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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht München
Urteil verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: 9 K 4047/06
Rechtsgebiete: AO, EStG, InsO


Vorschriften:

AO § 37 Abs. 2
EStG § 70 Abs. 2
EStG § 76 Satz 1
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht München

9 K 4047/06

Kindergeld

In der Streitsache ...

hat der 9. Senat des Finanzgerichts München

unter Mitwirkung

des ... des Finanzgerichts,

des Richters am Finanzgericht ... und

des Richters am Finanzgericht ... sowie

der ehrenamtlichen Richterinnen ... und ...

ohne mündliche Verhandlung

am 19. September 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (die Familienkasse) berechtigt war, das in der Zeit eines laufenden Insolvenzverfahrens zu Unrecht ausgezahlte Kindergeld von der Klägerin zurückzufordern.

Die Klägerin bezog für ihre am ... 1999 geborene Tochter ... (N) Kindergeld ab November 1999. Gemäß ihrem Kindergeldantrag vom 22. April 2000, wurde das Kindergeld auf das auf ihren Namen lautende Konto ... bei der Kreissparkasse X ausbezahlt.

Aufgrund eines Ende 2004 erfolgten Datenabgleichs mit der Meldebehörde wurde zunächst der Wohnsitzwechsel der Klägerin nach Y bekannt. Nachdem ein an die Klägerin gerichtetes Schreiben der dadurch zuständig gewordenen beklagten Familienkasse als unzustellbar zurückgekommen war, wurde der Familienkasse aufgrund der daraufhin angestellten Ermittlungen Anfang August 2005 bekannt, dass die Klägerin am 27. August 2004 von Y aus nach W (Österreich) verzogen war.

Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 1. Juni 2004 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Lt. Mitteilung des Insolvenzverwalters, ..., wurde das Guthaben auf dem Konto bei der Kreissparkasse X in Höhe von ... EUR am 27. März 2006 zur Masse gezogen.

Mit Bescheid vom 22. August 2006 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für N ab September 2004 auf und forderte Kindergeld für den Zeitraum September 2004 bis einschließlich August 2005 in Höhe von 1.848 EUR zurück. Der hiergegen erhobene Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin hiergegen. Zur Begründung verweist sie darauf, dass sie auf das Konto bei der Kreissparkasse X, auf das die Familienkasse das Kindergeld für den streitigen Zeitraum überwiesen habe, aufgrund ihrer Privatinsolvenz seit März 2004 keinen Zugriff mehr gehabt habe. Das Konto sei vom Insolvenzverwalter übernommen und das darauf eingegangene Kindergeld zur Rückzahlung ihrer Schulden gepfändet worden. Empfänger der Kindergeldleistungen sei daher nicht sie, sondern der Insolvenzverwalter gewesen. Dies habe sie der Familienkasse im Einspruchsschreiben auch mitgeteilt. Es wäre daher Sache der Familienkasse gewesen, den tatsächlichen Empfänger des unrechtmäßig ausgezahlten Kindergelds zu ermitteln und es von diesem zurückzufordern. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Familienkasse trotz Kenntnis ihres Wegzugs aus Deutschland das Kindergeld weiterbezahlt habe. Des Weiteren sei der Insolvenzverwalter mit Schreiben des Rechtsanwalts ... vom 13. April 2005 aufgefordert worden, das Konto freizugeben. Auf dieses Schreiben sei aber keine Reaktion von Seiten des Insolvenzverwalters erfolgt.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den Bescheid vom 22. August 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 22. September 2006 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie darauf, dass das Kindergeld auf das von der Klägerin bestimmte Konto überwiesen worden und mit Eingang des Geldes auf dem Konto Erfüllungswirkung eingetreten sei. Die Klägerin müsse daher als Empfängerin der Leistung gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) das ohne Rechtsgrund gezahlte Kindergeld zurückerstatten.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 22. September 2006, die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse hat für die Zeit ab September 2004 zu Recht die Kindergeldfestsetzung aufgehoben. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22. August 2006 war zu Recht an die Klägerin gerichtet. Die Familienkasse kann auch das für den Zeitraum September 2004 bis August 2005 ohne Rechtsgrund ausbezahlte Kindergeld von der Klägerin zurückfordern.

