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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 18.11.2004
Aktenzeichen: 14 K 5057/01
Rechtsgebiete: EWGRL 388/77, UStG 1993


Vorschriften:

UStG 1993 § 4 Nr. 21 Buchst. b
EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5
EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In der Streitsache

wegen Umsatzsteuer 1995, 1996, 1997, 1998

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ... des Richters am Finanzgericht ... und des Richters am Finanzgericht ... sowie der ehrenamtlichen Richter ... auf Grund mündlicher Verhandlung vom 18. November 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.

Streitig ist, ob die Umsätze der Klägerin steuerfrei sind.

Die Klägerin betreibt ein Ballett- und Tanzstudio (folgend Ballettstudio), für das sie in den Umsatzsteuererklärungen 1995 bis 1997 zunächst steuerbare und steuerpflichtige Umsätze erklärte. Das Finanzamt (FA) setzte darauf hin die Umsatzsteuer erklärungsgemäß mit den Bescheiden vom 12. Dezember 1996 (1995) und 23. Juni 1998 (1996) fest. Für 1995 hob das FA im Änderungsbescheid vom 13. Januar 1999 den Vorbehalt der Nachprüfung auf.

Mit Schreiben vom 19. Oktober 1999 legte die Klägerin eine Bescheinigung der Regierung von Niederbayern vom 6. Oktober 1999 vor, worin bescheinigt wird, dass die Klägerin ordnungsgemäß Kenntnisse und Fertigkeiten für einen späteren Beruf vermittelt bzw. auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet.

Gleichzeitig beantragte die Klägerin, ihre in den Streitjahren 1995 bis 1998 erklärten Umsätze als steuerfrei zu behandeln. Hierzu legte sie am 10. Dezember 1999 berichtigte bzw. erstmalige (für 1998) Steuererklärungen vor (Bl. 21 ff USt-A 1997), in denen die Umsätze als steuerfrei ausgewiesen wurden.

Aufgrund einer bei der Klägerin vom 24. Januar bis 25. Februar 2000 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass bei durchschnittlich zwei von hundert 2 Ballettschülern die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Musikhochschule abgelegt und eine weitere Berufsausbildung angestrebt werde. Das FA ging daher von einem berufsausbildenden Anteil der Ballettschüler von 2% aus und behandelte 2% der Gesamtumsätze als steuerfrei und erließ am 7. April 2000 für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide.

Hiergegen legte die Klägerin am 9. Mai 2000 Einspruch ein, den sie u.a. damit begründete, dass sie Ballettunterricht gebe und nicht allgemeine Standardtänze unterrichte, die zur bloßen Freizeitgestaltung ausgeübt würden. Im Laufe des Einspruchsverfahrens legte die Klägerin berichtigte Umsatzsteuerjahreserklärungen und eine Bescheinigung der Regierung von Niederbayern vom 8. Februar 2001 vor, wonach bestätigt wird, dass die der Klägerin am 6. Oktober 1999 erteilte Bescheinigung ab dem Zeitpunkt der Aufnahme ihrer Tätigkeit im März 1990 gültig sei.

Der Einspruch der Klägerin war zum Teil erfolgreich. Mit der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2001 setzte das FA die Umsatzsteuer für 1998 auf ... herab.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin nunmehr im Wesentlichen folgendes geltend:

Zunächst sei festzustellen, dass ihr die hier erforderliche Bescheinigung, dass die Einrichtung nach ihrer Organisation und ihrem Lehrziel auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereite, unstreitig erteilt worden sei.

Darüber hinaus sei ihr Ballettstudio als allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung im Sinne von § 4 Nr. 21 Buchst. b) des Umsatzsteuergesetzes zu beurteilen. Nach allgemeinem Verständnis sei unter Bildung die bewußte und planmäßige Entwicklung der natürlich vorhandenen geistigen und körperlichen Anlagen des Menschen zu verstehen. Sie verfüge über eine abgeschlossene Ausbildung und unterrichte als Mitglied des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik nach anerkannten Lehrplänen, die zum Ziel hätten, die Ausbildung zum klassischen Ballett zu fördern, und durch die besondere pädagogische Qualifikation die Qualität in der künstlerischen Tanzerziehung zu gewährleisten.

