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Gericht: Finanzgericht München
Beschluss verkündet am 08.01.2009
Aktenzeichen: 5 K 3194/08
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, EStG, VO (EWG) 1408/71


Vorschriften:

FGO § 142
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 1
EStG § 1 Abs. 3
EStG § 39c Abs. 4
VO (EWG) 1408/71
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Verfahren

...

hat der 5. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht xxx,

der Richterin am Finanzgericht xxx und

der Richterin am Finanzgericht xxx

ohne mündliche Verhandlung

am 8. Januar 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts xxx wird abgelehnt.

Gründe:

I. Der Antragsteller und die Familienkasse streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Kindergeld vom 7. Mai 2005.

Der Antragsteller ist polnischer Staatsbürger. Seine am 15. Februar 1988 und am 29. Mai 1994 geborenen Kinder leben mit seiner Ehefrau in Polen. Die unselbständig erwerbstätige Ehefrau erhielt von Januar 2007 bis August 2008 Kindergeld in Polen. Der Antragsteller beantragte am 18. März 2008 Kindergeld in Deutschland. Er legte eine Bescheinigung des polnischen Arbeitgebers vor, wonach er vom 16. April 2007 bis 29. Februar 2008 nach Deutschland entsandt worden sei und eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland nicht bestanden habe, und einen Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2007, wonach die Lohnsteuer an das Finanzamt O. abgeführt worden sei. Das Kindergeld sollte auf ein Konto des Prozessbevollmächtigten gezahlt werden.

Dieser Kindergeldantrag wurde von der ... GbR (GbR), die sich dabei unter Vollmachtvorlage als Empfangsbevollmächtigte für den Antragsteller benannte, mit Schreiben vom 30. April 2008 bei der Familienkasse eingereicht.

Die Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Mai 2008 ab, da dem Antragsteller gemäß § 65 des Einkommensteuergesetzes -EStG- Leistungen von einer Stelle außerhalb Deutschlands zustünden, die dem Kindergeld vergleichbar seien. Im Zeitraum April 2007 bis Februar 2008 sei er für eine polnische Firma in Deutschland tätig gewesen. Daher unterliege er nach Art. 13 ff der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abwandern (konsolidierte Fassung, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -ABlEG- Nr. 1 28 vom 30. Januar 1997, S. 1, -VO (EWG) 1408/71-) weiterhin den polnischen Rechtsvorschriften.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren reichte der anwaltliche Vertreter des Antragstellers mit Schreiben vom 29. September 2008 einen Prozesskostenhilfeantrag und einen Klageentwurf beim Finanzgericht innerhalb der Klagefrist ein. Der Antragsteller trägt vor, dass er von seinem polnischen Arbeitgeber in die Bundesrepublik Deutschland entsandt worden sei, um dort einer entgeltlichen Tätigkeit nachzugehen. Er sei für den hier maßgebenden Zeitraum auf seinen Antrag hin als unbeschränkt steuerpflichtig geführt worden. In Anwendung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs -EuGH- vom 20. Mai 2008 (C-352/06 -B-, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 2008, 877) bestehe ein Anspruch auf Kindergeld nach deutschem Recht. Zunächst sei der EuGH zu folgendem Ergebnis gekommen:

"Daraus folgt, dass das Gemeinschaftsrecht die zuständigen deutschen Behörden nicht verpflichtet, Frau B Kindergeld zu gewähren." Dies sei zwangsläufige Folge der Bestimmung des Beschäftigungslandes nach Art. 13, 14 VO (EWG) 1408/71. Weiter führe der EuGH aber in aller Deutlichkeit folgendes aus:

"Jedoch ist auch nicht auszuschließen, dass diese Leistung gewährt werden kann, zumal sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass Frau B nach deutschem Recht schon allein aufgrund ihres inländischen Wohnsitzes einen Anspruch auf Kindergeld hat; es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Bestimmungen der VO (EWG) 1408/71 im Licht des Art. 42 EG auszulegen sind, der die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern soll und u.a. impliziert, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie das ihnen vom EG-Vertrag verliehene Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben (vgl. Urteil vom 9. November 2006, Nemec, C-205/ 05, Slg. 2006, I- 10745, Randnrn. 37 und 38).