a) Die Klägerin hat für ihre Tochter N für den Zeitraum September 2004 bis August 2005 keinen Anspruch auf Kindergeld. Die Kindergeldfestsetzung wurde zu Recht für den Zeitraum ab September 2004 aufgehoben. Gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) hat Anspruch auf Kindergeld, wer im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies trifft in dem streitigen Zeitraum auf die Klägerin nicht zu, da sie seit August 2004 ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat. Auch § 62 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nicht erfüllt, da die Klägerin im streitigen Zeitraum nicht nach § 1 Abs. 2 oder 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war.

Die Kindergeldfestsetzung war daher gemäß § 70 Abs. 2 EStG ab September 2004 aufzuheben. Das für den Zeitraum September 2004 bis August 2005 gezahlte Kindergeld ist gemäß § 37 Abs. 2 AO zurückzuzahlen, da mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch den Bescheid vom 22. August 2006 der Rechtsgrund für diese Zahlungen weggefallen ist.

b) Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22. August 2006 ist zu Recht an die Klägerin gerichtet und ihr bekannt gegeben worden. Er war trotz des laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses nicht an den Insolvenzverwalter zu richten.

aa) Gemäß § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Der Schuldner bleibt aber weiterhin Eigentümer der massezugehörigen Sachen und Rechte (Bundesgerichtshof - BGH - Urteil vom 30. Oktober 1967 VIII ZR 176/65, Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen -BGHZ -49, 11 zu dem vergleichbaren § 6 Konkursordnung -KO; Kroth in Braun, Insolvenzordnung - InsO, 2. Aufl., § 80 Rz. 11). Sofern das Vermögen des Insolvenzschuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört, behält der Schuldner das Verfügungs- und Verwaltungsrecht. Das Vermögen des Schuldners gliedert sich somit im Insolvenzverfahren in massezugehöriges und insolvenzfreies Vermögen.

Gemäß § 35 InsO (seit 1. Juli 2007 § 35 Abs. 1 InsO aufgrund der Änderung durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007, Bundesgesetzblatt - BGBl. -I 2007, 509) gehört zur Insolvenzmasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nicht zur Insolvenzmasse gehören jedoch Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist eine Pfändung nur einzelnen Gläubigern möglich, führt dies nicht zum Insolvenzbeschlag des Vermögensgegenstandes. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Vermögensgegenstand allen Gläubigern zugänglich ist (Bäuerle in Braun, InsO, 2. Aufl., § 36 Rz. 3; Eickmann in Eickmann/Flessner/Irschlinger, InsO, 4. Aufl., § 36 Rz. 5). Nimmt der Insolvenzverwalter einen Gegenstand, der nicht zur Insolvenzmasse gehört in Besitz, hat er ihn freizugeben. Die Freigabe hat in diesem Fall lediglich deklaratorische Wirkung, da der Gegenstand nicht in die Insolvenzmasse gelangt ist und der Insolvenzverwalter in diesem Fall lediglich die fehlende Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse anerkennt (unechte Freigabe; Bäuerle in Braun, InsO, 2. Aufl., 35 Rz. 11).

bb) Gemäß § 76 Satz 1 EStG kann der Anspruch auf Kindergeld nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt wird, gepfändet werden. Alle anderen Gläubiger sind von der Pfändung ausgeschlossen (Felix, Kindergeldrecht, 2005, § 76 EStG, Rz. 14). Folglich können nicht alle Gläubiger auf den Anspruch auf Kindergeld zugreifen, so dass dieser nicht in die Insolvenzmasse fällt.

Sofern der Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Kindergeld besitzt, muss eine Festsetzung von Kindergeld auch während eines laufenden Insolvenzverfahrens ihm gegenüber erfolgen, da dieser Anspruch zum insolvenzfreien Vermögen gehört (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung - AO/FGO - Kommentar, § 122 AO Tz. 36).

