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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: 12 K 2255/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 12. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

[....]

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin im Zeitraum Juni 2005 bis Juni 2007 Kindergeld für ihren Sohn R (geboren am ... September 2000) zusteht.

Die Klägerin ist irakische Staatsangehörige. Nach ihren Angaben ist sie erstmals am 15. Juni 1999 in die Bundesrepublik eingereist. Da Abschiebungshindernisse i.S.d. § 53 Abs. 6 Ausländergesetz (AuslG) bestanden hätten, habe sie am 7. August 2000 eine Duldung und am 21. Mai 2002 eine bis zum 14. Juli 2005 gültige Aufenthaltsbefugnis erhalten. Vom 1. Januar 2004 bis 29. April 2005 hielt sich die Klägerin mit ihrem Sohn und ihrem damaligen Ehemann bei dessen Verwandten im Iran auf. Nach ihrer Rückkehr in die BRD erhielt sie am 15. Juli 2005 zunächst erneut eine bis zum 15. Januar 2006 befristete ausländerrechtliche Duldung, die am 13. Januar 2006 bis zum 15. April 2006 verlängert wurde. Seit 17. März 2006 war die Klägerin im Besitz einer zunächst bis 10. Januar 2007 befristeten und nach ihren Angaben bis 31. Dezember 2007 verlängerten Aufenthaltserlaubnis nach § 7 i.V.m. § 25 Abs. 3 und § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG), die sie auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte. Am 20. März 2006 hat sie eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Servicekraft aufgenommen. Seit 5. Oktober 2005 bezog sie außerdem Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Die Familienkasse lehnte den am 7. Dezember 2005 gestellten Antrag auf Kindergeld ab.

Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb unter Hinweis darauf erfolglos, dass sich die Klägerin nicht seit mindestens 3 Jahren durchgehend rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten habe und daher die Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 a Einkommensteuergesetz (EStG) nicht erfüllt sei.

Zur Begründung der Klage, mit der die Klägerin die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum Juni 2005 bis Juni 2007 in Höhe von 3.850 EUR begehrt, wird im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Dem Wortlaut der Vorschrift des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG sei nicht zu entnehmen, dass es sich um einen Aufenthalt von 3 Jahren seit der letzten Einreise handeln müsse und wie Unterbrechungszeiten zu behandeln oder frühere Aufenthalte anzurechnen seien.

Auch Sinn und Zweck der Vorschrift sprächen dafür, dass die vorangegangenen Aufenthaltszeiten angerechnet werden müssten. Hintergrund der Drei-Jahresregelungen des § 26 Abs. 1 und 3 AufenthaltsG sei, dass im Falle einer Anerkennung von Abschiebungsverboten diese Entscheidung nach drei Jahren zu überprüfen sei. Lägen die ursprünglich festgestellten Voraussetzungen dann noch vor, sei von einem Daueraufenthalt auszugehen und ein Daueraufenthaltsrecht, d.h. eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen. Es sei davon auszugehen, dass sich § 62 Abs. 2 Nr. 3 a EStG an dieser Prämisse orientiere. Kindergeld solle nur denjenigen Ausländern nicht zugute kommen, bei denen die Herstellung einer Chancengleichheit bei der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe und Integration nicht zu erwarten sei, weil absehbar erscheine, dass der Aufenthalt vorher beendet werde. Bei der Klägerin seien am 21. Juni 2000 Abschiebungsverbote nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt 60 Abs. 7 AufenthG) festgestellt worden. Am 7. März 2006 habe das Bundesamt für Migration mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für die Einleitung eines Widerrufsverfahrens nicht vorliegen.

Es sei daher von einem Daueraufenthalt auszugehen. Im Übrigen sei der Auslandsaufenthalt der Klägerin auch nicht auf Dauer angelegt gewesen und falle im Vergleich zu den Zeiten des Inlandsaufenthalts nicht maßgeblich ins Gewicht. Die Reise in den Iran sei zunächst als Urlaubsreise geplant gewesen. Der inzwischen geschiedene Ehemann der Klägerin habe sie weitaus länger im Iran festgehalten, da er bei einer Rückkehr in die Bundesrepublik befürchtet habe, dass sich die Klägerin von ihm trenne und Unterhaltsansprüche stellen werde.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat die Festsetzung von Kindergeld zu Recht abgelehnt, da im streitigen Zeitraum (Juni 2005 bis Juni 2007) die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG nicht erfüllt sind.

Nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 - AuslAnsprG - (Bundessteuerblatt - BStBl- I 2007, 62) erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er über eine Niederlassungserlaubnis verfügt. Auch aus einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, kann sich unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld ergeben. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG wegen eines Krieges im Heimatland oder nach den §§ 23 a, 24, oder - wie im Streitfall - nach § 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG begründet einen Kindergeldanspruch nur, wenn sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 c EStG).

