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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 20.01.2009
Aktenzeichen: 1 K 1873/06 U
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 34 Abs. 1
AO § 35 Abs. 1
AO § 69
AO § 121 Abs. 1
AO § 126 Abs. 1
AO § 126 Abs. 2
AO § 191 Abs. 1
FGO § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.4.2006 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Streitig ist die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuerschuld der F GmbH i.L. für 2001.

Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der F GmbH i.L. (im weiteren: GmbH). Geschäftsgegenstand der GmbH war der Groß- und Einzelhandel mit Automobilen aller Art. Für den Streitzeitraum wurde der am 24.9.2002 eingegangenen Umsatzsteuererklärung am 8.10.2002 zugestimmt.

Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung N (GBp) führte seit dem 26.1.2004 eine Betriebsprüfung bei der GmbH durch. Die Schlussbesprechung fand am 5.8.2004 statt. Der Betriebsprüfungsbericht datiert vom 25.8.2004. Dabei ergab sich der folgende Sachverhalt:

Am 28.9.2001 wurde ein Pkw an eine schweizerische Leasinggesellschaft veräußert. Der Nettopreis betrug 54.946,40 DM. Die Beteiligten gingen von einer steuerfreien Ausfuhrlieferung in Form der Abholung durch den Abnehmer aus. Bis zur Übersendung der Ausfuhrnachweise wurde eine Kaution in Höhe von 16% des Netto-Verkaufspreises einbehalten. Eine Rechnung mit offenem Umsatzsteuerausweises wurde nicht erteilt. Die Kaution ist in den Bilanzen der GmbH unter sonstigen Verbindlichkeiten enthalten. In der Bilanz zum 31.12.2003, erstellt am 2.7.2004, wird diese sonstige Verbindlichkeit wie folgt erläutert:

"Umsatzsteuer EG-Lieferung (da Ausfuhrbelege fehlen)"

Da der Leasingnehmer des Pkw, was sich während der Betriebsprüfung herausstellte, ein in Deutschland ansässiger Kunde war und eine Ausfuhr deshalb tatsächlich nicht getätigt wurde, konnte ein Ausfuhrnachweis nicht erbracht werden. Der steuerfrei behandelte Umsatz wurde daher von der GBp der Umsatzsteuer unterworfen.

Hinsichtlich der von der GBp festgestellten Punkte wurde in der Schlussbesprechung Einigkeit erzielt.

Der Beklagte erließ am 15.11.2004 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheid, der eine Zahlung der Umsatzsteuerschuld in Höhe von 5.051,05 Euro (einschließlich Zinsen) bis zum 20.12.2004 enthielt. Neben der hier streitigen Problematik sind weitere Punkte in dieser Summe enthalten.

Bereits am 9.11.2004 war der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt worden. Dies war Folge einer Kreditkündigung am 9.11.2004. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte am 16.12.2004. Eine Vollstreckung der Umsatzsteuerschuld bei der GmbH konnte deshalb nicht mehr erfolgen.

Mit Schreiben vom 18.4.2005 wurde dem Kläger die Haftungsinanspruchnahme als Geschäftsführer angekündigt. In diesem Schreiben wurde darauf abgestellt, dass der Kläger der alleinige Geschäftsführer der GmbH sei. Dies bedeute, dass er die von der GmbH einzureichenden Steuererklärungen fristgerecht einzureichen habe und dass sie vollständig und richtig sein müssten. Insbesondere habe der Kläger auch dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln auch pünktlich entrichtet würden. Dies sei bezüglich der Umsatzsteuer 2001 nicht erfolgt. Sowohl die Steuererklärungs- als auch die Steuerentrichtungspflicht seien verletzt. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der als Kaution erhaltene USt-Betrag trotz nicht vorliegenden Ausfuhrnachweises über mehrere Jahre nicht abgeführt worden sei.

