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Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 9 K 1370/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, VStG


Vorschriften:

AO 1977 § 162 Abs. 1 S. 1
AO 1977 § 162 Abs. 2 S. 1
AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 1
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 370
AO 1977 § 149 Abs. 1 S. 2
AO 1977 § 170 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 1 S. 1
FGO § 76 Abs. 1 S. 5
VStG § 19 Abs. 1 S. 2
VStG § 5 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

9 K 1370/05

Einkommensteuer 1990, 1992, 1993

Solidaritätszuschlag 1992

Vermögensteuer 1990 bis 1993

Zinsen zur Einkommensteuer 1990, 1992, 1993

Zinsen zur Vermögensteuer 1990, 1991, 1992, 1993

In der Streitsache

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht, des Richters am Finanzgericht und der Richterin am Finanzgericht sowie der ehrenamtlichen Richter und

auf Grund mündlicher Verhandlung vom 08. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Bescheid über Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1.1.1990 vom 28. Dezember 2001 sowie die Zinsbescheide zur Vermögensteuer 1990, 1991 und 1992 vom 15. Januar 2002 und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 3. März 2005 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 1990, 1992 bis 1993 und Vermögensteuer auf den 1.1.1993 sowie der Bescheid über Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1.1.1990 noch innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen worden sind.

Die Kläger sind die Gesamtrechtsnachfolger der am 2. August 2002 verstorbenen Frau S

Frau S wurde in den Streitjahren 1990, 1992 und 1993 mit ihrem Ehemann, dem am 1. September 1997 verstorbenen Herrn S, zusammen zur Einkommensteuer und zu den Hauptveranlagungszeitpunkten auf den 1.1.1989 und 1.1.1993 zusammen zur Vermögensteuer veranlagt. In den die Streitjahre betreffenden Einkommensteuererklärungen, die am 19. Februar 1991 für 1990, am 27. Dezember 1993 für 1992 und am 1. Juni 1995 für 1993 beim Beklagten (dem Finanzamt - FA - ) eingingen, erklärten die Ehegatten S bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Wesentlichen nur die in- und ausländischen Erträge aus einem Wertpapierdepot bei der H-Bank. Das FA erfasste die erklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen in den zum Teil mehrfach geänderten Einkommensteuerbescheiden 1990, 1992 und 1993. In den Vermögensteuererklärungen zu den Hauptveranlagungszeitpunkten 1.1.1989 und 1.1.1993, die am 7. April 1989 bzw. am 19. Januar 1996 beim FA eingingen, erklärten die Ehegatten S beim sonstigen Vermögen nur den jeweiligen Kurswert des Wertpapierdepots bei der H-Bank. Der Vermögensteuer-Bescheid auf den 1.1. 1989 wurde am 9. August 1989, der Vermögensteuer-Bescheid auf den 1.1. 1993 wurde am 13. Februar 1996 erlassen. Eine Aufforderung zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1.1.1990 erfolgte zunächst nicht.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2001 meldete Frau S bislang nicht erklärte Kapitaleinkünfte und Vermögenswerte aus einem ihr gehörenden Wertpapierdepot in der Schweiz für die Jahre 1994 - 1998 nach. Mit Schreiben vom 13. November 2001 forderte das FA Frau S auf, u.a. berichtigte Einkommensteuererklärungen für 1990 bis 1993 sowie Vermögensteuererklärungen auf den 1.1.1990 bis 1.1.1993 einzureichen. Da Frau S dieser Aufforderung nicht nachkam, schätzte das FA die Einkünfte aus dem Wertpapierdepot in der Schweiz auf 90.000 DM in 1990, 100.000 DM in 1992 und 110.000 DM in 1993 und den Kurswert des sich in dem Depot befindlichen Kapitalvermögens auf 2,2 Mio. DM zum 1.1.1990, 1.1.1991 und 1.1.1992 sowie auf 3 Mio. DM zum 1.1.1993. Am 20. Dezember 2001 erließ das FA den nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 1990 sowie den Bescheid auf den 1.1.1990 über Vermögensteuer-Neuveranlagung, mit dem die Vermögensteuer 1990 bis 1992 festgesetzt wurde. Am 30. April 2003 erließ das FA jeweils geänderte Einkommensteuerbescheide 1992 und 1993 und den geänderten Vermögensteuerbescheid auf den 1.1.1993. Die dagegen eingelegten Einsprüche, mit denen vorgebracht wurde, dass die Steuerfestsetzungen wegen eingetretener Festsetzungsverjährung unzulässig seien, weil der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt sei, blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 3. März 2005).

