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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 23.10.2008
Aktenzeichen: 3 K 2274/06 AO
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 125
AO § 126
AO § 234 Abs. 2
AO § 237 Abs. 4
AO § 155 Abs. 2
FGO § 101
FGO § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagte verpflichtet ist, nach § 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) auf Aussetzungszinsen ganz oder teilweise zu verzichten, weil ihre Erhebung nach Lage des Falls unbillig ist.

1997 hatte Frau A 2, die Mutter des Klägers, von ihrer Kommanditbeteiligung an der Firma A GmbH & Co KG einen Teilkommanditanteil unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf ihren Sohn A 1, den Kläger, übertragen. Von ihrem Geschäftsanteil an der A Verwaltungs- und Beteiligungs-GmbH hatte Frau A 2 an den Kläger ebenfalls im Wege der vorweggenommenen Erbfolge eine Stammeinlage abgetreten. Zum Betriebsvermögen der Firma A GmbH & Co KG gehörten die Grundstück B-Str. 1 -3 sowie B-Str. 5, beide in R.

Der Beklagte setzte die Schenkungsteuer mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 14.01.1998 unter Ansatz der Werte in der abgegebenen Schenkungsteuererklärung auf 3.493 DM fest.

Mit Schreiben vom 08.01.1998 hatte der Beklagte beim FA I eine Anfrage zur Feststellung von Grundbesitzwerten für die Erb-/Schenkungsteuer gestellt; dabei hatte der Beklagte um Feststellung nicht durch förmliche Feststellung, sondern um Feststellung im Wege der Amtshilfe gebeten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben vom 08.10.1998 Bezug genommen

Das FA I teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 20.08.1998 die Grundstückswerte für die beiden Grundstücke in R mit. Die Mitteilungen sind bezeichnet mit "Bescheid im Wege der Amtshilfe über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum 02.07.1997". In der Begründung so heißt es: "Die Feststellung erfolgt im Wege der Amtshilfe." Wegen der Einzelheiten wird auf die Bescheide im Wege der Amtshilfe vom 20.08.1998 und vom 25.08.1998 Bezug genommen (Bl. 30 und Bl. 36 der Schenkungsteuerakte).

Der Beklagte änderte daraufhin den Schenkungsteuerbescheid nach § 164 Abs. 2 AO und setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung der vom FA I mitgeteilten Grundbesitzwerte auf 141.555 DM fest. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Schenkungsteuerbescheid vom 09.11.1999.

Der Kläger legte Einspruch ein und beantragte, die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts "zinslos auszusetzen (§ 361 AO mit § 237 Abs. 4 AO und § 234 Abs. 2 AO)". Der Einspruch richtete sich gegen den Ansatz der Buchwerte sowie die Ermittlung der Bedarfswerte der Betriebsgrundstücke B-Str. 1 - 3 und 5 im Ertragswertverfahren. Da Betriebsaufspaltung vorliege, seien die Grundstücke nicht nach § 146 Abs. 3 BewG, sondern nach § 147 BewG zu bewerten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Einspruch vom 23.11.1999 Bezug genommen.

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 07.12.1999 die Vollziehung gem. § 361 AO in Höhe von 138.062 DM aus. Den Antrag auf zinslose Aussetzung der Vollziehung lehnte der Beklagte inzident ab, denn in dem Bescheid wird darauf hingewiesen, dass die Beträge, für die Vollziehungsaussetzung bewilligt worden ist, nach § 237 AO zu verzinsen seien, soweit der Rechtsbehelf im Hauptverfahren endgültig keinen Erfolg habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 07.12.1999 Bezug genommen.

Nach Durchführung einer Betriebsprüfung bei der A GmbH & Co KG durch das dafür zuständige Finanzamt I änderte der Beklagte den Schenkungsteuerbescheid erneut und berücksichtigte die Feststellungen der Prüfung; er setzte die Schenkungsteuer auf 100.815 DM fest. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 12.05.2000 Bezug genommen. Den Einwendungen des Klägers hinsichtlich der für die Betriebsgrundstücke anzusetzenden Werte folgte der Beklagte nicht, nachdem die Bewertungsstelle des Finanzamts I dem Beklagten mitgeteilt hatte, dass es dem Vortrag des Klägers nicht folge (vgl. z.B. Schreiben des FA I vom 21.12.1999).

