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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 13.10.2006
Aktenzeichen: 11 K 1377/04 E
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 174 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

11 K 1377/04 E

Tenor:

Der ESt-Bescheid 1997 vom 14.10.2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.02.2004 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer Änderung des Einkommensteuer(ESt)-Bescheids 1997 nach § 174 Abs. 4 AO gegeben sind, und zwar im Hinblick auf die Höhe der bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung als Werbungskosten anzuerkennenden Schuldzinsen.

Die Kläger sind Ehegatten und Eigentümer des im Jahr 1994 fertiggestellten Zweifamilienhauses X.-Straße 01 in C., das von ihnen teils selbstgenutzt und teils vermietet wird. Zur Finanzierung nahmen sie die folgenden Darlehen auf:

 Deutsche Ärzteversorgung KöR 0000001270.000 DM
Deutsche Ärzteversorgung KöR 000000270.000 DM
BHW Bausparkasse 0000000Y0350.000 DM

Im Rahmen der ESt-Erklärung 1994 erklärten die Kläger Schuldzinsen i.H.v. 17.471,20 DM und ordneten hiervon 24,1 % dem vermieteten Bereich zu, was ihres Erachtens dem Verhältnis der Wohnflächen entsprach. Der Beklagte übernahm den ermittelten Wert bei der Steuerfestsetzung.

Im Rahmen der ESt-Erklärungen 1995 und 1996 teilten die Kläger die Schuldzinsen nach dem Verhältnis der Herstellungskosten (Herstellungskosten vermieteter Teil 203.396,54 DM, selbstgenutzter Teil 703.794,27 DM) auf, was einen steuerlich abzugsfähigen Teil von 28,9 % ergibt. Der Beklagte folgte der Berechnung.

Im Rahmen der ESt-Erklärung 1997 wechselten die Kläger erneut den Aufteilungsmaßstab. Und zwar legten sie eine Anlage mit folgender Berechnung bei:

 "Darlehen Nordrheinische Ärzteversorgung Nr. 0000001 Kapitalstand1.1.97: 263.531,78 DM
Herstellungskosten Einliegerwohnung gemäß ESt-Bescheid vom 24.7.97:203.396,- DM
Zinsen:16.371,- x 203.396/263.532 = 12.635,26 DM"

Der Beklagte hakte den Betrag von 16.371 DM ab und übernahm den von den Klägern ermittelten Zinsanteil (12.636 DM) bei der ESt-Festsetzung.

Die für das Jahr 1997 gewählte Berechnungsmethode wurde von den Klägern auch im Rahmen der ESt-Erklärungen 1998 bis 2000 angewandt, wobei allen Erklärungen eine Anlage mit der konkreten Berechnung des Schuldzinsenanteils nach obigem Muster beigefügt war. Auf diesen Anlagen befinden sich zum Teil Bearbeitungsvermerke des Beklagten, z.B. Haken hinter der Gesamthöhe der Zinsen (1999), der Höhe der Herstellungskosten (1999) oder der Höhe des Kapitalstands (1998). Auf der Anlage des Jahres 1999 wurde zudem direkt unter der Zinsberechnung der Stempel "Belege lagen vor" angebracht. In allen Jahren wurden die von den Klägern erklärten Vermietungseinkünfte - und damit auch die erklärten Schuldzinsen - beanstandungslos bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt.

Im ESt-Bescheid 2001 fanden die Schuldzinsen dagegen nur i.H.v. 21,23 % Berücksichtigung. Grund hierfür war, dass der von den Klägern gewählte Aufteilungsmaßstab von der Qualitätssicherungsstelle des Beklagten beanstandet worden war. Diese gelangte zu der Auffassung, dass die Schuldzinsen nach dem Verhältnis der Wohnfläche aufzuteilen seien. Dabei sei von einer Gesamtfläche 179 qm auszugehen, so dass auf die 38 qm große Mietwohnung 21,23 % entfallen würden. Der von den Klägern vorgenommenen Aufteilung der Schuldzinsen könne nicht zugestimmt werden, da bisher keine klare Trennung der Finanzierung dargelegt worden sei.

In dem gegen den ESt-Bescheid 2001 geführten Einspruchsverfahren erreichten die Kläger zwar nicht, dass die Schuldzinsen wie in den Vorjahren durch direkte Zuordnung aufgeteilt werden, jedoch gewannen sie insoweit, dass statt des Verhältnisses der Wohnflächen zumindest das Verhältnis der Herstellungskosten für den Schuldzinsenabzug zugrundegelegt wurde, d.h. dass wie in Jahren 1995 und 1996 28,9 % der Zinsen als Werbungskosten anerkannt wurden (Einspruchsentscheidung vom 07.08.2003).