Der Kläger wurde durch Bescheid vom 23.5.2005 in Haftung genommen. Die Haftung bezog sich allein auf die 16%ige Umsatzsteuer aus dem beschriebenen Pkw-Verkauf. In der Begründung wurde der Text des Anhörungsschreibens wiederholt.

Der Kläger hat am 2.6.2005 Einspruch eingelegt. Aus seiner Sicht fehlt es am nötigen Verschulden. Das BMF habe der beschriebenen Vorgehensweise, nämlich bei solchen Geschäften eine Kaution in Höhe der ggf. vorliegenden Umsatzsteuerschuld einzubehalten, im Erlass vom 13.2.1987 ausdrücklich zugestimmt. Schon aus diesem Grunde könne ein Verschulden des Klägers, zumindest in Form eines grob fahrlässigen Verschuldens, nicht vorliegen.

Der Beklagte hat den Einspruch durch Entscheidung vom 6.4.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe schon bei Einreichung der entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldung deutlich machen müssen, dass ein Ausfuhrnachweis fehle, damit die Finanzverwaltung den Eingang eines solchen überwachen könne. Soweit er dies unterlassen habe, hätte er seine Umsatzsteuer-Erklärung spätestens bei Erstellung der Bilanz per 31.12.2003 am 2.7.2004 berichtigen müssen. Unter Berücksichtigung der gewährten Dauerfristverlängerung wäre eine Nacherhebung der Umsatzsteuer bis zum 10.9.2004 möglich gewesen. Die Pflichtverletzung des Klägers liege in der Nichtabgabe einer berichtigten Umsatzsteuererklärung 2001 zu diesem Zeitpunkt. Es liege eine zumindest als grob fahrlässig zu bezeichnende Verletzung der Steuererklärung- bzw. Erklärungsberichtigungspflichten durch den Kläger vor. Dem Kläger sei die gängige Praxis hinsichtlich der einbehaltenen Kautionen bis zum Eingang des Ausfuhrbeleges bekannt gewesen. Er habe seinen sich hieraus ergebenden Verpflichtungen nur nachkommen können, wenn er den zeitnahen Eingang der entsprechenden Ausfuhrbelege entsprechend überwacht habe. Mit einem Eingang des Ausfuhrnachweises habe er im Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz zum 31.12.2003 nicht mehr rechnen können, auch wenn eine Verjährung des Kautionsanspruchs des Käufers noch nicht eingetreten gewesen sei. Der Steuerausfall sei durch die Pflichtverletzung entstanden. Da ausschließlich der Kläger als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH als Haftender in Frage komme, halte man es für ermessensgerecht, den Kläger allein und persönlich für die Steuerschuld in Anspruch zu nehmen. Vollstreckungsversuche gegenüber der GmbH selbst seien fruchtlos verlaufen.

Der Kläger hat am 5.5.2006 Klage erhoben. Er wiederholt seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren und führt ergänzend aus:

Der Gesetzgeber habe den Zeitpunkt für den erforderlichen Belegnachweis nicht festgesetzt. Ausgehend von einer Entscheidung des BFH vom 28.2.1980 sei die Vorlage des Beleges bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ausreichend. Der Kläger habe veranlasst, dass durch den Hinweis in der Bilanz per 31.12.2003 ganz bewusst eine Dokumentation des fraglichen Vorgangs erfolgt sei. Eine Berichtigung der USt sei dann später aufgrund der plötzlich eingetretenen Insolvenz nicht mehr möglich gewesen. Der Kläger sei nach Einholung eines Rechtsrats von einer Verjährung eines Rückforderungsanspruchs im Hinblick auf die Kaution zum 31.12.2004 ausgegangen. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Umqualifizierung vorgenommen werden müssen. Der wahre Sachverhalt sei erst später ermittelt worden. Ein Anlass zu früheren Nachforschungen sei nicht gegeben gewesen, da es in der Praxis vorkomme, dass die Ausfuhrbescheinigungen erst nach 1 1/2 bis 2 Jahren übersandt würden.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.4.2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, dass das Verhalten des Klägers zeige, dass er die Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerfestsetzung für 2001 zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage am 26.1.2007 erörtert. Mit einem Erörterungsvorschlag in Höhe von 50% der Haftungssumme konnte sich der Kläger nicht einverstanden erklären. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist aufzuheben, da der Beklagte das Entschließungsermessen nicht ausreichend begründet hat.