Im Einspruchsverfahren legte der Kläger für das Betriebsgrundstück B-Str. 1 - 3 ein Verkehrswertgutachten vor, wonach der Verkehrswert 10.300.000 DM betrug (gegenüber bisher angesetzten 10.446.000 DM). Der Kläger vertrat jedoch weiter die Auffassung, dass die Bewertung des Grundstücks nicht im Ertragswertverfahren, sondern nach § 147 BewG zu erfolgen habe, da es sich um einen Fall der Betriebsaufspaltung handle

Der Beklagte folgte dem Vorbringen des Klägers zum Teil und setzte die Schenkungsteuer auf 80.950 DM (41.389,08 Euro) fest. Er berücksichtigte für das Betriebsgrundstück B-Str. 1 - 3 den Verkehrswert mit 10.300.000 DM und für das Betriebsgrundstück B-Str. 5 den bisherigen Wertansatz von 4.114.000 DM. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 10.01.2002 Bezug genommen.

Der Kläger erhob Klage, mit der er insbesondere vortrug, dass im Streitfall die Bewertung des Betriebsgrundstücks B-Str. 1 - 3 nicht nach § 146 BewG, sondern nach § 147 BewG vorzunehmen sei. Die Schenkungsteuer sei danach auf 1.442 DM herabzusetzen. Das Klageverfahren war beim FG Münster unter dem Aktenzeichen 3 K 840/02 Erb anhängig. Der Kläger hatte seinen Klageantrag zunächst umgestellt mit dem Ziel, dass das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 Finanzgerichtsordnung (FGO) die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids bis zum 31.05.2005 feststellt. In der mündlichen Verhandlung am 23.10.2008 hat auch der Kläger den Rechtsstreit ist in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Erstmals am 01.06.2005 forderte der Beklagte das Finanzamt I auf, die Grundbesitzwerte nach § 138 Abs. 5 BewG gesondert festzustellen.

Der Kläger bezahlte die ausgesetzte Schenkungsteuer im Juli 2005. Er stellte den Antrag, auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen zur Schenkungsteuer für die Zeit ab Festsetzung der Schenkungsteuer bis zur Bekanntgabe der verfahrensrechtlich notwendigen gesonderten Feststellungen der Grundbesitzwerte zu verzichten. Die angefochtenen Schenkungsteuerbescheide vom 09.11.1999, vom 12.05.2000 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14.01.2005 seien bis einschließlich 31.05.2005 rechtswidrig gewesen, weil sie ergangen seien, ohne dass die Bedarfswerte, wie dies gesetzlich gefordert sei, gesondert festgestellt worden seien. Der Beklagte habe damit gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen. Es handle sich um einen qualifizierten Verfahrensverstoß. Die angefochtenen Bescheide und die Einspruchsentscheidung seien nach der Rechtsprechung des BFH auch nicht nach § 155 Abs. 2 AO rechtmäßig. § 155 Abs. 2 AO lasse es zwar grundsätzlich zu, dass ein Steuerbescheid erteilt werden könne, auch wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen worden sei. Nach der Rechtsprechung des BFH sei aber ein Folgebescheid, der vor Erlass des erforderlichen Grundlagenbescheids ergehe, nur dann durch § 155 Abs. 2 AO gedeckt, wenn der Erlass des Grundlagenbescheids noch beabsichtigt sei und dies für den Adressaten klar und deutlich zu erkennen sei. Im Streitfall habe der Beklagte bewusst gerade nicht im Hinblick auf den anzufordernden Grundlagenbescheid vorläufig agiert oder vorläufig geschätzt. Der Beklagte räume selbst ein, dass dies ursprünglich nicht gewollt gewesen sei. Gehe aber die Behörde, wie hier im Streitfall, irrtümlich aufgrund der in R 124 Abs. 6 der ErbStR vertretenen Rechtsauffassung davon aus, dass ein Grundlagenbescheid nicht nötig sei, sei der die Steuer festsetzende Steuerbescheid rechtswidrig und deswegen aufzuheben.