Dies nahm der Beklagte zum Anlass, am 14.10.2003 die ESt-Bescheide 1997 bis 2000 unter Bezugnahme auf § 174 Abs. 4 AO dahingehend zu ändern, dass auch in diesen Jahren der Schuldzinsenansatz nunmehr nur noch mit 28,9 % berücksichtigt wird. Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein. Der Einspruch betreffend das Streitjahr 1997 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 26.02.2004 zurückgewiesen; die übrigen Einsprüche sind noch nicht entschieden.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Aufhebung des ESt-Bescheids 1997 vom 14.10.2003. Sie sind der Ansicht, dass der von ihnen gewählte Aufteilungsmaßstab richtig sei und im Übrigen die formellrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheides nicht vorlägen.

Bei den Veranlagungen der Jahre 1994 bis 1997 seien sämtliche Herstellungskosten und deren Verteilung auf die selbstgenutzte bzw. vermietete Wohnung nachgewiesen und vom Beklagten geprüft worden. Das Gleiche gelte für den Nachweis und die Zuordnung der Finanzierungskosten.

Die National-Bank habe zu jedem Hypothekendarlehen ein eigenes Abwicklungskonto eingerichtet. Sie - die Kläger - hätten darauf geachtet, alle Kosten, die dem Gebäudeteil "Einliegerwohnung" zuzuordnen gewesen seien, nur von dem Abwicklungs-/Baukonto zu dem Darlehen 0000001 zu bezahlen. Die einzelnen Baukonten sowie sämtliche Rechnungen hätten dem Beklagten vorgelegen, so dass dieser sowohl die Zuordnung der Darlehen zu den Baukonten als auch die Zuordnung der Bauleistungen zu den Darlehensmitteln habe nachprüfen können. Der Nachweis, dass die Herstellungskosten der Einliegerwohnung mit Mitteln des Darlehens 0000001 der Nordrheinischen Ärzteversorgung finanziert worden sei, sei mithin längst erbracht worden. Der Beklagte habe die erklärte Zuordnung der Finanzmittel über mehrere Jahre hinweg auch nicht beanstandet. Es könne nicht rechtens sein, dass der Beklagte mehrere Jahre später erneut die Vorlage der Belege verlange. Diese könnten sie - die Kläger - nicht mehr vorlegen, da sie keine Verlassung mehr gesehen hätten, die Teilleistungsabrechnungen und Baukontoauszüge weiter aufzubewahren, nachdem der Beklagte die Höhe der Herstellungskosten und Finanzierungskosten sowie deren Zuordnung auf die beiden Wirtschaftsgüter festgestellt habe. Die damaligen Feststellungen müssten auch Gültigkeit für die Zukunft erlangen, da sich der Beklagte insoweit gebunden habe.

Die Kläger beantragen,

den ESt-Bescheid 1997 vom 14.10.2003 sowie die Einspruchsentscheidung vom 26.02.2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO vorliegen. Denn der ESt-Bescheid 2001 sei aufgrund eines Einspruchs der Kläger hinsichtlich der Zinsen zu deren Gunsten geändert worden. Dass dem Begehren der Kläger nur teilweise abgeholfen worden sei, sei unbedeutend. Entscheidend sei allein, dass es zu einer Steuerminderung gekommen sei. § 174 Abs. 4 AO erlaube es der Finanzbehörde bei einer derartigen Konstellation, den als irrig beurteilt erkannten Sachverhalt (hier: Finanzierungszusammenhang der Schuldzinsen) auch in anderen Streitjahren richtig zustellen.

Die Änderung sei auch materiellrechtlich rechtmäßig, da die Kläger den von ihnen behaupteten Finanzierungszusammenhang nicht hätten nachweisen können. Dass der Aufteilung der Kläger bei den Veranlagungen 1997 bis 2000 zunächst gefolgt worden sei, begründe keinen Vertrauensschutz.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die ESt-Akten der Jahre 1994 bis 2001 einschließlich der Rechtsbehelfsakten zur ESt 1997 und 2001 verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der ESt-Bescheid 1997 vom 14.10.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Denn die formellrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung des Bescheides liegen nicht.

