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Gericht: Finanzgericht Münster
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 8 K 2598/04
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, GmbHG, InsO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
AO 1977 § 130 Abs. 1
EStG § 38 Abs. 3
EStG § 41a Abs. 1
GmbHG § 35
GmbHG § 64 Abs. 1
InsO § 87
InsO § 92
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 142
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster

8 K 2598/04

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Lohnsteuer wegen Verletzung der steuerlichen Pflichten als Geschäftsführerin einer GmbH.

Die Klägerin (Kl.) erwarb mit notarieller Urkunde vom 15.10.2002 (UR-Nr.: 87/2002 Notarin FT in E) von dem inzwischen verstorbenen Kaufmann XT 100 v. H. der Geschäftsanteile mit einem Nominalwert von 25.000 EUR an der XT GmbH mit Sitz in C (GmbH), die zu diesem Zeitpunkt im Handelsregister des Amtsgerichts X eingetragen war. Gegenstand des Unternehmens war der Handel mit Fleisch- und Wurstwaren aller Art. Der Kaufpreis betrug ausweislich von § 2 der Urkunde 1 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde vom 15.10.2002 (Vertragsakte/Anteilsverkauf vom 15.10.2002) Bezug genommen. Ausweislich der notariellen Urkunde UR-Nr.: 88/02 der Notarin FT vom selben Tag hielt die Kl. eine Gesellschafterversammlung der GmbH ab, berief den bisherigen Geschäftsführer XT ab und erteilte ihm Entlastung. Gleichzeitig bestellte sich die Kl. selbst zur - alleinigen - Geschäftsführerin und verlegte den Sitz der Gesellschaft nach ICN, B-Str. 9 b. Unter dieser Adresse befindet sich die Praxis des damaligen Rechtsberaters der GmbH und jetzigen Prozessbevollmächtigten der Kl.. Die Kl. war zuvor im Außendienst für die GmbH tätig gewesen.

Ebenfalls am 15.10.2002 schloss die Kl. mit XT einen Arbeitsvertrag, wonach diesem ab dem 16.10.2002 Handlungsvollmacht mit den Aufgabenbereichen Ein- und Verkauf eingeräumt wurde. Außerdem sollte er Ansprechpartner für die Kl. sein und in deren Abwesenheit Gespräche führen. Als Vergütung wurde ein Bruttolohn von 6.000 EUR im Monat vereinbart. Ferner erhielt XT einen Firmenwagen auch zur privaten Nutzung.

Ihren Geschäftsanteil hat die Kl. am 15.11.2002 auf Herrn UN (Kläger -Kl.- des Verfahrens 8 K 2601/04) übertragen, der gleichzeitig auch zum Geschäftsführer bestellt wurde unter Abberufung der Kl.. Diese Veränderungen wurden am 25.11.2002 im Handelsregister eingetragen.

Herr UN beantragte am 19.12.2002 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Mit Beschluss vom 27.12.2002 des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - E wurde RA P zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 18.03.2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und RA P zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Geschäftsverlauf der GmbH hatte sich wie folgt entwickelt:

