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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 11 K 541/06
Rechtsgebiete: EStG, AltTZG, AO, SGB IV


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 28
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1
AltTZG § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
AltTZG § 4
AltTZG § 5 Abs. 3 S. 1
AO § 191 Abs. 1 S. 1
SGB IV § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

11 K 541/06

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren 2004 bis 2005 eine Schule. Für die Klägerin war in den Streitjahren der Arbeitnehmer A als Mathematiklehrer tätig. Im Juli 2004 schloss dieser Arbeitnehmer mit der Klägerin für die Zeit vom 1. August 2004 bis zum 31. Juli 2007 einen Vertrag über eine Altersteilzeitregelung. Gegenstand dieser Vereinbarung war unter anderem die Reduzierung der bisherigen Wochenstundenzahl von 21 Stunden auf nunmehr 10,5 Stunden. Von diesem Zeitpunkt an zahlte die Klägerin an den Arbeitnehmer A sog. Aufstockungsbeträge nach § 3 Altersteilzeitgesetz (AltTZG) in Höhe von 20 v.H. des Bruttoaltersteilzeitentgelts und behandelte diese lohnsteuerlich als steuerfrei nach § 3 Nr. 28 EStG. Dies war im Streitjahr 2004 ein Betrag in Höhe von 1.928,85 EUR (5 Monate x 385,77 EUR/Monat) und im Streitjahr 2005 ein Betrag in Höhe von 4.719,60 EUR (12 Monate x 393,30 EUR/Monat).

Aufgrund Lehrermangels im Unterrichtsbetrieb der Klägerin unterrichtete der Arbeitnehmer A allerdings seit Beginn seiner Altersteilzeit zusätzlich zu der vereinbarten Wochenstundenzahl weitere 2 Wochenstunden, für die eine monatliche Vergütung von 360,10 EUR/Monat im Streitjahr 2004 und von 367,30 EUR/Monat im Streitjahr 2005 vereinbart war. Diese zusätzliche Vergütung in Höhe von 1.800,50 EUR (5 Monate x 360,10 EUR/Monat) behandelte die Klägerin im Streitjahr 2004 als Pauschalierungsarbeitverhältnis, für das Streitjahr 2005 unterwarf sie diese Vergütung in Höhe von 4.407,60 EUR (12 Monate x 367,30 EUR/Monat) der Regelversteuerung. Im Folgejahr 2006 konnte der Lehrermangel durch eine Neueinstellung beseitigt werden, so dass die Mehrarbeit des Arbeitnehmers A mit dem Schuljahr 2005/06 endete.

Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, die im Streitjahr 2004 von der Klägerin vorgenommene Aufspaltung des Arbeitsverhältnisses in ein solches mit normalem Lohnsteuerabzug und ein Pauschalierungsarbeitsverhältnis sei nicht zulässig. Der gesamte vom Arbeitnehmer A bezogene Arbeitslohn sei dem normalen Lohnsteuerabzug zu unterwerfen. Die in den Streitjahren nach § 3 Nr. 28 EStG als steuerfrei behandelten Aufstockungsbeträge seien tatsächlich steuerpflichtig. Die für die Steuerfreiheit erforderlichen Voraussetzungen des AltTZG seien nicht erfüllt. So habe der Arbeitnehmer A seine tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht auf die Hälfte reduziert. Bei Prüfung dieser Voraussetzung seien sämtliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers für die Klägerin zusammen zu rechnen, mithin habe der Arbeitnehmer insgesamt seine Wochenstundenzahl nur von 21 Wochenstunden auf 12,5 Wochenstunden reduziert.

Mit Haftungsbescheid nahm der Beklagte die Klägerin im Einverständnis anstelle des Arbeitnehmers für die nicht dem normalen Lohnsteuerabzug unterworfenen Beträge in Haftung, also hinsichtlich der im Streitjahr 2004 gezahlten Lehrvergütung sowie der in den Streitjahren gezahlten Aufstockungsbeträge.