Insbesondere konnte der Bescheid nicht nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden.

Nach dieser Vorschrift ist die Finanzbehörde in den Fällen, in denen auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, berechtigt, aus dem Sachverhalt (auch) in einem anderen gegenüber dem Steuerpflichtigen ergangenen Bescheid die richtigen steuerlichen Folgerungen zu ziehen. Bestimmter Sachverhalt i.S. dieser Vorschrift ist ein steuererheblicher Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerrechtliche Folgerungen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhaltes ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes steuerrechtlich bedeutsames Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Die Beurteilung des Sachverhalts ist irrig, wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweist. Ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis dahingehend, dass die Berücksichtigung des Sachverhaltes in dem einen Steuerbescheid die weitere Berücksichtigung desselben Sachverhaltes bei einem anderen Steuerpflichtigen, einer anderen Steuerart oder in einem anderen Veranlagungszeitraum denkgesetzlich ausschließt, erfordert die Norm nach der Rechtsprechung des BFH nicht (vgl. BFH, Urteil vom 18.02.1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6, BStBl II 1997, 647 m.w.N.;Urteil vom 29.06.2005 X R 38/04, BFH/NV 2005, 1751).

Anlass dafür, "die richtigen steuerlichen Folgerungen" in einem anderen Bescheid zu ziehen, besteht nur, wenn aufgrund der im Ausgangsjahr zu einem bestimmten Sachverhalt gewonnenen besseren Erkenntnis feststeht, dass ein anderer Bescheid in diesem Punkt fehlerhaft ist. Dass dies im Streitjahr der Fall ist, vermochte der Senat nicht festzustellen.

Zu beurteilender Sachverhaltskomplex ist die Finanzierung der Herstellungskosten der vermieteten Wohnung, wobei verschiedene Tatsachen wie z.B. die Höhe der Schuldzinsen, die Höhe der Herstellungskosten oder die Wohnfläche eine Rolle spielen. Die Frage, welcher Aufteilungsmaßstab zur Anwendung kommt - d.h. ob die insgesamt angefallenen Schuldzinsen nach dem Verhältnis von der Wohnfläche oder der Herstellungskosten oder durch direkte Zuordnung auf den vermieteten Teil verteilt werden - ist dagegen nicht Teil des Sachverhaltskomplexes, sondern Ausfluss einer rechtlichen Beurteilung. Alle drei genannten Verteilungsschlüssel sind rechtlich zulässig und können - in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Einzelfalls - grundsätzlich zum Einsatz kommen. So wurden die Schuldzinsen im Streitfall im Jahr 1994 z.B. nach dem Verhältnis der Wohnfläche aufgeteilt und in den Jahren 1995 und 1996 nach dem Verhältnis der Herstellungskosten, ohne dass dies Grund zu der Annahme gäbe, der eine oder der andere Ansatz sei unzutreffend.

Ebenso verhält es sich bei dem von den Klägern für das Jahr 1997 aufgrund direkter Zuordnung bestimmten Verteilungsschlüssel. Nach der Rechtssprechung des BFH können Darlehenszinsen auch insoweit als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden, als der Steuerpflichtige das Darlehen tatsächlich zur Herstellung des der Einkünfteerzielung dienenden Gebäudeteils verwendet hat. Voraussetzung hierfür ist, dass die Herstellungskosten dem vermieteten Gebäudeteil gesondert zugewiesen werden und diese tatsächlich nur mit dem Darlehen gezahlt worden sind, dessen Zinsen als Werbungskosten geltend gemacht werden (vgl. BFH, Urteil vom 27.10.1998 IX R 44/95, BFHE 187, 276, BStBl II 1999, 676).

Ein irrig beurteilter Sachverhalt i.S.d. § 174 Abs. 4 AO läge im Streitfall mithin nur dann vor, wenn aufgrund des bezüglich der ESt 2001 geführten Einspruchsverfahrens feststeht, dass die o.g. Voraussetzungen, unter denen die Kläger eine direkte Zuordnung der Darlehenszinsen vornehmen können, im Streitjahr 1997 nicht vorlagen.