Ursprünglich betrieb XT einen Fleischhandel als Einzelfirma in den Geschäftsräumen XL Str. 21 in 00000 C. Deren aktiver Geschäftsbetrieb wurde zum 31.12.2001 eingestellt und auf die GmbH übertragen. Die gewerblich genutzte Fläche von insgesamt rd. 4.300 qm vermietete XT ab 01.01.2002 für 17.780 EUR an die GmbH. Ab 01.01.2002 bis zur Übertragung der Geschäftsanteile auf die Kl. bestand zwischen der Einzelfa. XT und der GmbH eine umsatzsteuerliche Organschaft. Insgesamt wurden ca. 35 Arbeitnehmer und eine große Anzahl von Aushilfskräften beschäftigt. Die Umsätze der Einzelfirma hatten im Jahr 2001 138 Mio. DM betragen. 70 v. H. der Umsätze wurden mit dem N-Konzern getätigt aufgrund fester vertraglicher Vereinbarungen, die im Verlauf des September bis Anfang Oktober 2002 ausliefen (Seite 9 Gutachten vom 13.03.2003). Da die Konditionen mit der N bereits im zweiten Halbjahr 2001 zur Insolvenzreife der Einzelfirma geführt hatten, wurde dieses Geschäft ab 01.01.2002 auf die GmbH übertragen, wobei der sich aus dem laufenden Geschäftsbetrieb ergebende Fehlbetrag durch die Stellung von Scheinrechnungen gegenüber der FTG GmbH, die die Forderungen gegen die N ständig aufgekauft hatte, verschleiert wurde. Aufgrund der Vereinbarungen mit der FTG kam es zu Stornierungen und Rückbelastungen in Höhe der Beträge, denen keine Lieferungen an die N zugrunde lagen. Die GmbH selbst schloss am 07.12.2001 mit Wirkung vom 01.01.2002 einen eigenen Factoring-Rahmenvertrag mit der FTG ab. Die Luftrechnungen in der Zeit vom Februar bis April 2002 wurden nach Verhandlungen zwischen XT und der FTG mit 3,5 bis 3,6 Mio. EUR beziffert. Die Erteilung von sogenannten Luftrechnungen wurde daraufhin jedoch nicht eingestellt, sondern fortgesetzt, um die Fehlbeträge auch weiterhin - buchmäßig - ausgleichen zu können. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 13.03.2003, insbesondere Seiten 2 bis 10 Bezug genommen. Nach der Vermögensübersicht per 31.12.2002 ergibt sich ein Buchwert des aktiven Anlage- und Umlaufvermögens in Höhe von 1,4 Mio. EUR, wovon 1,095 Mio. EUR auf Guthaben bei Kreditinstituten und Kassenbestände entfallen. Die Verbindlichkeiten bei Kreditinstituten betrugen ca. 5 Mio. EUR, die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen 6,86 Mio. EUR. Mittlerweile hat der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt.

Am 29.10. und 03.12.2002 haben bei der GmbH Durchsuchungen des FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung O (Steufa) stattgefunden, die am 05.11.2002 zur Pfändung des Guthabens der GmbH bei der Volksbank XL durch den Beklagten (das Finanzamt -FA-) führte. Die gepfändeten und überwiesenen Beträge wurden in Höhe von 19.319,87 EUR mit rückständiger Lohnsteuer (LSt) 06/02 und in Höhe von 18.386,23 EUR mit rückständiger LSt 07/02 verrechnet. Aus der Barkasse der GmbH pfändete das FA weitere 10.087,37 EUR. Die durch die Zwangsvollstreckung erfolgte Befriedigung des FA wurde später vom Insolvenzverwalter wegen des Gesamtbetrags von 47.793,47 EUR erfolgreich gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) angefochten.

Von der LSt 07/02 blieben nach der Pfändung noch 3.763 EUR offen, ferner Lohnsteuer für August in Höhe von 20.782 EUR und für September 2002 in Höhe von 16.316 EUR.

Ab dem 31.10.2002 führte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Kl. ein sogenanntes Anderkonto über das, gedeckt durch eingehende Betriebseinnahmen, neben Barabhebungen (insgesamt 44.000 EUR), Lohnzahlungen und übrige laufende Betriebsausgaben abgewickelt wurden. Daraus ergibt sich, dass im November noch erhebliche Lohnzahlungen geleistet wurden. Die letzten Lohnzahlungen an mehr als 20 Arbeitnehmer erfolgten in der Zeit vom 21.11. bis 02.12.2002. Wegen der Einzelheiten wird auf die Umsatzübersicht des Anderkontos 00000000 bei der Sparkasse E Bezug genommen (Blatt 67 bis 70 FG-Akte).

Eine Lohnsteuer-Anmeldungen wurde - verspätet - letztmalig für Oktober 2002 in Höhe von 11.141,36 EUR abgegeben. Danach wurde die anzumeldende Lohnsteuer geschätzt.

Das FA erließ am 31.01.2003 einen Haftungsbescheid gegen die Kl. wegen der Lohnsteuer Oktober 2002 in Höhe von 11.341,36 EUR zzgl. Nebenabgaben, insgesamt 13.046,60 EUR worin Verspätungs- und Säumniszuschläge enthalten sind. Zur Begründung führte das FA aus, die Kl. habe als alleinige Geschäftsführerin die ihr gemäß § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 35 GmbH-Gesetz hinsichtlich der GmbH obliegenden Pflichten, insbesondere die Abführung der von der GmbH einbehaltenen Lohnsteuern an das FA, nicht erfüllt. Insoweit liege zumindest eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vor. Deshalb sei die Haftung gemäß §§ 69, 34 AO gegeben.

