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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 13 K 3490/03
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 7g Abs. 4 S. 1
AO 1977 § 90 Abs. 1
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

13 K 3490/03

Einkommensteuer 1998

In der Streitsache ...

hat der 13. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung ...

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 28. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Gründe:

Streitig ist, ob die gewinnerhöhende Auflösung einer Rücklage nachträglich zulässig ist.

I.

Der Kläger ist Chefarzt eines Krankenhauses und erzielt daraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielt er als Arzt freiberufliche Einkünfte.

Im Kalenderjahr 1996 erzielte der Kläger einen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 9.782 DM. Den Gewinn ermittelte er ebenso wie in den Folgejahren nach Einnahme-Überschuss-Rechnung. In der Gewinnermittlung für das Jahr 1996 war die Bildung einer Ansparrücklage in Höhe von 20.000 DM nach § 7g Abs. 3 und Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) (i.d.F. der Jahre 1996 und 1998) als Betriebsausgabe behandelt worden.

Der Kläger nahm in den folgenden Jahren keine begünstigten Investitionen vor.

In der, der Einkommensteuererklärung 1998 beigefügten Gewinnermittlung des Jahres 1998 (wie auch im Jahr zuvor) hatte der Kläger die Rücklage nicht gewinnerhöhend aufgelöst. Der entsprechend der eingereichten Einkommensteuererklärung ergangene Bescheid für 1998 vom 3. Januar 2000 wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 15. Juni 2000 änderte der Beklagte - das Finanzamt (FA) - die Einkommensteuerfestsetzung für 1998 wegen zweier Mitteilungen über Grundlagenbescheide.

Nachdem das FA im August 2001 - anlässlich der Bearbeitung der Einkommensteuerveranlagung für 1999 - feststellte, dass der Kläger keine begünstigten Investitionen vorgenommen hatte, änderte es erneut die Einkommensteuerfestsetzung für 1998. Am 17. August 2001 erließ das FA einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998 und rechnete die Rücklage in Höhe von 20.000 DM zuzüglich Zinsen in Höhe von 2.400 DM (§ 7g Abs. 5 EStG) dem laufenden Gewinn als Betriebseinnahme hinzu. Der dagegen erhobene Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 14. August 2003).

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen den Änderungsbescheid. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO seien im Streitfall nicht erfüllt, da keine Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt gewordenen seien. Aus der Gewinnermittlung für das Jahr 1998 sei nämlich die Tatsache, dass kein bewegliches Wirtschaftsgut des Anlagevermögens angeschafft worden sei, ersichtlich gewesen. Eine zur Änderung berechtigende neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO könne deshalb im Jahr 2001 nicht angenommen werden.

Aber selbst wenn man von einer neuen Tatsache ausgehen wolle, sei eine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht gegeben, da das FA seine Ermittlungspflichten verletzt habe. Denn das FA habe von der Bildung der Rücklage im Jahr 1996 gewusst und hätte bereits bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1998 beim Kläger nachfragen müssen, ob in Höhe der Ansparrücklage Investitionen getätigt worden seien. Da diese Ermittlungspflicht verletzt worden sei, sei die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1998 nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid 1998 vom 17. August 2001 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14. August 2003 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor: Es liege eine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO vor, denn dem FA sei erst im August 2001 bekannt geworden, dass der Kläger bis 31. Dezember 1998 keine Investition vorgenommen habe. Die Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1998 sei auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil der Kläger seiner Mitwirkungspflicht selbst nicht in vollem Umfang nachgekommen sei. Es sei Aufgabe des Klägers gewesen, den Sachverhalt hinsichtlich der ausgebliebenen Investitionen in der Einkommensteuererklärung 1998 richtig und vollständig zu erklären. Dies sei nicht geschehen. Das FA habe deshalb bei der Bearbeitung der Einkommensteuerklärung 1998 noch nicht davon ausgehen müssen, dass eine gewinnerhöhende Auflösung der Rücklage vorzunehmen sei. Im Übrigen hätte eine Berichtigung der Einkommensteuerfestsetzung mit der Änderungsvorschrift des § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO begründet werden können.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Klägers [...], den Schriftsatz des FA [...] und die Sitzungsniederschrift vom 28. November 2006 Bezug genommen.

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Auflösung der Ansparrücklage und der Verzinsung der Rücklagenauflösung gemäß § 7g Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 EStG vorliegen und dass deshalb ein Betrag von 22.400 DM als Betriebseinnahme (Zuschlag) dem Gewinn des Jahres 1998 hinzuzurechnen ist.