Die Kläger tragen vor, dass für jedes Darlehen ein eigenes Baukonto eingerichtet worden sei und die auf die vermietete Wohnung entfallenden Herstellungskosten - ggfs. unter Aufteilung der Gesamtrechnung - nur von dem Abwicklungs-/Baukonto zu dem Darlehen 0000001 bezahlt worden seien. Damit sind die Voraussetzungen für eine direkte Zuordnung der für das Darlehen 0000001 anfallenden Zinsen jedenfalls nach dem Vortrag der Kläger gegeben. Anders als bei der Erstveranlagung 1997, bei der den Klägern der Nachweis des von ihnen behaupteten Finanzierungszusammenhangs oblag, obliegt im Rahmen des § 174 Abs. 4 AO nunmehr dem Beklagten der Nachweis dafür, dass die Voraussetzungen für den mit bestandskräftigem Bescheid anerkannten Verteilungsschlüssel gerade nicht vorlagen. Diesen Beweis hat der Beklagte jedoch nicht erbracht.

Insbesondere ergibt sich diese Erkenntnis nicht aus dem Einspruchsverfahren zur Einkommensteuer 2001. Für den Veranlagungszeitraum 2001 wurde den Klägern eine auf direkter Zuordnung beruhende Aufteilung der Schuldzinsen zwar letztlich versagt, jedoch nur deshalb, weil wegen der Vernichtung der Baukonten der Finanzierungsnachweis nicht mehr erbracht worden konnte. Dass die Kläger diesen Nachweis in den Jahren 2002/2003 nicht mehr erbringen konnten, bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Voraussetzungen im Streitjahr 1997 nicht vorlagen. Da mithin nicht feststeht, dass der ESt-Bescheid 1997 hinsichtlich des Tatbestandskomplexes "Finanzierung der Herstellungskosten" überhaupt falsch ist, durfte der Beklagte diesen Bescheid nicht nach § 174 Abs. 4 AO ändern.

Dass den Klägern bei der konkreten Berechnung der abzugsfähigen Schuldzinsen ein Fehler unterlaufen ist, ändert hieran nichts. Und zwar haben die Kläger die für die vermietete Wohnung angefallenen Herstellungskosten fehlerhafterweise ins Verhältnis zu dem Darlehensstand 01.01.1997 (263.531,78 DM) gesetzt, anstatt den abzugsfähigen Prozentsatz nach dem Ursprungsbetrag des Darlehens (270.000 DM) zu ermitteln. Dies hatte zur Folge, dass im Streitjahr statt richtigerweise (203.396/270.000 x 16.371 =) 12.332,57 DM tatsächlich (203.396/263.553 x 16.371 =) 12.635,26 DM zum Abzug gekommen sind. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine irrige Beurteilung i.S.d. § 174 Abs. 4 AO, sondern um eine falsche rechtliche Würdigung der Kläger, welche der Beklagte trotz Offenlegung der Berechnungsmethode bei der ESt-Veranlagung nicht beanstandet hat.

Sofern der Beklagte der Ansicht ist, dass auch neue Erkenntnisse hinsichtlich der Glaubhaftmachung von Tatsachen zu einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO berechtigten, folgt dem der Senat nicht. Denn die Änderungsvorschrift greift nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur dann, wenn ein Sachverhalt, d.h. die steuererheblichen Tatsachen, irrig beurteilt worden sind, nicht aber schon dann, wenn das Finanzamt darüber irrt, ob die von dem Steuerpflichtigen vorgelegten Belege zur hinreichenden Glaubhaftmachung eines bestimmten Sachverhalts genügen. Zudem steht im Streitfall nicht mal fest, dass die Kläger den Finanzierungszusammenhang nicht bereits im Rahmen der Veranlagung zur ESt 1997 nachgewiesen haben. Auch insoweit erlaubt der Umstand, dass der Nachweis im Jahr 2002/2003 nicht mehr gelang, keinen Rückschluss darauf, dass ein derartiger Nachweise für das Streitjahr 1997 ebenfalls nicht erbracht worden ist.

Der Senat hegt Bedenken, ob der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 AO nicht von vornherein auf die Fälle beschränkt ist, bei denen ein Sachverhalt aufgrund der vorausgegangenen Aufhebung oder Änderung ohne Regelung bleibt (so Loose in Tipke/Kruse, AO § 174 Rn. 44). Folgt man dieser Auffassung, hätte die Klage schon aus diesem Grund Erfolg, denn der Schuldzinsenabzug war im ESt-Bescheid 1997 bereits geregelt.