Den Einspruch begründete die Kl. damit, sie habe nur für kurze Zeit die formelle Geschäftsführung inne gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei das Buchführungsprogramm nicht gelaufen, sie habe in erster Linie versucht, das operative Geschäft durch Kontaktaufnahme im Ausland zu beleben.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA führte in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 14.04.2004 aus, die Kl. habe die LSt im November 2002 für den Anmeldungszeitraum Oktober 2002 pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt. Das Nichtvorhandensein eines laufenden Buchführungsprogramms, die Konzentration auf auswärtige Geschäfte und der allgemeine Hinweis auf negative Gesamtumstände seien keine ausreichenden Entschuldigungsgründe für die Nichtabführung der Lohnsteuer. Eine Inanspruchnahme der GmbH sei aufgrund der Insolvenz nicht möglich gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die EE Bezug genommen.

Mit der dagegen erhobenen Klage macht die Kl. geltend, sie habe lediglich formell die Geschäftsführung übernommen. Sie habe sich um das operative Geschäft im Ausland kümmern sollen. Sie sei deshalb auch für einige Wochen auf Geschäftsreise gewesen und habe nach ihrer Rückkehr die Geschäftsführung niedergelegt.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins durch den Berichterstatter am 10.05.2006 beruft sich die Kl. auch darauf, dass der Insolvenzverwalter eine evtl. Abführung von Lohnsteuern an das FA, wie andere Verfügungen auch, angefochten hätte.

Die Kl. beantragt,

den Haftungsbescheid vom 31.01.2003 in Gestalt der EE vom 14.04.2004 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in der EE und führt ergänzend aus, auch bei lediglich formell übernommener Geschäftsführung bestehe eine Haftung nach § 69 AO, weil sie - die Kl. - ihren Überwachungsaufgaben gegenüber der Person, der sie die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung ihrer eigenen Pflichten überlassen habe, nicht nachgekommen sei.

Auch hinsichtlich der Höhe der Lohnsteuerhaftung hält das FA am Bescheid fest. Nach dem Bericht des Insolvenzverwalters vom 13.03.2003 habe die Barkasse, über die im erheblichen Umfang Bargeschäfte erfolgten, noch am 31.12.2002 einen Bestand von 26.084,45 EUR gehabt. Außerdem sei aus der Umsatzübersicht des Kontos bei der Sparkasse E zu entnehmen, dass von dem Anderkonto noch im November bis zur Bestellung des neuen Geschäftsführers am 25.11.2002 Lohnzahlungen von rund 24.000 EUR erfolgt seien. Mit diesen Mitteln, über die die Kl. verfügt habe und die sie zu Lohnzahlungen verwendet habe, hätte sie die für die Begleichung der Lohnsteuer benötigten Mittel einbehalten und an das FA abführen können.

Hinsichtlich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung der Kl. und dem Schaden, nämlich der Nichtabführung der Lohnsteuer, vertritt das FA die Auffassung, diese entfalle nicht bereits dadurch, dass der Insolvenzverwalter möglicherweise bei pflichtgemäßem Verhalten der Kl. die Zahlung der Lohnsteuer angefochten hätte.

Wegen des Verlaufs des Erörterungstermins am 10.05.2006 wird auf das Protokoll vom 10.05.2006 Bezug genommen.

Der Senat hat am 16.11.2006 mündlich verhandelt. Hinsichtlich des Verlaufs und des Ergebnisses wird ebenfalls auf das Protokoll vom selben Tag Bezug genommen.

Die Klage ist unbegründet.

Das FA hat die Kl. frei von Ermessensfehlern für die rückständige Lohnsteuer für Oktober 2002 als Geschäftsführerin der GmbH in Haftung genommen. Die Kl. haftet als Geschäftsführerin der GmbH gemäß §§ 191 Abs. 1, 69, 34 Abs. 1 AO, § 35 Abs. 1 GmbHG. Sie hat zumindest grobfahrlässig ihre Pflicht verletzt, für die Abführung der bei der Lohnzahlung der GmbH an die Arbeitnehmer im Oktober 2002 einbehaltenen Lohnsteuer an das FA zu sorgen. Der durch die Pflichtverletzung verursachte Schaden entfällt nicht deshalb, weil der Insolvenzverwalter möglicherweise bei Erfüllung der Pflicht die Zahlung hätte anfechten können (§§ 129 ff InsO).