Die Familienkasse war daher allein wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin am 1. Juni 2004 nicht gezwungen, die Kindergeldfestsetzung zu ändern und das Kindergeld an den Insolvenzverwalter auszuzahlen.

cc) Der Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids vom 22. August 2006 war nicht gemäß §§ 87, 89 InsO unzulässig. Der Rückforderungsanspruch ist keine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO.

Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen (Insolvenzforderungen) nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Sie müssen somit ihre im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensansprüche gegen den Insolvenzschuldner nach den Vorschriften der §§ 174 f. InsO beim Insolvenzverwalter anmelden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dürfen deshalb -zumindest bis zum Abschluss des Prüfungstermins (Bundesfinanzhof -BFH -Urteil vom 24. August 2004 VIII R 14/02, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFHE -207, 10, BStBl II 2005, 246) -keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt oder Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630). Ein gegen das Verbot des § 87 InsO erlassener Steuerbescheid ist gem. § 125 AO nichtig (Welzel, Deutsche Steuerzeitung - DStZ -1999, 559).

Eine Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO liegt dann vor, wenn sie zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet ist. Ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 2 AO) ist zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens insolvenzrechtlich bereits begründet, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist (BFH-Urteil vom 17. April 2007 VII R 34/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR -2007, 731). Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zählt auch der Erstattungsanspruch einer Steuervergütung (§ 37 Abs.1, 2 AO) wie die Rückforderung von Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG).

Im vorliegenden Fall liegt der streitige Kindergeldbezugszeitraum nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin am 1. Juni 2004. Folglich war der streitige Erstattungsanspruch erst nach Insolvenzeröffnung begründet, da das zurückgeforderte Kindergeld für die Zeit danach ausbezahlt wurde.

dd) Der Kindergelderstattungsanspruch für den Zeitraum September 2004 bis August 2005 stellt auch keine Masseverbindlichkeit dar. Er richtet sich gegen das insolvenzfreie Vermögen. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22. August 2006 wurde daher zu Recht nicht an den Insolvenzverwalter, sondern an die Klägerin gerichtet.

aaa) Sofern eine Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wird, kann es sich um eine Masseverbindlichkeit (§§ 53 bis 55 InsO) oder um eine sonstige in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners gerichtete Verbindlichkeit handeln. Sofern es sich um eine Masseverbindlichkeit handelt, ist der Steuerbescheid an den Insolvenzverwalter zu richten (BFH-Urteil16. Juli 1987 V R 2/81, BFHE 150, 215, BStBl II 1988, 190), da eine solche Verbindlichkeit aus der Insolvenzmasse zu berichtigen ist (§ 53 InsO), über die allein der Insolvenzverwalter verfügungsberechtigt ist (§ 80 InsO). Sofern es sich um eine sonstige Verbindlichkeit handelt, ist sie unmittelbar gegenüber dem Insolvenzschuldner geltend zu machen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Tz. 40).

Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 53 InsO sind die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO). Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten zählen Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Ferner gehören dazu Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, sowie Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Sofern keine Masseverbindlichkeit vorliegt, steht für eine nach Insolvenzeröffnung begründete Forderung gegenüber dem Insolvenzschuldner nur dessen insolvenzfreies Vermögen zur Verfügung (Bäuerle in Braun, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz. 12).

bbb) §§ 54 und 55 InsO sind nicht erfüllt. Bei dem Kindergelderstattungsanspruch handelt es sich insbesondere um keine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr.1 InsO, da er nicht durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet wurde. Der aufgrund der Kindergeldfestsetzung entstandene Kindergeldanspruch der Klägerin fiel aufgrund seiner eingeschränkten Pfändbarkeit (§ 76 Satz 1 EStG) nicht in die Insolvenzmasse (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Er gehörte zum insolvenzfreien Vermögen der Klägerin. Eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung dieser für Zeiten nach Insolvenzeröffnung gezahlten Beträge betrifft daher das insolvenzfreie Vermögen und kann daher nicht durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden.

ccc) Es liegt auch keine ungerechtfertigte Bereicherung der Masse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor.