Zumindest aber hält der Senat § 174 Abs. 4 AO in den Fällen, in denen die Finanzbehörde den Abzug gewisser Aufwendungen nicht dem Grunde nach versagen, sondern lediglich der Höhe nach ändern möchte und sich zur Begründung auf einen "irrig beurteilten" Dauersachverhalt stützt, generell nicht für anwendbar. Denn verzichtet man der Rechtsprechung des BFH folgend bei der Auslegung des § 174 Abs. 4 AO auf das Tatbestandsmerkmal "widerstreitende Festsetzung" bzw. "wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis", dann eröffnen sich in Fällen wie dem Streitfall erhebliche Mißbrauchsmöglichkeiten für die Finanzverwaltung. Diese hätte es in der Hand, sich ihre Änderungsbefugnis selbst zu schaffen. Erkennt z.B. ein Finanzbeamter bei der laufenden Veranlagung, dass in den Vorjahren bestimmte Aufwendungen aus egal welchen Gründen mit einem zu hohen Verteilungsschlüssel anerkannt wurden (z.B. 70 % statt richtigerweise 40 %) und hat dieser Verteilungsschlüssel seine Grundlage in einem Dauersachverhalt, dann könnte der Finanzbeamte die Aufwendungen in der aktuellen Veranlagung bewusst niedriger ansetzen als für richtig gehalten (d.h. mit 0 % bis 39 %), um diesen Ansatz anschließend im Rechtsbehelfsverfahren auf den von ihm von Anfang an für richtig gehaltenen Wert (im Beispielsfall 40 %) erhöhen zu können und so die Tatbestandsvoraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO künstlich herbeizuführen. Der Steuerpflichtige wäre in einem derartigen Fall dem Gebaren der Finanzverwaltung schutzlos ausgeliefert, zumal der Nachweis, dass der Finanzbeamte den Verteilungsschlüssel in der laufenden Veranlagung bewusst und gewollt zu niedrig gewählt hat, kaum zu führen sein dürfte.

Der Senat hat zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall ein missbräuchliches Verhalten seitens des Beklagten vorliegt, d.h. dass die Schuldzinsen im Rahmen der ESt-Veranlagung 2001 lediglich deshalb nach dem Verhältnis der Wohnflächen verteilt wurden, um die Erhöhung dieses Ansatzes im Rechtsbehelfsverfahren auf das Verhältnis der Herstellungskosten als Anlass für Folgeänderungen nehmen zu können. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werde, dass ein findiger Finanzbeamter in vergleichbaren Fällen durchaus zu einem derartigen "Hilfsmittel" greifen könnte, um einen als fehlerhaft erkannten, aber eigentlich nicht mehr berichtigungsfähigen Dauersachverhalt doch noch einer Änderung zuführen zu können.

Dass § 174 Abs. 4 AO im Streitfall nicht anwendbar sein kann, ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Dieser soll nach der Rechtsprechung des BFH darin liegen, dass ein Steuerpflichtiger im Falle seines Obsiegens mit einem gewissen Rechtsstandpunkt an seiner Auffassung festgehalten werden soll, soweit derselbe Sachverhalt zu beurteilen ist. Der Steuerpflichtige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, müsse auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (BFH, Beschlüsse vom 27.07.2001 XI B 85/00, BFH/NV 2001, 1534 und vom 21.05.2004 V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497). Die Kläger haben mit ihrer Rechtsansicht - nämlich dass die Schuldzinsen auch im Jahr 2001 durch direkte Zuordnung aufzuteilen seien - jedoch weder ganz noch teilweise obsiegt, sondern der Beklagte hat den Ansatz der bislang berücksichtigten Schuldzinsen aus anderen Gründen erhöht. Den Umstand, dass die Kläger einen noch höheren Ansatz begehrt, im Rahmen der ESt 2001 aber nicht bekommen haben, nunmehr als Rechtfertigung dafür nehmen zu wollen, ihnen den höheren Ansatz auch in früheren Jahren zu nehmen, ist unter dem Gesichtspunkt "Vor- und Nachteilsausgleich" absurd und mit dem Sinn und Zweck des § 174 Abs. 4 AO nicht zu vereinbaren.

Mithin wären die formellrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung des ESt-Bescheids 1997 nach der Auffassung des Senats selbst dann nicht gegeben gewesen, wenn dem Beklagten der Nachweis gelungen wäre, dass im Jahr 1997 die Voraussetzungen für eine auf direkter Zuordnung basierende Aufteilung der Schuldzinsen nicht vorlagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zwecks Fortbildung des Rechts zugelassen.



Ende der Entscheidung

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