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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 14 K 910/07
Rechtsgebiete: UStG, RL 77/388/EWG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1a
UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1
RL 77/388/EWG Art. 5 Abs. 8
RL 77/388/EWG Art. 6 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

14 K 910/07

Umsatzsteuer 2001

In der Streitsache

...

hat der 14. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Gründe:

I.

Streitig ist das Vorliegen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen.

Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist der Einzelhandel mit Getränken aller Art, der Betrieb von Getränkefachmärkten sowie die Vermietung und Verpachtung von Getränkefachmärkten.

Der am 2. April 2003 eingereichten Umsatzsteuersteuererklärung für 2001 stimmte das Finanzamt (FA) zunächst zu. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung stellte das FA fest, dass die Klägerin mit Rechnungen vom 30. März 2001 von der Firma P GmbH vier Getränkefachmärkte und deren vorhandene Warenbestände in T, E, M und Ü erworben hatte (Bericht vom 23. November 2006, Bl. 24 ff Umsatzsteuerakte des FA). Die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer ließ das FA nicht zum Vorsteuerabzug zu, da es sich seiner Ansicht nach bei den Veräußerungsvorgängen um nicht steuerbare Umsätze handelte. Mit Bescheid vom 21. Juli 2005 setzte das FA die Umsatzsteuer 2001 in Höhe von 42.539,48 EUR fest.

Das dagegen gerichtete Einspruchsverfahren hatte keinen Erfolg. Mit Entscheidung vom 16. Februar 2007 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.

Mit der hiergegen eingelegten Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Firma P GmbH insgesamt 31 Getränkefachmärkte an mindestens elf Erwerber veräußert habe. Die Verkaufsstellen seien wirtschaftlich nicht selbständig gewesen, weil die kaufmännische Leitung und Logistik, der Wareneinkauf, die Sortimentsgestaltung und die Werbung sowie die Buchhaltung und das Personalwesen vollständig von der Zentrale in T durchgeführt worden sei. Nach dem Erwerb der Getränkefachmärkte hätte die Klägerin eine eigene Organisation aufbauen müssen. Auch die Einkaufskontrakte und Lieferantenbeziehungen hätten neu geschaffen werden müssen. Den Lieferantenbeziehungen sei hinsichtlich des wirtschaftlichen Bestehens in dieser Branche eine überragende Bedeutung beizumessen, da die Rentabilität des Unternehmens von Abnahmemengen und den damit verbundenen Konditionen bestimmt würden. Die von der Klägerin übernommenen Verkaufsstellen konnten keinen lebensfähigen Organismus bilden, da es sich bei den erworbenen Getränkemärkten nicht um gesondert geführte Betriebe der Klägerin, sondern lediglich um einzelne Verkaufsstellen handle, die in keinem Fall unabhängig vom Gesamtunternehmen geführt werden hätten können. Bei den Veräußerungsvorgängen handle es sich daher um steuerbare Umsätze, die sie zum Vorsteuerabzug berechtigten.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Juli 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2007 die Umsatzsteuer 2001 auf einen Negativbetrag von 21.651,09 EUR festzusetzen, hilfsweise die Zulassung der Revision.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

II.

Die Klage hat keinen Erfolg, das FA hat zu Recht die als Vorsteuer geltend gemachte Umsatzsteuer aus den Rechnungen vom 30. März 2001 nicht anerkannt.

Ein Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung (UStG) die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts berechtigt allerdings nur die für den Umsatz gesetzlich geschuldete Steuer zum Vorsteuerabzug (EuGH-Urteil vom 13.12.1989 Rs. C- 342/87, Genius Holding, EuGHE I 1989, 4227, Umsatzsteuer-Rundschau -UR- 1991, 83), sodass der Vorsteuerabzug bei richtlinienkonformer Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG voraussetzt, dass eine Steuer für den berechneten Umsatz geschuldet wird.

Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der Kauf von vier Getränkefachmärkten und dem jeweils vorhandenem Warenbestand eine Geschäftsveräußerung im Sinne des § 1 Abs. 1 a UStG darstellt und die in den Rechnungen vom 30. März 2001 ausgewiesene Umsatzsteuer daher nicht geschuldet wird.

Nach § 1 Abs. 1 a des UStG unterliegen Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen nicht der Umsatzsteuer. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23.August 2007 V R 14/05 BStBl II 2008, 165).

§ 1 Abs. 1 a UStG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in nationales Recht und ist richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Januar 2005 V R 53/02, BFH/NV 2005, 810).

