Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 22.03.2006
Aktenzeichen: 10 K 1105/04 Kg
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs 4 Satz 2
EStG § 70 Abs 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 22.03.2006, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...

Richter am Finanzgericht ...

Richter am Finanzgericht ...

Ehrenamtlicher Richter ...

Ehrenamtliche Richterin ...

im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

Tatbestand

I.

Streitig ist jetzt nur noch, ob die Kindergeldaufhebung gem. § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz rückwirkend zu ändern ist, weil der Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz nunmehr auf Grund der nach der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung zu berücksichtigenden Sozialversicherungsbeiträge unterschritten ist.

Mit Bescheid vom 21.5.2002 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind S. (geboren 25.7.1981) mit Wirkung ab dem Monat Januar 2002 auf, da dessen Einkünfte und Bezüge voraussichtlich den Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz übersteigen würden. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 22.12.2002 beantragte die Klägerin Kindergeld ab Januar 2002 für ihren Sohn S., der sich seit dem 1.9.1999 in einer Ausbildung zum KFZ-Mechaniker befand. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.3.2003 ab. Der dagegen am 8.4.2003 eingelegte Einspruch wurde von der Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom 25.1.2004 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Klägerin keine ausreichenden Angaben über die Einkünfte und Bezüge von S. machte.

Für den Zeitraum Januar bis Dezember 2002 unterschreiten die Ausbildungsvergütungen und Berufsausbildungsbeihilfe von S. den maßgeblichen Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz von 7.188,00 EUR nur wenn neben dem Arbeitnehmer-Pauschbetrag und der Kostenpauschale auch Sozialversicherungsbeiträge entsprechend des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2005 Az.: 2 BvR 167/02 in Abzug gebracht werden.

Für den Zeitraum Januar bis einschließlich Juli 2003 wird der anteilige Grenzbetrag durch die Ausbildungsvergütung nach Abzug des anteiligen Arbeitnehmerpauschbetrages nicht überschritten. Bezüglich der unstreitigen Berechnung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 25.4.2005 und 27.6.2005 (Blatt 62, 69 der Gerichtsakte) verwiesen.

Mit der am 27.2.2004 eingelegten Klage trägt die Klägerin vor, dass ihr Kindergeld zu gewähren sei, da S.s Einkünfte und Bezüge - zumindestens nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge - den maßgeblichen Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz nicht übersteigen würden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihr für das Kind S. Kindergeld

nach dem Einkommensteuergesetz für den Zeitraum Januar 2002 bis einschließlich Juli 2003 zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Sie meint, dass ein Kindergeldanspruch lediglich für den Zeitraum Juni 2002 bis einschließlich Juli 2003 bestünde. Einer nachträglichen Bewilligung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2002 stände die Bestandskraft der Kindergeldaufhebung vom 21.5.2002 entgegen. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes sei nicht möglich, weil eine Änderung der Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung kein nachträgliches Bekanntwerden im Sinne dieser Vorschrift sei.

Gründe

II.

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung.

Die Klage ist begründet.

Für den Zeitraum Juni 2002 bis einschließlich Juli 2003 hat die Klägerin einen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz, da ihr Sohn S. für einen Beruf ausgebildet wird und seine Einkünfte und Bezüge nicht den anteiligen Grenzbetrag im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz überschreiten. Dieses ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Für den Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2002 ist der Kindergeldaufhebungsbescheid vom 21.5.2002 aufzuheben, da nachträglich bekannt geworden ist, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz unterschritten haben, § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz.

Unerheblich ist, dass diese Grenze nur unterschritten wird, wenn entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2005 (a.a.O.) auch Sozialversicherungsbeiträge von den Einkünften und Bezügen des Kindes abgezogen werden. Insofern steht die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 21.5.2002 einer Änderung nach § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz nicht entgegen. Diese Änderungsvorschrift soll nämlich sicher stellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein volljähriges Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag entgegen einer früheren Prognose der Familienkasse über- oder unterschreiten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine steuerliche Entscheidung wegen des Jährlichkeitsprinzips grundsätzlich rückblickend erfolgt, die Steuervergütung für das Kindergeld jedoch bereits im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (Bundestagsdrucksache 14/6160, Seite 14) und eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten oder nicht, regelmäßig erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres getroffen werden kann (Bundesfinanzhof-Urteil vom 26.7.2001 VI R 55/00, BStBl. II 2002, 86; vom 30.11.2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Vor Ablauf des Kalenderjahres steht die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge zwangsläufig nicht fest, vielmehr ist insoweit nur eine mehr oder weniger sichere Prognose möglich, nach der die Familienkasse die Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung des Kindergeldes für das noch laufende Kalenderjahr trifft. Insofern wird die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres gegenüber der Prognoseentscheidung zwangsläufig nachträglich bekannt. Damit eröffnet § 70 Abs. 4 Einkommensteuergesetz stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Prüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt. Dies gilt nach der vom Senat als zutreffend erachteten Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26.7.2001 VI R 55/00 (a.a.O.) auch dann, wenn die Familienkasse bei ihrer Prognoseentscheidung voraussichtliche Aufwendungen des Kindes als Werbungskosten berücksichtigt hat, die bei einer abschließenden Prüfung nicht mehr als Werbungskosten anerkannt werden, weil sie insoweit ihre Rechtsauffassung geändert hat. Entsprechendes muss auch für den umgekehrten Fall gelten, das bestimmte Aufwendungen im Rahmen der Prognoseentscheidungen als nicht abzugsfähig behandelt wurden, was sich nachträglich als rechtlich unzutreffend herausstellt. Insofern tragen derartige Prognoseentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich (Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 12.1.2006 14 K 4361/05 KG, nicht rechtskräftig; anderer Ansicht Spiegel in: Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 70 Einkommensteuergesetz Rz. 72).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1, 3 Finanzgerichtsordnung i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

Zurück