Unstreitig war die Kl. alleinige Geschäftsführerin der GmbH. Die steuerlichen Pflichten der GmbH hatte sie gem. § 34 Abs.1 EStG als deren gesetzliche Vertreterin von der Bestellung durch Gesellschafterbeschluss am 15.10.2002 an bis zum 15.11.2002 zu erfüllen, dem Tag der Abberufung als Geschäftsführerin durch Gesellschafterbeschluss und der Bestellung des Herrn UN als Geschäftsführer. Die Wirksamkeit der Bestellung oder Abberufung als Geschäftsführer einer GmbH ist nicht von der Eintragung in das Handelsregister abhängig (BFH-Urteil vom 17.02.1988, VII R 46/85, BFH/NV 1988, 683).

Als Geschäftsführerin hatte die Kl. für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH als Arbeitgeber zu sorgen, die gemäß § 38 Abs. 3 EStG vom Arbeitslohn der Arbeitnehmer einbehaltene LSt nach § 41 a Abs. 1 EStG spätestens am 10. Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem FA als Betriebsfinanzamt die Summe der im Anmeldungszeitraum einbehaltenen und zu übernehmenden Lohnsteuer anzugeben (Nr. 1) und diese abzuführen (Nr. 2). Zwar hat die GmbH eine entsprechende Lohnsteuer-Anmeldung für den Anmeldungszeitraum Oktober 2002 abgegeben, die angemeldete Lohnsteuer in Höhe von 11.341,36 EUR sowie die darauf entfallende Kirchenlohnsteuer und den Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer aber nicht zum Fälligkeitstag, dem 10.11.2002, und auch später nicht abgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war die Kl. noch Geschäftsführerin der GmbH.

Diese Pflicht hat die Kl. zumindest in grob fahrlässiger Weise verletzt. Sie hat die nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten als Außendienstmitarbeiterin zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer acht gelassen, in dem sie, wie sie vorträgt, XT freie Hand im Betrieb der GmbH gelassen und sich wegen häufiger Ortsabwesenheit auch sonst nicht um die Geschäftsführung gekümmert hat. Die Kl. kann sich zur Entschuldigung nicht darauf berufen, sie sei als Strohmann missbraucht worden und habe keinerlei Handlungsmöglichkeiten gehabt.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass sich die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH allein aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer ergibt, ohne Rücksicht darauf, ob sie auch tatsächlich ausgeübt werden kann (vgl. Urteile des BFH vom 07.05.1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210; vom 11.11.1986 VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212 und Beschlüsse des BFH vom 05.03.1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422; vom 19.11.1985 VII S 13/85, BFH/NV 1986, 266; vom 25.04.1989 VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757 und vom 07.03.1995 VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 sowie vom 08.03.2006 VII B 233/05, BFH/NV 2006, 1252). Ein GmbH-Geschäftsführer kann sich deshalb nicht damit entlasten, dass er von der Führung der Geschäfte ferngehalten wurde und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Wenn er die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GmbH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, die ihm die Erfüllung seiner Pflichten ermöglichen, so muss er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte (vgl. Urteile des BFH in BFH/NV 1987, 210, und vom 23.3.1993 VII R 38/92, BFH/NV 1994, 71 und Beschluss des BFH in BFH/NV 1995, 941, m. w. N.). Bis zu seinem Rücktritt bzw. bis zur Abberufung, die erst am 15.11.2002 erfolgte, bleibt der Geschäftsführer für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten voll verantwortlich.

Der Senat ist allerdings davon überzeugt, dass die Kl. tatsächlich über den Geschäftsverlauf informiert war. An der Sitzverlegung von C nach ICN und der Einrichtung eines Geschäftskontos der GmbH bei der Sparkasse E, über das ab dem 31.10.2002 der noch recht umfangreiche Zahlungsverkehr der GmbH abgewickelt wurde, ist erkennbar, dass sie nicht einfach die Strukturen des durch XT geprägten Geschäfts der GmbH übernommen hat. Vielmehr ist, wie sie, die Kl., im Erörterungstermin hat erklären lassen, in dem Büro der GmbH in ICN nur die Kl. und der spätere Geschäftsführer UN tätig gewesen. Die Kl. war danach durchaus in der Lage, unabhängig von XT ihren Pflichten nachzukommen. Dass daneben, auf Grund der durch die Kl. für XT erteilten Handlungsvollmacht, dieser noch weiter tätig war, fällt in den Verantwortungsbereich der Kl. und kann sie wegen der mangelhaft ausgeübten Kontrolle nicht entschuldigen.