Da unter den Begriff der Bildung und Ausbildung nicht nur die Entwicklung von geistigen, sondern auch von körperlichen Anlagen falle, stelle die Ballettschule eine allgemeinbildende Einrichtung dar.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass das Ballettstudio mit der Unterrichtung und Förderung der Kinder und Jugendlichen den Bildungs- und Erziehungsauftrag der öffentlichen Schule unterstütze und in diesem Sinne die Allgemeinbildung fördere.

Die von ihr erbrachten Leistungen seien insbesondere auch im Hinblick auf den Tänzerberuf ausgerichtet, so dass sie eine berufsbildende Einrichtung betreibe.

Auch die Zielsetzung, die konzeptionelle Ausgestaltung und die Durchführung der Leistungen ihres Ballettunterrichts unterscheide sich von den Leistungen freier Unterrichtseinheiten grundlegend. Während eine Ballettschule bereits frühzeitig im Kindesalter begonnen werden müsse, um im ersten Schritt den Ausbildungsstandard für eine Aufnahmeprüfung zu erreichen, sei das Erlernen von Standardtänzen in jedem Alter möglich.

Weiterhin stehe die Beschränkung der Steuerbefreiung auf bestimmte Unterrichtsleistungen im Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung vom 3. Mai 1989 (BStBl. II 1989, 815).

Schließlich sei das Ballettstudio auch aus Gründen der Gleichbehandlung von der Umsatzsteuer zu befreien, weil die Ballettschule der Stadt Dingolfing als öffentliche Einrichtung steuerbefreit sei. Die vom Gesetzgeber angestrebte gleichmäßige Behandlung der privaten und der öffentlichen Schulen sei ansonsten nicht gewährleistet.

Gründe

II.

Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die Umsätze der Klägerin zu Recht in den Streitjahren dem allgemeinen Steuersatz unterworfen, weil sich weder aus § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuergesetzes in der hier maßgebenden Fassung aus 1993 (UStG) noch aus der Richtlinie 77/388/EWG eine Steuerfreiheit der Umsätze für ein Ballettstudio ergibt.

1. Gemäß § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG sind die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen steuerfrei, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten.

Das von der Klägerin betriebene Ballettstudio ist weder eine private "Schule" noch eine "andere Einrichtung" i.S. des § 4 Nr. 21 UStG. Denn sie besitzt keinen allgemein- oder berufsbildenden Charakter.

a) Das Ballettstudio der Klägerin ist keine allgemeinbildende Schule oder andere allgemeinbildende Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift.

Allgemeinbildende Einrichtungen sind solche, die ein breit gefächertes Wissen vermitteln, ohne die Organisationsform der Schule zu haben. Nicht zu den allgemeinbildenden Einrichtungen gehören gewerbliche Unternehmen, die nur spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten - wie hier das Ballettstudio - vermitteln. Daher kommt es nicht darauf an, wie die Klägerin offenbar meint, ob der Tanz- oder Ballettunterricht neben der Ausbildung in den sog. geistigen Fächern auch zur Allgemeinbildung zu rechnen ist oder nicht. Selbst wenn man die Unterrichtung in Ballett zur Allgemeinbildung rechnet, bleibt es dabei, dass im Studio der Klägerin kein breit gefächertes Wissen wie in der Schule vermittelt wird, sondern allenfalls ein kleiner Ausschnitt hieraus.

b) Die Klägerin unterhält aber auch keine berufsbildende Schule oder Einrichtung i.S. des § 4 Nr. 21 UStG.

Berufsbildende Schulen oder Einrichtungen sind Einrichtungen, die Leistungen erbringen, die ihrer Art nach den Zielen der Berufsaus- oder der Berufsfortbildung dienen (BFH-Urteile vom 10. Juni 1999 V R 84/98, BFHE 188, 462, BStBl II 1999, 578, und vom 18. Dezember 2003 V R 62/02, BStBl. II 2004, 252). Sie müssen spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind (vgl. Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Urteil vom 3. Dezember 1976 VII C 73.75, BStBl II 1977, 334).

Darunter fallen die Tanz- und Ballettkurse der Klägerin nicht. Sie bereiten die Kursteilnehmer auf keinen bestimmten Beruf, sondern allenfalls für die Aufnahmeprüfung vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts vor.