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Klägerin stimmt dem Beklagten zunächst in der Ansicht zu, dass die Lehrvergütung für die Mehrstunden dem normalen Lohnsteuerabzug zu unterwerfen sei. Sie ist allerdings weiterhin der Auffassung, ihre Inanspruchnahme als Haftende sei insoweit nicht gerechtfertigt, als die Haftungsbeträge auf der Nachversteuerung der Aufstockungsbeträge beruhten. Sie habe diese Zahlung der Aufstockungsbeträge zutreffenderweise als nach § 3 Nr. 28 EStG steuerfrei behandelt. Durch den mit dem Arbeitnehmer geschlossenen Vertrag über die Altersteilzeit sei die regelmäßige Arbeitszeit gesetzeskonform auf die Hälfte reduziert worden. Bei der aufgrund des in den Schuljahren 2004/05 und 2005/06 bestehenden Lehrermangels geleisteten Mehrarbeit habe es sich um Mehrstunden gehandelt, zu denen sich der Arbeitnehmer freiwillig bereit erklärt habe und die an der ursprünglichen Vereinbarung über die Altersteilzeit nichts geändert hätten. Insbesondere habe man die Mehrarbeit nur in einem für die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nach § 4 AltTZG unschädlichen Umfang zugelassen. Die Mehrarbeit sei geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV). Es sei für die Frage der Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge nach § 3 Nr. 28 EStG unerheblich, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt, also im Hinblick auf die vereinbarte Altersteilzeitarbeit und die Mehrarbeit, als einheitliches Arbeitsverhältnis anzusehen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 5. April 2006 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 29. September 2006 insoweit aufzuheben, als die Haftung auf der Nachversteuerung der Aufstockungsbeträge beruht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner Auffassung fest, die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftende sei rechtmäßig. Die an den Arbeitnehmer gezahlten Aufstockungsbeträge seien steuerpflichtiger Arbeitslohn, der dem normalen Steuerabzug zu unterwerfen sei. Die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 28 EStG seien nicht erfüllt. Hierfür wäre nämlich erforderlich gewesen, dass der Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf die Hälfte reduziert. Dies habe er aber nicht getan, sondern 12,5 Wochenstunden gegenüber zuvor 21 Wochenstunden gearbeitet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte hat die Klägerin insoweit zu Unrecht als Arbeitgeberin in Haftung genommen, als er in Höhe der dem Arbeitnehmer A gezahlten Aufstockungsbeträge nach § 3 AltTZG von steuerpflichtigem Arbeitslohn ausgegangen ist.

Der Arbeitgeber haftet im Rahmen des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wird. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine fremde Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.

Die Klägerin war in den Streitjahren Arbeitgeberin des Arbeitnehmers A. Sie war jedoch nicht verpflichtet, für die diesem Arbeitnehmer in den Streitjahren 2004 und 2005 ausgezahlten Aufstockungsbeträge nach § 3 AltTZG Lohnsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen, denn diese Beträge waren kein steuerpflichtiger Arbeitslohn, sondern nach § 3 Nr. 28 EStG steuerfrei.

Nach § 3 Nr. 28 EStG sind die Aufstockungsbeträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AltTZG steuerfrei. Die dem Arbeitnehmer A ausgezahlten Beträge waren Aufstockungsbeträge in diesem Sinne. Die Klägerin als Arbeitgeberin hatte nämlich - entsprechend den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen - mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung darüber geschlossen, das Regelarbeitsentgelt für die Altersteilzeit um mindestens 20 v.H. aufzustocken.

Nach der Verwaltungsauffassung in Richtlinie (R) 18 der Lohnsteuerrichtlinien (LStR) und der Literatur ist jedoch weitere ungeschriebene Voraussetzung für die Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge, dass der Altersteilzeitarbeitnehmer die persönlichen Voraussetzungen des § 2 AltTZG erfüllt (vgl. Schmidt/Heinicke EStG § 3 ABC steuerfreie Einnahmen "Altersteilzeit", Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach § 3 Nr. 28 EStG, Anm. 10, Offerhaus FR 1989, 138, Beckerath in Kirch/Söhn § 3 Rz. B 28/4). Dies ergebe sich aus dem Zweck der Befreiungsvorschrift.