Die Kontoeröffnung bei der Sparkasse E steht zudem in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Pfändung des Guthabens der GmbH bei der Volksbank XL am 29.10.2002 durch das FA. Dieses deutet darauf hin, dass die Kl. über die Pfändung und die prekäre Lage der GmbH informiert war. Ob sie selbst Überweisungen vorgenommen oder die Lohnsteuer angemeldet hat oder als Bevollmächtigter der jetzige Prozessbevollmächtigte oder XT im Verlauf des Oktober, ist für die Verantwortlichkeit der Kl. nicht von Bedeutung.

Der Kl. standen auch genügend Mittel zur Abführung der Lohnsteuer zur Verfügung. Aus dem vorgelegten Kontoauszug ergibt sich, dass dort erhebliche Guthabenbeträge vorhanden waren bzw. zur Verfügung standen. Allein durch die Barabhebung vom Konto bei der Sparkasse E in Höhe von 15.000 EUR am 05.11.2002 wäre der Lohnsteueranspruch des FA gedeckt gewesen. Am 07.11.2002, vor Überweisung weiterer Gehälter von rund 11.000 EUR am selben Tag, wies das Konto bei der Sparkasse E ein Guthaben in Höhe von 33.451 EUR auf. Der GmbH standen daher unabhängig von der Pfändung des FA am 05.11.2002 genügend Mittel zur Verfügung, um die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge von rund 13.000 EUR abzuführen.

Durch die Pflichtverletzung, die Nichtabführung der -einbehaltenen- Lohnsteuer einschließlich der Nebenleistungen, ist dem FA auch ein Schaden in Höhe des Haftungsbetrags entstanden. Die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden entfällt nicht deshalb, weil der Insolvenzverwalter die Zahlung der GmbH bei pflichtgemäßem Verhalten hätte anfechten können.

Da der Haftungstatbestand des § 69 AO das Bestehen eines haftungsbegründenden ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Fehlverhalten des Vertreters und dem Eintritt des Steuerausfalls als Vermögensschaden voraussetzt, fehlt es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang, wenn der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners nicht zu vermeiden gewesen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 VII B 244/04, BStBl. II 2006, 201). Hätte also der Insolvenzverwalter die Zahlung, wäre sie pflichtgemäß erfolgt, anfechten können und das FA das Empfangene in die Insolvenzmasse leisten müssen, wäre es ebenfalls zum Steuerausfall gekommen.

Die Frage, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine anfechtbare, gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung darstellt oder ob ein sogenanntes Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, ist vom BFH noch nicht abschließend entschieden (vgl. BFH-Beschlüsse in BStBl. II 2006, 201 und vom 24.04.2006 VII S 43/05 (PKH) nv). Ebenfalls ist noch nicht entschieden, ob und in welchem Umfang für eine Haftung nach § 69 AO ein hypothetischer Geschehensablauf Berücksichtigung finden kann.

Nach § 130 InsO ist bei kongruenter Deckung, wenn der Gläubiger Anspruch auf die Sicherung oder Befriedigung in dieser Form und zu dieser Zeit hatte, diese Rechtshandlung anfechtbar, wenn sie entweder in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist und zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Nach Abs. 2 der Vorschrift steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.

