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Gericht: Finanzgericht Münster
Beschluss verkündet am 06.04.2009
Aktenzeichen: 12 V 446/09 E
Rechtsgebiete: BewG, EStG


Vorschriften:

BewG § 12 Abs. 3
EStG § 20 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Vollziehung des Bescheides für 2002 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 12.12.2008 wird in Höhe eines Betrages von 34.822,00 EUR ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Streitig ist, ob eine mehr als ein Jahr nach dem Zeitpunkt der Vereinbarung fällig werdende Ausgleichsforderung nach § 12 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG) abzuzinsen ist und der Zinsanteil bei Zahlung der Ausgleichsforderung zu Einkünften aus Kapitalvermögen führt.

Am 04.11.1994 schlossen die Antragsteller (Ast.) in notarieller Form eine ehevertragliche Vereinbarung (UR-Nr. 688/1994 des Notars F in B), in der der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft beendet wurde und der Ast. sich verpflichtete, "an seine Ehefrau (Antragstellerin -Astin.-) einmalig einen spätestens am 31.12.1999 zinslos fälligen Ausgleichsbetrag in Höhe von 600.000 DM zu zahlen. Im Streitjahr 2002 zahlte der Ast. diesen Betrag an die Astin. Der Antragsgegner (Ag.) zerlegte diese Zahlung auf der Grundlage des § 12 Abs. 3 BewG in eine Kapitalrückzahlung und eine Zinszahlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG). Im nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuer(ESt) -Bescheid vom 12.12.2008 erhöhte der Ag. die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Astin. deswegen um 72.092,00 EUR und setzte die ESt auf 202.952,00 EUR fest. Von 2006 - 2008 fand bei den Ast. eine Steuerfahndungsprüfung statt.

Über den am 16.12.2008 gegen den ESt-Änderungsbescheid eingelegten Einspruch hat der Ag. bislang nicht entschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des gesamten Nachzahlungsbetrages in Höhe von 46.505,51 EUR ohne Sicherheitsleistung lehnte der Ag. mit Verfügung vom 23.01.2009 ab. Den mit Schriftsatz vom 27.01.2009 wiederholt gestellten Antrag auf AdV aller strittigen Steuerbeträge lehnte der Ag. mit Verfügung vom 30.01.2009 ab.

Mit dem am 09.02.2009 bei Gericht eingereichten Antrag auf AdV tragen die Ast. vor, dass § 12 Abs. 3 BewG lediglich kraft Verweisung in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG Bedeutung für die Bewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten im Rahmen der Gewinneinkunftsarten habe. § 12 Abs. 3 BewG stelle jedoch keine Einkommensbesteuerungsgrundlage dar. Eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG auf die Überschusseinkunftsarten verstosse gegen das Rechtsstaatsgebot des Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG).

Auch dem Wortlaut nach könne der § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht als Besteuerungsgrundlage herangezogen werden. Denn die Norm setze entweder die Rückzahlung von Kapitalvermögen oder ein zugesagtes oder gewährtes Entgelt für die Nutzung überlassenen Kapitalvermögens voraus. Beide Tatbestandsalternativen seien vorliegend nicht erfüllt. Die erste Tatbestandsalternative des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG liege nicht vor, weil der Ast. seiner Ehefrau mit der Zahlung des Betrages von 600.000 DM als Zugewinnausgleich nichts zurückgezahlt habe. Die zweite Tatbestandsalternative liege nicht vor, weil der Ast. seiner Ehefrau mit der Zahlung von 600.000 DM nur die ermittelte Summe des Zugewinnausgleichs gezahlt habe und ein zugesagtes oder gewährtes Entgelt für die Stundung der Forderung gerade nicht gewollt gewesen sei und auch nicht geregelt worden sei. Vielmehr ergebe sich aus dem Umkehrschluss aus § 20 Abs. 2 Nr. 4 EStG, dass nach dem Willen des Gesetzgebers andere als die dort erwähnten abgezinsten Kapitalforderungen gerade keine Einkommensteuerpflicht auslösen sollten.

