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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 08.08.2006
Aktenzeichen: 1 K 11438/02
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 9 Abs. 1 S. 1
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

1 K 11438/02

Einkommensteuer 2001

Tatbestand:

Streitig ist, ob Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen sind.

Die seit dem 23.11.2000 verheirateten Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin stammt aus Kasachstan, wo sie bis zu ihrer Heirat und Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland lebte. Im Jahr 1998 erwarb sie an der Kasachischen Hochschule für physische Kultur in Almaty die Qualifikation als Diplomsportlehrerin und war seitdem als Sportlehrerin tätig. Diesen Beruf wollte sie auch in der Bundesrepublik Deutschland nach ihrer Übersiedlung ausüben. Für den Erwerb des Lehramtes als Sportlehrerin in Niedersachsen hatte die Klägerin nach Auskunft des Kultusministeriums ein ergänzendes Universitätsstudium (Sport und Erziehungswissenschaften) zu absolvieren. Für die Zulassung zum Studium an der Universität waren deutsche Sprachkenntnisse u.a. durch ein Zertifikat über die bestandene Sprachprüfung "Mittelstufe I" nachzuweisen. Vor diesem Hintergrund nahm die Klägerin an Deutschkursen der X-Sprachschule in A teil, die sie am 30.05.2002 mit dem Zertifikat "Mittelstufe I" und im Anschluss daran mit dem Zertifikat "Mittelstufe II" abschloss. Das ergänzende Studium wurde zunächst nicht aufgenommen, weil die Klägerin am 02.03.2003 einen Sohn gebar. Die Klägerin beabsichtigte mit dem ergänzenden Studium zu beginnen, sobald das Kind das Kindergartenalter erreicht hat.

In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 machte die Klägerin die Aufwendungen für das Erlernen der deutschen Sprache in Höhe von insgesamt 6.423,20 DM (Kurse = 5.170 DM, Fahrtkosten DB = 834,00 DM und Fachbücher, Lexika sowie Software-Sprachtraining = 419,20 DM) als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.

Der Beklagte ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Aufwendungen für das Erlernen der deutschen Sprache gehörten zu den nichtabziehbaren Kosten der privaten Lebensführung ( § 12 Nr. 1 EStG); sie seien auch nicht als Ausbildungskosten ( § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) berücksichtigungsfähig, weil das Erlernen der deutschen Sprache grundsätzlich zur Allgemeinbildung gehöre und mit den Kursen keine berufstypischen Sprachkenntnisse vermittelt worden seien.

Dagegen richtet sich die Klage. Die streitigen Aufwendungen seien ausschließlich beruflich veranlasst und daher als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin zu berücksichtigen. Die Klägerin strebe das Lehramt als Sportlehrerin an. Die Beherrschung der deutschen Sprache sei Grundvoraussetzung für das ergänzende Universitätsstudium, dessen Abschluss wiederum Voraussetzung für das angestrebte Lehramt als Sportlehrerin sei. Die Klägerin habe die Sprachkurse zielgerichtet besucht und mit den erworbenen Zertifikaten "Mittelstufe I und II" die notwendigen Deutschkenntnisse nachgewiesen. Für eine Verständigung im privaten Bereich sei die Beherrschung der deutschen Sprache nicht notwendig. Die Kläger könnten sich untereinander auch auf Englisch verständigen. Im März 2006 habe sich entschieden, dass dem Sohn ab dem 01.08.2006 ein Vormittags-Kindertagesplatz von 8 bis 12 Uhr zur Verfügung stehe. Um eine Ganztagsbetreuung des Sohnes sei die Klägerin bemüht. Dem vorläufigen Studiumsangebot der Universität B für das Wintersemester 2006/2007 sei zu entnehmen, dass die Klägerin mit dem Sportstudium erst im Wintersemester 2008 beginnen könne.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 vom 18.04.2002 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 28.07.2002 Aufwendungen für einen Sprachkurs in Höhe von 6.423 DM als vorweggenommene Werbungskosten der Klägerin bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die streitigen Aufwendungen könnten zwar als Ausbildungskosten gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 1.800 DM anerkannt werden. Für eine Berücksichtigung der Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten fehle es an einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit künftigen steuerbaren Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit. Ein solcher Zusammenhang erfordere, dass alsbald nach dem Erwerb der Sprachzertifikate das Studium zielstrebig durchführt und der angestrebte Beruf ausgeübt wird. Daran fehle es vorliegend. Die theoretische Möglichkeit, das Studium aufzunehmen und künftig aus dem angestrebten Beruf Einkünfte zu erzielen, genüge für einen hinreichend konkreten Zusammenhang nicht.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die streitigen Aufwendungen sind als Fortbildungskosten und damit als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen ( §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 19 EStG). Diese Aufwendungen sind keine Ausbildungskosten i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den Werbungskostenbegriff über den Wortlaut der Vorschrift hinaus dem Betriebsausgabenbegriff des § 4 Abs. 4 EStG, dessen Merkmal die betriebliche Veranlassung ist, angeglichen (vgl. BFH-Urteil vom 04.03.1986 - VIII R 188/84 -, BStBl II 1986, 373 m.w.N.). Danach liegen Werbungskosten vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die betreffenden steuerpflichtigen Einnahmen veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.1992 - VI R 24/95 -, BStBl II 1993, 108). Dabei reicht es aus, wenn die Aufwendungen den Beruf im weitesten Sinne fördern (vgl. BFH-Urteil vom 04.03.1986 - VIII R 188/84 -, a.a.O.).

