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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 18.06.2007
Aktenzeichen: 1 K 5994/03 Kg
Rechtsgebiete: EStG, AO, SGB X


Vorschriften:

EStG § 77
AO § 347 ff.
SGB X § 63
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

1 K 5994/03 Kg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Kosten bei Kindergeld gemäß § 77 EStG.

Mit Bescheid vom 16.5.2002 wurde die Festsetzung von Kindergeld für die Kinder des Klägers ab Dezember 1999 aufgehoben. Der Kläger wurde zur Erstattung des für die Monate Dezember 1999 bis Januar 2001 gezahlten Kindergeldes aufgefordert. Die Aufforderung, sich vorab hierzu zu äußern, hatte der Kläger verstreichen lassen. In dem Anhörungsschreiben vom 15.4.2002 hieß es:

"... Sie haben das Kindergeld laufend in Empfang genommen, so dass Sie erstattungspflichtig sind.

Da aufgrund dieses Tatbestandes Kindergeld möglicherweise ab Dezember 1999 zu Unrecht gezahlt wurde, muss geprüft werden, ob die Festsetzung ggf. aufzuheben oder zu ändern ist (§ 70 EStG, §§ 172 ff. AO). Das zuviel gezahlte Kindergeld ist in diesem Fall von Ihnen nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten.

Bevor die Familienkasse entscheidet, ob Sie den Betrag in Höhe von 6171,29 EUR erstatten müssen, wird Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Sie können dafür den beigefügten Vordruck benutzen.

...".

Der in diesem Schreiben angesprochene Vordruck befindet sich nicht in den Akten und ist auch nicht vom Kläger im Rahmen der Anlagen zur Klageschrift eingereicht worden.

Der Kläger legte gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren reichte er Unterlagen ein, die belegen, dass er für den Zeitraum Kindergeld nicht erstatten musste. Der Beklagte erließ daraufhin am 8.7.2003 einen Abhilfebescheid und entsprach damit dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang. Eine Kostentragung gemäß § 77 EStG wurde in diesem Bescheid allerdings abgelehnt.

Der Kläger legte gegen diese Nichtübernahme der Kosten gemäß § 77 EStG am 7.8.2003 Einspruch ein, der durch Einspruchsentscheidung vom 8.10.2003 als unbegründet zurückgewiesen worden ist.

Am 13.11.2003 hat der Kläger Klage eingereicht, mit der er sein Ziel weiter verfolgt, die Kosten des Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.5.2002 erstattet zu bekommen.

Nach Klägeransicht ist allein die Regelung des § 77 Abs. 2 EStG für die Frage nach der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten entscheidend. Diese sei notwendig, wenn vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei eine Hinzuziehung für erforderlich gehalten werden dürfte. Damit sei klar, dass eine solche Hinzuziehung nicht nur bei schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen sei, sondern der Regelfall sei. Ein Bürger sei nur in Ausnahmefällen in der Lage, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Im konkreten Fall sei zu beachten, dass der Kläger Ausländer und mit den gesetzlichen Bestimmungen nur unzureichend vertraut sei. Ihm sei nicht klar gewesen, welche weitergehenden Angaben er aufgrund des Anhörungsschreibens zu machen habe. Der Sachverhalt sei aus seiner Sicht zutreffend gewesen. Mitwirkungspflichten habe der Kläger nicht verletzt, da solche nur den Kindergeldberechtigten beträfen.

Zu bedenken sei auch, dass aus Sicht des Klägers anlässlich des Anhörungsschreibens keine Veranlassung zu sehen war, einen Anwalt aufzusuchen. Auch hätte er diese Kosten nicht erstattet bekommen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Kostenentscheidung im Bescheid vom 8.7.2003 und der Einspruchsentscheidung vom 8.10.2003 die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.5.2002 für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger die Kosten des Einspruchsverfahrens verschuldet habe und deshalb eine Erstattungspflicht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 3 EStG ausscheide. Er habe seinen Mitwirkungspflichten aus der AO nicht genüge getan und an der Sachverhaltsaufklärung nicht mitgearbeitet. Die im Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.05.2002 übersandten Unterlagen hätte er bereits im Verfahren vor Erlass dieses Bescheides aufgrund des Anhörungsschreibens übersenden können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 AO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist unbegründet.

§ 77 EStG ist bei Billigkeitsentscheidungen in Kindergeldsachen nicht anwendbar, so dass ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers im vorliegenden Fall ausscheiden muss.

Ein Kostenerstattungsanspruch für das förmliche Einspruchsverfahren nach §§ 347 ff. AO richtet sich für die Kindergeldfestsetzung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG. Diese Vorschrift ist über den Wortlaut hinaus auch auf die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung (so BFH-Urteil vom 23.7.2002 VIII R 73/00, BFH/NV 2003, 25) und gegen die damit verbundene Rückforderung des Kindergelds anwendbar (so FG Düsseldorf, Urteil vom 7.8.2003, Az. 18 K 1088/03 Kg, EFG 2003, 1802). Nicht anwendbar ist § 77 EStG aber in den Fällen, in denen aufgrund einer Billigkeitsentscheidung ein Rückforderungsanspruch fallen gelassen wird (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 7.8.2003, Az. 18 K 1088/03 Kg, EFG 2003, 1802; Bergkemper in H/H/R, § 77, Anm. 2; Krömker in H/H/R, § 77, Anm. 6; a.A. unter Hinweis auf Vorgängerregelung des § 63 SGB X: Claßen in Lademann, § 77, Anm. 2 m.w.N. teilweise in Alt-Auflagen verschiedener Kommentare). Insoweit verbietet der eindeutige Wortlauf eine extensive Auslegung wie auch eine analoge Anwendung (so auch Bergkemper in H/H/R, § 77, Anm. 2).

Im vorliegenden Fall bedarf es deshalb keiner weitergehenden Ausführungen zu der Frage, ob das Anhörungsschreiben dem Kläger in verständlicher Form klar gemacht hat, dass er Unterlagen einreichen mußte, die dem Beklagten eine Billigkeitsentscheidung in der Gestalt erlaubten, dass hier ein Rückforderungsanspruch gegen ihn nicht weiter verfolgt werden durfte.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Da die Frage der Anwendung des § 77 EStG auch auf Billigkeitsmaßnahmen in der Literatur konträr diskutiert wird, eine Entscheidung des BFH aber nicht erkennbar ist, war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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