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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 3 K 4377/04 Erb
Rechtsgebiete: AO, ErbStG


Vorschriften:

AO § 164 Abs. 1
AO § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AO § 165 Abs. 2
AO § 176
ErbStG § 10 Abs. 1 S. 1
ErbStG § 13a
ErbStG § 19 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

3 K 4377/04 Erb

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO).

Der Kläger (Kl.) übertrug aufgrund notariellen Vertrages vom 20.09.2002 u.a. auf seinen Sohn SXC im Wege der Schenkung diverses Betriebsvermögen (BV) und verpflichtete sich zur Übernahme der Schenkungsteuer. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie der notariellen Vertragsurkunde (Bl. 2-8 der Steuerakten zu den StNr. 000/0000/0000 u. 000/0000/0000) verwiesen.

Bezüglich dieser Schenkung setzte der Beklagte (Bekl.) gegen den Kl. unter Berücksichtigung der Steuerbefreiungen nach § 13 a Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) durch Bescheid vom 17.04.2003 Schenkungsteuer i.H.v. 0 Euro fest. Die Steuerfestsetzung erfolgte gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO in vollem Umfang vorläufig im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren II R 61/99. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Steuerbescheid (Bl. 71-75 der o.g. Steuerakte) verwiesen.

Am 05.05.2004 erließ der Bekl. gegen den Kl. einen geänderten Schenkungsteuerbescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen mehrerer Grundbesitzwertmitteilungen berücksichtigt wurden. Die Schenkungsteuer wurde erneut auf 0 Euro und im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren II R 61/99 in vollem Umfang vorläufig festgesetzt. Zu den Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 05.05.2004 (Bl. 123-128 der o.g. Steuerakte) verwiesen.

Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kl. mit seinem Einspruch vom 04.06.2004. Zur Begründung trug er vor, dass zwar die Feststellungen zur Höhe des Erwerbs nicht zu beanstanden seien, der Bescheid jedoch nicht vorläufig nach § 165 AO hätte ergehen dürfen. Zwar sei beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig, jedoch könne dies nicht zu seinen Lasten gehen. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 13 a ErbStG im Hinblick auf einen Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) dürfe bei dem Erlass des Schenkungsteuerbescheides gegen ihn keine Rolle spielen. Denn aus Vertrauensschutzgründen könne das BVerfG allenfalls zu Gunsten eventuell ungerechtfertigt Benachteiligter entscheiden und nicht etwa zu seinen Ungunsten. Damit erübrige sich die Notwendigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung. Es gehe darum, diejenigen zu schützen, in deren Interesse ein Einspruch läge, weil die anstehende Entscheidung des BVerfG ihre Rechtsposition verbessern könnte. Denjenigen, die wie er, kein Interesse an einem Einspruch hätten, dürfe aber die durch einen vorbehaltlosen Bescheid bewirkte Rechtssicherheit nicht verwehrt werden. Im Übrigen sei der Erlass des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 06.12.2001, auf den sich der Bekl. berufe, rechtswidrig.

Der Bekl. wies den Einspruch des Kl. durch Einspruchsentscheidung (EE) vom 15.07.2004 als unbegründet zurück. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Bekl. in der EE gem. § 164 Abs. 3 AO auf und erklärte die Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO im Hinblick auf das beim BFH unter dem Az. II R 61/99 anhängige Revisionsverfahren in vollem Umfang für vorläufig.

