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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: 14 K 909/07
Rechtsgebiete: ZK, UStG


Vorschriften:

ZK Art. 96 Abs. 2
ZK Art. 203 Abs. 1
ZK Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4
ZK Art. 222 Abs. 2 Anstrich 3
UStG § 13 Abs. 2
UStG § 21 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht ......,

des Richters am Finanzgericht ...... und

der Richterin am Finanzgericht ...... sowie

der ehrenamtlichen Richter ...... und ......

ohne mündliche Verhandlung

am 25. Juni 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 21. Juli 2005 und die Einspruchsentscheidung werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe:

I. Streitig ist, ob der Beklagte (das Hauptzollamt - HZA) gegenüber der Klägerin Einfuhrabgaben festsetzen durfte, die wegen der nicht ordnungsgemäßen Erledigung eines Versandverfahrens entstanden sind.

Die Fa. O eröffnete am 14. September 2004 als Hauptverpflichtete beim Zollamt X (Abgangsstelle) das Versandverfahren T1 Nr. ....... Im Versandschein war als Empfänger die Klägerin, als Bestimmungsstelle A und als Gestellungsfrist der 17. September 2004 eingetragen.

Da bei der Abgangsstelle kein Nachweis für die Beendigung des Versandverfahrens einging, wurde das Suchverfahren eingeleitet. In diesem teilte die Klägerin mit, dass die Sendung am 20. September 2004 bei ihr angeliefert und am nächsten Tag nach C verladen worden sei. O legte einen von der Klägerin als Empfänger bestätigten CMR-Frachtbrief vor, auf dem der Stempelabdruck "Achtung Zollgut, Ware darf erst nach Gestellung beim Empfangszollamt entladen werden" angebracht war. Das Zollamt A teilte am 15. Juni 2005 mit, dass die im streitgegenständlichen Versandverfahren beförderten Waren nicht ordnungsgemäß gestellt worden seien.

Das HZA setzte deshalb mit Einfuhrabgabenbescheid vom 21. Juli 2005 gegenüber der Klägerin als Gesamtschuldner neben O Zoll in Höhe von ...... EUR und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von ...... EUR fest. Eine Zahlungsaufforderung erging nur an die Klägerin als Warenempfänger. Gegenüber dem Warenführer wurden keine Einfuhrabgaben festgesetzt.

Nach erfolglosem Einspruch macht die Klägerin mit der gegen die Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2007 erhobenen Klage im Wesentlichen Folgendes geltend:

Da sie die Waren erst nach Ablauf der Gestellungsfrist erhalten habe, seien diese zum Zeitpunkt der Einlagerung entweder durch den Hauptverpflichteten oder den Frachtführer bereits der zollamtlichen Überwachung entzogen gewesen. Sie habe nicht gewusst, dass die Waren nicht gestellt worden waren. Sie habe Waren erwartet, die bereits ordnungsgemäß abgefertigt sind. Ein Versandschein sei ihr nicht vorgelegt worden. Aus der Vorlage eines CMR-Frachtbriefs mit dem Stempelaufdruck "Achtung Zollgut" ergebe sich nichts Gegenteiliges.

Der Stempelaufdruck, der sich an den Warenführer richte, werde üblicherweise nicht nach der Gestellung entwertet, so dass er keinerlei Aussagewert zur Frage der Abwicklung des Zollverfahrens enthalte. Außerdem sei der Stempelabdruck auf dem Exemplar Nr. 3 des Frachtbriefs angebracht, das für den Warenführer bestimmt sei. Im Übrigen sei die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensfehlerhaft, da der Hauptverpflichtete grundsätzlich vorrangig in Anspruch zu nehmen sei und der Warenführer überhaupt nicht in Anspruch genommen worden sei. Im Übrigen sei kein Schaden entstanden, da die Waren nach C verschifft worden seien.

Die Klägerin beantragt,

den Einfuhrabgabenbescheid vom 21. Juli 2005 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das HZA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bringt im Wesentlichen vor, dass die Klägerin wegen des auf dem CMR-Frachtbrief angebrachten Stempelabdrucks gewusst habe, dass die Waren noch nicht gestellt worden waren. Der Stempelabdruck sei nicht nur vom Warenführer, sondern auch vom Warenempfänger zu beachten gewesen. Die Waren hätten sich auch noch bis zur Entgegennahme durch die Klägerin im Versandverfahren befunden, denn eine Gestellung beim Verbringen in die Freizone sei nur dann erforderlich, wenn dadurch das Versandverfahren beendet werden soll. Die Klägerin habe auch kein sonstiges von den Zollbehörden anerkanntes Zollpapier über den Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung der streitgegenständlichen Waren in einem Drittland vorgelegt.

Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch nicht ermessenswidrig, weil der Grad der Verfehlungen bei der Klägerin als größer anzusehen sei als bei dem Hauptverpflichteten (O). Auf die Inanspruchnahme des Warenführers sei aus verwaltungsökonomischen Gründen verzichtet worden, weil dieser seinen Geschäftssitz nicht im Steuergebiet habe und die Realisierung des Abgabenanspruchs bei diesem mit einem höheren Verwaltungsaufwand verbunden gewesen wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akte und die im Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).

II. Die Klage ist begründet.

Der Einfuhrabgabenbescheid vom 21. Juli 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2007 sind aufzuheben, weil sie wegen Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig sind und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzen (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

1. Für die im streitgegenständlichen Versandverfahren transportierten Waren ist zwar die Einfuhrabgabenschuld nach Art. 203 Abs. 1 Zollkodex (ZK) i.V.m. §§ 13 Abs. 2 und 21 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) dadurch entstanden, dass sie durch Nichtgestellung bei der Bestimmungsstelle der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sind (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Januar 2005 Rs. C-300/03, ZfZ 2005, 84).