Im Streitfall hatte das FA zwar Anspruch auf Befriedigung am 10.11.2002, wie bereits oben ausgeführt wurde, es war ihm aber zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass die GmbH zahlungsunfähig war. Dies ergibt sich aus der Durchsuchung durch die Steufa am 29.10.2002, die das FA veranlasst hat, die bereits rückständige Lohnsteuer 06 und 07/02 am 05.11.2002 zu pfänden. Es kann offen bleiben, ob dem FA bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass die GmbH zum Zwecke der Finanzierung und Verdeckung der Zahlungsunfähigkeit Luftrechnungen erteilt hatte und deshalb seit langem zahlungsunfähig war, denn die sofortige Pfändung und der mehrmonatige Rückstand bei der Lohnsteuer lassen zwingend darauf schließen, dass das FA von der Zahlungsunfähigkeit der GmbH (§ 17 InsO) ausging, so dass zumindest die Voraussetzung von § 130 Abs. 2 InsO erfüllt war. Dies wird vom FA auch nicht bestritten. Da die Zahlungsverpflichtung der GmbH in den Drei-Monats-Zeitraum vor Insolvenzantragstellung am 19.12.2002 fällt, wäre die Zahlung anfechtbar gewesen. Dass der Insolvenzverwalter auch tatsächlich von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht hätte, ergibt sich daraus, dass die vom FA auf Grund der Pfändungen (inkongruent) erlangte Befriedigung erfolgreich angefochten worden ist.

Die Insolvenzanfechtung greift aber dann nicht ein, wenn es sich bei der Abführung der Lohnsteuer um ein sogenanntes Bargeschäft gemäß § 142 InsO gehandelt hat. Ein solches liegt vor bei einer Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt. Die Zahlung wäre dann nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO, also mit hier nicht erkennbarem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz anfechtbar.

Der BFH hat mit Beschluss vom 21.12.1998 VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 im summarischen Verfahren zu § 10 Abs. 1 Nr. 1 der Gesamtvollstreckungsordnung ein Bargeschäft bejaht, weil die Abzugsbeträge zum Arbeitslohn gehören, auf den die Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch haben. Diese Auffassung weicht allerdings von der Rechtsprechung des BGH (BGH-Urteil vom 22.01.2004 IX ZR 39/03 BGHZ 157, 350, NJW 2004, 1444 betreffend Pfändung durch das FA) ab, der die Abführung von LSt drei Monate vor Insolvenzantragstellung regelmäßig für gläubigerbenachteiligend hält und die Annahme eines Bargeschäfts bei Abführung der einbehaltenen LSt ablehnt. Der BGH (vgl. auch BGH-Urteil vom 08.12.2005 IX ZR 182/01, NJW 2005 1348 zur Anfechtung bei abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen und vom 18.04.2005 II ZR 61/03, NJW 2005, 2546 zum Schadensersatz bei vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen) ist der Auffassung, nur Leistungen des Schuldners, für die dieser auf Grund einer Parteivereinbarung mit dem Anfechtungsgegner (hier: dem FA) eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen erhalten habe, könnten als Bargeschäfte angesehen werden. Der Schuldner habe aber mit dem FA weder eine Vereinbarung getroffen noch von ihm eine Gegenleistung erhalten. Zu berücksichtigen sei, dass die Lohnsteuer ebenso wie Sozialversicherungsbeiträge aus dem Vermögen des Arbeitgebers geleistet würden und zu Gunsten des Arbeitnehmers i. d. R. auch kein Treuhandverhältnis in Bezug auf diese Gelder bestehe. Nach der Rechtsprechung des BGH ist demnach davon auszugehen, dass im Fall der pflichtgemäßem Abführung der Lohnsteuer Oktober 2002 eine Anfechtung dieser Zahlung durch den Insolvenzverwalter Erfolg gehabt hätte.

Die Finanzgerichte haben bei der hier gegebenen hypothetischen Anfechtbarkeit von Zahlungen der GmbH unterschiedlich entschieden. Die Entstehung eines kausalen Schadens haben verneint FG Berlin mit Urteil vom 27.02.2006 9 K 9114/05 (EFG 2006, 1122) und FG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 13.10.2005 6 K 2803/04 (EFG 2005, 83 mit Anmerkung Siegers). Sie folgen im Wesentlichen der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen. Dieser hat zur Frage der Schadensersatzpflicht des Geschäftsführers der zahlungsunfähigen GmbH gegenüber dem Sozialversicherungsträger gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 a StGB entschieden, das Rangverhältnis von Forderungen bestimme sich im Insolvenzverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich nach der InsO. Deshalb entfalle auch bei hypothetisch möglicher Anfechtung der Schaden (BGH in NJW 2005, 2546). Dagegen haben maßgeblich auf die verwirklichte tatbestandsmäßige Pflichtverletzung als Schadensursache abgestellt das FG Köln (Urteil vom 12.09.2005 8 K 5677/01, EFG 2006, 86) und Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht (Urteile vom 01.12.2005 2 K 101/04, EFG 2006, 1398 und 2 K 174/04, EFG 2006, 321) sowie FG Düsseldorf (Urteil vom 31.01.2006 9 K 4573/03 H, EFG 2006, 706). Sie halten den hypothetischen Schadensverlauf für unbeachtlich, da nicht feststehe, ob tatsächlich die Reserveursache, nämlich die Anfechtung erfolge, z. B. sei zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung offen, ob das Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werde (FG Köln in EFG 2006, 86).