aaaa) § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO stellt einen §§ 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vergleichbaren Bereicherungsanspruch dar (Bäuerle in Braun, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz. 41; Hefermehl in Münchner Kommentar, InsO, § 55 Rz. 212). Bei der Auslegung des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind die zu §§ 812 ff. BGB entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Die ungerechtfertigte Bereicherung der Masse kann -in Anlehnung an den Tatbestand des § 812 BGB -durch eine Leistung oder in sonstiger Weise erfolgen (sog. Leistungs- oder Nichtleistungskondiktion, vgl. Eickmann in Eickmann/ Flessner/Irschlinger, InsO, 4. Aufl., § 55 Rz. 25; Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz. 183). Ein Anspruch auf ungerechtfertigte Bereicherung entsteht auch dann, wenn der rechtliche Grund für eine Leistung nachträglich wegfällt (vgl. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB). Soweit der Zuwendende etwas zur Erfüllung einer vermeintlichen Leistungsverpflichtung erbracht hat, kommt grundsätzlich allein eine Leistungskondiktion in Betracht. Daneben kann kein Anspruch aus "Bereicherung in sonstiger Weise" mehr bestehen (Vorrang der Leistungskondiktion; BGH-Urteil vom 31. Oktober 1963 VII ZR 285/61, BGHZ 40, 272; Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl., § 812 Rz. 43). § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst nur Bereicherungen, die nach Eröffnung der Insolvenz zugeflossen sind (Eickmann in Eickmann/Flessner/Irschlinger, InsO, 4. Aufl., § 55 Rz. 24). Ungerechtfertigte Bereicherungen, die vor Eröffnung der Insolvenz zufließen, stellen Insolvenzforderungen dar (Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 55 Rz. 184).

bbbb) Die Familienkasse hat nicht in die Masse, sondern in das insolvenzfreie Vermögen geleistet. Die Masse ist daher nicht durch eine Leistung ungerechtfertigt bereichert worden.

Leistung im Bereicherungsrecht ist jede Zuwendung, die bewusst und zweckgerichtet fremdes Vermögen vermehrt (BGH-Urteil vom 31. Oktober 1963 VII ZR 285/61, BGHZ 40, 272; Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl., § 812 Rz. 3). Zahlt eine Behörde aufgrund einer Anweisung des vermeintlichen Vergütungsberechtigten an einen Dritten, so leistet sie nicht an den tatsächlichen Empfänger der Zahlung, sondern an den Anweisenden (BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 48/03, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV -2004, 1218; BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117). Die Behörde erbringt in diesem Fall ihre Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem bisherigen Rechtsinhaber zu erfüllen. Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und die Leistung mit dem Willen erbracht wird, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der nach materiellem Steuerrecht (vermeintlich) Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger anzusehen (BFH-Urteile vom 29. Januar 2003 VIII R 64/01, BFH/NV 2003, 905;vom 25. März 2003 VIII R 84/98, BFH/NV 2003, 1404).

Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Gerichts auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Zwar verliert der Insolvenzschuldner im Hinblick auf die Gegenstände, die zur Insolvenzmasse fallen, durch die Eröffnung der Insolvenz lediglich seine Verfügungsbefugnis, nicht aber seine Rechtsinhaberschaft, so dass auch dann, wenn an den Insolvenzverwalter in die Insolvenzmasse geleistet wird, eine Leistung an den Insolvenzschuldner erfolgt. Durch die Aufteilung des Vermögens des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren in massezugehöriges Vermögen, das vom Insolvenzverwalter verwaltet wird, und insolvenzfreies Vermögen, über das der Insolvenzschuldner verfügen kann, kann eine den sog. Anweisungsfällen vergleichbare Situation entstehen, in der der rechtliche Leistungsempfänger und der tatsächliche Bezieher der Leistung auseinander fallen, wenn jemand auf Anweisung des Insolvenzschuldners eine insolvenzfreie Forderung auf ein vom Insolvenzverwalter verwaltetes Konto erbringt.

