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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 30.11.2007
Aktenzeichen: 1 K 157/03
Rechtsgebiete: BewG


Vorschriften:

BewG § 9 Abs. 2 S. 3
BewG § 76 Abs. 1 Nr. 3
BewG § 78 ff.
BewG § 82 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

1 K 157/03

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Abschlag vom Einheitswert wegen einer Strahlungseinwirkung von einer Mobilfunkanlage.

Der Kläger erwarb im Jahre 1999 das bebaute Grundstück ............... und richtete darin nach Abschluss von Umbauarbeiten eine Heilpraktikerpraxis im Erdgeschoss sowie Wohnräume im Obergeschoss ein. Das Finanzamt nahm daraufhin für das Grundstück neben einer Zurechnung- auch eine Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 2000 vor, mit der es die Grundstücksart gemischt genutztes Grundstück und den Einheitswert mit 104.300 DM feststellte.

Gegen die Wertfindung dieses Bescheides richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, mit der der Kläger eine Herabsetzung des Einheitswertes mit dem Hinweis darauf erstrebt, dass in etwa 100 bis 200 m Entfernung auf dem Gebäude ................Straße eine Mobilfunkanlage für UMTS-Sender betrieben werde. Von dieser Anlage gehe eine Strahlenbelastung aus, die auf der dem Sender zugewandten Seite des Hauses bis zu 867 µW/qm betrage. Diese Strahlenbelastung habe nachteilige gesundheitliche Auswirkungen. So erleide er regelmäßig Kopfschmerzen, wenn er sich länger als 2 Stunden ununterbrochen in seinem Wohnzimmer aufhalte. Die Strahlung belaste seinen Organismus so stark, dass er und seine Frau unter Schlafstörungen litten. In wissenschaftlichen Abhandlungen werde empfohlen, die maximale Strahlenbelastung nicht auf Werte über 10 µW/qm ansteigen zu lassen, Werte über 100 µW/qm würden als gesundheitlich bedenklich angesehen. Diese Grenzen würden in seinem Haus weit übertroffen. Auch wenn die gesetzlichen Grenzwerte nicht überschritten würden, seien Gesundheitsschäden jedoch nicht generell ausgeschlossen. Damit sei das Gebäude nur eingeschränkt nutzbar und in seinem Wert gemindert. Diese Wertminderung müsse sich im Einheitswert niederschlagen. Bei der Höhe der Wertminderung komme es letztlich nicht darauf an, in welchem Umfang tatsächlich Gesundheitsschäden durch die UMTS-Strahlung festgestellt würden. Ausreichend sei, dass potentielle Käufer von Grundstücken im Einzugsbereich von Sendemasten derartige Gesundheitsbeeinträchtigungen befürchteten und verunsichert seien und deshalb in ihrem Käuferverhalten Zurückhaltung übten. Deshalb könnten solche strahlenbelastete Grundstücke nur mit erheblichen Preisabschlägen verkauft werden. Die Wertminderung erfasse auch vermietete Grundstücke. Obgleich er - der Kläger - in der näheren Umgebung der Sendeanlage keine Mietminderung habe feststellen können, weil das Gebäude mit der Anlage einer carikativen Einrichtung gehöre und diese Einrichtung auch die daran angrenzenden Wohngebäude unterhalte, wodurch im Bereich der Sendeanlage kein freier Wohnungsmarkt herrsche, so sei doch allgemein bekannt, dass Mieter allein aus Furcht vor möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Wohnungen in der Nähe von Sendeanlagen mieden.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 26. März 2003 und Änderung der Wertfeststellung im Bescheid vom 15. Februar 2001 den Einheitswert für das Grundstück ............ auf 73.000 DM herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist darauf hin, dass eine Ermäßigung des Einheitswertes nur nach Maßgabe des § 82 Bewertungsgesetz (BewG) möglich sei. Dazu reiche die Nähe zu einer schädlichen Emission nicht aus. Entscheidend sei, dass die Emission die bestimmungsmäßige ortsübliche Nutzung des Grundstücks in erheblichem Umfang beeinträchtige. Daran fehle es im Streitfall. Trotz der möglichen Gesundheitsgefährdungen könne das Grundstück uneingeschränkt genutzt werden.

Wegen des Vortrags der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage- und im Vorverfahren sowie auf den Inhalt des Protokolls der heutigen mündlichen Verhandlung vor Gericht Bezug genommen.

Das Gericht hat eine amtliche Auskunft der Bundesnetzagentur über die streitige Sendeanlage eingeholt. Danach entsprach die Anlage den am Bewertungsstichtag damals gültigen technischen Vorgaben. Der Sicherheitsabstand für die Einhaltung der Personenschutzgrenzwerte betrug ca. 3 m und wurde eingehalten. Eine Standortbescheinigung wurde erteilt. Auf die Auskunft der Bundesnetzagentur vom 08. Oktober 2007 Bl. 82 ff. der Gerichtsakten wird Bezug genommen.