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Verzicht auf die anfallenden Aussetzungszinsen ab. Eine rechtswidrige Heranziehung zur Schenkungsteuer sei bis zum Erlass des Grundlagenbescheids entgegen der Auffassung des Klägers nicht erfolgt. Gem. § 155 Abs. 2 AO sei die Behörde grundsätzlich berechtigt, auch vor Erlass eines Grundlagenbescheids einen Steuerbescheid zu erlassen, wenn sie nachträglich die Anforderung eines Grundlagenbescheids beabsichtige. Es treffe zu, dass im Streitfall zunächst davon ausgegangen worden sei, dass wegen des Übergangs der Grundstücke im Zusammenhang mit dem Übergang eines Anteils an einer gewerblich geprägten Personengesellschaft die Grundbesitzwerte nicht gem. § 138 Abs. 5 Satz 1 BewG gesondert hätten festgestellt werden müssen und damit ein Grundlagenbescheid nicht anzufordern gewesen sei. Die Rechtsauffassung sei aufgrund der Entscheidung des BFH aber inzwischen geändert worden und deswegen auch im Streitfall eine gesonderte Feststellung durch das Lagefinanzamt erbeten worden. Der bisherige Verfahrensfehler sei dadurch geheilt worden, dass die Notwendigkeit eines förmlichen Bescheids anerkannt werde.

Die bisherige Unterlassung führe nicht zur Nichtigkeit des Schenkungsteuerbescheids. Es handele sich vielmehr um einen Verfahrensfehler i. S. d. § 126 Abs. 1 AO, der gem. § 126 Abs. 2 AO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens geheilt werden könne. Geschehe dies, werde der Verfahrensfehler damit gem. § 126 Abs. 1 AO unbeachtlich. Das bedeute, es werde rückwirkend so angesehen, als habe der Verfahrens- und Formfehler gar nicht bestanden, als wäre der Verwaltungsakt von Anfang an rechtmäßig gewesen. Die Anwendung des § 127 AO entfalle grundsätzlich, soweit ein Verfahrens- oder Formfehler nach § 126 AO geheilt werde. Das entspreche auch dem Inhalt des BFH-Beschlusses vom 02.12.2003 (BStBl II 2004, 204), wonach der BFH darauf hingewiesen habe, dass das Finanzgericht das Klageverfahren nach § 74 FGO lediglich aussetzen müsse, um dem FA Gelegenheit zu geben, die fehlenden Grundlagenbescheide nachzuholen. Der BFH habe den mit einem Verfahrensfehler behafteten Steuerbescheid gerade nicht aufgehoben.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 02.08.2005 Bezug genommen (Zinsakte).

Der Kläger legte Einspruch ein. Der Rechtsauffassung des Beklagten zur Festsetzung von Aussetzungszinsen werde nachdrücklich widersprochen. Im Streitfall handele es sich um einen qualifizierten Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens der in der Nichtbeachtung der örtlichen Zuständigkeit bestehe und deswegen nicht einfach nach § 127 AO heilbar sei. Solche qualifizierten Verstöße gegen die Grundordnung des Verfahrens seien nach Auffassung des Klägers grundsätzlich nicht rückwirkend heilbar; der Kläger bezieht sich dazu auf BFH, Urteile vom 09.08.1995 XI R 109/92, BFH/NV 1996, 404 und vom 11.12.1987 III R 228/84, BStBl II 1988, 320; Klein, AO, 8. Aufl. § 127 Rz 5; Tipke/Kruse AO/FGO, Kommentar, § 127 AO Rz 11 ff. Außerdem sei auf die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen hinzuweisen, wonach beispielsweise Aussetzungszinsen nicht erhoben werden dürfen, wenn Aussetzung der Vollziehung von Bescheiden über Erschließungskosten gewährt worden sei, und der Bescheid über die Erschließungskosten deswegen rechtswidrig gewesen sei, weil keine Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 125 Abs. 2 Baugesetzbuch vorliege (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.11.2001 3 A 1928/98, DVBl 2002, 493).

Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Auf die Erhebung von Zinsen könne verzichtet werden, wenn dies nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn die zunächst rechtswidrige Heranziehung z. B. zu einem Erschließungsbeitrag durch Nachholen der erforderlichen Zustimmung (d. h. ohne Rückwirkung) der höheren Verwaltungsbehörde (altes Recht) nachträglich geheilt werde, für den Zeitraum bis zu Heilung der rechtswidrigen Heranziehung (vgl. OVG Münster, DVBL 2002, 493; Tipke/Kruse AO/FGO, Kommentar § 237 AO, Tz 23).

Der Rechtsauffassung des Klägers, dass er bis zur Erteilung eines Grundbesitzwertbescheids nach § 138 Abs. 5 BewG rechtswidrig zur Schenkungsteuer herangezogen worden sei, werde nicht geteilt. Der Sachverhalt im OVG Urteil sei mit dem diesen Streitfall zugrundeliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen durch eine Baubehörde setze gem. § 125 Abs. 1 Baugesetzbuch einen Bebauungsplan voraus oder alternativ gem. § 125 Abs. 2 Baugesetzbuch die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Eine vorherige Erhebung sei danach tatsächlich rechtswidrig. In dem hier vorliegenden Streitfall sei die Steuerfestsetzung jedoch nicht von einer Genehmigung abhängig gewesen, der erteilte Schenkungsteuerbescheid enthalte allenfalls einen heilbaren Verfahrensfehler. Im Streitfall sei die Schenkungsteuerfestsetzung von Anfang materiell zutreffend erfolgt, § 127 AO sei anwendbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 24.04.2006 Bezug genommen (Zinsakte).

Der Kläger erhob Klage, mit der er sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft, dass es sich bei dem Fehler des Beklagten um einen qualifizierten bzw. gewichtigen Verfahrensfehler gegen die Grundordnung des Verfahrens handle, der nicht rückwirkend geheilt werden könne. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Einspruch zumindest bis zur Anforderung des Grundlagenbescheids in 2005 aufgrund seiner dann geänderten Rechtsauffassung auch nicht erfolglos. Der Beklagte beachte nicht den Wortlaut des § 138 Abs. 5 BewG und des § 237 Abs. 1 Satz 1 AO, indem es ausdrücklich heiße, "soweit ein Einspruch oder eine Klage endgültig keinen Erfolg gehabt hat". Das "soweit" beinhalte nach Auffassung des Klägers sowohl eine verfahrensrechtliche als auch eine zeitliche Komponente. Zumindest bis zum Antrag an das Belegenheitsfinanzamt auf Erteilung eines Grundlagenbescheids, ggfls. bis zur Änderung der Schenkungsteuerfestsetzung sei der Einspruch zulässig und begründet. Aus dem Wort "soweit" ergebe sich, dass die rechtswirksam geschuldete Steuer - und zwar ab Heilung des Verfahrensfehlers - nur insoweit zu verzinsen sei, als der Kläger endgültig unterlegen sei. Die Verzinsung werde insoweit ausgeschlossen, als der Rechtsbehelf wegen qualifizierter Verfahrensfehler Erfolg habe. "Endgültig keinen Erfolg gehabt" habe der Rechtsbehelf nur dann, wenn der angefochtene Schenkungsteuerbescheid bereits im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe für rechtswirksam bestandskräftig festgestellt werde.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid über die Ablehnung des Verzichts auf die Erhebung von Aussetzungszinsen nach § 237 AO vom 02.08.2005 und die Einspruchsentscheidung vom 24.04.2006 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten auf die Festsetzung auf Aussetzungszinsen bis 31.05.2005 zu verzichten,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens,

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Streitfall bestehe kein Grund, auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen zu verzichten. Es sei ohne Bedeutung, aus welchen Gründen der Rechtsbehelf im Ergebnis erfolglos gewesen sei und ob die Finanzbehörde die Aussetzung der Vollziehung zu Recht oder zu Unrecht gewährt habe. Die Zinsen nach § 237 AO seien keine Bestrafung, sondern dienten nur als laufzeitabhängiges Entgelt für die durch die Aussetzung gewährte Kapitalnutzung. Aussetzungszinsen sollten nur den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgleichen, den dieser dadurch erhalte, dass er die Steuer nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung zahle. Im Übrigen bezieht sich der Beklagte auf seine Einspruchsentscheidung.

Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 14.04.2008 erörtert; wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll über den Erörterungstermin Bezug genommen.

Der Senat hat am 23.10.2008 mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Die Entscheidung des Beklagten, nicht auf Aussetzungszinsen zu verzichten, war nach Maßgabe des § 102 FGO nicht als ermessensfehlerhaft zu beurteilen.

Nach § 237 Abs. 1 AO ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg hat. Auf die Zinsen kann gemäß § 237 Abs. 4 AO i.V.m. § 234 Abs. 2 der AO verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Das bedeutet, dass bereits auf die Festsetzung der Zinsen verzichtet werden kann und es nicht erforderlich ist, dass zunächst ein Zinsbescheid ergeht (vgl. BFH, Urteil vom 20.11.1987 VI R 140/84, BStBl II 1988, 402).

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung eines den Antrag auf Verzicht auf Aussetzungszinsen ablehnenden Bescheides darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Hierbei darf das Finanzgericht regelmäßig nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine ganz bestimmte Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO).

Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung der Zinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 AO und mit den Erlassvoraussetzungen i.S. des § 227 Abs. 1 AO, so dass auch hier persönliche und sachliche Gründe zum Verzicht aus Billigkeitsgründen führen können (vgl. BFH, Urteil vom 20.11.1987 VI R 140/84, BStBl II 1988, 402). Es handelt sich um einheitliche Ermessensvorschriften, bei denen der Maßstab der Billigkeit Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimmt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603, 607).

Im Streitfall kommt nur ein Verzicht aus sachlichen Billigkeitsgründen in Betracht. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen wird angenommen, wenn die Erhebung der Zinsen im Einzelfall insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Regelung des § 237 AO nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Zinsen aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (vgl. Urteile des BFH vom 09.05.2007 XI R 2/06, BFH/NV 2007, 1622 und vom 05.06.1996 X R 234/93, BStBl II 1996, 503; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 234 AO Tz. 12; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 234 Rz 27; Schwarz in Schwarz, AO, § 234 Rz 12).

Nach § 237 Abs. 1 AO ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt wurde, zu verzinsen, soweit ein förmlicher außergerichtlicher Rechtsbehelf gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg hat. Ein solcher Zinsanspruch entsteht nur dann wenn, sich die Aussetzung der Vollziehung auf eine wirksam festgesetzte Steuer bezieht. Liegt keine wirksame Steuerfestsetzung vor, so geht die Aussetzung der Vollziehung ins Leere; sie löst dann keine Wirkungen und insbesondere nicht das Entstehen von Aussetzungszinsen nach § 237 AO aus (vgl. BFH, Urteil vom 04.08.2008 I R 72/07, veröffentlicht in [...]).

Ein solcher Sachverhalt liegt im Streitfall aber nicht vor; auch der Kläger selbst geht nicht davon aus, dass die Steuerfestsetzung durch den Bekl. unwirksam war; die Steuerfestsetzung war allerdings zunächst, wie dies auch der Bekl. einräumt, rechtswidrig.

Zweck der Vorschrift des § 237 AO ist es, den wirtschaftlichen Vorteil, den ein Steuerpflichtiger durch eine Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides erreicht, und den entsprechenden Nachteil des Steuergläubigers auszugleichen (vgl. BFH, Urteil vom 24.07.1979 VII R 67/76, BStBl II 1979, 712). Aus welchem Grund der mit dem Rechtsbehelf verfolgte Antrag auf Herabsetzung der festgesetzten Steuer letztlich erfolglos bleibt, ist ohne Bedeutung. Allein maßgebend ist der endgültig geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung ausgesetzt war (BFH, Urteil vom 27.11.1991 X R 103/89, BStBl II 1992, 319). Deshalb ist auch rechtlich unerheblich, ob der für die endgültige Steuerfestsetzung maßgebliche Sachverhalt allein aufgrund der Auswertung der Akten oder aufgrund weiterer Ermittlungen der Rechtsbehelfsstelle oder im Rahmen einer Außenprüfung ermittelt worden ist oder ob die endgültige Steuerfestsetzung -wie im Streitfall- darauf beruht, dass die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Schenkungsteuerbescheids durch Erlass von Grundlagenbescheiden nachträglich geheilt wird.