Im vorliegenden Fall zahlte die Familienkasse das Kindergeld gemäß dem Kindergeldantrag der Klägerin vom 22. April 2000 auf das Konto ... bei der Kreissparkasse X. Die Zahlungen der Familienkasse erfolgten nach ihrer Intention in Erfüllung des festgesetzten Kindergeldes gegenüber der Klägerin und nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter in die Insolvenzmasse. Von Letzterem könnte nur dann ausgegangen werden, wenn aufgrund einer an den Insolvenzverwalter adressierten Festsetzung geleistet worden wäre. Die Leistung erfolgte daher in das insolvenzfreie Vermögen der Klägerin und nicht in die Insolvenzmasse.

cccc) Auch wenn die Klägerin davon ausging, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Kindergeldzahlung automatisch nicht mehr an sie, sondern an den Insolvenzverwalter als Verfügungsberechtigten über ihr Vermögen erfolgte, erfolgte keine Bereicherung der Insolvenzmasse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

Sofern tatsächlich die Vorstellungen über den Zweck einer Zahlung zwischen den Beteiligten auseinander gehen, hat die Bestimmung des Leistungsempfängers bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers zu erfolgen; maßgebend ist der objektive Empfängerhorizont (BFH-Urteil vom 30. August 2005 VII R 64/04, BFHE 210, 219, BStBl II 2006, 353). Bei objektiver Betrachtungsweise konnte jedoch die Klägerin nicht davon ausgehen, dass die Familienkasse in die Insolvenzmasse leisten wollte. Zum einen erfolgte keine geänderte Kindergeldfestsetzung, die an den Insolvenzverwalter adressiert war. Zum anderen kann vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Zahlung von Kindergeld nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Familienkasse nicht mehr an die Klägerin leisten wollte. Das Kindergeld dient der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bzw. der Förderung der Familie (§ 31 Satz 1, 3 EStG). Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass die Familienkasse mit der Kindergeldzahlung diese Ziele verfolgt und nicht in die Insolvenzmasse zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger leisten will. Die Klägerin muss daher, solange keine konkreten Hinweise für einen anderweitigen Zahlungszweck erkennbar sind, davon ausgehen, dass die Familienkasse in das insolvenzfreie Vermögen der Klägerin leistet wollte. Denn nur dann stehen die Kindergeldzahlungen der Klägerin uneingeschränkt zur Verfügung.

dddd) Sofern durch die Überweisung der Familienkasse auf das vom Insolvenzverwalter verwaltete Konto bei der Kreissparkasse X tatsächlich eine Bereicherung eintrat, ist auch keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO durch ungerechtfertigte "Bereicherung in sonstiger Weise" entstanden. Eine solche Bereicherung kommt nur in Betracht, wenn der Zahlung des Kindergeldes keine Leistung im bereichungsrechtlichen Sinne zugrunde liegen würde. Sofern eine Leistung vorliegt, kommt eine Bereicherung in sonstiger Weise nicht mehr in Betracht (BGH-Urteil vom 4. Februar 1999 III ZR 56/98, NJW 1999, 1393; Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl., § 812 Rz. 43).

Da der Überweisung der Familienkasse eine Leistung an die Klägerin in das insolvenzfreie Vermögen zugrunde lag, kann eine weitere in sonstiger Weise erfolgte tatsächliche Bereicherung der Insolvenzmasse keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche mehr auslösen. Damit kann eine tatsächliche Bereicherung der Insolvenzmasse durch die Überweisung des Kindergelds auf das Konto bei der Kreissparkasse X auch den Tatbestand einer ungerechtfertigten Bereicherung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht mehr erfüllen.

ccc) Die Verneinung des Vorliegens einer Masseverbindlichkeit führt zwar dazu, dass zur Befriedigung eines Kindergelderstattungsanspruchs, je nachdem, ob er mit der Insolvenzeröffnung begründet war oder nicht, unterschiedliche Teile des Vermögens des Insolvenzschuldners zur Verfügung stehen. Denn soweit der Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründet war, stellt der Rückforderungsanspruch eine Insolvenzforderung dar (§ 38 InsO) und nimmt im Rahmen der gesetzlichen Regelungen (§§ 87, 174 ff., 187 ff InsO) an der Verteilung der Insolvenzmasse teil, während er, sofern er nach Insolvenzeröffnung begründet wurde, nur das insolvenzfreie Vermögen zur Befriedigung zur Verfügung steht. Dieses Ergebnis wurde aber vom Gesetzgeber durch die Definition des Massegläubigers in § 53 ff. InsO bewusst in Kauf genommen. Danach sollen die nach Insolvenzeröffnung begründeten Forderungen nicht automatisch im laufenden Insolvenzverfahren berücksichtigt werden, sondern nur insoweit, als sie die Voraussetzungen der §§ 54, 55 InsO erfüllen.

