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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 26.02.2009
Aktenzeichen: 5 K 320/06 U
Rechtsgebiete: UStG, AO


Vorschriften:

UStG § 15 Abs. 1
AO § 164 Abs. 4
AO § 169 Abs. 2
AO § 171 Abs. 4
AO § 171 Abs. 5
AO § 370 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind der Vorsteuerabzug sowie der Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist.

Der Kläger (Kl.) betrieb im Streitjahr einen Handel mit Kraftfahrzeugen sowie eine Autovermietung. In den Monaten April, Mai und Juni 1996 erhielt er vier Rechnungen der Firma B GmbH (im Folgenden: B) mit Sitz in M über die Lieferung von Kraftfahrzeugen der Marke N. Diese Fahrzeuge hatte der Kl. zuvor telefonisch bei der in Italien ansässigen Firma L über deren Mitarbeiter GC bestellt, mit der er bereits seit 1994 in Geschäftsbeziehungen gestanden hatte. Die Lieferungen erfolgten unmittelbar von Italien aus an den Kl. durch einen Spediteur. Die Rechnungsbeträge überwies der Kl. jeweils auf ein Anderkonto der B bei Rechtsanwalt R in F. Den in den Rechnungen der B offen ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag in Höhe von insgesamt 138.456,51 DM machte der Kl. als Vorsteuer im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen geltend.

Noch im ersten Halbjahr 1996 begann die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts M (im Folgenden: Steuerfahndung) mit Ermittlungen gegen LC, IB, HD, FF und JG. Diese Personen stellten sich aus Sicht der Steuerfahndung als "Hintermänner" der B dar. Es bestand der Verdacht, dass es sich bei der B um eine Scheinfirma handelte, die lediglich als Instrument fungiere, um deutschen Autohändlern als Kunden von italienischen Fahrzeuglieferanten eine Rechnung mit Vorsteuerausweis auszustellen. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurde der Kl. am 25.6.1996 als Zeuge vernommen, wobei er die Abläufe wie oben geschildert darstellte.

Am 24.10.1996 teilte die Steuerfahndung dem Kl. die Einleitung eines gegen ihn gerichteten Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts auf Hinterziehung von Umsatzsteuern in Bezug auf die Vorsteuern aus den Rechnungen der B mit.

Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Z vom 18.12.1997 (W0 KLs 00 Js 00000/00), auf das Bezug genommen wird, wurde JG wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass es sich bei der B um eine nur zu dem Zweck gegründete Firma handelte, Scheinrechnungen auszustellen, um den Rechnungsempfängern den Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Tatsächlich erhielt die B niemals Fahrzeuglieferungen der italienischen Händler. Die Einzelheiten der Verträge wurden vielmehr unmittelbar zwischen den italienischen Firmen und den deutschen Abnehmern vereinbart. Die B wurde lediglich zur Rechnungsausstellung zwischengeschaltet. Die Zahlungsabwicklung lief stets über das Anderkonto bei Rechtsanwalt R, der 1996 verstarb. Als einer der Rechnungsempfänger wird der Kl. in den Feststellungen des Urteils namentlich genannt.

LC, IB, und FF wurden durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Z vom 27.5.1998 (W0 KLs 00 Js 000/00), auf das Bezug genommen wird, ebenfalls wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt. In den Feststellungen dieses Urteils werden die Abläufe entsprechend den Feststellungen des Urteils vom 18.12.1997 dargestellt. Auch in diesem Urteil wird der Kl. namentlich als Rechnungsempfänger der B aufgeführt.

Bis auf die Ablehnung diverser Anträge auf Akteneinsicht wurde die Steuerfahndung gegenüber dem Kl. nicht erkennbar im Rahmen des Strafverfahrens tätig. Mit Schriftsatz vom 29.3.2004 wurde dem Kl. die Einstellung des Strafverfahrens wegen zwischenzeitlich eingetretener Strafverfolgungsverjährung mitgeteilt.

Aufgrund des Fahndungsprüfungsberichts der Steuerfahndung vom 8.9.2004, auf den Bezug genommen wird, setzte der Bekl. durch Bescheid vom 24.9.2004 die Umsatzsteuer für das Streitjahr um 70.791,53 € (= 138.456,51 DM) höher fest als in der bisherigen durch Eingang der Umsatzsteuererklärung am 2.3.1998 bestehenden Jahresfestsetzung.