Das Gericht hat ferner eine amtliche Auskunft der Stadt ......... zu der Frage eingeholt, ob mit der Inbetriebnahme der Anlage und durch sie im näheren Umfeld Wohnungsmieten gesunken sind. In ihrer Antwort vom 25. September 2007 hat die Stadt ........ mitgeteilt, dass dort keine Mietspiegel geführt werden und Erkenntnisse über die Entwicklung von Wohnungsmieten im Umfeld von Mobilfunkanlagen nicht vorlägen.

Die Parteien haben durch Schriftsatz des Klägervertreters vom 9. September 2003 und des Beklagten vom 23. Oktober 2003 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters an Stelle des Senats erklärt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage hat keinen Erfolg.

1. Der Beklagte hat den Einheitswert für das Grundstück im angefochtenen Bescheid zutreffend im Ertragswertverfahren nach den §§ 78 bis 82 BewG ermittelt (§ 76 Abs. 1 Nr. 3 BewG).

Bei dieser Art der Wertermittlung errechnet sich der Einheitswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete. Der so gefundene Wert ist jedoch gem. § 82 BewG zu ermäßigen, wenn wertmindernde Umstände vorliegen, die weder in der Höhe der Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers berücksichtigt worden sind. Als solche Umstände kommen nach Abs. 1 Satz 2 der Norm u.a. in Betracht ungewöhnlich starke Beeinträchtigungen durch Lärm, Rauch oder Gerüche.

2. Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des Einheitswertes wegen der von der Mobilfunkanlage ausgehenden Emissionen liegen nicht vor.

a) Bei dieser Erkenntnis geht das Gericht gleichwohl davon aus, dass die Existenz der Mobilfunkanlage bisher weder in der konkret angewandten Jahresrohmiete noch im Vervielfältiger eine Berücksichtigung erfahren hat. Derartige Anlagen waren am Hauptfeststellungszeitpunkt noch nicht bekannt und konnten daher weder in die Jahresrohmiete noch in den Vervielfältiger mit ihren Wertverhältnissen des Jahres 1964 eingeflossen sein.

Weiter geht das Gericht davon aus, dass die Aufzählung der wertmindernden Umstände in § 82 Abs. 1 BewG nur beispielhaften Charakter hat. Sie ist nicht abschließend und schließt eine Wertermäßigung wegen Emissionen von Mobilfunkanlagen nicht von vornherein aus.

b) Dennoch scheidet ein Abschlag nach § 82 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BewG aus, weil nach der Rechtsprechung des BFH eine derartige Ermäßigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die bestimmungsmäßige ortsübliche Nutzung des belasteten Grundstücks in erheblichem Maße beeinträchtigt ist. Bei einem Wohngrundstück ist das der Fall, wenn die Bewohner gezwungen sind, ihre Lebensgewohnheiten bezüglich der Nutzung des Grundstücks in einer Weise einzuschränken, die bei einer üblichen Benutzung des Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit nicht mehr hingenommen würde (Urteil des BFH vom 7. Juli 1993 II R 69/90, BFHE 172, 113, BStBl II 1994, 6 mit weiteren Nachweisen).

aa) Der Kläger hat im Streitfall eine derartige Nutzungseinschränkung vorgetragen. Er hat dem Gericht anschaulich geschildert, dass er und seine Ehefrau bei längerem Aufenthalt in den Zimmern, von denen ein direkter Blickkontakt zur Anlage bestehe, an Kopfschmerzen litten. Diese subjektive Betroffenheit allein reicht indes nicht aus, um daraus die gewünschte Rechtsfolge herzuleiten. Das Bewertungsrecht dient der Feststellung des objektiven gemeinen Wertes (§ 9 Abs. 1 BewG). Dabei sind alle objektiven Umstände zu berücksichtigen, die in marktüblicherweise den Wert beeinflussen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BewG, siehe auch Senatsentscheidung vom 1. August 2005 1 K 420/01, DStRE 2006, 478 zur Ermäßigung wegen einer Windkraftanlage). Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind dagegen außer Acht zu lassen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG).

