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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.01.2006
Aktenzeichen: 11 K 250/05
Rechtsgebiete: ErbStG


Vorschriften:

ErbStG § 20 Abs. 6 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin für Erbschaftsteuer haftet.

Die im Dezember 2001 im Alter von 82 Jahren verstorbene H unterhielt bei der Klägerin ein Girokonto, auf dem am Todestag ein Guthaben von ca. 214.000 DM ausgewiesen war. Das Versorgungsamt V überwies die Rente der H noch bis April 2003 auf dieses Konto. H wurde von ihrem in Großbritannien lebenden Sohn beerbt.

Der Beklagte (das Finanzamt) erteilte der Klägerin am 13. Februar 2003 eine Unbedenklichkeitsbescheinigung, wonach erbschaftsteuerlich keine Bedenken bestünden, die im Gewahrsam der Klägerin befindlichen Vermögenswerte der Erblasserin bis auf einen Betrag von 17.000 EUR in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereichs des Erbschaftsteuergesetzes zu verbringen oder außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung zu stellen, wenn aus den freigegebenen Geldern zuvor ein bestimmter Teilbetrag der Erbschaftsteuer entrichtet würde. Der Teilbetrag wurde gezahlt. Die Klägerin stellte das restliche Vermögen dem Sohn insoweit zur Verfügung, als es ein auf dem Konto gebuchtes Guthaben von 17.000 EUR überstieg.

Mit Schriftsatz vom 9. April 2003 forderte das Versorgungsamt V die für Januar 2002 bis April 2003 gezahlten Rentenbeträge von der Klägerin unter Hinweis auf § 118 Sozialgesetzbuch (SGB) VI zurück (Rentenrückruf). Die Klägerin entsprach dieser Forderung und belastete das Girokonto mit dem Rückzahlungsbetrag von 5.840 EUR.

Das verbliebene Guthaben reichte nicht mehr aus, um nach Eintritt der Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheides die festgesetzte Erbschaftsteuer zuzüglich der angefallenen Säumniszuschläge zu begleichen. Der Sohn entrichtete die Restforderung des Finanzamts trotz mehrfacher Aufforderungen nicht. Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Sohn sind dem Finanzamt nicht bekannt.

Das Finanzamt nahm die Klägerin mit Bescheid vom 8. September 2004 für die Restforderung Erbschaftsteuer ohne Nebenleistungen in Höhe von 2.642,57 EUR nach § 20 Abs. 6 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) in Haftung. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsbescheid vom 11. März 2005) die Klage.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie treffe kein Verschulden daran, dass das Guthaben auf dem Girokonto nicht zur Begleichung der Restforderung des Finanzamts ausgereicht habe. Sie habe, wie in der Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangt, nach der Überweisung an den Sohn und der Entrichtung des Teilbetrags der Erbschaftsteuer noch ein Guthaben von 17.000 EUR zurückbehalten. Sie habe aber nicht etwa zugesagt, dass 17.000 EUR für die Zahlung der Erbschaftsteuer zur Verfügung stünden. Eine "anderweitige Verfügung" über das Guthaben, die nach § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI die Klägerin berechtigt hätte, die Rückzahlung der überzahlten Renten an das Versorgungsamt zu verweigern, sei darin auch nicht zu erblicken.

Es sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Renten unter Vorbehalt gezahlt worden seien. Der Vorbehalt ergebe sich vielmehr nur aus der gesetzlichen Regelung in § 118 Abs. 3 SGB VI, wonach Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten auf ein Konto bei einem Geldinstitut im Inland überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gälten. Zur Prüfung der Gut- und Lastschriften auf einem Konto sei die Klägerin angesichts von...Millionen von ihr geführter Konten im Inland weder in der Lage noch verpflichtet.

Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch ermessensfehlerhaft. Das Finanzamt hätte berücksichtigen müssen, dass die Klägerin eine öffentlich-rechtliche Rentenverbindlichkeit der Erblasserin getilgt habe.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 8. September 2004 und den Einspruchsbescheid vom 11. März 2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er meint, durch die Unbedenklichkeitsbescheinigung seien 17.000 EUR zugunsten des Finanzamts "geblockt" worden. Dadurch sei eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Klägerin begründet worden, 17.000 EUR für die Begleichung der Erbschaftsteuer bereitzuhalten. Hierin sei eine "anderweitige Verfügung" im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI zu sehen. Die Klägerin habe fahrlässig gehandelt, als sie die Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Versorgungsamt höher bewertet habe als die Verpflichtung gegenüber dem Finanzamt.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 15. Juni 2005 und 25. Juli 2005 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt.

