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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: 1 K 4668/04 F
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 110 Abs. 1 AO
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2
AO § 179 Abs. 3
AO § 183 Abs. 1 S. 1
AO § 183 Abs. 1 S. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

1 K 4668/04 F

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob es der Beklagte (Bekl.) zu Recht unter Bezugnahme auf die Bestandskraft des Bescheides abgelehnt hat, die Sonderbetriebsausgaben des Klägers im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte 2002 einzubeziehen.

Der Kläger (Kl.) ist Gesellschafter der Rechtsanwaltssozietät M, V und J in I. Der Bekl. stellte die Einkünfte der Sozietät für 2002 im Wesentlichen entsprechend den Angaben in der Feststellungserklärung durch Bescheid vom 28.11.2003 fest. Sonderbetriebsausgaben des Kl. wurden nicht angesetzt. Insoweit enthielt die Feststellungserklärung den Hinweis, die Angaben über die Sonderbetriebsausgaben für das Jahr 2002 würden vom Kl. nachgereicht.

In der Feststellungserklärung 2002 wurde der Sozius V als Empfangsbevollmächtigter benannt. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Feststellungsbescheid 2002 wurde mit dem Hinweis an den Empfangsbevollmächtigten bekannt gegeben, er ergehe an ihn mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde durch entsprechend adressierten Bescheid vom 06.04.2004 aufgehoben.

Mit Schreiben vom 21.05.2004, bei dem beklagten Finanzamt am 24.05.2004 eingegangen, übersandte der Kl. durch seinen Steuerberater eine Aufstellung seiner Sonderbetriebsausgaben 2002 in Höhe von 6.111,44 EUR mit der Bitte um Berücksichtigung. Der Bekl. lehnte die Änderung des Feststellungsbescheides 2002 unter Hinweis auf dessen Bestandskraft durch Bescheid vom 01.06.2005 ab.

Dagegen erhob der Kl. Einspruch und beantragte wegen Versäumens der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, er sei aufgrund der erheblichen Arbeitsbelastung von ca. 70 Wochenstunden nicht eher zur Zusammenstellung der Unterlagen gekommen. Erst durch den Bescheid vom 01.06.2004 habe er erfahren, dass der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich des Feststellungsbescheides 2002 aufgehoben worden sei. Der Bescheid sei Rechtsanwalt V am 13.04.2004 übersandt worden. Er habe die Bürovorsteherin, Frau E, beauftragt, den Sozien Kopien des Bescheides auszuhändigen. Das sei jedoch unterblieben, obwohl sich Frau E über Jahre hinweg als zuverlässige Mitarbeiterin erwiesen habe. Wegen ihrer Zuverlässigkeit hätten die Sozien davon ausgehen können, dass ihnen die Bescheidkopien ausgehändigt und erst dann die Originale bei den Steuerunterlagen der Kanzlei abgeheftet würden. Frau E könne sich das Versäumnis nur so erklären, dass sie durch ein Telefonat oder ein Mitarbeitergespräch abgelenkt gewesen sei und dann anschließend den Bescheid abgeheftet habe. Auf die Eidesstattliche Versicherung von Frau E vom 17.06.2004 werde Bezug genommen.

Im Übrigen werde auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO verwiesen. Danach sei eine Bescheidänderung möglich, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran treffe, dass Tatsachen nachträglich bekannt geworden seien. Angesichts der Arbeitsbelastung habe er erst Ende Mai seine Sonderbetriebsausgaben zusammenstellen können und sei davon ausgegangen, eine Berücksichtigung sei wegen des Vorbehalts der Nachprüfung noch möglich. Dass der Vorbehalt bereits aufgehoben gewesen sei, habe er nicht gewusst.

Der Bekl. verwarf den Einspruch durch Einspruchsentscheidung (EE) vom 29.07.2004 als unzulässig. Er sei nach Ablauf der Einspruchsfrist erhoben worden.

Durch weitere EE vom gleichen Tag wies der Bekl. den Einspruch gegen die Ablehnung der Änderung des Feststellungsbescheides 2002 zurück. Die beantragte Änderung könne nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützt werden. Ein grobes Verschulden des Kl. sei bereits darin zu sehen, dass er die Sonderbetriebsausgaben nicht bereits in der Feststellungserklärung angegeben habe. Die Arbeitsbelastung sei letztlich kein hinreichender Grund dafür, der Erfüllung steuerlicher Pflichten geringere Bedeutung beizumessen als der Erledigung anderer Aufgaben.