Der letzteren Auffassung schließt sich der Senat an. Zwar ist die Haftung nach § 69 Abs. 1 AO nach allgemeiner Auffassung eine Schadensersatzhaftung, die grundsätzlich zivilrechtlichen Grundsätzen folgt, dennoch müssen dabei auch die Wertungen des Steuerrechts Beachtung finden. Bei reiner Anwendung der Grundsätze des BGH in Zivilsachen ergibt sich, dass der Geschäftsführer einer GmbH deren steuerliche Pflicht zur Abführung der einbehaltenen LSt verletzen kann, ohne dass er eine persönliche Haftung befürchten muss, wenn er rechtzeitig, nicht pflichtgemäß entsprechend § 64 Abs. 1 GmbHG - spätestens 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit -, sondern innerhalb der Drei-Monats-Frist (§ 130 Abs. 1 InsO) den Insolvenzantrag stellt. Damit liefe der Zweck der Haftungsnorm, den Geschäftsführer zur steuerlichen Pflichterfüllung anzuhalten, gerade dann ins Leere, wenn der Steueranspruch besonders gefährdet ist. Diese Konsequenz kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass es sich dabei um ein Ergebnis der seit dem 01.01.1999 geltenden InsO handelt, die Vorrechte der Finanzverwaltung nicht mehr vorsieht, denn durch die Haftung des Geschäftsführers wird die Masse nicht geschmälert. Es handelt sich auch nicht um eine Insolvenzforderung, die gem. § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahrens verfolgt werden kann (so auch FG Düsseldorf in EFG 2006, 706). Deshalb steht auch § 92 InsO, der die Verfolgung eines Gesamtschadens der Gläubiger allein dem Insolvenzverwalter zuweist, der Inanspruchnahme der Kl. nicht entgegen. Soweit sich der Geschäftsführer wegen seiner Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft wegen § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG an der Pflichterfüllung gem. § 41 a EStG gehindert sieht, muss er den ohnehin gebotenen Insolvenzantrag stellen.

Das Ausbleiben der Insolvenzantragstellung nach der dreiwöchigen Prüfungsfrist und die Weiterführung des Unternehmens mit Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen führt nach der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Geschäftsführers der zahlungsunfähigen GmbH gem. § 266 a StGB (vgl. BGH Beschluss vom 08.09.2005, 5 StR 67/05, NJW 2005, 3650). Die Grundsätze des Strafrechts sind allerdings auf die Schadensersatzhaftung nicht direkt anwendbar, jedoch bei der Wertung der nicht eingetretenen Reserveursache zu berücksichtigen, sprechen jedoch ebenfalls dafür, bei der Wertung der nicht eingetretenen Reserveursache zu berücksichtigen, dass diese die regelwidrige Fortführung des insolventen Schuldners voraussetzt.

Hinsichtlich der Höhe der Haftungssumme sind Einwendungen nicht erhoben worden. Sie entspricht der angemeldeten Lohnsteuer einschließlich der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags und umfasst den verhängten Verspätungszuschlag sowie die Säumniszuschläge (§ 69 Satz 2 AO).

Die vom FG gem. § 102 FGO auf Ermessensfehler beschränkte Prüfung der Entscheidung des FA, die Kl. als Geschäftsführerin gem. §§ 69, 191 Abs. 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, ist nicht zu beanstanden. Gegen die GmbH als Arbeitgeberin kann der Anspruch wegen der Insolvenz nicht durchgesetzt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Eine Entscheidung des BFH zu den aufgeworfenen Rechtsfragen liegt noch nicht vor (vgl. BFH in BStBl. II 2006, 201).

Ende der Entscheidung

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