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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 13.11.2008
Aktenzeichen: 14 K 2125/07
Rechtsgebiete: FGO, ZPO


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 1
FGO § 56
ZPO § 180
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 2125/07

Einfuhrumsatzsteuer

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ......,

des Richters am Finanzgericht ...... und

der Richterin am Finanzgericht ...... sowie

der ehrenamtlichen Richter ...... und ......

ohne mündliche Verhandlung

am 13. November 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist hat.

Der Beklagte (das Hauptzollamt - HZA) forderte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 22. Februar 2006 von der Klägerin Einfuhrabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt 3.413,26 EUR an, weil sie nach den Feststellungen der Zollfahndung in 77 Fällen eingeschmuggelten Kaviar über eBay versteigert und verkauft habe.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das HZA mit Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2007 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem im Einspruchsverfahren Bevollmächtigten der Klägerin (vgl. außergerichtliche Vollmacht für Rechtsanwalt B vom 27. Februar 2006) lt. Postzustellungsurkunde am Freitag, den 18. Mai 2007 um 19.19 Uhr durch Einlegung in den zu dessen Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten zugestellt. Die hiergegen mit Schriftsatz vom 16. Juni 2007 (von der Post am 18.6.2007 - 21 Uhr - abgestempelt) erhobene Klage ging am Mittwoch, den 20. Juni 2007 bei Gericht ein.

Nachdem das HZA in seiner Klageerwiderung vom 28. Juni 2007 - der Klägerin durch Schreiben des Gerichts vom 13. Juli 2007 zur Kenntnis gegeben - darauf hingewiesen hatte, dass die Einspruchsentscheidung am 18. Mai 2007 zugestellt worden und die Klage somit verfristet sei, stellte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 2007 Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zur Begründung trägt sie vor, dass sie sich in der Zeit vom 27. Mai bis zum 16. Juni 2007 im Urlaub befunden habe. Bei der Rückkehr habe sie in ihrem Briefkasten ein Schreiben von Rechtsanwalt B mit der Einspruchsentscheidung vorgefunden, auf deren Seite 1 sich der Stempel "eingegangen 21. Mai 2007/RA B" befinde. Weiter habe Rechtsanwalt B geschrieben, dass er gehalten sei, bei einer Weiterverfolgung eine Klage bis spätestens 18. Juni 2007 "auszubringen". Sie habe deshalb, zusammen mit ihrem Ehemann, die Klageschrift noch am 16. Juni 2007 gefertigt und am darauf folgenden Tag, Sonntag den 17. Juni 2007, in den nächsten Briefkasten eingeworfen. Damit sei nach ihrem Verständnis die Klage, wie von Rechtsanwalt B mitgeteilt, rechtzeitig "ausgebracht" worden. Hinsichtlich des tatsächlichen Zustellungszeitpunkts und des dementsprechend zu berechnenden Fristablaufs habe sie sich schuldlos im Irrtum befunden. Wegen des auf der Einspruchsentscheidung angebrachten Eingangsstempels habe sie nicht ahnen können, dass zwischen rechtswirksamer postalischer Zustellung und gestempeltem Eingang drei Tage Unterschied bestanden haben.

Die Klägerin beantragt,

ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist zu gewähren und den Einfuhrabgabenbescheid vom 22. Februar 2006 sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das HZA beantragt,

die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

Es bringt im Wesentlichen Folgendes vor:

Die Klägerin habe sich nicht schuldlos im Irrtum über das Ende der Klagefrist befunden. Ihre durch den Urlaub bedingte Abwesenheit sei nicht ursächlich dafür gewesen, dass sie daran gehindert worden ist, die Klageschrift rechtzeitig dem Finanzgericht zuzustellen. Dies beruhe vielmehr auf einem Abstimmungsproblem zwischen ihr und ihrem Rechtsanwalt. Dies rechtfertige aber keinesfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akten sowie die im Verfahren gewechselten Schriftsätze hingewiesen.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).

II. Der Klage ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Klagefrist erhoben worden ist.

1. Die Frist zur Klageerhebung beträgt gem. § 47 Abs. 1 FGO einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zu laufen.

Vorliegend ist die Einspruchsentscheidung dem im Einspruchsverfahren Bevollmächtigten der Klägerin (Rechtsanwalt B) lt. Postzustellungsurkunde am Freitag, den 18. Mai 2007 um 19.19 Uhr gem. § 122 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) und § 180 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Einlegen in zu dessen Geschäftsräumen gehörendem Briefkasten zugestellt worden. Die Einspruchsentscheidung gilt mit der Einlegung als zugestellt (vgl. § 180 Satz 2 ZPO). Dies gilt auch dann, wenn die Kanzlei von Rechtsanwalt B zum Zeitpunkt des Zustellungsversuches am Freitag um 19.19 Uhr geschlossen gewesen ist, denn die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO ist auch außerhalb der Öffnungs- und Bürozeiten eines Geschäftsraums zulässig. In diesem Fall ist die Ersatzzustellung an eine in den Geschäftsräumen von Rechtsanwalt B beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) "nicht ausführbar" i.S.v. § 180 ZPO gewesen (vgl. Stein/Jonas/Roth, Kommentar zur ZPO, § 178 Rdnr. 19, § 180 Rdnr. 2).