Mit Schreiben vom 30.08.2004 erhob der Kl. gegen die EE Klage und verfolgt sein Begehren weiter. Ergänzend zum Vortrag aus dem Vorverfahren trägt er vor, zwar gelte der Feststellungsbescheid nach der Zugangsfiktion des § 183 AO mit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten auch ihm gegenüber als bekannt gegeben. Doch auch unter Geltung der Zugangsfiktion könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn ein Steuerpflichtiger ohne Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert gewesen sei. Diese Konstellation liege im Streitfall vor, weil die im Übrigen zuverlässige Bürovorsteherin den Bescheid den weiteren Sozien nicht ausgehändigt habe. Die Bekanntgabe gemäß § 183 AO stehe einem Wiedereinsetzungsantrag nicht von vornherein entgegen. Insofern verweise er auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 23.07.1985 (VIII R 315/82, BStBl II 1986, 123). Im Falle der Wiedereinsetzung könne die beantragte Änderung des Feststellungsbescheides auf § 164 Abs. 2 AO gestützt werden.

Der Kl. beantragt,

den Bekl. zu verpflichten, den Feststellungsbescheid 2002 vom 28.11.2003 in der Fassung vom 06.04.2004 unter Berücksichtigung von Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 6.111,44 EUR zu ändern.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

In Ergänzung des Vorbringens im Verwaltungsverfahren macht er geltend, in Feststellungsfällen sei zwar die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausgeschlossen. Sie werde vom Bundesfinanzhof jedoch auf Sonderfälle beschränkt. Insofern werde auf die Beschlüsse des BFH vom 28.11.1991 (VIII B 15/90, juris StRE 925013360) und vom 07.10.2003 (IX B 79/03, BFH/NV 2004, 11) verwiesen. Würde im Streitfall bei intakter Sozietät und korrekter Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, wäre die Verfahrenserleichterung des § 183 AO vollständig ausgehebelt. Im Zweifel müsse für jeden einzelnen Gesellschafter die positive Kenntnisnahme des Bescheides festgestellt werden, um den Ablauf der individuellen Einspruchsfrist berechnen zu können.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Steuerakten verwiesen.

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 FGO.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Bekl. hat es zutreffend abgelehnt, den Feststellungsbescheid 2002 zu ändern und die geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben zu berücksichtigen.

Der Feststellungsbescheid 2002 in der Fassung des Bescheides vom 06.04.2004 (Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung) ist bestandskräftig. Er ist am 08.04.2004 zur Post gegeben und gilt daher am 12.04.2004 (Montag) als dem Empfangsbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt V, bekannt gegeben. Selbst wenn das Schreiben des Steuerberaters des Kl. vom 21.05.2004 (Eingang 24.05.2004), mit dem die Sonderbetriebsausgaben geltend gemacht werden, als Einspruch gewertet würde, wäre er offensichtlich nach Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist und damit verspätet beim Beklagten eingegangen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist hinsichtlich der Fristversäumnis nicht zu gewähren (§ 110 Abs. 1 AO). Der Kl. hat vorgetragen, er habe die Rechtsbehelfsfrist nicht einhalten können, weil die ansonsten zuverlässige Bürovorsteherin weisungswidrig versehentlich die Bescheidkopie nicht an ihn weitergeleitet habe. Mit diesem Entschuldigungsgrund kann der Kl. jedoch nicht gehört werden. Der Feststellungsbescheid 2002 ist an den von den Gesellschaftern benannten Empfangsbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt V, gesandt worden. Mit der Bekanntgabe an ihn ist der Bescheid mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter bekannt gegeben worden (§ 183 Abs. 1 Satz 1 AO). Auf diese Wirkung der Bekanntgabe ist im Bescheid vom 06.04.2004 hingewiesen worden (§ 183 Abs. 1 Satz 5 AO). Ist die Bekanntgabe an den Kl. mit der Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten erfolgt, ist es unerheblich, wenn der Kl. die Bescheidabschrift tatsächlich nicht erhalten hat. Der Kl. kann aus dem vorgetragenen Grund die Frist nicht unverschuldet versäumt haben, weil ihm die Bekanntgabe des Bescheides an den Empfangsbevollmächtigten zugerechnet wird.