In diesem Sinne wird im ersten Erwägungsgrund der VO (EWG) 1408/71 ausgeführt, dass die in der Verordnung enthaltenen Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zur Freizügigkeit von Personen gehören und zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen sollen.

Angesichts dessen ist festzustellen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Wohnsitzmitgliedstaat nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren. Nach Art. 13 Abs. 2a VO (EWG) 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, zwar den Rechtsvorschriften dieses Staates, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, doch soll der Wohnstaat mit dieser Verordnung nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren."

Damit habe der EuGH in aller Klarheit festgestellt, dass die Festlegung des Beschäftigungsstaates nicht dazu führe, dass trotz Vorliegens der mitgliedschaftlichen Voraussetzungen kein Kindergeld in Deutschland gewährt werden dürfe. Vielmehr komme es darauf an, ob der Arbeitnehmer die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch im jeweiligen Staat erfülle. Der EuGH habe die bisherige Auffassung der Finanzgerichtsbarkeit sowie der Finanzverwaltung, wonach die Vorschriften des maßgeblichen EStG aufgrund der VO (EWG) 1408/71 bereits grundsätzlich nicht zur Anwendung hätten kommen sollen, für gemeinschaftswidrig erklärt. Dass der Antragsteller die Voraussetzungen der §§ 62 ff EStG im Streitfall erfülle, sei unstreitig. Bereits das Finanzgericht Niedersachsen habe im Urteil vom 24. Januar 2008 (1 K 83/07, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2008, 1570) mit gleicher Begründung der Klage stattgegeben. Der 9., 10., 14., und 15. Senat des Finanzgerichts Düsseldorf, der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts sowie der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg hätten sich der Rechtsauffassung des EuGH bereits angeschlossen. In dem mit dem Streitfall vergleichbaren Fall des Urteils des Finanzgerichts Düsseldorf vom 31. Juli 2008 (15 K 4375/07, [...] - Kindergeld für im EU-Ausland lebendes Kind eines in Deutschland selbständig tätigen EU-Ausländers) sei dem dortigen Kläger vollumfänglich Kindergeld zugesprochen worden.

Dem Schriftsatz war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers beigefügt.

Der Antragsteller beantragt

ihm für das Verfahren 5 K 3194/08 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm den Rechtsanwalt xxx beizuordnen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens des Antragstellers und der Familienkasse wird Bezug genommen auf die Einspruchsentscheidung vom 26. August 2008 und die eingereichten Schriftsätze, insbesondere auch auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 3. Januar 2009.

II. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Senat versteht den Schriftsatz vom 29. September 2008 als selbständiges Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers, in dem die Klageerhebung für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich in Aussicht gestellt wird. Eine unzulässige, weil bedingte Klageerhebung (vgl. hierzu z.B. Bundesfinanzhof -BFH-Beschluss vom 19. November 1985 VII B 103/85, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1986, 180, BFH-Beschluss vom 3. April 1987 VI B 150/85, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1987, 573, BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 VII B 304/03, BFH/NV 2005, 1111, a.A. BFH-Beschluss vom 24. August 2001 VI S 5/01, [...]) erkennt der Senat hingegen nicht.

Ein solcher isolierter Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist - auch schon vor Klageerhebung - zulässig (z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 1987 VI B 150/85, BStBl II 1987, 573).

2. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn hierfür bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Dies ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (z.B. BFH-Beschluss vom 8. Juni 1995, IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; BFH-Beschluss vom 26. April 1993 VI B 162/92, BFH/NV 1993, 682 mit weiteren Nachweisen -m.w.N.-). Der Regelung des § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO, nach der der Antragsteller in dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen hat, ist zu entnehmen, dass der Antragsteller die hinreichende Erfolgsaussicht als Voraussetzung für die Bewilligung einer Prozesskostenhilfe zumindest schlüssig darlegen muss ( BFH-Beschluss vom 8. Juni 1995, IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64; BFH-Beschluss vom 22. Februar 1994 VIII B 79/93, BFH/NV 1994, 736).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg. Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe mangelt es an einem substantiierten und schlüssigen Sachvortrag im Sinne des § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO, aus dem sich ein Anspruch auf Kindergeld ergeben kann bzw. auf den die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung übertragbar ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rz. 8 f, Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, § 142 Rz. 67 f. jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Der Antragsteller hat nach § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Antrag auf Prozesskostenhilfe das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen ( BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 VII B 9/01, BFH/NV 2002, 367 und vom 21. Juni 2001 III B 114/00, BFH/NV 2001, 1587). Zudem trägt der Antragsteller die Feststellungslast für die anspruchsbegründenden Tatsachen betreffend Kindergeld ( BFH-Beschluss vom 13. März 2008 III S 1/08, [...]).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist seine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht im Streitzeitraum nicht unstreitig. Es liegen die Voraussetzungen einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Antragstellers im Sinne des § 62 EStG nach summarischer Prüfung auch nicht vor, weil er deren Voraussetzungen weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht hat. Gerade aufgrund seiner Argumente hätte er sich um eine schlüssige Darlegung unter Vorlage von Beweismitteln zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht bemühen müssen. Jedoch hat er lediglich erklärt, dass er im maßgeblichen Zeitraum auf seinen Antrag hin als unbeschränkt steuerpflichtig geführt worden sei. Bei wem er welchen Antrag gestellt hat und warum, lässt er offen. Die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kommt nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller dies beim Finanzamt selbst beantragt. Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht ist im Anschluss daran der Familienkasse i. d. R. durch die vom Betriebsstätten-Finanzamt des Arbeitgebers ausgestellte Bescheinigung für Zwecke des Lohnsteuerabzugs (= Bescheinigung nach § 39c Abs. 4 EStG) nachzuweisen (vgl. so auch die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienlastenausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG - 62.1 Abs. 3, S. 7 ff., Bundessteuerblatt -BStBl- 2004 I, 749.) Die Feststellungen des Finanzamts zur unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG sind für das Kindergeldverfahren grundsätzlich bindend. Die Beantragung und die Existenz einer derartigen Bescheinigung wurde vom Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dies wäre aber nötig gewesen. Der Ausdruck der elektronischen Steuerbescheinigung für 2007 lässt (auch) keine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG erkennen. Angaben dazu, ob der Antragsteller einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, fehlen gänzlich.

Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob durch das EU-Recht die Anwendung des Deutschen Kindergeldrechts ausgeschlossen ist. Zudem ist die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bzw. der Finanzgerichte Düsseldorf und Hamburg bzw. des Niedersächsischen Finanzgerichts auf ihn nicht anwendbar, da hier Fälle entschieden wurden, in denen die jeweiligen Kläger ihren Wohnsitz in Deutschland hatten bzw. deren unbeschränkte Steuerpflicht unstreitig war. Darüber hinaus handelte es sich in diesen Fällen um keine nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer im Sinne des Art. 14 Nr. 1 VO (EWG) 1408/71). Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der EuGH im Fall B ( Urteil vom 20. Mai 2008, Rs. C-352/06, HFR 2008, 877) nicht die Europarechtswidrigkeit der Art. 13 ff VO (EWG) 1408/71 festgestellt. Er hat vielmehr (nur) entschieden, es bestehe keine Verpflichtung, Frau B deutsches Kindergeld zu gewähren (Anmerkung von Reuß, EFG 2008, 1569).

Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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