Gründe

Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid vom 8. September 2004 und der Einspruchsbescheid vom 11. März 2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Bescheide sind daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO).

1. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 und 4 FGO).

2. Die Klägerin hat den Haftungstatbestand des § 20 Abs. 6 ErbStG weder dadurch, dass sie dem im Ausland wohnhaften Sohn das ein gebuchtes Guthaben von 17.000 EUR und den Teilbetrag der Erbschaftsteuer übersteigende Vermögen zur Verfügung gestellt hat, noch dadurch, dass sie die überzahlten Renten an das Versorgungsamt zurückgezahlt hat, erfüllt.

Nach § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG haftet u.a. eine Bank in Höhe des ausgezahlten Betrags für die Erbschaftsteuer, soweit sie in ihrem Gewahrsam befindliches Vermögen eines Erblassers vorsätzlich oder fahrlässig vor Entrichtung oder Sicherstellung der Steuer einem außerhalb des Gesetzes wohnhaften Berechtigten zur Verfügung stellt.

a. Die Klägerin hat den objektiven Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt, als sie dem in Großbritannien wohnhaften Sohn Vermögen der verstorbenen H vor Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer zur Verfügung stellte. Insoweit handelte die Klägerin jedoch nicht vorsätzlich oder fahrlässig. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts schließt es aus, der Klägerin einen Schuldvorwurf zu machen.

Allerdings hat die Klägerin nicht, wie in der Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangt, ein Guthaben von 17.000 EUR auf dem Konto zurückbehalten. Zwar war auf dem Konto ein solches Guthaben gebucht. Aus § 118 Abs. 3 SGB VI folgt jedoch, dass die überzahlten Rentenbeträge dem Konto zu Unrecht gutgeschrieben worden waren, das tatsächlich zurückbehaltene Guthaben damit um die Rentenbeträge zu niedrig und spiegelbildlich der dem Sohn zur Verfügung gestellte Betrag um die - die Haftungssumme übersteigenden - Rentenbeträge zu hoch ausgefallen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfolgt durch die Überweisung eines Rentenbetrages nach dem Tod des Versicherten eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung aus dem Vermögen des Rentenversicherungsträgers in das Vermögen des Geldinstituts des Versicherten, auch wenn es den Betrag dem Konto des Rentners gutgeschrieben hatte. Diese Rechtshandlung des Geldinstituts wird mit dem Tod des Rentenberechtigten unwirksam, weil die Geldleistungen nur unter dem Vorbehalt (§ 118 Abs. 3 Satz 1 SGB VI) auflösend bedingt (§ 158 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) erbracht werden, dass der Rentenberechtigte den Bezugsmonat der Rente erlebt. Im Hinblick hierauf gilt im Falle des Todes des Versicherten die Gutschrift des Geldinstituts gegenüber dem Konteninhaber "als nicht erfolgt", sodass das Geldinstitut insoweit ungerechtfertigt bereichert ist und den Rentenbetrag an den Rentenversicherungsträger zurück zu überweisen hat; es sei denn, die Voraussetzungen einer "Entreicherung" nach § 118 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 Satz 1 SGB VI würden vorliegen. § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI normiert einen speziellen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber dem Geldinstitut, der dem Rentenversicherungsträger einen unmittelbaren Zugriff auf den zu erstattenden Betrag einräumt (BSG-Urteil vom 20. Dezember 2001 B 4 RA 126/00 R, WM 2002, 2144).

Der Klägerin hat aber auch insoweit nicht vorsätzlich oder, was hier allein in Betracht kommen könnte, fahrlässig gehandelt. Fahrlässig handelt im Steuerrecht, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, außer acht lässt (Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 69, 25).