Die Rechtsauffassung des Ag. verstoße auch gegen das Prinzip der Einkommensbesteuerung nach der Leistungsfähigkeit, da fiktive Einnahmen nicht die Leistungsfähigkeit erhöhten. Auch verstoße sie gegen das Gebot der Gleichbehandlung, da beispielsweise eine unentgeltliche Überlassung von Sachgütern - etwa die kostenlose Überlassung einer Wohnung - beim überlassenden Ehegatten auch nicht zu einer Zurechnung von fiktiven Einkünften führen würde. Hätte etwa der Ast. im Rahmen der hier streitigen ehevertraglichen Vereinbarung seiner Ehefrau eine Immobilie auf einen entsprechend späteren Zeitpunkt übertragen, so wären auch nicht bei der Ehefrau einkommensteuerrechtlich Einkünfte unterstellt worden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ast. zusammenveranlagte Eheleute seien, ergebe sich unter dem Gesichtspunkt einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit durch die zinslose Stundung der Zugewinnausgleichsschuld des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau ein "Null-Summen-Spiel". In dem Maße, in dem der Ehefrau (fiktiv) Zinseinnahmen zugerechnet würden, müßte eine entsprechende verzinsliche Schuld des Ehemannes analog § 12 Abs. 3 BewG passiviert werden, die sich im Rahmen der Zusammenveranlagung neutralisieren würde.

Außerdem verstoße der Ag. gegen das Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Die Besteuerung hätte - wenn überhaupt - dann anteilig in den einzelnen Jahren 1994 - 1999 vorgenommen werden müssen. Insoweit sei jedoch Festsetzungsverjährung eingetreten. Jedenfalls seien nach den notariellen Urkunden der Ausgleichsbetrag spätestens am 31.12.1999 zur Zahlung fällig gewesen, so dass spätestens im Veranlagungszeitraum 1999 der Zinsanteil der Besteuerung hätte zugrunde gelegt werden müssen. Insoweit sei aber auch Festsetzungsverjährung eingetreten.

Aus der Rechtsprechung des Ersten Senates des Bundesfinanzhofes (BFH-Urteil vom 30.11.2005, I R 110/04, BStBl 2007, 251) ergebe sich, dass Verpflichtungen zu Geldleistungen jedenfalls dann, wenn.sie - wie hier -tatsächlich keinen Zinsanteil enthalten, nicht abzuzinsen seien.

Außerdem übersehe der Ag., dass die hier streitige Rechtsfrage Gegenstand der Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof, Aktenzeichen VIII R 35/07 und Aktenzeichen X R 38/06 sei.

Die Ast. beantragen,

die Vollziehung des Bescheides für 2002 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 12.12.2008 in Höhe eines Betrages von 46.505,51 EUR nebst weitergehender Zinsen (Einkommensteuer 2002 in Höhe von 34.822,00 EUR, Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 9.744,00 EUR, römisch-katholische Kirchensteuer in Höhe von 24,03 EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.915,21 EUR) ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Gestellung einer Sicherheitsleistung einzustellen.

Der Ag. beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH-Urteil vom 26.06.1996, VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175) sei der Wert unverzinslicher Forderungen oder Schulden, deren Laufzeit mehr als ein Jahr betrage und die zu einem bestimmten Zeitpunkt fällig werden nach § 12 Abs. 3 BewG abzuzinsen. Dieses gelte auch dann, wenn zwischen den Vertragsparteien nicht ausdrücklich Zinsen vereinbart worden seien. Da in § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG eine spezielle Bewertungsregelung nicht enthalten sei, gelte § 12 Abs. 3 BewG über § 1 BewG auch im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die vorgenannte Rechtsprechung sei durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes bestätigt worden (Bundesverfassungsgericht-Beschluss vom 07.06.1993, 2 BvR 335/93, HFR 1993, 542).

Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf die Antragsschrift vom 09.02.2009 und die Steuerakten Bezug genommen.

II. Der Senat legt den Antrag dahingehend aus, dass der Ast. eine Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer begehrt. Die Zinsen zur Einkommensteuer, die römisch-katholische Kirchensteuer und der Solidaritätszuschlag sind nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens und richten sich grds. nach der Einkommenssteuerfestsetzung.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Der Bundesfinanzhof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes zu bejahen sind, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- oder Tatfragen bewirken. Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken nicht zu überwiegen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 22.01.1976, V B 75-76/75, BStBl. II 1976, 250). Wegen der summarischen Beurteilung können neben dem Akteninhalt und dem substantiierten Vorbringen der Beteiligten nur präsente Beweismittel berücksichtigt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 05.03.1979, GrS 5/75, BStBl. II 1979, 570).

