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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 22.04.2009
Aktenzeichen: 9 K 3729/08
Rechtsgebiete: StÄndG 2007, EStG, GG


Vorschriften:

StÄndG 2007 Art. 1
EStG § 32 Abs. 4
EStG § 62
EStG § 63 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In der Streitsache

...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

...

ohne mündlichen Verhandlung

am 22. April 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob Kindergeld nach Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes zu gewähren ist.

Die beklagte Familienkasse (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 18. September 2008 die Kindergeldfestsetzung für die studierende, im Oktober 1983 geborene Tochter des Klägers, ab November 2008 auf. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Auf die Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2008 wird ergänzend Bezug genommen.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung.

Zur Begründung trägt er vor, dass er die gesetzliche Herabsetzung der Beschränkung des Kindergeldes auf das 25. Lebensjahr für verfassungswidrig halte. Die Herabsetzung verletze den Vertrauensschutz, den Gleichbehandlungsgrundsatz und Art. 6 Grundgesetz (GG). Aufgrund der vorherigen Regelung, mit der die Beschränkung des Kindergeldes auf das 27. Lebensjahr festgelegt war, habe er Dispositionen getroffen, nämlich von der Kindesmutter keinen Unterhalt verlangt, welche nun unterlaufen würden.

Außerdem könne man nicht mit 25 Jahren bereits das Studium beendet haben. Andere hätten bis zum Alter von 27 Jahren die Förderung erhalten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 18. September 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für das Kind Nadine ab November 2008 für die weitere Dauer der Ausbildung, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres Kindergeld zu bezahlen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass nach der Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 die Höchstaltersgrenze für den Bezug von Kindergeld auf das 25. Lebensjahr herabgesetzt worden sei. Sofern keine Verlängerungstatbestände bestünden, sei die Familienkasse an die gesetzlich vorgesehene Altersgrenze gebunden.

Die Parteien haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Familienkasse hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab November 2008 für seine Tochter nach § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben, da sie im Oktober 2008 ihr 25. Lebensjahr vollendet hat und ein Verlängerungstatbestand nicht vorliegt.

Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers geht der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit dieser gesetzlichen Regelung aus.

Die zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Absenkung der Altersgrenze von 27 auf 25 Jahren durch Artikel 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. 2006, 1652) verstößt weder gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder Art 6 GG. Es handelt es sich um eine nicht zu beanstandende politische Entscheidung (Schmidt, EStG, 27. Aufl., § 32 Rz. 3). Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum. Diesen hat er mit der Herabsetzung der Altersgrenze von 27 auf 25 Jahre in zulässiger Weise ausgeübt.

Insbesondere ist nicht erkennbar, dass ein über Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geschütztes Vertrauen des Klägers auf die weitere Gewährung des Kindergeldes in rechtsstaatlich nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt worden wäre.

Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können Grundrechte berühren, wobei in die erforderliche grundrechtliche Bewertung die Grundsätze des Vertrauensschutzes einfließen (BVerfG-Beschluss vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200). Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen; es ist abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. Jarass/ Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 20, Rdnr. 73a, m.w.N.).

Es kann offen bleiben, ob Art 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 ein Gesetz mit unechter Rückwirkung ist. Hiergegen spricht, dass die Einschränkung der Kindergeldberechtigung als Rechtsfolge nach den Bestimmungen des Gesetzes erst in der Zukunft mit Inkrafttreten des Gesetzes greift. Dabei knüpft der Tatbestand an das Erreichen der Altersgrenze in der Zukunft an (Urteil des Niedersächsischen FG vom 18. November 2008 15 K 101/08, EFG 2009, 359).

Selbst wenn es sich dabei um ein Gesetz mit unechter Rückwirkung handeln würde, wäre der Kläger nicht in dem ihm gegen Gesetze mit unechter Rückwirkung zukommenden Vertrauensschutz verletzt. Im Streitfall ist nicht erkennbar, welche konkrete Disposition er gerade im Hinblick auf die Kindergeldgewährung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres getätigt haben soll. Aufgrund seiner Einlassung ist insbesondere nicht feststellbar, dass er im Hinblick auf die bisherige Gesetzeslage eine Disposition getroffen hätte, die nach Änderung des Gesetzes aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen für die Zukunft nicht mehr geändert werden könnte. Außerdem hatte der Kläger über zwei Jahre Zeit, sich auf die geänderte Gesetzeslage einzustellen. Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (BVerfG-Beschluss vom 25. Juli 2007 1 BvR 1031/07, HFR 2007, 1024).

Insbesondere dann, wenn die beeinträchtigte Rechtsposition auf staatlicher Gewährung beruht, geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Steuerpflichtigen vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2007, 1024).

Selbst wenn der Kläger einen Vertrauensschaden erlitten hätte, müsste bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Ausmaß dieses Vertrauensschadens und dem Anliegen der Allgemeinheit, vor Belastungen geschützt zu werden, die durch unzielstrebige Ausbildungsverlängerung verursacht werden, das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage zurückzutreten.