Die Klagefrist hat somit am Freitag, den 18. Mai 2007 zu laufen begonnen (§ 54 Abs. 1 FGO) und am Montag, den 18. Juni 2007 geendet, weil der Tag der Bekanntgabe nicht mitgerechnet wird (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die Klage ist jedoch erst am 20. Juni 2007, also verspätet, bei Gericht eingegangen.

2. Der Klägerin kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 FGO gewährt werden, weil sie nicht ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten.

Bei dem gegebenen Sachverhalt ist die Klägerin zwar nicht durch eigenes Verschulden daran gehindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten. Sie konnte nämlich aufgrund des auf der Seite 1 der Einspruchsentscheidung bei Rechtsanwalt B angebrachten Eingangsstempels in Verbindung mit der irreführenden Bemerkungen im Begleitschreiben, dass eine Klage bis spätestens 18. Juni 2007 "auszubringen" sei, davon ausgehen, dass die Klagefrist erst am 21. Juni 2007 abläuft.

Die Klägerin muss sich jedoch ein Verschulden von Rechtsanwalt B an der Versäumung der Klagefrist zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO bzw. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO), denn das Vertretungsverhältnis hat bis zur Übersendung der Einspruchsentscheidung an die Klägerin fortbestanden.

Sie hatte diesem eine außergerichtliche Vollmacht wegen "Einspruch gegen Einfuhrabgabenbescheid" erteilt. Da diese Vollmacht Rechtsanwalt B gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 AO zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen ermächtigt hat, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergeben hat, hat sie zum einen für diesen auch die Empfangsvollmacht für die Einspruchsentscheidung eingeschlossen. Zum anderen ist diese Vollmacht erst mit ihrer Zweckerledigung erloschen. Dies ist vorliegend der Abschluss des Einspruchsverfahrens. Dies ist aber erst abgeschlossen gewesen, nachdem der für das außergerichtliche Verfahren (Einspruchsverfahren) bevollmächtigte Rechtsanwalt B die Zustellung der Einspruchsentscheidung mitgeteilt, sie der Klägerin übersandt und auf die weiteren Rechtsbehelfsmöglichkeiten (hier Klage) hingewiesen hat (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, Tz. 36 zu § 80). Rechtsanwalt B oblag deshalb als Vertreter der Klägerin auch die Beachtung der Klagefrist (vgl. Bundesfinanzhof- BFH-Urteil vom 19. September 1985 V R 29/80, BFH/NV 1986, 472). In diesem Zusammenhang, also noch während des bestehenden Vertretungsverhältnisses, haben aber der Wortlaut des Begleitschreibens von Rechtsanwalt B und der auf Seite 1 der Einspruchsentscheidung angebrachte Eingangsstempel bei der Klägerin zu dem Missverständnis geführt, dass die Klage erst am 21. Juni 2007 bei Gericht eingehen müsse.

Insoweit liegt ein schuldhaftes Verhalten des Bevollmächtigten vor, denn er hätte auf der Einspruchsentscheidung nicht den 21. Mai 2007 als maßgebliches Eingangsdatum vermerken dürfen, wenn die Einspruchsentscheidung am 18. Mai 2007 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist. Da lt. Feld 13 der Postzustellungsurkunde auf dem Umschlag der zugestellten Einspruchsentscheidung vom Zusteller das Datum der Zustellung (18. Mai 2007) vermerkt worden ist (§ 180 Satz 3, § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO), ist dieses Datum maßgeblich für den Beginn der Klagefrist gewesen.

Letztlich kann aber dahinstehen, ob sich RA B über den Beginn der Klagefrist geirrt hat oder ob es sich bei dem Hinweis, dass "die Klage bis spätestens 18. Juni 2007 auszubringen" sei, um einen Schreibfehler handelt, weil die Klage lt. Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb der Klagefrist "anzubringen" gewesen ist. Hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für den Beginn der Klagefrist liegt jedenfalls eine unklare Absprache bzw. ein mangelhafter Informationsaustausch zwischen Bevollmächtigtem und Vertretenem vor, der Letzterem (der Klägerin) als verschuldet zugerechnet wird (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, Tz. 52 zu § 110). Hierfür spricht auch die von der Klägerin am Samstag, den 16. Juni 2007 (23.57 Uhr) an Rechtsanwalt B versandte E-Mail, in der sie diesen gebeten hat, einen Schriftsatz bei Gericht einzureichen, falls ihre eigene Verteidigung unzulässig sein sollte.

Im Übrigen ist die Einlassung der Klägerin, sie habe die am 16. Juni 2007 gefertigte Klageschrift am Morgen des darauf folgenden Tages (Sonntag, den 17. Juni 2007) bei der Post aufgegeben, unglaubwürdig. Wie sich aus der Antwort-E-Mail von Rechtsanwalt B vom 18. Juni 2007 (16.57 Uhr) sowie dem auf dem, die Klageschrift enthaltenden, Briefumschlag angebrachten Poststempel (18.6.2007-21) ergibt, ist die Klage erst am 18. Juni 2007 zur Post gegeben worden, nachdem Rechtsanwalt B der Klägerin mitgeteilt hatte, dass er davon ausgehe, dass sie die Angelegenheit selbst weiter betreiben werde.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.

Ende der Entscheidung

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