Lt. Auskunft des Zollamts A ist die streitgegenständliche Sendung nicht ordnungsgemäß bei ihm gestellt worden. Weder von der Klägerin noch vom Hauptverpflichteten (O) konnte der Nachweis erbracht werden, dass das Versandverfahren ordnungsgemäß beendet worden ist. Die von der Klägerin als Belege für die Ausfuhr der Waren in die USA vorgelegten Kopien einer Ladeliste, einer Packliste, eines Lieferscheins und eines Frachtbriefs stellen keinen ausreichenden Alternativnachweis i.S.v. Art. 365 Abs. 2 und 3 der Durchführungsverordnung zum ZK für die Beendigung des streitgegenständlichen Versandverfahrens dar.

2. Im Streitfall kann dahinstehen, ob auch die Klägerin neben dem Hauptverpflichteten O Schuldner der Einfuhrabgaben nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4, Art. 96 Abs. 2 ZK i.V.m. § 13a Abs. 2 und § 21 Abs. 2 UStG geworden ist. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, hätte das HZA darlegen müssen, warum nicht auch der Warenführer in Anspruch genommen worden ist. Dieser ist nämlich ebenso Schuldner der Einfuhrabgaben nach Art. 203 Abs. 3 Anstrich 4, Art. 96 Abs. 2 ZK i.V.m. § 13a Abs. 2 und § 21 Abs. 2 UStG geworden, weil er die streitgegenständlichen Waren angenommen, aber nicht bei der Bestimmungsstelle gestellt hat, obwohl er wusste, dass diese dem gemeinschaftlichen Versandverfahren unterlagen.

Die Klägerin schuldet die Einfuhrabgaben nach den eigenen Einlassungen des HZA im gerichtlichen Verfahren demnach als Gesamtschuldner (Art. 213 ZK) neben O und dem Warenführer.

Sind mehrere Personen als Gesamtschuldner zur Erfüllung einer Zollschuld verpflichtet, liegt die Entscheidung, gegen welchen Gesamtschuldner die Abgaben festgesetzt werden, nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des HZA. Der einzelne Abgabenschuldner kann nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden. Das HZA hatte deshalb nach seinem Ermessen darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Klägerin neben O und dem Warenführer auf Zahlung der Einfuhrabgaben in Anspruch genommen werden soll.

Diese Ermessensentscheidung kann nach § 102 FGO nur daraufhin überprüft werden, ob der Steuerbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wird die Ermessensentscheidung nicht spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet, ist sie im Regelfall fehlerhaft und aufzuheben.

Vorliegend hat das HZA im Einfuhrabgabenbescheid zwar dargelegt, dass zunächst die Klägerin als Warenempfänger gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werde und die Zahlungsverpflichtung für den Hauptverpflichteten vorerst ausgesetzt sei (vgl. Art. 222 Abs. 2 Anstrich 3 ZK). Ausführungen und Hinweise dazu, warum gegenüber dem Warenführer keine Einfuhrabgaben festgesetzt wurden, sind aber weder im Einfuhrabgabenbescheid noch in der Einspruchsentscheidung enthalten. Das HZA kann sich deshalb auch nicht auf das Urteil des Finanzgerichts Bremen vom 21. Oktober 2004 - 4 K 190/02 (ZfZ 05, 202) berufen, denn in dem diesem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hat das HZA die tragenden Ermessenserwägungen in der Einspruchsentscheidung dargelegt. In dem hier zu entscheidenden Fall hat das HZA aber erstmals im gerichtlichen Verfahren auf Nachfrage des Gerichts erläutert, warum es den Warenführer nicht in Anspruch genommen hat. Die Ausführungen des HZA hierzu sind zwar grundsätzlich geeignet, die Nichtinanspruchnahme des Warenführers zu begründen. Sie sind jedoch als verspätet zurückzuweisen, denn für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung ist maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Nach § 102 Satz 2 FGO ist nach diesem Zeitpunkt nur eine Ergänzung, aber keine Nachholung der Ermessenserwägungen möglich. Bei den Ausführungen des HZA zur Nichtinanspruchnahme des Warenführers handelt es sich jedoch nicht lediglich um eine Ergänzung seiner Ermessensentscheidung zur Inanspruchnahme der Klägerin, sondern um das erstmalige Vorbringen maßgeblicher Ermessenserwägungen. Die Frage, warum nicht der Warenführer als Handelnder vor dem Hauptverpflichteten als Verfahrensinhaber oder der Klägerin als Warenempfänger in Anspruch genommen wurde, ist für die im Streitfall zu treffende Ermessensentscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen. Für das Gericht ist aber nicht erkennbar, dass das HZA die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Warenführers bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 9. Februar 2007 geprüft hat. Da das Gericht im Rahmen der Prüfung nach § 102 FGO die angefochtene Ermessensentscheidung des HZA nicht mit Erwägungen rechtfertigen kann, auf die sich das HZA in seiner Entscheidung nicht gestützt hat, ist die Inanspruchnahme der Klägerin ermessensfehlerhaft (vgl. BFH-Beschluss vom 13. November 2003 VI B 329/00, BFH/NV 2004, 361 und BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl. II 2004, 579).

Schließlich kann in der unterlassenen Darlegung des Auswahlermessens auch nicht nur ein bloßer Begründungsmangel i.S.v. § 126 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) gesehen werden, der gem. § 126 Abs. 2 AO noch bis zur mündlichen Verhandlung hätte geheilt werden können (vgl. BFH in BFHE 205, 14, BStBl. II 2004, 579).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Ende der Entscheidung

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