Mit der Entscheidung, die Altersgrenze für den Bezug des Kindergeldes herabzusetzen, verfolgt der Gesetzgeber legitime Gemeinwohlziele. Das nach der Begründung der Gesetzesänderung für das Steueränderungsgesetz 2007 (Bundestagsdrucksache 16/1545) verfolgte Anliegen, mit der Absenkung der Altersgrenze einer künftig veränderten Bildungsstruktur mit schneller zu erreichenden Schulabschlüssen Rechnung zu tragen und gleichzeitig gewisse Anreize zu schaffen, ein aufgenommenes Studium zügiger zu beenden, sind anzuerkennende Motive und Ziele des Gesetzgebers. Diese Maßnahme entspricht zudem der Reform der schulischen Ausbildung, durch die Kinder wegen des vorgezogenen Schuleintrittsalters und des nach 12 statt 13 Schuljahren vorgesehenen Abiturs früher als bisher eine Berufs- oder Hochschulausbildung beginnen und somit auch in jüngeren Jahren abschließen können. Mit dem vorgezogenen Schuleintritt und dem früheren Abitur besteht in der Regel die Möglichkeit, eine Berufsausbildung vor der Vollendung des 25. Lebensjahres abzuschließen. An der Verfassungsmäßigkeit bestehen auch dann keine Zweifel, wenn einige Ausbildungsgänge in der Regel über das 25. Lebensjahr eines Kindes hinausgehen (Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Loseblattsammlung § 32 Rn 83).

Zwar haben sich die einzelnen Bundesländer seit 2001 zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Einführung des achtjährigen Gymnasiums entschieden, der Gesetzgeber war jedoch im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis wegen der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern berechtigt, das Berücksichtigungsalter ab einem bestimmten Termin auf 25 Jahre herabzusetzen, unabhängig davon, ob nun im Einzelfall eine zwölf- oder dreizehnjährige Schulausbildung vorgesehen war (vgl. Urteil des Niedersächsischen Finanzgericht in EFG 2009, 359). Um die durch diese Neuregelung entstehenden Härten für diejenigen Kinder zu entschärfen, die bei der Gesetzesänderung bereits kurz vor der Vollendung des 25. Lebensjahres standen, wurde in § 52 Abs. 40 Satz 4 EStG eine gleitende Übergangsregelung getroffen.

Entgegen dem Einwand des Klägers war es auch schon vor der Einführung des vorgezogenen Schuleintritts und des nach 12 statt 13 Schuljahren vorgesehenen Abiturs möglich, das Studium bereits vor Vollendung des 27. Lebensjahres zu beenden. Die Kinder des Geburtsjahres 1983 waren grundsätzlich in der Lage, ihre Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zu beenden. Der Tochter des Klägers wäre es selbst bei einem Schuleintritt mit sieben Jahren und 13 Schuljahren möglich gewesen, ihre Schulausbildung mit 20 Jahren abzuschließen. Angesichts einer Regelstudienzeit für die meisten Fächer von neun Semestern wäre sie in der Lage gewesen, ihre Berufsausbildung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zu beenden. Der Kläger kann auch nicht mit seinem Einwand gehört werden, dass ein Junge, der zum Militär müsse, nicht mit 25 Jahren mit dem Studium fertig sein könne, denn zum Ausgleich des gesetzlichen Grundwehrdienstes sieht das Gesetz eine Berücksichtigung dieser Kinder über das 25. Lebensjahr hinaus vor (§ 32 Abs. 5 EStG). Der Gesetzgeber darf typisierte Fälle zugrunde legen, die realitätsgerecht sind. Besonderheiten des Einzelfalls - wie das krankheitsbedingte Wiederholen einer Klasse und einen Auslandsaufenthalt - musste der Gesetzgeber nicht berücksichtigen. Im Rahmen der Typisierung darf der Gesetzgeber gerade im Steuerrecht Besonderheiten des Einzelfalls unberücksichtigt lassen.

Entgegen dem Vorbringen des Klägers liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art 3 GG) vor. Die Absenkung der Altersgrenze verstößt auch im Hinblick darauf, dass der Kindergeldbezug nach der bisherigen Gesetzeslage bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres möglich war, nicht gegen Art. 3 GG. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es dem Gesetzgeber nicht, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen (BVerfG-Beschluss vom 26. Juni 2007 1 BvR 2204/00, [...]). Will der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten der Bürger fördern, das ihm aus wirtschafts-, sozial-, umwelt-, oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünscht ist, hat er eine große Gestaltungsfreiheit. In der Entscheidung darüber, welche Personen oder Unternehmen durch finanzielle Zuwendung oder Verschonung von Besteuerung des Staates gefördert werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei. Zwar bleibt er auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet jedoch nur, dass er seine Leistungen und Befreiungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen darf (BVerfG in HFR 2007, 1024). Sachbezogene Differenzierungskriterien stehen dem Gesetzgeber aber in weitem Umfang zu Gebote; solange die Regelung sich auf eine der Lebenserfahrung nicht geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebensverhältnisse stützt.

Da der Gesetzgeber, wie oben dargelegt, mit der Absenkung der Altersgrenze legitime Gemeinwohlziele verfolgt, ist der allgemeine Gleichheitssatz nicht verletzt.

Ein Verstoß gegen Art. 6 GG liegt nicht vor, da die Unterstützung der Familien im Ermessen des Gesetzgebers liegt. Dieses Ermessen hat er aber mit der Herabsetzung der Altersgrenzen pflichtgemäß ausgeübt. Insbesondere kann bei einer Gesamtbetrachtung der Leistungen, die der Staat für Kinder erbringt, nicht festgestellt werden, dass durch die Absenkung der Altersgrenze bei Kindern in Berufsausbildung von 27 auf 25 Jahre die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, EFG 2009, 359).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob die Herabsetzung der Altersgrenze durch § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist, nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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