Zur Begründung führte der Bekl. im Wesentlichen aus, in Folge des vorgenannten Revisionsverfahrens habe die Finanzverwaltung am 06.12.2001 (BStBl I 2001 Seite 985) gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden veröffentlicht, wonach Erbschaftsteuer- (ErbSt-) bzw. Schenkungsteuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 1 AO in vollem Umfang für vorläufig zu erklären seien. Hierdurch sei ein Vertrauensschutz nach § 176 AO geschaffen worden. Eine Ermessensentscheidung sei insoweit nicht gegeben, sondern eine gesetzlich angeordnete Vorläufigkeit wegen einer ungewissen Rechtslage. Die Ansicht des Einspruchsführers, Steuerfestsetzungen dürften nur dann vorläufig vorgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige (Stpfl.) erwarten könne, dass die Entscheidung eine für ihn günstigere steuerliche Auswirkung zur Folge haben werde, sei durch § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht gedeckt. Es sei nicht abzusehen, wie sich mögliche Änderungen der Gesetzgebung im Einzelfall auswirken könnten. Der Erlass eines endgültigen Steuerbescheides trotz ungewisser Rechtslage widerspräche der Gesetzesbestimmung des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und sei daher nicht möglich. Durch die vorläufige Steuerfestsetzung sei das Rechtsschutzinteresse des Einspruchsführers nicht verletzt, da gänzlich ungeklärt sei, ob eine echte Rückwirkung zu Lasten des Einspruchsführers möglich sei. Sollte dies der Fall sein, habe der Einspruchsführer immer noch die Möglichkeit, Einspruch gegen einen nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Steuerbescheid einzulegen. Im Übrigen sei der Erlass des Finanzministeriums vom 06.12.2001 für den Bekl. bindend.

Mit seiner Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter. Der Schenkungsteuerbescheid sei aufzuheben und ohne Vorbehalte erneut zu erlassen. Zwar seien die Feststellungen zur Höhe des steuerbaren Erwerbs nicht zu beanstanden. Allerdings habe der Bekl. den Bescheid nicht vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO erlassen dürfen. Ein gesetzlicher Vorbehaltsgrund läge nicht vor und das nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO eröffnete Ermessen reduziere sich in Fällen, in denen es um eine möglicherweise verfassungswidrige Privilegierung gehe, auf Null. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Norm. Zudem habe der Bekl. nicht erkannt, dass er eine Ermessensentscheidung zu treffen habe. Bereits aus diesem Grunde sei die vorläufige Steuerfestsetzung rechtswidrig. Zwar schütze § 176 Abs. 1 AO in der geltenden Form durchaus das Vertrauen des Stpfl. in die Gültigkeit einer Rechtsnorm bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden. Diese Norm könne aber im Wege einer einfachen Gesetzesänderung vom Gesetzgeber beseitigt werden. Daran ändere auch das Rückwirkungsverbot nichts, das der Gesetzgeber bereits in der Vergangenheit immer wieder infrage gestellt habe. Diese Ungewissheit dürfe nicht zu Lasten des Steuerbürgers gehen, der ein Recht darauf habe, aus Gründen der Rechtssicherheit, endgültig beschieden zu werden. Im Streitfall seien die Besteuerungsgrundlagen und die Rechtslage bekannt. Deshalb sei eine Vorläufigkeit nicht gerechtfertigt. Es könne dem Kl. nicht zugemutet werden, mehrere Jahre in Rechtsunsicherheit zu bleiben, bis das BVerfG über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Rechtsnormen entscheide.

Im Übrigen wiederholt der Kl. seine Ausführungen aus dem Einspruchsverfahren.

Der Kl. beantragt,

den Schenkungsteuerbescheid vom 05.05.2004 betreffend den Erwerb des Herrn SXC aus der Schenkung des Kl. vom 20.09.2004 unter Aufhebung der EE vom 15.07.2004 aufzuheben und ohne Vorbehalte erneut zu erlassen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung beruft sich der Bekl. im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der EE.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten die Sach- und Rechtslage am 01.04.2005 erörtert. Hierzu wird auf das Protokoll des Erörterungstermins verwiesen.

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Parteien gem. § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist unzulässig.

Nach § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kl. geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Im Streitfall begehrt der Kl. die Aufhebung des angefochtenen Schenkungsteuerbescheides und die Neubescheidung ohne Mitteilung eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO.

Der Kl. ist indes weder durch die Steuerfestsetzung noch durch die Erteilung des Vorläufigkeitsvermerks gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO beschwert.

