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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 10 K 977/05
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63
AO 1977 § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

10 K 977/05

Kindergeld für M und K ab Oktober 2003

In der Streitsache

...

hat das Finanzgericht München, 10. Senat,

... als Einzelrichter

ohne mündliche Verhandlung am 27. Juni 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob die Kinder des Klägers (Kl) die für einen vollen Kindergeldanspruch erforderliche Voraussetzung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland erfüllten.

I. Der Kl ist der Vater des am 14. Mai 1989 geborenen M und des am 22. Dezember 1991 geborenen K. Sowohl der Kl als auch die beiden Söhne sind deutsche Staatsangehörige. Bis August 2003 bezog die Ehefrau des Kl Kindergeld für M und K. Mit Antrag vom 26. Juni 2003 begehrte der Kl mit Zustimmung seiner Ehefrau Kindergeld für M und K. Im Antrag gab er an, dass sich beide Kinder ab September 2003 im Haushalt der S in Istanbul aufhalten und dort die Schule besuchen werden. Mit Bescheid vom 06. November 2003 gewährte der Beklagte (die Familienkasse --FK--) ab September 2003 für beide Kinder nur das ermäßigte Kindergeld für Auslandskinder in Höhe von monatlich 5,11 EUR (M) bzw. 12,78 (K). Zur Begründung des hiergegen gerichteten Einspruchs legte der Kl Bescheinigungen von Reisebüros über folgende Flüge vor:

 15.06.2003Istanbul -München05.09.2003München -Istanbul
18.01.2004Istanbul -München01.02.2004München -Istanbul
21.01.2005Istanbul -München01.02.2005München -Istanbul

Die FK wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 02. Februar 2005 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Dem Kl stehe für M und K nicht nur das gekürzte Auslandskindergeld, sondern das volle Kindergeld zu. M und K besuchten nur vorübergehend in der Türkei die Schule. Der Schulbesuch in der Türkei sei durch in Deutschland aufgetretene Schulprobleme indiziert gewesen. Es sei nicht darum gegangen, die angebliche Heimat näher kennen zu lernen und sich in die dortigen Verhältnisse einzuleben. Nach dem Abitur sei ein Studium in Deutschland geplant. Die Kinder seien immer noch in Deutschland gemeldet und kämen zweimal jährlich während der Schulferien nach Deutschland.

Mit Änderungsbescheid vom 13. Mai 2005 gewährte die FK für September 2003 für beide Söhne das volle Kindergeld, da sie davon ausging, dass diese erst am 05. September 2003 die Bundesrepublik Deutschland verlassen hatten.

Der Kl beantragt sinngemäß,

die FK unter Aufhebung des Bescheids vom 06. November 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Februar 2005 zu verpflichten, ab Oktober 2003 Kindergeld für die Kinder M und K in Höhe von jeweils 154 EUR pro Monat festzusetzen.

Die FK beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass dem Kl nur der ermäßigte Kindergeldbetrag nach dem deutsch-türkischen Abkommen zustehe, da sich die Söhne auf Dauer in der Türkei aufhielten. Da die Söhne bei ihrer Ausreise 14 Jahre (M) bzw. 11 Jahre (K) alt gewesen seien, sei bis zum angestrebten Abitur von einem mindestens 4 bzw. 7 Jahre langen Auslandsaufenthalt auszugehen. Bei von vorneherein auf mehr als ein Jahr ausgelegtem Auslandsaufenthalt reichten kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder Familienzwecken nicht, um einen inländischen (Zweit-)Wohnsitz aufrecht zu erhalten. Die Kinder seien in einem Alter, in dem sie noch der besonderen Betreuung und Fürsorge bedürften. Es sei daher von einer Unterbringung der Söhne bei Verwandten oder Freunden und von einer Verlagerung des Schwerpunkts ihrer Lebensverhältnisse in die Türkei auszugehen.

Auf die gemäß § 79 FGO ergangene Aufklärungsanordnung vom 30. März 2006, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, erklärte der Kl, dass sich die Söhne in der Türkei bei ihren Großeltern aufhielten. Über die Inlandsaufenthalte legte er erneut die bereits im Vorverfahren vorgelegten Bescheinigungen über Flüge vom 15. Juni 2003, 05. September 2003, 21. Januar 2005 und 01. Februar 2005 vor.

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. Juni 2006 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

II. Die Klage ist unbegründet. Dem Kl steht für die Söhne M und K für den Zeitraum Oktober 2003 bis Februar 2005 (Datum der Einspruchsentscheidung) kein Anspruch auf das volle Kindergeld zu.

