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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 17.02.2009
Aktenzeichen: 12 K 1462/08
Rechtsgebiete: GG, EStG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
EStG § 32 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 12. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

[...]

ohne mündliche Verhandlung

am 17. Februar 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erhielt bis einschließlich März 2008 Kindergeld für seine am 5. März 1983 geborene Tochter J. Diese besuchte vom Schuljahr 1989/90 an die Grundschule und ab dem Schuljahr 1993/1994 das Gymnasium. Nach Ablegung der Abiturprüfung im Mai 2002 besuchte sie von September 2002 bis Ende August 2003 eine Sprachenschule in Japan. Ab dem Wintersemester 2003/2004 studierte sie in A zunächst zwei Semester Soziologie, Japanwissenschaften und Japanische Sprache. Ab dem Sommersemester 2005 studierte sie in B sowie hieran anschließend ab dem Wintersemester 2006/2007 in C Japanologie, Sinologie und Religionswissenschaft. Das Studium wird nach Angabe des Klägers voraussichtlich im Wintersemester 2009/2010 enden.

Die beklagte Familienkasse hob die Festsetzung von Kindergeld für J unter Hinweis auf die Vollendung des 25. Lebensjahrs ab April 2008 auf.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, seine Tochter habe im Oktober 2003 im Vertrauen auf die Kindergeldzahlung bis 2010 ihr Studium in A begonnen. Da der Gesetzgeber die Gewährung der Kindergeldzahlung plötzlich um zwei Jahre reduziert habe, habe für J keine Chance bestanden, ihr Studium nachträglich zu verkürzen bzw. zu beschleunigen. Der Gesetzgeber habe Übergangsregelungen nur für Geburtsjahrgänge bis 1982 geschaffen. Dies stelle für Studenten, die 1983 geboren seien und gleichermaßen mitten im Studium gestanden hätten, eine krasse Ungleichbehandlung dar. Die Intention des Gesetzgebers eines raschen Studiums und der schnelleren Aufnahme einer Berufstätigkeit sei für die Geburtsjahrgänge 1983 nicht gegeben. Durch den Wegfall des Kindergelds und die Erhebung von Studiengebühren könne J künftig gezwungen sein, ihr Studium mit einem Nebenjob zu finanzieren, wodurch die Gefahr der Verlängerung des Studiums bestehe. Außerdem habe er als Pensionär keinerlei Möglichkeit, durch andere Weichenstellungen den finanziellen Mehrbelastungen Rechnung zu tragen. Da der Gesetzgeber dem Umstand, dass auch ein Pensionär noch in Ausbildung befindliche Kinder haben könne, keinerlei Rechnung getragen habe, liege eine doppelte Verteilungsungerechtigkeit vor. Dass die Herabsetzung der Altersgrenze und insbesondere die zu kurz bemessene Übergangsregelung verfassungsrechtlich bedenklich sei, ergebe sich auch daraus, dass im Beilhilferecht Kinder, die im Wintersemester 2006/2007 bereits immatrikuliert gewesen seien, weiterhin bis zum 27. Lebensjahr berücksichtigt würden, weil Studenten schon zu Beginn des Studiums die Art ihrer Krankenversicherung unwiderruflich festlegen müssten.

Zur Begründung der Klage trägt der Kläger ergänzend zu seiner Einspruchsbegründung im Wesentlichen vor: Der Gesetzgeber habe bei der Herabsetzung der Altergrenze durch das Steueränderungsgesetz 2007 nicht berücksichtigt, dass das mittlerweile vorgezogene Schuleintrittsalter beim Geburtsjahrgang 1983 praktisch keine Rolle habe spielen können, da im Normalfall die in 1983 geborenen Kinder erst im Alter von sechs Jahren eingeschult worden seien. Außerdem werde von der Familienkasse unzutreffenderweise unterstellt, dass die Schul- und Gymnasialausbildung in 13 Jahren sowie ein anschließendes Studium innerhalb der Regelstudienzeit problemlos durchlaufen werden könne. Entscheidend sei jedoch, dass ein männlicher Schüler des Geburtsjahrgangs 1983, der den Grundwehrdienst bzw. den Zivildienst ableisten müsse, nicht in der Lage gewesen sei, das Studium im Wintersemester 2007/2008 zu beenden. Von dieser Verpflichtung bliebe seine Tochter zwar verschont, doch könne dies einen Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht verhindern. Da sämtliche im Rahmen der Reform der Schulbildung getroffenen Maßnahmen, wie das vorgezogene Schuleintrittsalter, die sog. Schnellläuferklassen und das Abitur nach dem zwölften statt dreizehnten Schuljahr, für 1983 geborene Kinder bedeutungslos seien, hätte die Herabsetzung der Altersgrenze erst für Geburtsjahrgänge erfolgen dürfen, die von den o.g. Reformen tatsächlich vollumfänglich profitierten. Zwar dürfe der Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts typisieren, doch dürfe er keinen atypischen Fall als Leitbild wählen und habe daher weitere Geburtsjahrgänge in die Übergangsregelung einbeziehen müssen. Die Neuregelung des § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG durch das Steueränderungsgesetzes 2007 verstoße nicht nur gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sondern auch gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger aufgehoben, da seine Tochter im März 2007 25 Jahre alt geworden ist und damit die geltende Altersgrenze für den Kindergeldbezug erreicht hatte.

Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG oder § 32 Abs. 5 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten oder den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, sich zum Wehrdienst verpflichtet hat oder eine Tätigkeit als Entwicklungshelfer ausgeübt hat. Diese Ausnahmetatbestände sind im Streitfall offensichtlich nicht erfüllt.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Herabsetzung der Altersgrenze in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Art. 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt I 2006, 1652) bestehen nicht.

Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht dadurch verletzt, dass die Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 4 EStG nur in den Jahren 1980 bis 1982 geborene Kinder, die im Jahr 2006 das 24., 25. oder 26. Lebensjahr vollendet haben, und nicht im Jahr 1983 geborene Kinder erfasst.

Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung BVerfG z.B. Urteil vom 23. November 1999, BVerfGE 101, 239).

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es dem Gesetzgeber nicht, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage (vorliegend die Vollendung des 24., 25. und 26. Lebensjahres des Kindes im Jahr 2006) einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG-Beschluss vom 26. Juni 2007 1 BvR 2204/00, [...]). Ungleichheiten, die durch Stichtagslösungen entstehen, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 75, 78).

Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass das nach der Begründung der Gesetzesänderung mit dem Steueränderungsgesetz 2007 (Bundestagsdrucksache 16/1545) verfolgte Anliegen, mit der Absenkung der Altersgrenze einer künftig veränderten Bildungsstruktur mit schneller zu erreichenden Schulabschlüssen Rechnung zu tragen und gleichzeitig gewisse Anreize zu schaffen, ein aufgenommenes Studium zügiger zu beenden, anzuerkennende Motive und Ziele des Gesetzgebers seien. Bei der Ausgestaltung der Stichtagsregelung ließ sich der Gesetzgeber offensichtlich vom Normalfall einer vierjährigen Grundschulzeit, einem neunjährigen Gymnasiumsbesuch und einem in der Regelstudienzeit durchgeführten Studium leiten. Ein Kind, das - wie die Tochter des Klägers - im März 1983 geboren wurde, konnte das neunjährige Gymnasium 2002 beenden. Bei Beginn des Studiums im Wintersemester 2002/2003 verblieben diesem Kind 11 Semester Studienzeit, bevor es die Altersgrenze für den Kindergeldbezug erreichte. Angesichts einer Regelstudienzeit für die meisten Fächer von neun Semestern hat der Gesetzgeber bei der Stichtagsregelung auch für die Absolventen des neunjährigen Gymnasiums ausreichend Zeit zur Beendigung ihrer Ausbildung vorgesehen.

Kinder des Geburtsjahrgangs 1983 waren grundsätzlich in der Lage, ihre Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zu beenden. Besonderheiten des Einzelfalls - wie hier den einjährigen Besuch der Sprachenschule und die durch den Hochschulwechsel bedingte Verzögerung des Studiums um zwei Semester - musste der Gesetzgeber nicht berücksichtigen.