Der Kläger kann gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO als Geschäftsführer und damit als derjenige, der für eine Steuer kraft Gesetzes haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Haftung des Klägers als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH für die hier fragliche Umsatzsteuerschuld der GmbH ist gemäß §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1, 69 AO gegeben. Allerdings führt dies im vorliegenden Fall nicht schon dazu, dass der angegriffene Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung zutreffend erlassen worden ist.

Die Entscheidung des Finanzamtes, einen Haftenden in Anspruch zu nehmen, ist zweigliedrig ausgestaltet. Das Finanzamt hat zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift zu überprüfen. In einem zweiten Schritt hat das Finanzamt im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 191 Abs. 1 AO dann zu entscheiden, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist vom Gericht nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar (grundlegend: BFH-Urteil vom 13.6.1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4 mwN.).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftung des Klägers gemäß § 69 Satz 1 AO i.V.m. §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1 AO sind gegeben. Der Kläger ist als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH Organ und damit als gesetzlicher Vertreter der GmbH gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO zur Abführung der Umsatzsteuern verpflichtet gewesen. Dass der Geschäftsführer die Umsatzsteuer nicht abgeführt hat, stellt eine grobe Fahrlässigkeit dar, die kausal für den eingetreten Steuerschaden ist.

Da im vorliegenden Fall aufgrund der bei der GmbH durchgeführten Betriebsprüfung dem Kläger als Geschäftsführer bekannt wurde, dass der fragliche Pkw nicht ins Ausland verschafft worden ist, war er zur Abgabe einer geänderten Umsatzsteuererklärung für 2001 gemäß § 153 Abs. 1 S. 2 AO verpflichtet. Spätester erkennbarer Zeitpunkt hierfür ist der Tag der Schlussbesprechung am 5.8.2004. Folglich hätte der Kläger für die GmbH die geänderten Umsatzsteuererklärungen bis zum 10.9.2004 einreichen und die Umsatzsteuern bis zum 10.10.2004 zahlen müssen.

Die Pflicht zur Einreichung einer berichtigten Umsatzsteuererklärung beim Beklagten entfällt nicht deshalb, weil der Sachverhalt im Rahmen der von der GBp durchgeführten Betriebsprüfung bekannt geworden ist. Hierdurch erfährt zwar der Beklagte spätestens bei Auswertung des BP-Berichts von dem entsprechenden Sachverhalt, doch dient § 153 Abs. 1 AO gerade der Vermeidung von zeitlichen Verzögerungen bei Steueranmeldungen. Es soll verhindert werden, dass es zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist (so Tipke in T/K, § 168 AO, Rz. 6 unter Hinweis auf § 153 Abs. 1 Satz 1 AO).

Durch die Nichtabgabe der berichtigten Umsatzsteuererklärung, spätestens zum Zeitpunkt der Schlussbesprechung, handelte der Kläger als Geschäftsführer grob fahrlässig. Als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer hätte er wissen müssen, dass er eine geänderte Umsatzsteuererklärung abzugeben hatte, sobald ihm bekannt wurde, dass die bisherige Umsatzsteuererklärung für 2001 falsch war. Durch die Nichtabgabe nahm er billigend in Kauf, dass die bislang zu gering angemeldete Umsatzsteuer länger als nötig nicht korrigiert wurde. Ein solches Verhalten ist grob fahrlässig. Ein vorsätzliches Verhalten ist nicht zu erkennen, da es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Kläger eine möglichst späte Änderung der Umsatzsteuerschuld bewusst wollte.