Seinen hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kl. damit, dass die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Insbesondere greife die Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) nicht ein, da die Steuerfahndung das Ermittlungsverfahren gegenüber dem Kl. für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten unterbrochen habe. Insoweit verweise nicht nur § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, sondern auch Satz 2 dieser Norm auf § 171 Abs. 4 Satz 2 AO. Es bestehe auch ein Anspruch auf Vorsteuerabzug, da die B im Handelsregister eingetragen und damit rechtlich existent sei.

Durch Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 wies der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, da sowohl die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO eingreife, als auch ohnehin eine zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gelte, da vorliegend Steuern hinterzogen worden seien. Ein Vorsteuerabzug sei nicht möglich, da Lieferant und Rechnungsaussteller nicht identisch seien.

Am 26.1.2006 hat der Kl. Klage erhoben. Ergänzend zu seiner bereits im Einspruchsverfahren abgegebenen Begründung trägt er vor, dass keine Anhaltspunkte für einen Vorsatz des Kl. im Hinblick auf die vom Bekl. behauptete Steuerhinterziehung vorlägen. Für ihn sei nicht ersichtlich gewesen, dass es sich bei der B um eine Scheinfirma gehandelt habe. Die Geschäftsabwicklung sei stets problemlos verlaufen. Er habe auch einmal mit dem Notar gesprochen, der das Anderkonto verwaltet hat. Dieser habe ihm versichert, es gehe alles in Ordnung. Sein Preisvorteil aus der Geschäftsbeziehung habe nur etwa 200,- DM pro Fahrzeug betragen und sei teilweise durch erhöhte Lieferkosten oder Lieferung veralteter Modelle aufgezehrt worden. Mit der Firma L in Italien hätten lediglich Modellabsprachen stattgefunden.

Der Kl. beantragt,

den Änderungsbescheid für 1996 über Umsatzsteuer vom 24.9.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 dahingehend abzuändern, dass die Festsetzung erklärungsgemäß erfolgt;

hilfsweise für den Unterliegensfall,

insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob § 171 Abs. 4 Satz 2 AO auf den Fall des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO anzuwenden ist, die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er behauptet, die Ermittlungen seien nicht unmittelbar nach Eröffnung des Strafverfahrens unterbrochen worden. Es bestehe ein enger Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Hintermänner der B. Insoweit seien Vernehmungen bis mindestens zum 14.3.1997 vorgenommen worden. Dem Kl. stünde bereits deshalb kein Anspruch auf Vorsteuerabzug zu, weil mangels Angaben zum Zeitpunkt der Lieferung keine ordnungsgemäßen Rechnungen vorlägen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Aus den vorliegenden Lieferscheinen ließe sich keine genaue Zuordnung der einzelnen in Rechnung gestellten Fahrzeuge vornehmen. Der Preisvorteil des Kl. aus der Geschäftsbeziehung habe deutlich über 200,- DM pro Fahrzeug gelegen, da ihm durch die Rechnungsausstellung zusätzlich der Vorsteuerabzug ermöglicht worden sei.

Vor dem Senat hat am 26.2.2009 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Änderungsbescheid vom 24.9.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kl. nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO).

Der Bekl. hat die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr zurecht um 70.791,53 € erhöht.

I. Der Kl. hatte keinen Anspruch auf Abzug der ihm von der B in Rechnung gestellten Umsatzsteuer in Höhe von 138.456,51 DM als Vorsteuer.

Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind als Vorsteuer abziehen. Voraussetzung ist, dass leistender Unternehmer und Rechnungsaussteller identisch sind (BStBl. II 2004, 627; BFH/NV 2005, 255). Für das Vorliegen der den Rechtsanspruch auf Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trägt der Unternehmer und nicht das Finanzamt die Feststellungslast (BFH/NV 2002, 1407; 3.8.2007 V B 73/07, BFH/NV 2007, 2368).

Vorliegend hat der Kl. nach Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass er die in Rechnung gestellten Fahrzeuglieferungen von der B und nicht unmittelbar von dem italienischen Lieferanten erhalten hat. Nach seinen eigenen Angaben in seiner Zeugenaussage vom 25.6.1996 hat der Kl. die Fahrzeuge direkt bei der italienischen Firma L bestellt und unmittelbar von dort aus bezogen. Die B hat lediglich Rechnungen erstellt und den Zahlungsverkehr über das Anderkonto bei Rechtsanwalt R abgewickelt.