c) Der Familienkasse war es auch nach Treu und Glauben nicht deshalb verwehrt, die Kindergeldfestsetzung für die Zeit September 2004 bis August 2005 aufzuheben und das Kindergeld zurückzufordern, weil sie das Kindergeld trotz Wegzug der Klägerin nach Österreich im August 2004 bis August 2005 auf ein Konto weiterbezahlte, über das die Klägerin aufgrund ihrer Insolvenz nicht verfügen konnte.

aa) Die Grundsätze von Treu und Glauben gebieten, dass im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich nicht mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, in Widerspruch setzt (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, BFHE 147, 409, BStBl II 1987, 12;vom 10. November 1987 VII R 171/84, BFHE 151, 123, BStBl II 1988, 41). Sie können zu einer Beschränkung oder zum Wegfall eines Rückforderungsanspruchs führen ("Verwirkung des Rückforderungsanspruchs"; BFH-Urteil14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 37 AO Tz. 104). Der Tatbestand der Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) als auch, dass der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge) (BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121;vom 24. Juni 1988 III R 177/85, BFH/NV 1989, 351).

bb) Bei objektiver Beurteilung der Umstände konnte die Klägerin im vorliegenden Fall nicht darauf vertrauen, dass die Familienkasse das zu Unrecht gezahlte Kindergeld nicht von ihr, sondern vom Insolvenzverwalter zurückfordert.

aaa) Der Umstand, dass das Kindergeld über den Zeitpunkt des Wegzugs der Klägerin nach Österreich im August 2004 hinaus gezahlt wurde und der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erst im August 2006 erging, schafft keinen Vertrauenstatbestand, dass die Familienkasse das zu Unrecht gezahlte Kindergeld nicht von ihr zurückfordern wird.

Die Weiterzahlung von Kindergeld reicht allein nicht aus, einen Vertrauenstatbestand zu begründen (BFH-Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174 ). Eine Verwirkung des Rückforderungsanspruchs kommt nur in Betracht, wenn darüber hinaus besondere Umstände gegeben sind, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (BFH- Beschluss vom 27. Februar 2007 III B 1/06, BFH/NV 2007, 1120).

Vorliegend erlangte die Familienkasse von dem Wegzug der Klägerin erst im August 2005 aufgrund eigener Ermittlungen Kenntnis. Die Klägerin hatte sich zwar bei der Meldebehörde ordnungsgemäß abgemeldet, jedoch den Wegzug nach Österreich nicht auch der Familienkasse mitgeteilt. Hierzu wäre sie aber gemäß § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet gewesen. Durch die Abmeldung bei der Meldebehörde kam sie dieser Verpflichtung nicht nach. Die Familienkasse stellte sofort nach Kenntnis vom Wegzug der Klägerin im August 2005 die Kindergeldzahlung ein. Die Aufhebung der Festsetzung und Rückforderung des zu Unrecht gezahlten Kindergelds erfolgte zwar dann erst im August 2006. Diese Verzögerung beruhte nach Aktenlage jedoch vor allem darauf, dass wiederholt Schriftstücke aufgrund der Änderung der Anschrift der Klägerin als unzustellbar zurückgesandt wurden und erneut versandt werden mussten. Tatsächlich hat die Familienkasse sofort nach Einstellung der Kindergeldzahlung im August 2005 das Aufhebungsverfahren mit der Anhörung der Klägerin eingeleitet. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin, dass das zu Unrecht gezahlte Kindergeld nicht zurückgefordert wird, konnte unter diesen Umständen nicht entstehen.