Dagegen richtet sich die Klage. Die Kläger tragen vor, die angefochtenen Steuerbescheide seien rechtswidrig, weil sie nach Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen worden seien. Die vom FA angenommene Zehnjahresfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei nicht einschlägig, denn Vorsatz als subjektives Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung habe das FA nicht nachgewiesen. Der Grundsatz "in dubio pro reo" finde auch im finanzgerichtlichen Verfahren Anwendung. Damit sei das FA nicht zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt gewesen, denn ohne den Nachweis einer Steuerhinterziehung habe auch keine Befugnis des FA bestanden, Zahlen zur Aufklärung des Sachverhalts anzufordern, da diese für das Besteuerungsverfahren nicht erforderlich seien. Mangels einer Verpflichtung zur Vorlage von Zahlenmaterial für die Jahre 1990 bis 1993 könne keine Mitwirkungspflichtverletzung nach § 90 Abs. 2 AO vorliegen. Die Eheleute S seien gutgläubig davon ausgegangen, dass die Erträge aus dem Depot in der Schweiz nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen und die Schweizer Steuer durch die Quellensteuer abgegolten sei. Auch sei ihnen nicht bekannt gewesen, dass das Kapitalvermögen des Schweizer Depots in Deutschland der Vermögensteuer unterliege. Im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen hätten sie sich - in Unkenntnis der Steuerpflicht der ausländischen Kapitaleinkünfte in Deutschland - keine Gedanken über die diesbezügliche Steuerpflicht gemacht. Da es ihnen am Vorsatz gefehlt habe, könne ihnen allenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. Erst im Frühjahr 2001 habe Frau S anlässlich eines Beratungsgesprächs mit einem neuen Steuerberater ihren Irrtum erkannt und noch zu ihren Lebzeiten alles daran gesetzt, um die steuerliche Situation der Vorjahre zu korrigieren.

Die Kläger beantragen

die Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 1990 vom 20. Dezember 2001, der Einkommensteuerbescheide 1992 und 1993 vom 30. April 2003, des Bescheids über Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1.1.1990 vom 28. Dezember 2001, des Bescheids über Vermögensteuer-Hauptveranlagung auf den 1.1.1993 vom 30. April 2003, der jeweiligen Zinsbescheide zur Einkommensteuer und Vermögensteuer, des Solidaritätszuschlagsbescheides zur Einkommensteuer 1992 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 3. März 2005, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

Klageabweisung und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.

Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. November 2006 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nur teilweise begründet.

1. Das FA hat die angefochtenen Einkommensteuerbescheide und den Vermögensteuerbescheid zum 1.1.1993 innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen.

Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nur innerhalb der Festsetzungsfrist zulässig. Die Festsetzungsfrist beträgt 4 Jahre; sie verlängert sich auf zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden ist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die jeweilige Steuererklärung eingereicht worden ist, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Beginn der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1990 war damit der Ablauf des Jahres 1991, für die Einkommensteuer 1992 der Ablauf des Jahres 1993, für die Einkommensteuer 1993 der Ablauf des Jahres 1995 und für die Vermögensteuer auf den 1.1.1993 der Ablauf des Jahres 1996.

Im Streitfall greift die zehnjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ein, so dass die angefochtenen Bescheide innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen sind. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Nichterklärung der Einkünfte aus dem Wertpapierdepot in der Schweiz und des betreffenden Vermögens durch die Eheleute S zumindest mit bedingtem Vorsatz erfolgte und damit den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfüllt hat. Ausreichend ist, wenn einer der Ehegatten den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt hat (Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 169 Rz. 23). Die verlängerte Festsetzungsfrist greift auch gegenüber den Klägern als Gesamtrechtsnachfolger von Frau S ein, da sie in vollem Umfang in deren rechtliche Stellung eintreten (Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 169 Rz. 24).