Dass die B tatsächlich keine Fahrzeuglieferungen an den Kl. erbracht hat, steht nach Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen der beiden Urteile des Landgerichts Z vom 18.12.1997 und vom 27.5.1998 fest. Dieser Umstand ist von LC, IB, FF und JG übereinstimmend eingeräumt worden. Nach feststehender Rechtsprechung des BFH kann sich ein Finanzgericht die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils zu eigen machen, es sei denn die Beteiligten erheben gegen die strafgerichtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BStBl II 1995, 198; BFH/NV 1990, 300; BFH/NV 1992, 257; BFH/NV 1992, 612 und BFH/NV 1998, 472). Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene des finanzgerichtlichen Verfahrens am Strafverfahren nicht beteiligt war (BFHE 153, 463; BFH/NV 1999, 1103). Der Kl. hat gegen die Feststellungen der beiden in das Verfahren eingeführten Urteile des Landgerichts Z keine substantiierten Einwendungen erhoben.

Auf die Frage, ob der Kl. wusste oder hätte wissen können, dass die Tätigkeit der B in betrügerischer Absicht vorgenommen worden ist, kommt es im Hinblick auf den Vorsteuerabzug im vorliegenden Fall nicht an. Die Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 12.1.2006 C-354/03 - Optigen Ltd, C-355/03 - Fulcrum Electronic Ltd, C-484/03 Bond House Systems Ltd, Slg. 2006, I-483 und vom 6.7.2006 C-439/04 - Kittel, C-440/04 - Recolta Recycling SPRL, Slg. 2006, I-6161) ist insoweit nicht einschlägig. Nach dieser Rechtsprechung darf einem Unternehmer, an den eine Lieferung vorgenommen wird, der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, wenn er weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war. Dieser Rechtsprechung steht es jedoch nicht entgegen, dass der Vorsteuerabzug deshalb versagt wird, weil die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs wegen einer fehlenden Leistungsbeziehung nicht erfüllt bzw. nachgewiesen werden. Der EuGH hatte vielmehr über Fälle zu entscheiden, in denen gerade alle gesetzlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorlagen. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch an Leistungen an den Kl. durch den Rechnungsaussteller.

II. Der Bekl. hat die Änderung des Umsatzsteuerbescheids zutreffend auf § 164 Abs. 2 AO gestützt. Die ursprüngliche Festsetzung der Umsatzsteuer stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, da die am 2.3.1998 eingegangene Umsatzsteuerjahreserklärung gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.

Der Vorbehalt der Nachprüfung war zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids noch nicht gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 AO entfallen, da die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Die vierjährige Verjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) begann mit Ablauf des Jahres 1998 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) zu laufen. Ihr Ablauf wurde gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt, da dem Kl. bereits am 24.10.1996 die Eröffnung eines Strafverfahrens bekannt gegeben worden war. Die Ablaufhemmung gilt, solange bis die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar werden.

Die Ablaufhemmung ist nicht gemäß § 171 Abs. 4 Satz 2 AO ausgeschlossen, weil die Steuerfahndung die Ermittlungen für die Dauer von mehr als sechs Monaten unterbrochen hat. Ob vorliegend eine derartige Unterbrechung vorliegt oder ob die gegen die anderen Verdächtigen im Tatkomplex B durchgeführten Ermittlungen für eine Fortsetzung des Strafverfahrens gegenüber dem Kl. ausreichen, kann dahinstehen, da die Einschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO nicht auf den Fall des § 171 Abs. 5 Satz 2 sinngemäß anwendbar ist. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO betrifft die Außenprüfung. Eine Außenprüfung fand beim Kl. nicht statt. Gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1, 2. HS AO ist Abs. 4 Satz 2 sinngemäß anzuwenden, wenn die Dienststellen der Steuerfahndung mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen beginnen. § 171 Abs. 5 Satz 2 AO, der die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens betrifft, enthält einen derartigen ausdrücklichen Verweis nicht. Die Vorschrift lautet:"Das Gleiche gilt, wenn ...". Ob mit dieser Formulierung auch ein Verweis auf § 171 Abs. 5 Satz 1, 2. HS AO und damit auf § 171 Abs. 4 Satz 2 AO gemeint ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, da der Wortlaut insoweit offen ist. Diese Frage ist - soweit ersichtlich - bisher nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen.

Aus der Auslegung der Norm nach ihrer Systematik und ihrem Zweck ergibt sich, dass die Einschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO nicht auf die Fälle des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO anwendbar ist.