Der Umstand, dass die Kurse ermöglichen, eine Aufnahmeprüfung zu bestehen, die wiederum Voraussetzung zur Ausübung eines Berufs ist, macht das Ballettstudio noch nicht zu einer berufsbildenden Einrichtung. Die Kurse sind auch nicht Teil einer gesetzlich geregelten Berufsausbildung oder Berufsfortbildung. Die Rechtslage ist ähnlich wie bei Fahr- oder Jagdschulen, die ebenfalls keine berufsbildenden Einrichtungen sind, soweit sie auf den Erwerb des Führerscheins bzw. des Jagdscheins vorbereiten, obwohl diese von zahlreichen Steuerpflichtigen bei Ausübung ihres Berufs genutzt werden (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 1974 V R 54/73, BStBl II 1974, 527, und BFH in BStBl. 2004, 252).

Aus dem BFH-Urteil vom 3. Mai 1989 V R 83/84 (BStBl. II 1989, 815) ergibt sich nichts anderes. Danach ist nicht auf die Ziele der Personen abzustellen, welche die Einrichtung besuchen, sondern darauf, ob der Einrichtung generell die Eigenschaft einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung zukommt. Vorliegend ist demnach auf den Charakter der Einrichtung abzustellen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die für das Bestehen der Prüfung erforderlich sind, nicht hingegen, den Teilnehmern die Ausübung eines bestimmten Berufs zu ermöglichen. Danach fallen die Umsätze mit dem Ballettstudio nicht unter die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 UStG.

3. Auch der Zweck der Befreiungsvorschrift widerspricht dem nicht.

Zweck der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 UStG 1993/1999 ist, nicht nur die schulische und berufliche Ausbildung und Fortbildung zu fördern, sondern zugleich eine gleichmäßige umsatzsteuerliche Behandlung der privaten und der öffentlichen Schulen herbeizuführen, da die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterhaltenen Schulen gemäß § 2 Abs. 3 UStG nicht der Umsatzsteuer unterliegen (BFH-Urteil vom 27. August 1998 V R 73/97, BFHE 187, 60, BStBl II 1999, 376). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz bzw. die Wettbewerbsneutralität zwischen Einrichtungen der Gebietskörperschaften und solchen wie die der Klägerin würde voraussetzen, dass die städtischen Tanz- und Ballettschulen (wie möglicherweise hier in D.), tatsächlich nicht zu besteuern sind, was dem vorrangigen Gemeinschaftsrecht widersprechen würde. Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG gelten die Einrichtungen des öffentlichen Rechts nur dann nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen (Art. 4 Abs. 5 der 6. RL). Dieser Tatbestand wäre demnach nicht erfüllt, wenn eine Stadt z.B. eine Ballett- und Tanzschule betreibt. Auch der Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität fordert mithin keine Steuerfreiheit der hier fraglichen Umsätze.

4. Dieses Verständnis des § 4 Nr. 21 UStG 1993/1999 entspricht auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

a) Die Vorschrift setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG um. Danach befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer: die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung.

Grundsätzlich sind die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG umschrieben sind, eng auszulegen, weil sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften -EuGH- vom 15. Juni 1989 Rs. 348/87 -Stichting Uitvoering Financiele Akties -, Slg. 1989, 1737, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht -UVR- 1989, 307, Rdnr. 11, 13, und vom 5. Juni 1997 Rs. C-2/95 -Sparekassernes Datacenter-, Slg. 1997, I-3017, UVR 1997, 288, Rdnr. 20). Hinzu kommt, dass das Gemeinschaftsrecht bei der hier in Betracht kommenden Befreiung (Erziehung von Kindern und Jugendlichen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen mit anerkannter vergleichbarer Zielsetzung) eine sehr allgemein gefasste Formulierung vorgegeben und damit dem nationalen Gesetzgeber einen Spielraum eröffnet hat, der es ermöglicht - wie in § 4 Nr. 21 UStG geschehen - die Steuerbefreiung auf allgemein- oder berufsbildende Einrichtungen zu beschränken.

b) Auf Art. 13 Teil A Buchst. m der Richtlinie 77/388/EWG, wonach bestimmte in engem Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung stehende Dienstleistungen, von der Steuer zu befreien sind, kann sich die Klägerin bereits deswegen nicht berufen, weil die Steuerbefreiung lediglich Einrichtungen ohne Gewinnstreben zusteht, wozu das Unternehmen der Klägerin unstreitig nicht gehört.

Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten die Besteuerungspraxis von Ballettstudios im Bundesgebiet uneinheitlich ist. Die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 UStG hat daher grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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