Die Pflichtverletzung des Klägers ist hier kausal für den eingetretenen Steuerschaden. Bei Abgabe einer berichtigten Erklärung ist davon auszugehen, dass die Änderung der Umsatzsteuerschuld noch vor Stellung des Insolvenzantrags erfolgt wäre. Da die Insolvenz der GmbH aufgrund einer nicht vorhersehbaren Kreditkündigung erfolgte und die GmbH bis dahin ihren steuerlichen Pflichten nachgekommen ist, steht für den Senat fest, dass der Kläger als Geschäftsführer der GmbH die sich aufgrund der Umsatzsteuerberichtigung ergebende Zahllast hätte begleichen können.

Soweit im vorliegenden Fall überhaupt ein Mitverschulden des Beklagten aufgrund der Bearbeitungszeit für die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung zu erkennen ist, ist dies hier unbeachtlich. Ein Mitverschulden des Finanzamts ist allenfalls bei der Ermessensentscheidung des § 191 Abs. 1 AO zu berücksichtigen (vgl. nur BFH-Beschluss vom 28.8.1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991, 290).

Aus Sicht des Senats ist im vorliegenden Fall allerdings das Ermessen vom Beklagten nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die im zweiten Schritt vom Senat nur auf Ermessensfehler überprüfbare Entscheidung gemäß § 191 Abs. 1 AO, den Kläger in Haftung zu nehmen, ist in Bezug auf das Entschließungsermessen fehlerhaft. Es fehlt diesbezüglich an der hier ausnahmsweise notwendigen Begründung.

Gemäß § 102 S. 1 FGO prüft das Gericht bei einer Ermessensentscheidung, ob der entsprechende Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck die Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Das Gericht darf keine eigenen Ermessenserwägungen treffen. Aufgrund dieser beschränkten Überprüfung einer Ermessensentscheidung durch das Gericht nach § 102 FGO muss diese Entscheidung der Behörde gemäß §§ 121 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet sein. Ansonsten ist diese Entscheidung fehlerhaft (BFH-Urteil vom 29.5.1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283).

Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung muss die Behörde dabei zunächst zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt - Auswahlermessen - (vgl. nur BFH-Urteil vom 29.5.1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283).

Dies ist vom Beklagten hier ordnungsgemäß begründet worden. Der Beklagte hat in seiner Einspruchsentscheidung klar zum Ausdruck gebracht, dass er den Kläger und keine andere Person anstatt des Steuerschuldners aufgrund der Stellung als alleiniger Geschäftsführer der GmbH in Haftung nimmt. Deutlich verweist er auch auf die Fruchtlosigkeit von Vollstreckungsversuchen bei der GmbH, was ausreicht, um das Auswahlermessen nachvollziehbar zu machen. Ein solcher Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung rückständiger Steuerschulden ist als ausreichende Begründung des Auswahlermessens des Finanzamtes auch anerkannt (BFH-Urteil vom 13.6.1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4).

Im vorliegenden Fall bedurfte es allerdings einer besonderen Begründung des Entschließungsermessens. Dies ergibt sich zum einen aus der Besonderheit des vorliegenden Falles und der fehlenden Entscheidung des Beklagten, welcher Grad des Verschuldens dem Kläger hier vorzuwerfen ist. Der Beklagte hält "zumindest" grobe Fahrlässigkeit für gegeben, was auch den Vorsatz mitumfasst.