Die beantragte Änderung des Bescheides auf der Basis des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ebenfalls nicht möglich. Insoweit trifft den Kl. ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Sonderbetriebsausgaben. Die Sozietät war vom Bekl. zur Abgabe der Feststellungserklärung 2002 bis zum 31.10.2002 aufgefordert worden. Die Feststellungserklärung 2002 wurde unvollständig abgegeben. Sie enthielt keine Angaben zu seinen Sonderbetriebsausgaben des Kl. Damit trifft den Kl. ein grobes Verschulden an dem verspäteten Bekanntwerden der Sonderbetriebsausgaben (Loose in Tipke/Kruse AO § 173 Tz. 76 mit Rechtsprechungsnachweisen). Ein grobes Verschulden liegt auch darin, dass er die Einspruchsfrist gegen den Feststellungsbescheid 2002 vom 28.11.2003 ungenutzt verstreichen ließ. Zwar stand dies einer Änderung des Bescheides solange tatsächlich nicht entgegen, wie er sich auf die Änderungsvorschrift § 164 Abs. 2 AO berufen konnte. Nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung war dieser Weg jedoch versperrt. Dass er von dem Bescheid vom 06.04.2004 nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten haben mag, ist für die Frage des grob fahrlässigen Verschuldens am nachträglichen Bekanntwerden im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unerheblich. Das zum groben Verschulden vorwerfbare Verhalten des Kl. liegt bereits vor dem Ergehen des Bescheides vom 06.04.2004 vor und wird nicht durch die Umstände im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 06.04.2004 beseitigt.

Die Sonderbetriebsausgaben können auch nicht in einem Ergänzungsbescheid nachgeholt werden. Nach § 179 Abs. 3 AO ist eine in einem Feststellungsbescheid unterbliebene notwendige Feststellung in einem Ergänzungsbescheid nachzuholen.

Sonderbetriebsausgaben sind Gegenstand der einheitlichen und gesonderten Feststellung und stets nur in diesem Verfahren zu berücksichtigen (BFH, Urteil vom 11.09.1991 XI R 35/90, BFH/NV 1992, 354; Urteil vom 15.01.2002 IX R 21/98, BStBl II 2002, 309). Sie sind für sich anfechtbarer Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren (BFH, Urteil vom 10.02.1988 VIII R 352/82, BStBl II 1988, 544). Die Feststellung von Sonderbetriebsausgaben ist daher eine notwendige Feststellung (BFH, Urteil vom 15.01.2002 IX R 21/98, BStBl II 2002, 309, s.a. AEAO Nr. 2 zu § 179; a.A. unter Hinweis auf Schwartz/Frotzscher Tz. 66; Beermann/Kunz Tz. 62; FG Rheinland Pfalz, Urteil vom 06.07.1995 4 K 1523/93, Haufe-Index 1096671, FG Thüringen, EFG 1998, 1232, ohne eigene Begründung Brandis in Tipke/Kruse AO § 179 Tz. 25 a.E.).

Voraussetzung für den Erlass eines Ergänzungsbescheides ist jedoch darüber hinaus, dass der ursprüngliche Feststellungsbescheid unvollständig und lückenhaft ist. Nachholbar sind nur solche Feststellungen, die in den vorausgegangenen Feststellungsbescheiden "unterblieben" sind. Das ist immer dann der Fall, wenn die Feststellungen hätten getroffen werden müssen, aber nicht getroffen worden sind. Ergänzungsbescheide dürfen einen lückenhaften Feststellungsbescheid vervollständigen, nicht aber Unrichtigkeiten eines Feststellungsbescheides korrigieren oder die in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid getroffenen Feststellungen ändern; denn in einem solchen Fall ist die ursprüngliche Feststellung nicht lückenhaft, sondern inhaltlich falsch (BFH, Urteil vom 11.05.1999 IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446 m.w.N.).

Im Streitfall hatte der Kl. die streitigen Sonderbetriebsausgaben nicht erklärt, sondern darauf hingewiesen, die entsprechenden Angaben würden nachgereicht. Im Feststellungsbescheid 2002 hat der Bekl. über die Sonderbetriebsausgaben des Kl. vor diesem Hintergrund entschieden. Er wusste, dass Sonderbetriebsausgaben angefallen waren, hatte sie wegen fehlender Erklärung jedoch nicht berücksichtigt. Der Bescheid war daher insoweit inhaltlich falsch. Unrichtigkeiten dürfen aber nicht durch einen Ergänzungsbescheid korrigiert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO liegen nicht vor.



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