Ehemanns nach Chile auf. Das Gericht hält es aufgrund der Schilderung der Zeugin B für erwiesen, dass die Klin ihren ursprünglichen Entschluss, mit dem Ehemann zusammen nach Chile zu gehen, aufgrund der inzwischen festgestellten Schwangerschaft änderte und sich für ein Verbleiben in Deutschland entschied. Das Gericht hält die Zeugin auch unter Berücksichtigung der verwandtschaftlichen Beziehung zur Klin für glaubwürdig. Sie hat ruhig und besonnen ausgesagt. Das Gericht ist nach den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrücken der Überzeugung, dass ihre Aussage der Wahrheit entspricht. Die Klin verlegte ihren Wohnsitz nach Aufgabe der Wohnung in W ab März 2004 in das Haus ihrer Eltern. Hier standen ihr --was sich insbesondere auch aufgrund der vorgelegten Fotos und des vorgelegten Grundrisses zur Überzeugung des Gerichts ergibt-- zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung. Das Obergeschoss verfügt nach dem Grundriss über eine Wohnfläche von ca. 90 qm und weist 4 Zimmer, ein Bad/WC sowie eine die notwendigen Wohnzwecke erfüllende Ausstattung und Einrichtung auf. Insbesondere hat die Zeugin auch bestätigt, dass der Klin die Mitbenutzung der Küche im Erdgeschoss jederzeit möglich war.

Diese Wohnung stand der Klin --was die Zeugin ebenfalls glaubhaft bestätigte-- jederzeit (wann immer sie es wünschte) im Wege der unentgeltlichen Nutzungsüberlassung als Bleibe zur Verfügung. Insbesondere ergibt sich aus der Schilderung der Zeugin und dem vorgelegten Grundriss auch, dass der Zeugin und ihrem Ehemann im Erdgeschoss noch ausreichend Wohnraum zur Verfügung stand, so dass diese die Obergeschossräume nicht für eigene Wohnzwecke benötigten.

Die Klin benutzte diese Wohnung zunächst von März 2004 bis Oktober 2004, also acht Monate ständig. In dieser Zeit war sie nach ihren eigenen Angaben, die durch die Zeugenaussage und die Passeinträge bestätigt werden, nicht in Chile. Auch Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in einem anderen Land bestehen nicht. Auch in der Folgezeit suchte die Klin die Räume mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf. Im Jahr 2005 war die Klin nach ihren durch die Passkopien bestätigten Angaben während drei Aufenthalten von 4 1/2, 9 und 3 1/2 Wochen, also insgesamt 17 Wochen und somit während 1/3 des gesamten Jahres in dieser Wohnung. Für Januar und Februar 2006 ist die Angabe der Klin, dass sie sich in dieser Zeit in der Wohnung L-Str. aufgehalten hat, von der Zeugin ebenfalls bestätigt worden. Diese Aufenthalte gehen über ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken hinaus.

Aufgrund der Gesamtumstände ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Klin die Wohnung beibehalten und benutzen wollte. Es sind im streitigen Zeitraum keine Umstände erkennbar, die darauf schließen lassen, dass die Klin nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollte. Die Arbeitssituation des Ehemanns der Klin war im streitigen Zeitraum dadurch gekennzeichnet, dass er aufgrund der weltweiten Betreuung von Bauprojekten nur für Zeiträume von wenigen Monaten bis zu einem Jahr an einem bestimmten Ort eingesetzt war. Auch die Schilderungen der Zeugin zur Wohnsituation ihres Schwiegersohns deuten darauf hin, dass dieser sich jeweils nur für einen vorübergehenden Aufenthalt einrichtete. Auch die Tatsache, dass die Klin ihre Möbel aus der Wohnung in W zum Teil in die Wohnung L-Str. verbrachte und zum Teil in der Firma ihres Vaters einlagerte, deutet darauf hin, dass sie Deutschland weder auf Dauer verlassen hat noch verlassen wollte. In beruflicher Hinsicht bestehen keine Anzeichen dafür, dass die Klin im Ausland eine Berufsaufnahme anstrebte. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Darlegung, dass die jeweiligen Visa ausschließlich für touristische Zwecke ausgestellt waren, Zweifel begründen. Dagegen wird die Beibehaltung beruflicher Anknüpfungspunkte in Deutschland durch den vorgelegten Nachweis über die Übernahme einer Praxisvertretung vom 09.01. - 13.01.2006 bestätigt. Schließlich erscheint auch die dargelegte und von der Zeugin bestätigte Schilderung der familiären Situation glaubhaft. Die ursprüngliche Planung einer gemeinsamen Zukunft im Ausland erfuhr durch die erste Schwangerschaft eine Änderung. Die Klin wollte einen festen Anknüpfungspunkt in Deutschland behalten, nicht zuletzt um sich in Person der Zeugin eine Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind zu schaffen. Auch wenn sie ihrem Ehemann zu seinen beruflichen Einsatzorten nachreiste, um ein zeitweises, zum Teil auch mehrere Monate umfassendes Familienleben zu ermöglichen, ergibt sich daraus nicht, dass sie nicht mehr oder nur für Besuchszwecke nach Deutschland zurückkehren wollte. Es ist nach den Umständen glaubhaft, dass die Klin für die Zukunft einen dauerhaften gemeinsamen Familienwohnsitz anstrebte und diesen in ihrem Heimatland Deutschland plante. Diese Planung änderte sich --wie die Klin selbst einräumt-- erst mit dem Arbeitgeberwechsel des Ehemanns und der Wohnungsnahme in der Schweiz ab März 2006.

Entsprechend dem Klageantrag, war nur die Verpflichtung der FK, die Klin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, auszusprechen (§ 101 S. 2 FGO). Die Prüfung der bisher nicht festgestellten weiteren Anspruchsvoraussetzungen obliegt der Familienkasse (BFH-Urteil vom 02.06.2005 III R 66/04, BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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