2. Das FA durfte den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zuungunsten des Klägers ändern.

a) Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO können Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich handeln um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BStBl II 2004, 911). Schlussfolgerungen sind keine Tatsachen i.S. des § 173 AO (BFH-Urteil vom 14. Januar 1998 II R 9/97, BStBl II 1998, 371).

Tatsachen in diesem Sinne sind auch alle Vorgänge, die nach Bildung einer Rücklage steuerliche Bedeutung haben. Es sind dies die Vorgänge der Anschaffung oder Herstellung eines Reinvestitionsguts i.S. der §§ 6b, 6c EStG oder der Umstand, dass auf eine fristgerechte Reinvestition verzichtet wird und deshalb eine Betriebseinnahme zu erfassen ist (BFH-Urteil vom 10. April 1997 IV R 47/96, BFH/NV 1997, 757). Tatsachen sind ebenso die Anschaffung von Wirtschaftsgütern vor dem Schluss des zweiten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres (§ 7g Abs. 4 Satz 1 EStG) oder aber der Umstand, dass die Anschaffung des begünstigten Wirtschaftsgutes bis zum zweiten auf die Rücklagenbildung folgenden Wirtschaftsjahr unterblieben ist und deshalb die Rücklage aufzulösen und als Zuschlag (Betriebseinnahme) zu behandeln ist (§ 7g Abs. 4 Satz 2 und Abs. 6 EStG). Welche dieser Tatsachen eingetreten ist, hat der Steuerpflichtige zu erklären.

b) Tatsache, die zu einer Änderung führen konnte, war demgemäß im Streitfall die Tatsache, dass der Kläger die begünstigte Investition, für die er die Ansparrücklage gebildet hatte, bis zum Endes des Wirtschaftsjahres 1998 nicht vorgenommen hatte.

Diese Tatsache ist dem FA erst nachträglich bekannt geworden, denn davon hat das FA erst im August 2001 Kenntnis erhalten.

Der Kläger hat in seiner Gewinnermittlung für 1998 nur Abschreibungen in Höhe von 639 DM (für Geringwertige Wirtschaftsgüter) geltend gemacht. Dass daraus auch folgt, dass er demzufolge keine Investition innerhalb der Zweijahresfrist des § 7g Abs. 4 Satz 2 EStG bis zum 31. Dezember 1998 vorgenommen hat, hat das FA bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1998 nicht erkannt. Dies stellt aber nur eine Schlussfolgerung dar und Schlussfolgerungen sind keine Tatsachen i.S. des § 173 AO. Die entsprechenden Schlussfolgerung, dass die erforderliche Investition nicht erfolgt ist und deshalb die Rücklage gewinnerhöhend im Jahr 1998 aufzulösen ist, hat das FA erst anlässlich der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1999 im August 2001 gezogen.

c) Die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 ist im Streitfall auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen.

Die Änderung eines Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekanntgewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Dies gilt jedoch nur, wenn das FA ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres hätten aufdrängen müssen, nicht nachgeht. Für die Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des FA kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen und insbesondere darauf an, ob damit die steuerlich relevanten Sachverhalte richtig, vollständig und deutlich dem FA zur Prüfung unterbreitet worden sind, wobei das FA Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen kann. Versäumen sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen (ständige BFH-Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 757 m.w.N.).

d) Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob eine Änderung des Einkommensteuerbescheids deshalb ausgeschlossen war, weil das FA bereits bei der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung 1998 hätte von den fehlenden Investitionen Kenntnis haben können und diese Unkenntnis auf mangelnde Ermittlungen zurückzuführen ist. Selbst wenn von einem Ermittlungsfehler des FA auszugehen wäre, war die Änderung des Feststellungsbescheids rechtmäßig, weil der Pflichtverletzung des FA der Erklärungsmangel durch den Kläger entgegenzusetzen ist.

Bei der Feststellung etwaiger Pflichtverletzungen des FA kann nicht außer Betracht bleiben, ob und inwieweit der Steuerpflichtige seinerseits der ihm in § 90 AO auferlegten Mitwirkungspflicht nachgekommen ist, wobei er sich Pflichtverletzungen seines steuerlichen Beraters zurechnen lassen muss. Grundsätzlich ist von einer wechselseitigen Auswirkung der jeweiligen Pflichterfüllung in der Weise auszugehen, dass eine besondere Anspannung der Sorgfalt auf Seiten des FA um so weniger gefordert werden kann, je nachlässiger der Steuerpflichtige oder sein steuerlicher Berater ihrerseits bei der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten gehandelt haben.