Das Gericht hat nicht feststellen können, dass die vom Kläger geschilderten gesundheitlichen Beeinträchtigungen derartige objektive Umstände sind. Nach der Auskunft der Bundesnetzagentur werden beim Betrieb der Anlage die zulässigen Sicherheitsabstände und Emissionsgrenzwerte nach der 26. BImSchV eingehalten. Dem Gericht ist nicht bekannt, ob derartige innerhalb der Grenzen der Verordnung liegende Emissionen für die beschriebenen gesundheitlichen Ausfälle ursächlich sind. Trotz dieser Ungewissheit hat das Gericht davon Abstand genommen, zu dieser Frage das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Die Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen sind in den Naturwissenschaften trotz diverser Forschungen noch nicht abschließend geklärt. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten sind komplex, haben eine breite Streuung und sind - noch - nicht eindeutig. Ein einzelnes vom Gericht eingeholtes Gutachten könnte in dieser Situation daher kein verlässliches Bild über die Gefährdungslage widergeben sondern nur die einzelne subjektive Meinung des jeweiligen Experten. Eine eigenständige Risikobewertung durch das Gericht kann daher erst erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen einengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden können. Bis dahin aber sieht es das Gericht nicht als seine Aufgabe an, ungesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse mit Hilfe des Prozessrechts durch eine Beweisaufnahme zur Durchsetzung zu verhelfen. In dieser Einschätzung sieht sich das Gericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse vom 28. Februar 2002 1 BvR 1676/01, NJW 2002, 1638 undvom 24. Januar 2007 1 BvR 382/05, NVwZ 2007, 805) und des BGH (Urteil vom 13. Februar 2004 V ZR 217/03, NJW 2004, 1317).

bb) Auch die weitere Einlassung des Klägers, wonach eine Ertragseinbuße für Grundstücke im Nahebereich einer Sendeanlage schon deshalb vorliege, weil zahlreiche Mieter aus Furcht vor möglichen, vor denkbaren, vor nicht auszuschließenden Gesundheitsgefahren die Nutzung einer solchen Wohnung mieden, kann einen Abschlag nicht rechtfertigen.

Für die Nutzung des streitigen Grundstücks konnte nicht festgestellt werden, dass das Mietniveau mit Installation der Sendeanlage gesunken ist. Die Stadt ........ besitzt darüber keine Erkenntnisse. Zudem hat der Kläger noch in der mündlichen Verhandlung die konkrete Situation im Umfeld der Anlage als nicht marktgerecht beschrieben, weil zahlreiche Gebäude gerade dem Eigentümer gehören, der auf seinem Gebäude die Anlage zugelassen hat.

Doch auch unabhängig davon erwächst nach Einschätzung des Gerichts aus dieser vom Kläger geschilderten möglichen Reaktion zahlreicher Mieter keine Handhabung für den begehrten Abschlag. In seiner Entscheidung zum Tieffluglärm vom 7. Juli 1993 II R 69/90, BFHE 172, 113, BStBl II 1994, 6 hat der BFH erkannt, dass eine vom Gesetz als erforderlich angesehene "ungewöhnlich" starke Beeinträchtigung dann nicht vorliege, wenn weite Teile des Bewertungsgebietes oder größere Teilregionen in mehr oder minder gleicher Weise von der Lärmquelle betroffen seien. Derartigen Belastungen fehle im Hinblick auf ihre Häufigkeit und Ortsüblichkeit der Charakter des "Un- und Außergewöhnlichen". Damit ist nach Einschätzung des BFH die für einen Abschlag erforderliche Belastung mehr ein Quantitäts- als ein Qualitätsproblem.

Das erkennende Gericht ist der Auffassung, dass die vorangestellten Bemessungskriterien des BFH auch für die im Streitfall zu treffende Entscheidung über eine Beeinträchtigung durch Immissionen von Sendeanlagen zu gelten haben. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs können die Immissionen jedoch keinen Abschlag rechtfertigen, weil sie auf weite Teile des Bewertungsgebietes gleichermaßen einwirken. Das Gericht setzt als bekannt voraus, dass Immissionen durch Mobilfunkanlagen inzwischen das gesamte Bundesgebiet treffen. Die früher noch vereinzelt auftretenden so genannten Funklöcher, in denen ein Telefonat mangels Netzverfügbarkeit nicht möglich war, sind - fast - nicht mehr vorhanden. Parallel dazu ist auch die Anzahl der Funkmasten in allen Teilen Deutschlands gewachsen und damit auch die Betroffenheit derjenigen, die im Umfeld einer solchen Anlage wohnen. Damit aber hat die damit einhergehende Belastung ihren Charakter als "Un- oder Außergewöhnlich" verloren. Würde die vom Kläger beschriebene Immission zu dem begehrten Abschlag führen, müsste man ihn nahezu flächendeckend im ganzen Geltungsbereich des BewG gewähren. Damit hätte die Norm des § 82 BewG ihren Sinn als Ausnahmeregelung verloren.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

Das Gericht hat die Revision zugelassen (§ 115 FGO). Soweit ersichtlich liegt Rechtsprechung des BFH zu der Frage, ob Emissionen von Mobilfunkmasten einen Abschlag vom Einheitswert rechtfertigen, noch nicht vor.



Ende der Entscheidung

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