§ 9 EStG enthält keine Sonderregelung für Berufsausbildungskosten. Die neuere Rechtsprechung zur Anerkennung von Bildungsmaßnahmen hat die bisherige Unterscheidung zwischen als Werbungskosten abziehbare Fortbildungskosten und als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nur begrenzt abziehbare Kosten der Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf aufgegeben (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2002 - VI R 120/01-, BStBl II 2003, 403; 17.12.2002 - VI R 137/01 -, BStBl II 2003, 407). Aufwendungen für eine Bildungsmaßnahme jedweder Art können, sofern sie beruflich veranlasst sind, Werbungskosten sein. Besteht ein erwerbsbezogener Veranlassungszusammenhang, kommt es für die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen nicht mehr darauf an, ob ein neuer, ein anderer Beruf oder ein erstmaliger Beruf ausgeübt werden soll. Erforderlich ist ein hinreichend konkreter, objektiv feststellbarer Zusammenhang mit steuerbaren Einnahmen (vgl. BFH-Urteile vom 27.05.2003 - VI R 33/01 -, BFH/NV 2003, 1119; 22.06.2006 - VI R 71/04 -, DStR 2006, 1111 m.w.N.).

Erzielt der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen, liegen vorab entstandene Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen in einem hinreichen konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Ein Veranlassungszusammenhang mit künftigen steuerbaren Einnahmen kann bei Umschulungs- oder Umqualifizierungsmaßnahmen gegeben sein. Denn in solchen Fällen werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Steuerpflichtige das hierdurch erworbene Wissen am Arbeitsmarkt einsetzen kann, um künftig Einnahmen zu erzielen (vgl. BFH-Urteil vom 22.06.2006 - VI R 71/04 -, a.a.O., m.w.N.).

Zu den erwerbsbezogenen Bildungsmaßnahmen können auch Kurse zum Erlernen einer Fremdsprache gehören. Das gilt auch für Sprachkurse, mit denen nur Grundkenntnisse vermittelt werden, wenn die vom Steuerpflichtigen angestrebte berufliche Tätigkeit Grundkenntnisse oder qualifizierte Fremdsprachenkenntnisse erfordert. Die Rechtsprechung hat zwar einen ausreichenden Bezug des Erwerbs von Sprachkenntnissen zur Berufstätigkeit solange verneint, als der subjektive Wunsch nach einer beruflichen Veränderung sich nicht durch eine Bewerbung hinreichen konkretisiert hat (vgl. BFH-Urteil vom 26.11.1993 - VI R 67/91 -, BStBl II 1994, 248). Die Rechtsprechung hat aber auch festgestellt, dass es einer vorangegangenen Bewerbung nicht bedarf, wenn diese mangels der erforderlichen Sprachkenntnisse von vornherein erfolglos wäre (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2004 - VI R 46/01 -, BStBl II 2002, 579).