bbb) Aber auch wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass die Familienkasse von Anfang an wusste, dass sie das Kindergeld auf ein Konto der Klägerin zahlte, das vom Insolvenzverwalter aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens in Insolvenzbeschlag genommen wurde, konnte die Klägerin allein deshalb nicht darauf vertrauen, dass nicht sie, sondern der Insolvenzverwalter im Falle einer Rückforderung des zu Unrecht gezahlten Kindergeldes in Anspruch genommen wird. Denn die Familienkasse konnte im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Auszahlung des Kindergelds davon ausgehen, dass der Insolvenzverwalter das Kindergeld für die Klägerin freigeben wird.

aaaa) Die Klägerin konnte zwar keine Freigabe der Kindergeldzahlung aufgrund § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 76 EStG verlangen, da jeweils mit der Gutschrift des Kindergelds in den Monaten September 2004 bis August 2005 auf das von der Klägerin angegebene Konto die Familienkasse den festgesetzten Kindergeldanspruch für diese Monate erfüllte (BFH-Urteil vom 8. Januar 1991 VII R 18/90, BFHE 163, 505, BStBl II 1991, 442) und dieser dadurch erlosch (§ 47 i.V.m. § 224 Abs. 2 AO). Mit der Gutschrift auf dem Konto erlosch auch der für den Anspruch auf Kindergeld bestehende Pfändungsschutz gemäß § 76 EStG (vgl. BGH-Urteil vom 22. März 2005 XI ZR 286/04, BGHZ 162, 349 für den Fall des Pfändungsschutzes für Arbeitseinkommen nach §§ 850 ff Zivilprozessordnung - ZPO). Denn mit der Gutschrift auf dem Bankkonto ist ein neuer, auf einem selbständigen Rechtsgrund beruhender Anspruch entstanden (BGH- Beschluss vom 16. Juli 2004 IXa ZB 287/03, BGHZ 160, 112), der gegen das Geldinstitut und nicht mehr gegen die Familienkasse gerichtet war.

bbbb) Eine Freigabe konnte auch noch nicht aufgrund von § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 76 a Abs. 1 EStG gefordert werden, wonach eine Forderung, die durch die Gutschrift von Kindergeld entsteht, das auf das Konto des Berechtigten überwiesen wird, für die Dauer von sieben Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar ist. Diese Vorschrift wurde erst mit dem Gesetz zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss (AuslAnsprG) vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915) eingefügt und war daher im streitigen Zeitraum noch nicht anwendbar.

cccc) Jedoch konnte im streitigen Zeitraum eine Freigabe zumindest entsprechend § 55 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) bzw. § 850 k ZPO i.V.m. § 36 InsO gefordert werden. Dabei kann offen bleiben, ob sich der Pfändungsschutz für die auf einer Kindergeldzahlung beruhenden Guthabenforderung entsprechend § 55 SGB I (so LG Köln, Beschluss vom 28. März 2006 13 T 048/06 u.a., Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfleger -2006, 421; LG Hagen, Beschluss vom 9. März 2006 3 T 135/06, Neue Juristische Wochenblätter -Rechtsprechungsreport -NJW-RR -2006, 1087) oder entsprechend § 850 k ZPO (so LG Kassel, Beschluss vom 12. Oktober 2005 3 T 58/05, Rpfleger 2006, 209; LG Regensburg, Beschluss vom 4. März 2004 7 T 2/04, Insolvenz und Vollstreckung - InVo -2006, 449) ergab. Ausreichend ist, dass nach allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung ein solcher bestand. Dieser Pfändungsschutz muss auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens beachtet werden (§ 36 InsO).

Aus der Einfügung des § 76 a EStG durch das AuslAnsprG vom 13. Dezember 2006 kann nicht gefolgert werden, dass es einen solchen vor Einfügung dieser Vorschrift nicht gab. Gemäß den Gesetzesmaterialen zur Einführung des § 76 a EStG ging der Gesetzgeber ausdrücklich davon aus, dass zumindest ein Vollstreckungsschutz analog § 780 k ZPO bestand (Bundestags-Drucksache -BT-Drs. -16/2940). Durch die Einfügung des § 76 a EStG sollte ein dem Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz gemäß § 55 SGB I vergleichbarer Schutz geschaffen werden. Mit der Umgestaltung des Kindergelds im Rahmen des Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl. I 1995, 1250; 1996, 714)von einer Sozialleistung in einen vorrangig als Steuervergütung ausgestalteten Anspruch, war die Anwendbarkeit des § 55 SGB I auf das Kindergeld nach dem EStG fraglich geworden. Durch die Einfügung des § 76 a EStG sollte lediglich eine Gleichbehandlung des Pfändungsschutzes von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz und Kindergeld nach dem EStG sichergestellt werden (BT-Drs. 16/2940).

