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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 20.05.2009
Aktenzeichen: 10 K 4209/06 Kg
Rechtsgebiete: EStG, AufenthG


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
AufenthG § 23 Abs. 1
AufenthG § 23a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Zu entscheiden ist über den Kindergeldanspruch einer nicht freizügigkeitsberechtigten, nicht erwerbstätigen Ausländerin für ihre beiden Töchter K1.... (geboren am 27.7.2004) und K2.... (geboren am 11.9.2002) für die Zeit ab Februar 2006.

Die Klägerin ist serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und reiste 1989 in das Bundesgebiet ein. Nach Ablehnung ihres Asylantrages erhielt die Klägerin zunächst eine Duldung. Auf Grund einer Entscheidung der Härtefallkommission ist die Klägerin seit dem 12.12.2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die ihr neben dem Aufenthalt die Ausübung einer nichtselbständigen Erwerbstätigkeit gestattet. Eine nichtselbständige Erwerbstätigkeit übt die Klägerin jedoch nicht aus.

Den von der Klägerin am 19.12.2005 gestellten Kindergeldantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.1.2006, der bestandskräftig geworden ist, ab.

Am 2.6.2006 stellte die Klägerin für die Zeit ab Februar 2006 erneut einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld. Diesen lehnte die Beklagte am 21.6.2006 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) seien nicht erfüllt.

Den von der Klägerin hiergegen am 3.7.2006 erhobenen Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 31.8.2006 als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat sodann am 2.10.2006 Klage erhoben, mit der sie geltend macht, ihr stehe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG ein Anspruch auf Kindergeld für ihre beiden Töchter K1.... und K2.... zu. Sie habe mindestens nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und somit seit dem 12.12.2005 einen Kindergeldanspruch.

Zwar begründe eine Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 23a AufenthG nach dem Wortlaut des 62 Abs. 2 EStG allein keinen Anspruch auf Kindergeld. § 62 Abs. 2 EStG sei jedoch einschränkend verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Ausschluss der Kindergeldberechtigung für solche Ausländer nicht gelte, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden könnten und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhielten.

Obwohl die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin befristet sei, sei - unabhängig von einer etwaigen Integration in den Arbeitsmarkt - von ihrem dauernden Aufenthalt in Deutschland auszugehen.

Bei einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 23a AufenthG sei in der Regel von einem Daueraufenthalt auszugehen. Ein Härtefall i.S.d. § 23a AufenthG ergebe sich bereits aus dem langjährigen Aufenthalt, denn bei einem langjährigen Aufenthalt sei mit dem Wegfall der den Härtefall auslösenden Gründe nicht mehr zu rechnen. Durch den weiteren Aufenthalt würden sich die Gründe für das Vorliegen eines Härtefalles vielmehr verstärken, so dass ein Daueraufenthalt anzunehmen sei.

Die durch Gesetz vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915) eingefügte Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG sei nach Auffassung der Klägerin zumindest insoweit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) unvereinbar als in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG (n.F.) normiert worden sei, im Falle einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 23a AufenthG sei erst bei einer Integration in den Arbeitsmarkt von einem Daueraufenthalt auszugehen. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.7.2004 (Az. 1 BvL 4/97, BVerfGE 111,160) gebe es keinen sachlichen Grund, Ausländer, die sich - wie die Klägerin - seit vielen Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG seien, von dem Bezug von Kindergeld auszuschließen.

Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei in Fällen des § 23a AufenthG kein Kriterium, das etwas über die Dauer des Aufenthalts aussage.

Die Klägerin beantragt,

den Ablehnungsbescheid vom 21.6.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.8.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für Ihre Kinder K2.... (geboren am 11.9.2002) und K1.... (geboren am 27.7.2004) ab Februar 2006 Kindergeld zu gewähren,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 62 EStG nicht, da sie nicht in den Arbeitsmarkt integriert sei.

Da die Klägerin nicht erwerbstätig sei, habe sie ferner keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-jugoslawischen Abkommen über soziale Sicherheit.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Verfahrensakte Bezug genommen.

II. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 21.6.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.8.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin hat für ihre beiden Töchter für die Zeit ab Februar 2006 keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld.

1. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen, die § 62 Abs. 2 EStG in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2915), der gem. § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG in allen noch nicht bestandskräftig festgesetzten Kindergeldfällen anzuwenden ist.

a) In den Fällen, in denen ein Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung i.S.d. § 23a AufenthG wegen eines Härtefallersuchens erhalten hat, hängt der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2c EStG davon ab, dass der Ausländer sich mindestens drei Jahre rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält (§ 62 Abs. 2 Nr. 3a EStG) und darüber hinaus berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bezieht oder Elternzeit nach §§ 15 ff. des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vom 5.12.2006 (BGBl. I 2006, 2748) in Anspruch nimmt (§ 62 Abs. 2 Nr. 3b EStG).