Letztlich ist es Sache des Steuerschuldners, die Entscheidung zu treffen, ob er die Steuerschuld begleicht, obwohl er der Auffassung ist, dass der Steuerbescheid rechtswidrig ist, oder ob er Aussetzung der Vollziehung beantragt und in Anspruch nimmt.

Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch kein Fall vor, in dem der Beklagte etwa in missbräuchlicher Weise den Kläger durch eine Verletzung der verfahrensrechtlichen Vorschriften vorzeitig zur Zahlung von Steuern herangezogen hätte. Es ist auch vom Beklagten unbestritten, dass der ursprünglich erlassene Bescheid rechtswidrig war, weil der Beklagte Bedarfswerte berücksichtigt hat, die noch nicht durch Grundlagenbescheid festgestellt worden waren und dass dieses Verfahren im Streitfall auch nicht durch § 155 Abs. 2 AO gedeckt war.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH ist ein Folgebescheid, der vor Erlass des Grundlagenbescheides ergeht, nur dann durch § 155 Abs. 2 AO 1977 gedeckt, wenn der Erlass des Grundlagenbescheides noch beabsichtigt ist. Geht die Behörde dagegen irrtümlich davon aus, dass ein Grundlagenbescheid nicht nötig ist, ist der die Steuer festsetzende Bescheid rechtswidrig (vgl. BFH, Beschluss vom 02.12.2003 II B 76/03, BStBl II 2004, 204 unter Hinweis auf Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl. 2003, § 155 Anm. 40, m.w.N.). Da im Streitfall die Grundbesitzwerte der beiden Betriebsgrundstücke nach § 138 Abs. 5 BewG gesondert festgestellt werden mussten, hat dies somit die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Schenkungsteuerbescheides zur Folge gehabt, weil der Bekl. den Schenkungsteuerbescheid in der Vorstellung erlassen hatte, dass gemäß R 124 Abs. 6 ErbStR Grundlagenbescheide über den Wert der beiden Betriebsgrundstücke nicht notwendig sind, sondern dass es ausreicht, wenn das zuständige Finanzamt die Grundbesitzwerte lediglich im Wege der Amtshilfe mitteilt.

Dieser Verfahrensfehler ist aber durch Erlass der Grundlagenbescheide mit Rückwirkung (ex tunc) geheilt worden.

Die herrschende Meinung, dass es sich bei dem begangenen Fehler um einen nachträglich heilbaren Verfahrensmangel handelt, teilt auch der Kläger. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kann die Rechtswidrigkeit eines Folgebescheids (hier: Schenkungsteuerbescheid) durch Erlass der fehlenden Grundlagenbescheide (hier: Bescheide über die gesonderte Feststellung von Grundbesitzwerten) nachträglich beseitigt werden (vgl. BFH, Beschluss vom 02.12.2003 II B 76/03, BStBl II 2004, 204 unter Hinweis auf BFH, Urteil vom 29.04.1987 I R 167/83, BFH/NV 1983, 629 unter B.4.; ebenso BFH, Urteil vom 11.06.2008 II R 58/06, DStR 2008, 1784).