Die Voraussetzungen des § 2 AltTZG sind im Streitfall erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin in der Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer über die Altersteilzeit, entgegen der Auffassung des Beklagten, die Regelungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG eingehalten. Der Arbeitnehmer A hatte nämlich durch die Vereinbarung über die Altersteilzeit seine bisherige wöchentliche Arbeitszeit von 21 Wochenstunden auf 10,5 Wochenstunden, mithin auf die Hälfte, vermindert. Diese Vereinbarung galt bis zum 31. Juli 2007, also dem Ende des Monats, in dem der Arbeitnehmer das 61. Lebensjahr vollenden würde und eine Altersrente beanspruchen könnte.

Die vom Arbeitnehmer zusätzlich seit August 2004 geleistete Mehrarbeit von 2 Wochenstunden lässt die Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge nicht entfallen.

Zusätzlich zur vereinbarten Altersteilzeitarbeit erbrachte Mehrarbeit ist nach dem AltTZG ausdrücklich zugelassen, worauf die Klägerin zutreffend hinweist. So ruht nach § 5 Abs. 3 Satz 1 AltTZG der Anspruch auf Leistungen nach § 4 AltTZG, also Erstattungen der Aufstockungsbeträge durch die Bundesagentur für Arbeit an den Arbeitgeber, lediglich während der Zeit, in der der Arbeitnehmer neben seiner Altersteilzeitarbeit Beschäftigungen oder selbstständige Tätigkeiten ausübt, die die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV überschreiten. Nach § 5 Abs. 4 AltTZG ruht der Anspruch auf Leistungen nach § 4 AltTZG während der Zeit, in der der Arbeitnehmer über die Altersteilzeitarbeit hinaus Mehrarbeit leistet, die den Umfang der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV überschreitet. Nach § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 EUR nicht übersteigt (Nr. 1) oder auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 400 EUR im Monat übersteigt (Nr.2).

Da die für die zusätzlich vom Arbeitnehmer A geleistete Mehrarbeit gezahlte Vergütung 400 EUR im Monat in den Streitjahren nicht überstieg, führte dies nicht zum Ruhen des Anspruchs auf Leistungen nach § 4 AltTZG. Nach R 18 LStR änderte aber selbst ein Ruhen dieses Anspruchs nach § 5 Abs. 3 und Abs. 4 AltTZG nichts an der Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge. Wenn jedoch selbst ein Ruhen des Anspruchs auf Leistungen nach § 4 AltTZG für die Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge unbeachtlich sein soll, muss dies um so mehr gelten, wenn, wie im Streitfall, ein solches Ruhen noch nicht einmal eingetreten ist.

Eine Zusammenrechnung der vom Arbeitnehmer in den Streitjahren insgesamt geleisteten Wochenstunden ohne Trennung in vereinbarte Altersteilzeitarbeit auf der einen Seite und Mehrarbeit auf der anderen, wie sie der Beklagte vornimmt, mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG nicht erfüllt wären und eine Steuerpflicht der Aufstockungsbeträge einträte, käme allenfalls in Betracht, wenn Arbeitgeber und Arbeitgeber ein kollusives Zusammenwirken zum Nachteil des Fiskus durch Ausnutzung der Steuerfreiheit des § 3 Nr. 28 EStG oder zum Nachteil der Bundesagentur für Arbeit zur Erschleichung von Leistungen nach § 4 AltTZG anzulasten wäre. Davon ist im Streitfall nicht auszugehen.

Für die Annahme, Klägerin und Arbeitnehmer hätten die Mehrarbeit lediglich zum Schein (§ 41 Abs. 2 AO) oder zum Zwecke der Umgehung des Steuergesetzes (§ 42 AO) vereinbart, tatsächlich habe man aber die Wochenstundenzahl nur von 21 auf 12,5 reduzieren wollen, sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil spricht die Neueinstellung eines weiteren Lehrers unter Wegfall der zusätzlichen Lehrtätigkeit des Arbeitnehmers A im Folgejahr 2006 dafür, dass die Mehrarbeit von vornherein zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als nur vorübergehend vereinbart sein sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).



Ende der Entscheidung

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