Neben dem Auswahlermessen hat die Behörde auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Haftungsanspruch aus § 69 Satz 1 AO gegen den Haftungsschuldner geltend gemacht wird - Entschließungsermessen - (vgl. nur BFH-Urteil vom 29.5.1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283). Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass diese Ermessensentscheidung durch die Rechtsentscheidung über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 AO in gewisser Weise vorgeprägt ist. Es bedarf deshalb normalerweise keiner ausdrücklichen Aufnahme von Erwägungen in Bezug auf das Entschließungsermessen (vgl. nur BFH-Beschluss vom 21.1.1986 VII S 30/85, BFH/NV 1986, 518). Vielmehr ist von einem stillschweigenden Gebrauch des Ermessens auszugehen (BFH-Urteil vom 13.4.1978 V R 109/75, BStBl II 1978, 508). Eine nähere Darlegung der entsprechenden Ermessenserwägungen ist aber dann nötig, wenn besondere Umstände vorliegen, die auch eine Haftungsfreistellung des Klägers als sachgerecht erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 29.5.1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283 und vom 13.11.1990 VII R 96/88, BFH/NV 1991, 641). Das gleiche wird auch dann angenommen, wenn das Finanzamt in seiner Rechtsentscheidung nicht eindeutig Vorsatz als den schwereren der beiden in § 69 AO genannten Verschuldensvorwürfe zugrunde gelegt hat (BFH-Urteil vom 13.6.1997 VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4).

Eine gesonderte Begründung des Entschließungsermessens fehlt hier. Sie ist auch nicht durch andere Überlegungen des Beklagten ersetzt worden. Der Hinweis auf die Fruchtlosigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen reicht ebenso wenig wie die Ausführungen zur Pflichtwidrigkeit des Klägers aus, um das Entschließungsermessen ausreichend zu begründen. Etwas anderes ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass es die im öffentlichen Interesse obliegende Aufgabe des Steuergläubigers ist, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben. Letzteres wird durchaus als Grund dafür angesehen, dass eine Begründung des Entschließungsermessens nur in absoluten Ausnahmefällen nötig ist (so BFH-Urteil vom 29.5.1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283 mwN.). Gerade im vorliegenden Fall hat der Steuergläubiger aber durch den Erlass vom 14.11.1986 (VV NW FinMin 1987-02-13 S 7282-5-V C4, [...]) zum Ausdruck gebracht, dass er von dieser Möglichkeit zunächst im Wege einer stundungsähnlichen Regelung Abstand nehmen wollte.

Der Erlass vom 14.11.1986 (a.a.O.) macht deutlich, dass das FinMin NRW der Auffassung des ZDK zustimmt, zunächst bei Ausfuhrlieferungen von einem gesonderten Steuerausweis in Rechnungen über diese Leistungen Abstand zu nehmen. Durch den Hinweis auf die Abrechnungsform, einen sog. Steuerdepotbetrag in Höhe der Umsatzsteuer einzubehalten und diesen nach Übersendung der Ausfuhrbescheinigung zu erstatten, wird vom gesetzlichen Regelfall des in § 18 UStG geregelten Besteuerungsverfahren abgewichen. Dabei bleibt auch für das Gericht völlig offen, wie der steuerpflichtige Unternehmer die Zusendung der Ausfuhrbescheinigung überwachen soll und ab wann er die als Kaution einbehaltenen Umsatzsteuerbeträge an das Finanzamt abführen muss.

Die vorgenannten Überlegungen machen deutlich, dass im Fall des Erlasses des FinMin NRW vom 14.11.1986 (a.a.O.) unabhängig von einer Pflichtwidrigkeit des Klägers eine Begründung des Entschließungsermessens nötig ist.

Eine Pflicht zur Begründung des Entschließungsermessens ergibt sich im vorliegenden Fall aus Sicht des Senats auch daraus, dass aufgrund der Aufdeckung des Sachverhalts im Rahmen der Betriebsprüfung der Kläger davon ausgehen konnte, dass der Beklagte von der GBp rechtzeitig von der fehlerhaften Umsatzsteuerfestsetzung unterrichtet würde. Dies führt zwar nicht zu einer Reduzierung des Verschuldensgrades des Klägers, wie dargestellt. Es macht es aber aus Sicht des Senats erforderlich, dass klar zum Ausdruck gebracht wird, ob der Beklagte der fehlenden Berichtigungserklärung des Klägers ein so starkes Gewicht beimisst, dass er hier von einem Inanspruchnahme nicht Abstand nehmen kann.

Da eine Begründung des Entschließungsermessens unter Beachtung dieser Überlegungen vom Beklagten nicht vorgenommen worden ist, war der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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