2. Die Anwendung dieser Grundsätze im Streitfall ergibt, dass die streitigen Aufwendungen der Klägerin zum Erlernen der deutschen Sprache vorab entstandene Werbungskosten sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Klägerin für das angestrebte Lehramt als Sportlehrerin neben den geforderten Sprachkenntnissen auch die besonderen fachlichen Qualifikationen fehlen.

a. Die Klägerin ist bereits Diplom-Sportlehrerin. Bei dem angestrebten ergänzenden Studium handelt es sich um eine berufliche Qualifizierungsmaßnahme, weil die Klägerin mit einem erfolgreichen Abschluss die Befähigung für ein Lehramt als Sportlehrerin im Land Niedersachsen erhält und damit die Voraussetzung für die (erneute) Erzielung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit schafft.

b. Das Bemühungen der Klägerin um das Erlernen der deutschen Sprache, die für die Klägerin eine Fremdsprache ist, sind beruflich veranlasst, weil sie in dem erforderlichen konkreten Zusammenhang zu dem angestrebten Lehramt als Sportlehrerin im Land Niedersachen stehen. Das Erlernen der deutschen Sprache ist für die Klägerin Grundvoraussetzung für das geforderte ergänzende Universitätsstudium. Denn ohne Nachweis ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache war die Aufnahme des Studiums ausgeschlossen. Das Erlernen der deutschen Sprache und das ergänzende Studium stellen daher eine einheitliche Bildungsmaßnahme dar.

c. Der erkennende Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin um ein Lehramt als Sportlehrerin ernsthaft bemüht war. Die Klägerin ist bereits ausgebildete Diplom-Sportlehrerin. Es ist daher naheliegend und auch glaubhaft, dass sie ihren erlernten Beruf nach ihrer Übersiedlung in der Bundesrepublik Deutschland weiter ausüben wollte. Um Ihr Vorhaben zu verwirklichen, hat die Klägerin alles getan, was ihr unter den gegebenen Umständen möglich war. Anfragen beim Kultusministerium haben ergeben, dass eine Bewerbung zunächst erfolglos sein würde, weil ihr für das angestrebte Lehramt die erforderliche Qualifikation, die sie nur durch ein ergänzendes Universitätsstudium erreichen konnte, fehlte. Für das ergänzende Studium waren wiederum ausreichende Deutschkenntnisse nachzuweisen, worum sie sich zielstrebig mit dem Erwerb der Zertifikate "Mittelstufe I und II" bemüht hat. Die Klägerin hat zwar das ergänzende Studium nicht alsbald nach dem Erwerb der Zertifikate angetreten. Daran war sie jedoch aufgrund der Geburt ihres Kindes und anschließender Umsorgung des Kindes bis zum Erreichen des Kindergartenalters gehindert. Das Leben ist nicht vollständig planbar. Die Geburt des Kindes und die anschließende Umsorgung des Kindes bilden einen sachlichen Grund, von dem Antritt des ergänzenden Studiums einstweilen Abstand zu nehmen. Dass die Klägerin aller Voraussicht nach erst im Wintersemester 2008 das ergänzende Studium aufnehmen kann, ist ebenfalls unschädlich. Auf die Kapazität der Studienplätze hat die Klägerin keinen Einfluss. Die Verzögerung der Bildungsmaßnahme führt auch nicht nachträglich zu der Annahme, dass die Bemühungen um das Erlernen der deutschen Sprache vorrangig als Erweiterung ihrer Allgemeinbildung gedient hat. Die berufliche Veranlassung der Deutschkurse als Teil der Fortbildungsmaßnahme kann ohnehin nicht rückwirkend in Abrede gestellt werden.

3. Da Berufsbezogenheit des Fortbildungsprogramms anzunehmen ist, scheidet ein Abzugsverbot nach § 12 Nr. 1 EStG aus.

Nach allem waren die Aufwendungen der Klägerin für den Erwerb der deutschen Sprache als beruflich veranlasst und damit als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen.

4. Die Tenorierung des Urteils beruht auf § 100 Abs. 2 und 3 FGO. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ergibt sich aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO.

Ende der Entscheidung

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