Eine Berücksichtigung des Vollstreckungsschutzes für Bankguthaben aus Kindergeldzahlungen im Insolvenzverfahren entsprechend § 850 k ZPO ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausdrücklich auf § 850 k ZPO verweist. Gemäß Artikel 3 des Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28. Februar 1978 (BGBl. I 1978, 333) bezieht sich, soweit in Gesetzen und Verordnungen auf die Vorschriften der §§ 850 bis 850 h ZPO verwiesen ist, die Verweisung auch auf § 850 k ZPO (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 850 k Rz. 1). Damit ist § 850 k ZPO im Insolvenzverfahren nicht allgemein ausgeschlossen.

Im vorliegenden Fall konnte die Familienkasse bei Auszahlung des Kindergelds für den streitigen Zeitraum davon ausgehen, dass der Insolvenzverwalter diese Rechtslage berücksichtigt und das Bankguthaben freigibt, so dass auch eine bewusste Auszahlung des Kindergelds auf das im Insolvenzbeschlag befindliche Konto keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen konnte.

ccc) An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, sofern der Familienkasse bekannt gewesen wäre, dass es Probleme bei der Freigabe des Kindergelds gab.

Aus der Kindergeldakte ergibt sich, dass der Familienkasse frühestens im Juni 2005 bekannt war, dass Streit über die Freigabe des auf das Konto bei der Kreissparkasse X gezahlten Kindergelds bestand. So wies die Klägerin im Einspruchsschreiben vom 25. August 2006 gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22. August 2006 darauf hin, dass sie im Juni 2005 mit einem Mitarbeiter der Familienkasse telefoniert habe, um in Erfahrung zu bringen, ob die Verwendung des durch Kindergeldzahlungen entstandenen Guthabens bei der Kreissparkasse X durch den Insolvenzverwalter zu Recht zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger verwendet werde. Dies spricht dafür, dass die Familienkasse bei der Auszahlung für den Zeitraum September 2004 bis Juni 2005 keine Kenntnis davon hatte, dass es Probleme bei der Freigabe des Kindergeldes gab.

Aber auch wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Familienkasse schon früher wusste, dass es Streitigkeiten über die Freigabe gab, führt allein dies nicht automatisch dazu, dass die Klägerin darauf vertrauen konnte, bei einer Rückforderung nicht in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr müssen in diesem Fall weitere Umstände hinzutreten, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 27. Februar 2007 III B 1/06, BFH/NV 2007, 1120).

Eine unzulässige Nichtfreigabe eines durch Kindergeldzahlung entstandenen Bankguthabens durch den Insolvenzverwalter kann der Familienkasse nicht ohne weiteres angelastet werden. In einem solchen Fall hat der Insolvenzschuldner die Möglichkeit hinsichtlich der Frage der Massezugehörigkeit eines Gegenstands eine Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeizuführen (vgl. § 36 Abs. 4 InsO). Ferner kann der Kindergeldbezieher jederzeit die Bankverbindung für die Auszahlung des Kindergelds bei der Familienkasse ändern oder der Familienkasse mitteilen, dass vorübergehend kein Konto zur Auszahlung des Kindergeldes zur Verfügung steht. Nur sofern die Familienkasse bewusst zum Nachteil des Beziehers von Kindergeld eine Auszahlung an den Insolvenzverwalter vornimmt, kann ein schutzwürdiges Vertrauen entstehen. Derartige Umstände sind weder ersichtlich noch wurden sie von der Klägerin vorgetragen. Unter den gegebenen Umständen konnte ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin, das zu einer Verwirkung des Rückforderungsanspruchs führen könnte, nicht entstehen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Ende der Entscheidung

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