Bei diesen Bestimmungen handelt es sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) um autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts, die eine in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen (Urteil vom 27. November 2003 C-497/01, Zita Modes, Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128 Randnr. 32). Da Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG nach der Rechtsprechung des EuGH die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen erleichtern und vereinfachen soll, erfasst diese Vorschrift im Hinblick auf ihren Zweck die Übertragung der Geschäftsbetriebe und der selbständigen Unternehmensteile, die jeweils materielle und immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann. Der Erwerber muss darüber hinaus die Absicht haben, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben. Nicht begünstigt ist die sofortige Abwicklung der übernommenen Geschäftstätigkeit (EuGH-Urteil Zita Modes in Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128 Randnr. 44).

Da der Begriff des Gesamtvermögens und des Teilvermögens vom Wortlaut der Richtlinie gleichrangig verwendet werden, kommt es für die Unternehmensfortführung nach Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nicht darauf an, dass das gesamte Unternehmensvermögen auf den Erwerber übertragen wird. Im Hinblick auf die nach der EuGH-Rechtsprechung maßgebliche Absicht des Erwerbers, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben, ist vielmehr entscheidend, ob die übertragenen Vermögensgegenstände die Fortsetzung einer bisher durch den Veräußerer ausgeübten Tätigkeit ermöglichen. Hiermit übereinstimmend ist es nach der Rechtsprechung des BFH maßgeblich, ob die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 28. November 2002 V R 3/01, BStBl II 2004, 665).

§ 1 Abs. 1 a UStG setzt jedoch nicht voraus, dass der Erwerber das Unternehmen unverändert weiterführt. Der vom EuGH bei der Auslegung betonte Vereinfachungszweck greift vielmehr auch dann ein, wenn der Erwerber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb aus z.B. betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändert oder modernisiert. Die Wesentlichkeit einzelner Betriebsgrundlagen und die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ohne großen finanziellen Aufwand (BFH-Urteil vom 4. Juli 2002 V R 10/01, BStBl II 2004, 662) stellen in diesem Zusammenhang keine eigenständigen Voraussetzungen für die Nichtsteuerbarkeit dar, sondern sind im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, aus der sich ergibt, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht (BFHE 200, 160, BStBl II 2004, 665). Hieran fehlt es z.B., wenn nur der Warenbestand verkauft wird (EuGH-Urteil vom 27.November 2003 C-497/01, a.a.O.).

Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze ergibt sich im Streitfall, dass das FA den Erwerb der vier Getränkefachmärkte und deren vorhandene Warenbestände zu Recht als Geschäftsveräußerung im Ganzen behandelt hat. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 a UStG sind erfüllt, da die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bildeten, mit dem die Klägerin als Unternehmerin die wirtschaftliche Tätigkeit selbständig fortführen konnte. Denn die Identität eines Getränkefachmarkts besteht nicht darin, dass er nur in mehreren Niederlassungen geführt und daher nur als einheitliches Ganzes i.S.d. § 1 Abs. 1 a UStG veräußert werden kann. Vielmehr bietet jede Filiale eine abgeschlossene Verkaufseinheit vor Ort und damit einen in sich geführten Teilbetrieb, der auch gesondert veräußert werden und anschließend ohne signifikante Änderung nach außen hin weitergeführt werden kann.

Entgegen der Ansicht der Klägerin steht der Annahme einer Geschäftsveräußerung nicht entgegen, dass sie lediglich vier von insgesamt 31 Filialen erworben hat und bestehende Lieferantenverträge nicht übernommen hat. Nach der Rechtsprechung des BFH kommt es für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 a UStG nicht darauf an, dass der Erwerber die für die Fortführung erforderlichen Leistungen oder Lieferungen von den bisherigen Vertragspartnern des Veräußerers bezieht (vgl. BFH-Urteil vom 23. August 2007, a.a.O.), da vielmehr auch dann von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen auszugehen ist, wenn der Erwerber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb aus z.B. betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändert oder modernisiert. Die Klägerin kann sich daher auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie die bisher von der Zentrale in Töging geleitete Buchhaltung und das Personalwesen neu aufbauen musste. Die wirtschaftliche Neuorganisation und der Aufbau einer eigenen kaufmännischen Leitung sind bei der Weiterführung eines übernommenen Betriebes nicht ungewöhnlich, sondern entsprechen den Erfordernissen eines "Neuanfangs".

Aufgrund des Vorliegens einer Geschäftsveräußerung im Ganzen wird die in den Rechnungen vom 30. März 2001 ausgewiesene Umsatzsteuer nicht geschuldet. Ein Vorsteuerabzug kommt daher nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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