Die Klägerin war in der Zeit ab Februar 2006 zwar im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG und hat sich zudem bereits seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Jedoch fehlt es an der Voraussetzung der berechtigten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Die Klägerin ist weder nach ihrem eigenen Vortrag noch nach der Aktenlage erwerbstätig bzw. erwerbstätig gewesen. Elternzeit hat sie ebenfalls nicht in Anspruch genommen. Sie erhält ferner keine laufenden Geldleistungen nach dem SGB III und hat solche Leistungen auch in der Vergangenheit (bzw. seit dem 1.2.2006) nicht bezogen.

b) Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang die Rechtsauffassung vertritt, dass ihr dennoch ein Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld zustehe, weil § 62 Abs. 2 EStG in der seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung verfassungswidrig sei, teilt der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 6.7.2004 (Az. 1 BvL 4/97, BVerfGE 111, 160), das mit der gesetzlichen Neufassung des § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKKG) durch das erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993 verfolgte Ziel, Kindergeld nur noch solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben (BT-Drucks. 12/5502. 44), als solches nicht beanstandet, sondern nur die dafür gewählte Form.

Durch die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG wird das genannte Ziel nach Auffassung des Gerichts in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise umgesetzt. Zwar knüpft die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG in der neuen Fassung ebenfalls an die verschiedenen Aufenthaltstitel an, das Regelungssystem zeigt aber, dass der Gesetzgeber hierbei eine Reihe von Umständen herangezogen hat, die unter Berücksichtigung sachgerechter Gesichtspunkte eine hinreichend verlässliche Prognose für einen nur vorübergehenden oder dauerhaften Aufenthalt im Inland ermöglichen.

Art. 3 Abs.1 GG gebietet es nicht, in Fällen, in denen ein Ausländer rechtmäßig oder rechtswidrig in die Bundesrepublik einreist und - z.B. wegen eines tatsächlichen Abschiebungshindernisses - damit zu rechnen ist, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr ausreist, von Anfang an oder nach einer gewissen Zeit Kindergeld zu gewähren, weil von einem Daueraufenthalt auszugehen ist. Vielmehr kann bei einer nach dem Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 6.7.2004 (Az. 1 BvL 4/97, a.a.O.) anzustellenden Prognose über die Dauer des Aufenthalts erwartet werden, dass sich ein Ausländer, dessen Aufenthalt lediglich geduldet ist, rechtstreu verhält und wieder ausreist oder dass ein Ausländer, der wegen eines Krieges in seinem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG oder eine Erlaubnis nach §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 - 5 AufenthG erhalten hat, nach Wegfall der Gründe, die einer Rückkehr in sein Herkunftsland entgegengestanden haben, wieder heimkehrt (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.2007 III R 54/02, BFH/NV 2008, 457; Urteil des Finanzgerichts München vom 2.4.2008 9 K 1126/06, [...]Datenbank).

Der Gesetzgeber handelte verfassungskonform und im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums, als er typisierend gem. § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Daueraufenthalt erst bei einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und bei einer Integration in den Arbeitsmarkt unterstellte. Nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers bietet eine derartige Integration eine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik, denn die Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt kann ein bedeutender Anhaltspunkt dafür sein, ob ein Ausländer vermutlich auf Dauer in Deutschland verbleiben wird.

Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für das Vorliegen einer Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 23a AufenthG. Insoweit bestehen keine Bedenken, die Kindergeldberechtigung von der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abhängig zu machen, denn die nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23a AufenthG sind, sind ebenso vollziehbar ausreisepflichtig wie die nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer, die im Besitz einer der anderen in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten Berechtigung sind.

Eine Integration in den Arbeitsmarkt ist im Falle der Klägerin weder vorgetragen noch anhand der sonstigen Umstände feststellbar. Eine Perspektive für einen dauerhaften Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet ist nicht erkennbar.

2. Einen Anspruch auf Kindergeld kann die Klägerin ferner nicht aus Art. 28 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit herleiten, da sie keine Arbeitnehmerin im Sinne dieses Abkommens ist.

Begünstigt werden gem. Art. 28 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens über soziale Sicherheit Arbeitnehmer, die während ihrer Beschäftigung den deutschen Rechtsvorschriften unterliegen oder nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Geldleistungen der Krankenversicherung wegen vorrübergehender Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosengeld erhalten.

Hierunter fallen insbesondere Arbeitnehmer, die während ihrer Beschäftigung gem. §§ 24, 25 Abs. 1 SGB III in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesanstalt für Arbeit stehen oder lediglich nach § 28 Nr. 1 SGB III wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und nicht aus anderen Gründen versicherungsfrei sind, wie z.B. geringfügig Beschäftigte i.S.d. § 27 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 8 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).

Anhand des Akteninhalts und des Vortrags der Klägerin ist nicht erkennbar, dass die Klägerin diesem begünstigten Personenkreis angehört.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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