Bei der danach gebotenen Abwägung der Aufklärungsversäumnisse des FA gegenüber der fehlerhaften Gewinnermittlung für das Wirtschaftsjahr 1998 und der unzutreffenden Steuererklärungen des Klägers für das Streitjahr 1998 fällt ein etwaiger Verstoß des FA gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 88 AO) kaum ins Gewicht. Der Sachbearbeiter des FA hat zwar bei Bearbeitung der Steuererklärung für 1998 übersehen, dass in der Gewinnermittlung des Jahres 1996 eine Ansparrücklage gebildet war und dass im Jahr 1998 keine Abschreibung auf neu angeschaffte Wirtschaftsgüter geltend gemacht wurde.

Im Streitfall ist aber zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass die Bildung einer Ansparrücklage nach § 7g EStG im Rahmen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG erfolgt ist. Der Steuerpflichtige muss nämlich in diesem Fall nur im Jahr der Rücklagenbildung (dem Jahr 1996) den Betriebsausgabenabzug vornehmen (§ 7g Abs. 6 Satz 1 EStG) und nicht wie im Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG in der Bilanz die gebildete Rücklage weiterführen. Während daher das FA aus dem Fortbestand einer Rücklage bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich Schlüsse ziehen und sich veranlasst sehen kann, weitere Ermittlungen anzustellen, fehlt es an einem derartigen Hinweis bei der Einnahme-Überschuss-Rechnung. Nach Auffassung des Senats ergibt sich daraus - ebenso, wie nach der Rechtsprechung des BFH für Reinvestitionsrücklagen nach § 6c EStG (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 757) - eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen, der die Steuererleichterung des § 7g EStG bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG in Anspruch genommen hat.

e) Diese Mitwirkungspflichten hat der Kläger verletzt.

Der Kläger hat zum einen bereits in der Anlage GSE der Einkommensteuererklärung des Jahres 1996 in Zeile 52 nicht erklärt, dass er eine Ansparrücklage gebildet hat, obwohl danach im Vordruck gefragt war.

Im Streitfall liegt ein zusätzlicher - grober - Verstoß des Klägers gegen seine Mitwirkungs und Erklärungspflichten i. S. von § 90 Abs. 1 AO vor. Der Kläger war verpflichtet, spätestens in der Einkommensteuererklärung 1998 den Gewinnabzug des Jahres 1996 nach § 7g Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 EStG durch Auflösung der Rücklage und die entsprechende Gewinnerhöhung durch eine Betriebseinnahme rückgängig zu machen (§ 7g Abs. 6 EStG). In dieser Auflösung der Rücklage liegt zugleich auch die Erklärung, dass er keine begünstigten Investitionen i. S. dieser Vorschriften vorgenommen hatte. Nimmt der Kläger aber selbst die Auflösung der Rücklage in seiner Gewinnermittlung nicht vor, obwohl er dazu verpflichtet ist, muss er explizit erklären, dass die erforderliche Investition unterblieben ist. Denn Steuererklärungen müssen nicht nur richtig und vollständig, sondern auch deutlich und klar sein (BFH-Urteil vom 4. März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999, 1301).

Diesen Hinweis hat der Kläger nicht gemacht. Diese Pflichtverletzung des Klägers hebt im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO den etwaigen Ermittlungsfehler des FA in seiner eine Änderung des Einkommensteuerbescheids ausschließenden Wirkung auf. Das FA hat auch nicht gegen Verwaltungsvorschriften verstoßen, denn Verfügungen oder Erlasse, die anordnen, dass in den Steuerakten bei Ansparrücklagen Überwachungsblätter (ähnlich wie AfA-Tabellen) anzulegen sind, liegen nicht vor.

f) Der vom Kläger beantragte Beweis (Zeugin: Sachbearbeiterin Frau [...] D) war nicht zu erheben, weil der Senat das Vorbringen des Klägers, dass der zuständige Sachbearbeiter (die zuständige Sachbearbeiterin) erst im August 2001 erkannte, dass kein begünstigtes Wirtschaftsgut bis 31. Dezember 1998 angeschafft wurde, als wahr unterstellt hat.

3. Nachdem die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind, kann dahingestellt bleiben, ob auch eine Änderungsmöglichkeit gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO gegeben ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).



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