Diese Regelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst alle Sachverhalte, bei denen - wie im Streitfall - das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG). Da § 62 Abs. 2 EStG an die Aufenthaltstitel nach dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen AufenthG anknüpft, ist bei vor dem 1. Januar 2005 verwirklichten Sachverhalten maßgebend, inwieweit die Aufenthaltsrechte nach dem AuslG den in § 62 Abs. 2 EStG genannten Aufenthaltstiteln entsprechen. Dies bestimmt sich nach den §§ 101 ff AufenthG, welche die Fortgeltung bisheriger Aufenthaltsrechte regeln.

Die der Klägerin am 21. Mai 2002 aus humanitären Gründen nach § 30 AuslG erteilte und bis zum 17. Juli 2005 gültige Aufenthaltsbefugnis entspricht danach einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG.

Soweit es die Monate Juni 2005 bis Februar 2006 betrifft, hat die Klage schon deswegen keinen Erfolg, weil die Klägerin in diesem Zeitraum weder erwerbstätig war noch laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 b i.V.m. Nr. 2 c EStG).

Im restlichen Streitzeitraum waren die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG zwar insoweit erfüllt, als die Klägerin ab März 2006 berechtigt erwerbstätig war und gleichzeitig über eine am 17. März 2006 erteilte Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG verfügte. Ein Anspruch auf Kindergeld scheitert jedoch daran, dass sie sich in den Monaten März 2006 bis Juni 2007 noch nicht seit mindestens drei Jahren durchgehend rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten hat und damit die zusätzliche Voraussetzung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 a EStG nicht erfüllt ist.

Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Zeiten, die sie vor ihrer Ausreise am 1. Januar 2004 in der BRD verbracht hat, nicht in die Berechnung der vorgenannten Dreijahresfrist einzubeziehen. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, demzufolge sich der Ausländer seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufgehalten haben muss, ergibt sich nach Auffassung des Senats eindeutig, dass es sich um einen ununterbrochenen mindestens dreijährigen Aufenthalt handeln muss (ebenso: Helmke/Bauer, Steuerlicher Familienleistungsausgleich , Anm. 51.4 zu § 62 EStG).

Der Senat folgt auch nicht der Auffassung der Klägerin, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 62 EStG zwingend zu einer Berücksichtigung der vorangegangenen Aufenthaltszeiten führen müsse. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteilen vom 15. März 2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234 , vom 22. November 2007 III R 54/02 BFH/NV 2008, 457 sowie vom 17. April 2008 III R 16/05, BFH/NV 2008, 1576, entschieden, dass die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG verfassungskonform ist. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums gehandelt, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz abhängig gemacht und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus einen dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG) gefordert habe. Bei der nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juli 2004 1 BvL 4-6-/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 anzustellenden Prognose über die Dauer des Aufenthalts könne zunächst erwartet werden, dass ein Ausländer, der wegen eines Krieges in seinem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG oder eine Erlaubnis nach §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erhalten hat, nach Wegfall der Gründe, die einer Rückkehr in sein Herkunftsland entgegengestanden waren, wieder heimkehre. Der Gesetzgeber habe daher typisierend gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Daueraufenthalt erst bei Integration in den Arbeitsmarkt und einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet unterstellen dürfen, da erst dann eine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik gegeben sei.

Nach dem Zweck der Vorschrift, Familienleistungen nur für ausländische Staatsangehörige vorzusehen, die sich voraussichtlich auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, müssen die vor einem zwischenzeitlichen Auslandsaufenthalt liegenden Zeiträume bei der Berechnung der Dreijahresfrist des § 62 Abs. 2 Nr. 3a EStG außer Betracht bleiben. Hält ein Ausländer sich - wie im Streitfall - für längere Zeit im Ausland auf, sind seine Bindungen an die Bundesrepublik bis auf Weiteres auch dann unterbrochen, wenn er die Absicht hat, wieder zurückzukehren. Dies ist erst Recht der Fall, wenn er - wie vorliegend - zuvor über keinen verfestigten Aufenthaltstitel, sondern nur über eine die Pflicht zur Ausreise grundsätzlich unberührt lassende und nur für längstens zwei Jahre zu erteilende bzw. verlängerbare Aufenthaltsbefugnis verfügt hatte (§§ 30, 34 Abs. 1 AuslG). Unter diesen Umständen können die vor dem Auslandsaufenthalt liegenden Zeiträume keine hinreichende Perspektive für eine dauerhafte Integration in der BRD bieten. Ihre Berücksichtigung würde der oben genannten, auch vom BVerfG nicht beanstandeten Zielsetzung der Vorschriften des § 62 Abs. 2 EStG zuwiderlaufen und ist daher abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, weil zu der Frage, ob nur bei einem durchgehenden Aufenthalt von mindestens drei Jahren die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 a EStG erfüllt sind, noch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs ergangen ist.

Ende der Entscheidung

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