Im Streitfall fehlt es bereits an einem Sorgfaltsverstoß der Klägerin. Es hieße, die Anforderungen zu überspannen, wenn man die Klägerin als verpflichtet ansähe, die Gutschriften auf dem Girokonto eines Verstorbenen von sich aus - ohne Anfrage des Finanzamts und ohne Hinweis auf einen Rentenbezug des Verstorbenen - darauf zu überprüfen, ob Rentenzahlungen erfolgt waren, die der Rückforderung nach § 118 Abs. 3 SGB VI unterliegen könnten. Die im Haftungsbescheid der Klägerin getroffene, im Einspruchsbescheid nicht wiederholte Wertung des Finanzamts, bereits bei flüchtiger Überprüfung des Kontos hätte auffallen müssen, dass die Rentengutschriften zu Unrecht erfolgt und auf jeden Fall zurückzuzahlen seien, kann nur dann einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen, wenn die Klägerin eine Pflicht zur Prüfung der Gutschriften auf dem Konto hatte. Das ist jedoch nicht der Fall. Eine solche Prüfungspflicht besteht weder allgemein noch wird sie im Einzelfall allein durch ein zum Rentenbezug berechtigendes Alter des Verstorbenen ausgelöst.

Das Finanzamt wird dadurch nicht über Gebühr belastet. Es hat es in der Hand, seine Zustimmung zu einer Verlagerung von Vermögen in das Ausland von einer Sicherheitsleistung des Erben abhängig zu machen. Wenn es darauf verzichtet, geht es das Risiko ein, dass ihm der für die Steuerzahlung vorgesehene Betrag nicht unter allen Umständen verbleibt, zumal wenn es um ein Guthaben auf einem Girokonto geht. Das im Streitfall praktizierte Verfahren schützt das Finanzamt nicht nur nicht gegen den Rentenrückruf der Rentenversicherungsträger, sondern versagt z. B. auch im Fall von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das Guthaben oder bei noch vom Erblasser erteilten Daueraufträgen oder Einzugsermächtigungen zu Lasten des Girokontos. Es erscheint nicht angemessen, das vom Finanzamt problemlos vermeidbare Risiko nicht vorhergesehener Guthabenminderungen durch einen Rentenrückruf eines Rentenversicherungsträgers auf die Geldinstitute zu verlagern, indem überspannte Anforderungen an ihre Sorgfaltspflichten im Massengeschäft der Führung von Girokonten gestellt werden. Das Finanzamt ist im Streitfall das Risiko ohne jede Not eingegangen, indem es auf die Sicherstellung der Steuer durch Anforderung einer Sicherheitsleistung von dem Sohn als Steuerschuldner und an der Auszahlung des restlichen Guthabens wirtschaftlich Interessierten verzichtet hat.

b. Die Rückzahlung der Renten an das Versorgungsamt erfüllt bereits nicht den objektiven Tatbestand des § 20 Abs. 6 ErbStG.

Aus § 118 Abs. 3 SGB VI folgt, wie dargelegt, dass die überzahlten Rentenbeträge trotz der Gutschrift auf dem Konto der H nicht zum Vermögen der Erblasserin, sondern zum Vermögen der Klägerin gehörten.

Die Klägerin hat Vermögen auch nicht dem im Ausland wohnhaften Sohn, sondern dem im Geltungsbereich des Erbschaftsteuergesetzes ansässigen Versorgungsamt V zur Verfügung gestellt. Die Klägerin hat auf eine eigene, gegenüber dem Versorgungsamt bestehende Verbindlichkeit aus § 118 Abs. 3 SBG VI geleistet und nicht etwa auf Anweisung oder im mutmaßlichen Interesse auf eine Verbindlichkeit des Sohnes gegenüber dem Versorgungsamt. Ist der Rechtsgrund einer Zahlung zweifelhaft, kommt es darauf an, wie der Gläubiger das Verhalten des Zahlenden verstehen durfte (Palandt, BGB, § 267, 4). Da das Versorgungsamt die Klägerin unter Hinweis auf § 118 SGB VI zur Zahlung aufgefordert hatte, konnte es die zeitnah dazu erfolgte Zahlung nur dahin deuten, dass die Klägerin auf ihre eigene Verbindlichkeit leisten wollte.

3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Es erscheint klärungsbedürftig, ob ein Geldinstitut, das vom Tod seines Kunden erfahren hat, verpflichtet ist, von sich aus das Girokonto des Kunden auf Fehlgutschriften allgemein oder doch zumindest auf solche von Rentenüberweisungen zu überprüfen, wenn es weiß, dass das Finanzamt dagegen, dass Vermögen des Erblassers dem im Ausland wohnhaften Berechtigten zur Verfügung gestellt wird, nur insoweit keine Bedenken hat, als ein bestimmtes Guthaben auf dem Konto verbleibt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 analog, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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