Eine für die Zulässigkeit einer Klage notwendige Beschwer liegt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bei einer Steuerfestsetzung auf 0 DM/Euro regelmäßig nicht vor (vgl. BFH-Beschluss vom 08.03.2004 VIII B 52/03 n.V., zitiert nach Juris StRE 200450337;Urteil vom 20.12.1994 IX R 124/92, BStBl II 1995, 628 jeweils mit weiteren Nennungen). Gründe die trotz der Steuerfestsetzung auf 0 Euro für eine Beschwer des Kl. sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.

Auch durch den Vorläufigkeitsvermerk ist der Kl. nicht in seinen Rechten verletzt. Gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO kann eine Steuer u.a. dann vorläufig festgesetzt werden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist. Musterverfahren und Besteuerungsverfahren müssen dieselbe Vorschrift betreffen. Dies ist vorliegend der Fall, da der BFH mit Beschluss vom 22.05.2002 die erbschaftsteuerrechtliche Privilegierung des § 19 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 1 u. 2, Abs. 6 Satz 4, §§ 12, 13 a, 19 a ErbStG i.F.d. Jahressteuergesetzes 1997 dem Bundesverfassungsgericht zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorgelegt hat und Gegenstand des Verfahrens auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschafts und Schenkungsgesetzes ist (vgl. BFH, Vorlagebeschlussvom 22.05.2002 II R 61/99, BStBl II 2002, 598; Az. beim Bundesverfassungsgericht: 1 BvL 10/2002).

Die vorläufige Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO steht im Ermessen der Finanzbehörde. Ob der Bekl. das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, kann dahinstehen. Denn der Kl. ist auch im Falle einer ermessensfehlerhaften Anordnung der Vorläufigkeit gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt. Anders als bei der vorläufigen Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ist bei der vorläufigen Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nur eine Änderung des Steuerbescheides gem. § 165 Abs. 2 Satz 1 AO zugunsten des Stpfl. möglich. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und den Regelungen des § 176 AO. Durch diese Vorschriften soll vermieden werden, dass Stpfl. gezwungen werden, gegen ihre Steuerbescheide Rechtsbehelfe einzulegen, wenn sie insoweit von der Feststellung einer Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht profitieren wollen. Die Vorschrift des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dient damit allein dem Interesse des Stpfl. sowie dem der Allgemeinheit, unnötig parallele Rechtsbehelfsverfahren zu vermeiden. Eine Änderung der Festsetzung zum Nachteil des Stpfl. ist daher auch bei einer vorläufigen Festsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nur nach den §§ 172 ff. AO möglich. Dabei sind die Regelungen des § 176 AO zu beachten, die auch bei Änderungen vorläufiger Steuerfestsetzungen gem. § 165 Abs. 2 Satz 1 AO gelten (vgl. BFH, Urteil vom 11.10.1988 VIII R 419/83, BStBl II 1989, 284; BFH Großer Senat, Beschluss vom 23.11.1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180).

Nach § 176 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO darf bei einer Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Stpfl. berücksichtigt werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht bzw. ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält. Die Regelungen des § 176 AO enthalten insofern einen einheitlichen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Stpfl. davor geschützt werden soll, dass sich ein Rechtsakt, der Eingang in den Steuerbescheid gefunden hat, später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist.

Aufgrund des in § 176 AO gesetzlich normierten Vertrauenstatbestandes ist es dem Bekl. somit trotz der vorläufigen Steuerfestsetzung gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO verwehrt, in Folge der Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 10/02 zukünftig die Schenkungsteuer zuungunsten des Kl. neu festzusetzen. Insofern ist der Kl. durch den Vorläufigkeitsvermerk nicht beschwert. Dabei kann entgegen der Auffassung des Kl. nicht darauf abgestellt werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 176 AO in Zukunft aufheben könnte. Die Beschwer ist anhand der aktuellen Rechtslage und somit unter Berücksichtigung des gesetzlich normierten Vertrauenstatbestandes des § 176 AO zu würdigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

Die Revision wurde zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. FGO) zugelassen.

Ende der Entscheidung

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