1. Wer --wie der Kläger-- nach seinem von der FK nicht bestrittenen Vortrag über einen Wohnsitz im Inland verfügt, hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG für Kinder im Sinne des § 63 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden jedoch Kinder nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet. Die Türkei zählt nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten. Der Begriff des Wohnsitzes im Sinne des § 8 Abgabenordnung (AO) setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit -wenn auch in größeren Zeitabständen--aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH--vom 23. November 1988 II R 139/87, BFHE 155, 29, BStBl II 1989, 182, m.w.N.; und vom 22. April 1994III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zur entsprechenden Nutzung auch bestimmt ist. In dieser zur objektiven Nutzung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (BFH-Urteile vom 26. Februar 1986 II R 200/83, BFH/NV 1987, 301, sowie in BFHE 174, 523 , BStBl II 1994, 887). Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279; und vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294 jeweils m.w.N.) reicht bei einer mehrjährigen Schulausbildung im Ausland auch bei einem deutschen Kind der Wille, nach der Schulausbildung wieder in die Bundesrepublik zurückzukehren, nicht dazu aus, die Beibehaltung des Inlandswohnsitzes zu bejahen. Die Feststellung der Rückkehrabsicht besagt grundsätzlich nichts darüber, ob der Inlandswohnsitz während des vorübergehenden Auslandsaufenthaltes beibehalten oder aber aufgegeben und nach der Rückkehr neu begründet wird. Der Inlandswohnsitz wird in solchen Fällen nur dann beibehalten, wenn der Betroffene entweder seinen Lebensmittelpunkt weiterhin am bisherigen Wohnort hat (keine Wohnsitzbegründung am Orte des Auslandsaufenthalts) oder er zwar keinen einheitlichen Lebensmittelpunkt mehr hat, er aber nunmehr über zwei Schwerpunkte der Lebensverhältnisse (zwei Wohnsitze) verfügt, von denen einer am bisherigen Wohnort liegt (BFH-Urteil in BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Zwar bedingt die räumliche Trennung von den Eltern während eines Schulbesuchs im Ausland allein noch keine Auflösung der familiären Wohn- und Lebensgemeinschaft. Wird das Kind jedoch in einem Alter, in dem es noch in besonderem Maße der Betreuung bedarf, in das Ausland geschickt und ist der Auslandsaufenthalt von vornherein auf einen mehrjährigen Zeitraum ausgerichtet, dann liegt kein nur vorübergehender Auslandsaufenthalt vor (BFH-Urteil in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279). Aufenthalte des Kindes in der elterlichen Wohnung in den Schulferien von insgesamt weniger als drei Monaten im Jahr hielt der BFH im Falle einer auf neun Jahre angelegten Schulausbildung im Ausland nicht für ausreichend, um die Aufrechterhaltung des Inlandswohnsitzes anzunehmen (BFH-Urteil in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279).

Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 9 S. 1 AO). Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen ( § 9 S. 2 1. Halbsatz AO). Die Feststellungslast für das Vorliegen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes im Inland trägt derjenige der einen Anspruch auf das (volle) Kindergeld geltend macht.

2. Im vorliegenden Fall hat der Kl weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt von M und H im Inland im streitigen Zeitraum Oktober 2003 bis Februar 2005 zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Die Söhne sind nach eigenem Vortrag des Kl im September 2003 in die Türkei ausgereist, um dort ihre Schulausbildung bis zum Abitur fortzuführen. Das bedeutet, dass sie sich mindestens 4 (M) bzw. 7 Jahre (K) in der Türkei zur Schulausbildung aufhalten sollen. Zudem waren die Söhne bei ihrer Ausreise noch in einem Alter, in dem sie der Betreuung und Erziehung bedurften und wurden in den Haushalt der Großeltern aufgenommen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie eine Wohn- und Lebensgemeinschaft mit den Großeltern begründet haben und die Großeltern die wichtigsten Bezugspersonen in allen Betreuungs- und Erziehungsangelegenheiten wurden. Selbst wenn der Kl und seine Ehefrau beabsichtigten, dass M und K nach Beendigung ihrer Schulausbildung wieder nach Deutschland zurückkehren, ist nach den gegebenen Umständen, davon auszugehen, dass sich der Lebensmittelpunkt der Söhne in die Türkei verlagerte, weil im Wesentlichen dort die Versorgung und Erziehung stattfand, dort die Schule besucht wurde und im Wesentlichen auch dort die Freizeit verbracht wurde. Demgegenüber liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die nachgewiesenen Inlandsaufenthalte mehr als nur Besuchscharakter hatten. Zum einen sind bereits in zeitlicher Hinsicht keine Inlandsaufenthalte nachgewiesen, die darauf hindeuten, dass ein Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am bisherigen Wohnort in Deutschland verblieben wäre. Für 2003 ist nur ein Flug von Istanbul nach München am 15. Juli 2003 und ein Flug München - Istanbul am 05. September 2003 bestätigt. Da die FK aber davon ausging, dass der Wohnsitz erst ab 05. September 2003 in die Türkei verlegt wurde, kommt diesen Flügen keine Bedeutung mehr zu. Für die Folgezeit hat der Kl Inlandsaufenthalte nur für die Zeiträume 18. Januar 2004 bis 01. Februar 2004 (15 Tage) und 21. Januar 2005 bis 01. Februar 2005 (12 Tage) nachgewiesen. Auch wenn man berücksichtigt, dass der BFH (in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279) Inlandsaufenthalte von ca. 2 Monaten und 3 Wochen im Kalenderjahr bei einem auf 9 Jahre angelegten Auslandsaufenthalt für unzureichend hielt und es sich vorliegend um Auslandsaufenthalte von "nur" 4 bzw. 7 Jahre handelt, gehen die Aufenthalte von jeweils einmalig ca. 2 Wochen pro Kalenderjahr nicht über einen Urlaubs-/Besuchsaufenthalt hinaus. Diese Aufenthalte der Söhne während der Schulferien kommen nicht Aufenthalten mit Wohncharakter gleich und bedeuten deshalb kein "zwischenzeitliches Wohnen" in der bisherigen Wohnung. Zum anderen wurden auch sonst keine über das zeitliche Moment hinausgehenden Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass ein Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Söhne in Deutschland verblieben ist. Ebenso fehlt es an einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Die Inlandsaufenthalte waren nur vorübergehender Natur. Ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer wurde auch vom Kl nicht behauptet.

Die FK hat daher zu Recht jedenfalls nicht mehr als das nach Art. 33 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei über soziale Sicherheit vom 30. April 1964 (BGBl. II 1965, 1169 ff.) i.d.F. des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1975 (BGBl. II 1975, 373 ff.) und des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 (BGBl. II 1986, 1040 ff.) für Auslandskinder vorgesehene Kindergeld gewährt. Für Zwecke des Abkommenskindergelds wird ein gewöhnlicher Aufenthalt der Kinder im Inland fingiert.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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