Entgegen der Auffassung des Klägers wird der Verfahrensmangel mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Folgebescheids (hier: Schenkungsteuerbescheid) geheilt. Nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 AO nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird. Nach § 126 Abs. 2 AO können Handlungen nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 - 5 AO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Der Senat ist der Auffassung, dass § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO auch in den Fällen anzuwenden ist, in denen die für den Erlass des Grundlagenbescheids zuständige Behörde, aus welchen Gründen auch immer, keinen Grundlagenbescheid erteilt hat. Diese Rechtsauffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach das Finanzgericht grundsätzlich in Fällen, in denen die Rechtwidrigkeit eines Bescheids durch Erlass des fehlenden Grundlagenbescheids beseitigt werden kann, den angefochtenen Bescheid nicht aufheben darf, sondern das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen muss, um dem Finanzamt die Gelegenheit zu geben, die fehlenden Grundlagenbescheide zu erlassen (vgl. BFH, Beschluss vom 02.12.2003, a.a.O. unter Hinweis auf BFH, Urteil vom 29.04.1987, a.a.O., mit weiteren Rechtsprechungshinweisen; Tipke/Kruse, AO, FGO, Kommentar, § 74 FGO Tz. 11 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Gräber/Koch, FGO, 6. Aufl. 2006, § 74 Rz 12 f.). Die Aussetzung des Verfahrens und die Annahme der Möglichkeit, den Fehler nachträglich zu beseitigen, setzt voraus, dass der Fehler mit Wirkung für die Vergangenheit, also ex tunc, beseitigt wird. Denn ansonsten dürften die Verfahren nicht ausgesetzt werden. Es müssten, wenn die Heilung nicht mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses des Folgebescheids erfolgen würde, vielmehr die unter dem Verfahrensmangel leidenden Bescheide aufgehoben werden.

Diese Rechtsauffassung steht auch in Einklang mit § 127 AO, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deswegen beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.

Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (OVG) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des OVG einen nicht mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt betraf. Das OVG hatte mit Urteil vom 23.11.2001 (3 A 1928/98, DVBl 2002, 493) entschieden, dass die Billigkeit regelmäßig einen Verzicht auf Aussetzungszinsen gebiete, die auf die Zeit bis zum "heilenden" Ereignis entfielen, wenn eine zunächst rechtswidrige Heranziehung zum Erschließungsbeitrag durch Nachholen einer Zustimmung gem. § 125 Abs. 2 Baugesetzbuch (ohne Rückwirkung) geheilt wird. Zum einen ist die Nachholung einer Zustimmung nach § 125 Abs. Baugesetzbuch nicht mit dem Verhältnis zwischen Grundlagen- und Folgebescheid zu vergleichen. Zum anderen handelte es sich in dem vom OVG entschiedenen Fall um einen Fall, in dem die Heilung ex nunc eingetreten ist. Ein weiterer Unterschied gegenüber der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen besteht darin, dass die Schenkungsteuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 bei Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung entsteht.

Der Auffassung des Klägers, das Wort "soweit" in § 237 Abs. 1 Satz 1 AO sei nicht nur quantitativ zu verstehen, sondern enthalte auch eine zeitliche Komponente, folgt der Senat nicht. Mit der Formulierung "soweit" werden die Folgen für den Fall geregelt, dass der Einspruch oder die Klage nur teilweise keinen Erfolg gehabt hat. Dann ist nämlich dieser Betrag zu verzinsen, hinsichtlich dessen der Kläger erfolglos geblieben ist (vgl. Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 237 AO Tz. 8). Wegen der Berechnung bei Aussetzung der Vollziehung von Folgebescheiden wird auf das Urteil des BFH vom 27.10.2003 (X B 36/03, BFH/NV 2004, 158) hingewiesen.

Soweit der Kläger meint, es liege ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, ein sog. qualifizierter Verfahrensverstoß vor, weil sich der Beklagte über die örtliche Zuständigkeit hinweg gesetzt habe, folgt dem der Senat ebenfalls nicht. Die Rechtsprechung des BFH, auf die sich der Kläger in diesem Zusammenhang beruft, sieht einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens nämlich darin, wenn ein Finanzgericht in den Fällen, in denen es an einem Grundlagenbescheid fehlt, in der Sache entscheidet, statt das Verfahren nach § 74 FGO bis zum Erlass des Grundlagenbescheids auszusetzen (vgl. BFH, Urteil vom 09.02.2005 X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235). Vorliegend fehlt es an einer vergleichbaren Situation.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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