Im Rahmen einer summarischen Prüfung bestehen nach Aktenlage an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen ESt-Bescheides für 2002 vom 12.12.2008 insoweit ernstliche Zweifel, als dort der Klägerin (Klin.) aufgrund der Zugewinnausgleichsforderung ein Zinsanteil zugerechnet worden ist.

Zutreffend weisen die Ast. darauf hin, dass § 12 Abs. 3 BewG keine unmittelbare Grundlage für die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen gem. §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG darstellen. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sieht eine Anwendung des § 12 Abs. 3 BewG nur im Rahmen der Gewinneinkunftsarten vor. Da bei den Einkünften aus Kapitalvermögen die Einkünfte der Überschüsse der Einnahmen über die Werbungskosten sind, § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG, kommt es auf die Bewertung der Kapitalforderung, für die § 1 Abs. 1 BewG gelten würde, nicht an.

Zu Recht weist der Ag. darauf hin, dass der Bundesfinanzhof in seiner bisherigen Rechtsprechung länger als ein Jahr gestundete Forderungen oder Ausgleichszahlungen regelmäßig gemäß § 12 Abs. 3 BewG in einen abgezinsten Barwert und einen Zinsanteil, der als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu erfassen ist, zerlegt hat (z.B. BFH-Urteil vom 26.06.1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175). Diese Gesetzesauslegung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 07.06.1993, 2 BvR 335/93, HFR 1993, 542 noch als eine zulässige Auslegung des einfachen Rechts im Einzelfall angesehen und eine Überschreitung der durch das Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 und Artikel 28 i.V.m. Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz) dem Gericht bei der Auslegung von Gesetzen und bei der Rechtsfortbildung gezogenen Grenzen nicht angenommen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht aber nicht gesagt, dass die vom Bundesfinanzhof in der vorgenannten Entscheidung gefundene Auslegung des einfachen Rechtes die einzig richtige Auslegungsmöglichkeit darstellt. Vielmehr kann der Bundesfinanzhof entsprechend den Gegebenheiten im jeweiligen Einzelfall oder allgemein von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie abweichen.

Ersteres hat der BFH im Urteil vom 14.02.1984 VIII R 41/82, BStBl. II 1984, 550 getan. Dort hat er die Zerlegung einer gestundeten Kaufpreisforderung in einen Kapital- und einen Zinsanteil mit der Folge, dass der Zinsanteil als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern wäre, abgelehnt, weil die Vertragsparteien den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung weitgehend offen gelassen haben.

Für letztere sprechen die Revisionsverfahren Aktenzeichen VIII R 35/07 (vorhergehend: Finanzgericht Düsseldorf , Urteil vom 14.12.2006, 15 K 2811/05 E, EFG 2008, 849) und Aktenzeichen X R 38/06 (vorhergehend: Finanzgericht Düsseldorf , Urteil vom 12.10.2005, 7 K 6939/04 E, EFG 2007, 253). In beiden Verfahren hatte die erste Instanz unter Anwendung der bisherigen Rechtsprechung des 8. Senates (Urteil vom 26.06.1996 VIII R 67/95, a.a.O.) die Klagen abgewiesen. Aufgrund der dagegen vom Steuerpflichtigen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde haben sowohl der 10. als auch der 8. Senat die Revision zugelassen.

Vor diesem Hintergrund und wegen des Fehlens einer der in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG vergleichbaren Norm, die § 12 Abs. 3 BewG für die Überschusseinkunftsarten im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG für anwendbar erklärt hat, hat der Senat bei summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 12.12.2008. In Höhe der auf die vom Ag. angesetzten Kapitaleinkünfte (72.449,00 €;) entfallenden Einkommensteuer von 34.822,00 €; war daher die Vollziehung auszusetzen.

Von der Anordnung einer Sicherheitsleistung sieht der Senat ab, da der Ag. im vorliegendem Verfahren konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruches weder vorgetrage noch glaubhaft gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

Die Beschwerde wird im Hinblick auf die anhängigen Revisionsverfahren (VIII R 35/07 und X R 38/06) zugelassen.

Ende der Entscheidung

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