Soweit der Kläger einwendet, dass sämtliche Maßnahmen im Rahmen der Reform der Schulbildung, wie das vorgezogene Schuleintrittsalter, die sog. Schnellläuferklassen und das Abitur nach der zwölften statt bisher dreizehnten Jahrgangsstufe für 1983 geborene Kinder bedeutungslos seien, so bezieht er dabei lediglich die schulischen Regelungen des Bundeslandes Bayern ein. Tatsächlich haben sich die Bundesländer zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Erreichbarkeit eines Abiturabschlusses nach zwölf Jahren entschieden. Seit 2001 sind viele Bundesländer dem Beispiel des Saarlands gefolgt und haben die Zeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre verkürzt. Ferner hielten zwei neue Bundesländer (Sachsen und Thüringen) am Modell der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einer zwölfjährigen Schulzeit fest und führten ein dreizehntes Schuljahr nie ein (vgl. Urteil des niedersächsischen Finanzgericht vom 18. November 2008 15 K 101/08, [...]). Wegen der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern ist es auch im Interesse der Rechtseinheit nicht zu beanstanden, wenn der Bundesgesetzgeber sich im Wege einer Typisierung für einen Termin entscheidet, ab dem die Wirkungen der Gesetzesänderung für alle eintreten, unabhängig davon, ob nun im Einzelfall eine zwölf- oder dreizehnjährige Schulausbildung vorgesehen war. Diese Unterschiede bestanden außerdem auch bereits im Geltungszeitraum der Altregelung.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Grund für die unterschiedliche Behandlung der Kinder nach ihrem Alter bei der Absenkung der Altersgrenze erkennbar und nachvollziehbar.

Je näher sich ein Kind beim Zeitpunkt des Erlasses des Steueränderungsgesetzes 2007 im Jahr 2006 an der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Höchstgrenze von 27 Jahren befand, umso weniger Zeit und Möglichkeiten standen den Kindergeldberechtigten zur Verfügung, sich auf die neue Rechtslage einzustellen.

Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf die weitere Gewährung des Kindergelds besteht nicht.

Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können Grundrechte berühren, wobei in die erforderliche grundrechtliche Bewertung die Grundsätze des Vertrauensschutzes einfließen (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200). Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist, als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen. Es ist abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 20, Rdnr. 73a m.w.N.).

Bei dieser Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen des Klägers gegenüber dem anzuerkennenden Motiv des Gesetzgebers zurückzutreten. Denn ein schlichtes Vertrauen darauf, dass Kindergeld in der Zukunft bis zu einem bestimmten Alter des Kindes gewährt wird, ist nicht schutzwürdig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Tochter des Klägers im Hinblick darauf ihr Studium gestaltet hat. Denn die Entscheidung für ein Studium und die Art des angestrebten Abschlusses ist eine der wichtigsten Lebensentscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche und damit alltägliche Zukunft des potentiell Studierenden besitzt. In diese Entscheidung fließen vielschichtige Motivationen, Fähigkeiten und Neigungen des potentiell Studierenden ein. Dabei kommt der Frage, wie lange für ein studierendes Kind Kindergeld gewährt wird, lediglich eine untergeordnete Rolle zu. Zudem steht die Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums dem volljährigen Kind zu und nicht den Eltern, so dass ein dispositionsbezogenes Vertrauen der Eltern als Kindergeldberechtigten in diesem Fall nicht begründet werden kann (ebenso Urteil des Niedersächsischen Finanzgericht vom 18. November 2008 15 K 101/08, [...]).

Auch aus der Übergangsregelung des § 3 Abs. 2 Nr. 2 der BayBhV, wonach Kinder, die im Wintersemester 2006/2007 an einer Hoch- oder Fachhochschule eingeschrieben sind, berücksichtigungsfähig sind, solange die in § 32 Abs. 4 und 5 EStG in der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung genannten Voraussetzungen gegeben sind, kann, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, nichts für einen Verfassungsverstoß der stufenweisen Herabsetzung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug durch das Steueränderungsgesetzes abgeleitet werden. Die genannte Beihilfevorschrift trägt aus Vertrauensschutzgründen dem Umstand Rechnung, dass Kinder, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Steueränderungsgesetzes ihr Studium schon begonnen und damit ihren Krankenversicherungsschutz schon unwiderruflich festgelegt hatten, keine Möglichkeit gehabt haben, auf die geänderte Rechtslage zu reagieren. Bei der einkommensteuerlichen Berücksichtigung von Kindern wurde der Vertrauensschutzgedanke bereits dadurch ausreichend berücksichtigt, dass die Herabsetzung der Altersgrenze für den Kindergeldbezug stufenweise erfolgte.

Schließlich ist auch nicht erkennbar, wie der Kläger als Ruhestandsbeamter durch die Herabsetzung der Altersgrenze durch das Steueränderungsgesetz in seinem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verletzt sein könnte. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass der Kläger zur Finanzierung des Studiums seiner Tochter eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, wäre er jedenfalls durch die vorgenannte Regelung hieran nicht gehindert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Herabsetzung der Altersgrenze durch § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist, nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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