Das Gesetz macht den Eintritt der Ablaufhemmung in den Fällen einer Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO) und in den Fällen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO) vom Beginn der jeweiligen Ermittlungen abhängig. Abgestellt wird auf Ermittlungshandlungen. Um das Vertrauen des Betroffenen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu schützen, treten diese Ablaufhemmungen erst dann ein, wenn die durchgeführten Maßnahmen für den Betroffenen als Außenprüfung bzw. als Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erkennbar sind (vgl. BStBl. II 2000, 306 zu § 171 Abs. 4 AO und BStBl. II 1997, 595 zu § 171 Abs. 5 Satz 1 AO). Insoweit sind diese beiden Vorschriften systematisch vergleichbar.

Demgegenüber stellt § 171 Abs. 5 Satz 2 AO allein auf die Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens gegenüber dem Betroffenen ab. Anders als in den beiden anderen Fällen kommt es hier nicht auf den Beginn von Ermittlungsmaßnahmen als faktische Vorgänge, sondern auf die formelle Bekanntgabe der Einleitung im Sinne von § 397 Abs. 3 AO an. Anders als ein Außenprüfungsverfahren ist die Einleitung eines Strafverfahrens aktenkundig zu machen (§ 397 Abs. 2 AO).

§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO hat die Zielsetzung, eine unbegrenzte Ablaufhemmung für jene Fälle auszuschließen, in denen sich die Durchführung einer Außenprüfung über Gebühr aus Gründen verzögert, die die Finanzbehörde zu vertreten hat (BFH/NV 1999, 1145). Die Vorschrift stellt auf eine faktische Unterbrechung der Außenprüfung ab. Dies entspricht den Voraussetzungen der Ablaufhemmung, die ebenfalls auf den faktischen Beginn der Prüfungsmaßnahmen abstellt.

Dieses Abstellen auf die faktische Unterbrechung einer Prüfung ist jedoch systematisch nicht auf die förmliche Einleitung eines Strafverfahrens im Sinne von § 171 Abs. 5 Satz 2 AO übertragbar. Wenn der Eintritt der Ablaufhemmung auf ein formelles Ereignis - Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen - abstellt, ohne dass es auf den Beginn konkreter Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dem Beschuldigten ankommt, kann die faktische Unterbrechung von Ermittlungshandlungen nicht zu einem Ausschluss der Ablaufhemmung führen. Unterbrechungsvoraussetzung ist ein punktuelles Ereignis (Einleitung des Verfahrens). Auf weitere Voraussetzungen, insbesondere auf Ermittlungsmaßnahmen, stellt das Gesetz nicht ab. Im Übrigen liegt es in der Natur eines Strafverfahrens, dass nicht alle Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dem Beschuldigten erkennbar werden.

Die Ablaufhemmung war bei Erlass des Änderungsbescheids auch noch nicht beendet. § 171 Abs. 5 AO lässt den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an eine Fahndungsprüfung ohne zeitliche Begrenzung zu. Eine analoge Anwendung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO auf die Fälle des Abs. 5 ist nicht vorzunehmen. Als zeitliche Grenze kommt nur der Eintritt der Verwirkung in Betracht (BStBl. II 2002, 586).

Eine Verwirkung ist vorliegend jedoch nicht eingetreten. Eine Verwirkung setzt über den Zeitablauf hinausgehende Umstände voraus, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BStBl II 1987, 12; BFH/NV 1989, 260, 261 und BStBl. II 2002, 586). Verwirkung ist dann anzunehmen, wenn die Behörde während eines längeren Zeitraums untätig geblieben ist und der Steuerpflichtige daraus den Schluss ziehen konnte, dass die Untätigkeit endgültig sein sollte und der Steuergläubiger auf die Geltendmachung des Steueranspruchs verzichtet hat (BStBl. II 1999, 28). In einem solchen Fall löst auch eine Untätigkeit der Steuerfahndung für einen Zeitraum von acht Jahren keine Verwirkung aus (BFH/NV 1999, 1186).

Vorliegend ist die Steuerfahndung zwar nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens gegenüber dem Kl. erkennbar für einen Zeitraum von über sieben Jahren nicht tätig geworden. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kl. aufgrund dieses Verhaltens den Schluss ziehen konnte, die Finanzverwaltung habe auf die Geltendmachung des Steueranspruchs verzichtet.

III. Die Festsetzungsfrist war überdies auch nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO am 24.9.2004 noch nicht abgelaufen, da hinsichtlich der der Änderung zugrunde liegenden Vorsteuerbeträge zur Überzeugung des Senats eine Steuerhinterziehung vorlag.

Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Die Steuerhinterziehung muss vorsätzlich begangen werden (§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 15 des Strafgesetzbuches - StGB). Vorsätzlich in diesem Sinne handelt, wer mit dem Wissen handelt, dass er alle Tatbestandsmerkmale dieser Strafnorm verwirklicht (direkter Vorsatz) oder aber es zwar nur für möglich hält, dass er die Tatbestandsmerkmale verwirklicht, dies aber billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz; BStBl. II 1998, 213).

Die Feststellung der Voraussetzungen der Steuerhinterziehung bestimmt sich nicht nach den Vorschriften der StPO, sondern nach denen der AO und der FGO (BStBl. II 1979, 570). Dabei ist der Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten, da im Steuerprozess der Steuergläubiger die Feststellungslast für die steueranspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Insoweit ist kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen (BStBl. II 2007, 364).

Vorliegend steht zur Überzeugung des Senats (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) fest, dass sowohl die objektiven, als auch die subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung vorliegen. Der Kl. hat durch die Angabe der in den Rechnungen der B ausgewiesenen Steuer in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen und in seiner Umsatzsteuerjahreserklärung gegenüber dem Bekl. unrichtige Angaben gemacht, die zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt haben.

Dass der Kl. insoweit mindestens mit bedingtem Vorsatz handelte, ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den objektiven Umständen. Der Kl. stand bereits seit zwei Jahren mit der italienischen Firma L in Geschäftsbeziehungen. Ohne erkennbaren Grund und ohne Änderung der Geschäftsabwicklung wurden im streitigen Zeitraum die Rechnungen von der Firma B ausgestellt, während die Fahrzeuge weiterhin in Italien bestellt wurden und die Lieferungen weiterhin unmittelbar aus Italien kamen. Die Behauptung des Kl., mit der Firma L sei lediglich die Modellauswahl abgesprochen worden, ist durch die Feststellungen des Urteils des Landgerichts Z vom 27.5.1998 (W0 KLs 00 Js 000/00) widerlegt. Danach waren die deutschen Autohändler Käufer der italienischen Händler, da die Einzelheiten des jeweiligen Vertrages zwischen diesen Parteien vereinbart wurden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich und es ist auch vom Kl. nicht vorgetragen worden, dass die Firma L die Verträge mit dem Kl. als Vertreter der Firma B abgeschlossen hat. Die Kenntnis des Kl., dass es sich bei der B nur um eine Scheinfirma handeln konnte, wird auch daran deutlich, dass die Zahlungen nicht unmittelbar an den Rechnungsaussteller, sondern auf ein Anderkonto erfolgten. Obwohl diese Anhaltspunkte vorlagen, gab der Kl. gegenüber dem Bekl. die Vorsteuer in seinen Voranmeldungen und in seiner Jahreserklärung an und nahm damit mindestens billigend in Kauf, dass die Steuer insoweit zu niedrig festgesetzt wird. Der Kl. wurde auch bereits 1996 als Zeuge vernommen. Bei dieser Vernehmung ging es um die Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit der Firma B. Seine falsche Jahreserklärung für 1996 gab der Kl. erst 1998 ab.

Der Bekl. durfte die Steuerfestsetzung selbst für den Fall ändern, dass - wie der Kl. meint - keine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO bestand. Zwar entfällt der Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsverjährungsfrist auch dann, wenn wegen Steuerhinterziehung eine verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist gilt (§ 164 Abs. 4 Satz 2 AO). Der Bekl. könnte im Streitfall daher die Änderung nicht auf § 164 Abs. 2 AO stützen, falls keine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO bestanden hätte. Die Änderung ist aber dennoch rechtmäßig, da die Voraussetzungen einer anderen Korrekturnorm (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) vorliegen. Die Tatsache, dass es sich bei der Rechnungsausstellerin B nicht um die Lieferantin, sondern um eine Scheinfirma gehandelt hat, ist dem Bekl. als der für die Änderung zuständigen Behörde erst nach der ursprünglichen Steuerfestsetzung mit Übersendung des Fahndungsberichts vom 8.9.2004 bekannt geworden. Die insoweit fehlerhafte Begründung des Änderungsbescheids führt nicht zu einem Formfehler im Sinne von § 126 AO (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 121 AO Rn. 25).

IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO vorliegt. Die streitige Rechtsfrage zu § 171 Abs. 5 Satz 2 AO i. V. m. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO ist zwar höchstrichterlich noch ungeklärt. Dieser Umstand führt aber nicht zur Zulassung der Revision, denn diese Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich, weil auch eine verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vorlag.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Ende der Entscheidung

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