Es ist nicht glaubhaft, dass weder Herr S noch Frau S Kenntnis von der Steuerpflicht der Erträge aus dem Schweizer Depot bzw. dessen Vermögenswert in Deutschland hatten. Sowohl in der Anlage KSO als auch in der Anlage AUS wird deutlich die Angabe der ausländischen Kapitaleinkünfte gefordert. Auch in der Vermögensteuerklärung wird deutlich nach ausländischen Vermögenswerten gefragt. So sind in getrennten Zeilen inländische und ausländische Zahlungsmittel und Guthaben anzugeben (Zeilen 57 bis 65). In Zeile 66 wird ausdrücklich die Angabe von Anteilen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften verlangt. Da die Eheleute S die Steuererklärungen bis zum Jahr 1991 selbst anfertigten, können ihnen diese Hinweise nicht entgangen sein. Soweit aus den in dem Depot bei der H-Bank enthaltenen ausländischen Wertpapieren Erträge in vergleichsweise geringem Umfang zugeflossen sind, wurden diese auch erklärt. Dass die Eheleute S gutgläubig der Auffassung gewesen sein sollen, die ganz erheblichen Kapitaleinkünfte aus dem Schweizer Wertpapierdepot unterlägen nur dem Quellensteuerabzug in der Schweiz, seien aber im Rahmen der deutschen Einkommensteuer und Vermögensteuer steuerfrei und müssten nicht einmal in den Steuererklärungen - obwohl nach ausländischen Einkünften bzw. nach ausländischen Vermögenswerten gefragt wird - angegeben werden, ist realitätsfremd. Der vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung, die Rechtslage hinsichtlich der Steuerpflicht von ausländischen Kapitaleinkünften bzw. ausländischem Kapitalvermögen sei zum damaligen Zeitpunkt für die meisten Steuerpflichtigen und selbst für manche Steuerberater unklar gewesen, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr wurde damals bereits seit Jahren eine intensive politische Diskussion darüber geführt, wie die Besteuerung von Kapitaleinkünften sichergestellt werden könne, da Kontrollmechanismen zum damaligen Zeitpunkt nicht bestanden. Dies hat schließlich zum sog. Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (Bundessteuerblatt - BStBl - II 1991, 654) und den darauf folgenden gesetzgeberischen Maßnahmen geführt. Nicht die Rechtslage war unklar, sondern welche Maßnahmen vom Gesetzgeber ergriffen würden, um die Durchsetzung des Steueranspruchs zu sichern.

Es mag zutreffen, dass - wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben -die Vermögensverwaltung hinsichtlich des Schweizer Vermögens durch die Schweizer Bank erfolgt ist und die Eheleute S dabei nicht aktiv mitwirken mussten. Gerade bei einer Vermögensverwaltung durch einen professionellen Finanzdienstleister spielen aber - wenn es um grundsätzliche strategischen Fragen der Ausrichtung des Depots geht, die nur unter Einbindung der Eigentümer erfolgen können - die steuerlichen Aspekte eine ganz entscheidende Rolle. Auch in diesem Zusammenhang kann es den Ehegatten S nicht entgangen sein, dass es nicht nur die Schweizer Quellensteuer ist, die bei den Anlageentscheidungen zu beachten ist, sondern auch die Steuern des Wohnsitzstaates.

Da der Senat keine Zweifel am Hinterziehungsvorsatz hat, ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht verletzt. Denn für die Feststellung der Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 Finanzgerichtsordnung (FGO) von Amts wegen zu treffen ist, ist kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen (vgl. BFH-Urteil vom 21. November 1988 III R 194/84, BStBl II 1989, 216).

Das FA war zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Erträge und des Werts des Wertpapierdepots in der Schweiz nach § 162 Abs. 1 und 2 Satz 1 AO berechtigt, denn die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgängerin haben dadurch, dass sie den Aufforderungen des FA zur Erklärung der die Streitjahre betreffenden Besteuerungsgrundlagen nicht nachgekommen sind, ihre Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 und Abs. 2 AO verletzt. Da die Ansprüche nicht verjährt waren, war die Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts i.S.v. § 90 Abs. 1 AO erforderlich. Das FA hatte keine andere Möglichkeit zur Ermittlung des Sachverhalts.

Es bestehen auch keine Bedenken gegen die Höhe der vom FA geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Ziel der Schätzung ist es, anhand der vorhandenen Anhaltspunkte mit Hilfe eines verminderten Beweismaßes den Sachverhalt so zu ermitteln, dass die Besteuerungsgrundlagen die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Daher sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 162 Abs. 1 S. 2 AO). Die gewählte Schätzungsmethode muss dem Ziel gerecht werden, den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst nahe zu kommen. Die Schätzung muss in sich schlüssig sein, ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. Schöll/Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 162 Rz. 20). Diesen Anforderungen ist das FA im Streitfall gerecht geworden, denn sowohl bei der Einkommensteuer als auch bei der Vermögensteuer hat sich das FA an den für das Jahr 1994 erklärten Kapitaleinkünften und den zum Stichtag 1.1.1994 erklärten Depotwert orientiert und diese Zahlen, vermehrt um einen Sicherheitszuschlag, fortgeschrieben. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des BFH erweist sich eine Schätzung erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt; wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige -wie im Streitfall - seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen möchte (BFH-Urteil vom 13. Juli 2000 - IV R 55/99, BFH/NV 2001, 3). Dass das FA den Schätzungsrahmen verlassen hätte, ist aus den Umständen nicht ersichtlich und wird von den Klägern auch nicht geltend gemacht.

2. Der Bescheid über Vermögensteuer-Neuveranlagung zum 1.1.1990 ist erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen, so dass der Klage insoweit stattzugeben ist.

Der Beginn der Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer-Neuveranlagung richtet sich - solange der Stpfl. nicht gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Vermögensteuergesetz (VStG) i.V.m. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO zur Abgabe einer Erklärung aufgefordert worden ist - nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 5 Abs. 2 VStG. Damit beginnt die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1.1.1990 mit Ablauf des Jahres 1990. Mit der Aufforderung zur Abgabe der Vermögensteuererklärung auf den 1.1.1990 greift zwar grundsätzlich die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ein mit der Folge, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall hat das FA Frau S jedoch erst am 13. November 2001 und damit nach Ablauf der sich aus § 170 Abs. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ergebenden zehnjährigen Festsetzungsfrist zur Abgabe der Vermögensteuererklärung für die Neuveranlagung auf den 1.1.1990 aufgefordert (zur Hinterziehung der Vermögensteuer auf Neuveranlagungszeiträume durch Unterlassen trotz fehlender Aufforderung zur Erklärungsabgabe vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 2005 II R 63/04, BFH/NV 2006, 1061). Ergeht die Aufforderung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist, so kann sie keine anlaufhemmende Wirkung mehr haben (BFH-Urteil vom 6. Dezember 2000 II R 44/98, BFH/NV 2001, 574). Entgegen der Auffassung des FA greift die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 4 AO nicht ein. Diese Vorschrift wäre nur anwendbar, wenn für die vorausgegangene Hauptveranlagung zur Vermögensteuer auf den 1.1.1989 der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO hinausgeschoben worden wäre. In diesem Fall würde der Beginn der Festsetzungsfrist für das Folgejahr um die gleiche Zeit hinausgeschoben. Da die Vermögensteuererklärung auf den 1.1.1989 aber noch im Jahr 1989 eingereicht worden ist, ist es zu keinem Hinausschieben des Beginns der Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer zum 1.1.1989 gekommen. Der Vermögensteuerbescheid auf den 1.1.1990 vom 28. Dezember 2001 ist damit rechtswidrig und aufzuheben.

Der Bescheid über Zinsen zur Vermögensteuer 1990 bis 1992 vom 15. Januar 2002 ist Folgebescheid des Vermögensteuerbescheids 1990 im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO und dementsprechend ebenfalls aufzuheben.

3. Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer und Vermögensteuer 1993 und Solidaritätszuschlag richtet. Der Einkommensteuerbescheid bzw. Vermögensteuerbescheid ist Grundlagenbescheid für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO; ebenso ist der Einkommensteuerbescheid Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags (vg. Schöll/Leopold/Madle/Rader, AO § 171 Rz. 34). Die Kläger begründen die Klage gegen Zinsen und Solidaritätszuschlag nur mit Einwendungen, die die Rechtmäßigkeit der Grundlagenbescheide betreffen. Mit diesen Einwendungen kann der Kläger jedoch nur im Klageverfahren gegen die Grundlagenbescheide, nicht gegen die Folgebescheide gehört werden (§ 351 Abs. 2 AO).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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