Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 11 K 64/07
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 8 Abs. 2 S. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

11 K 64/07

Haftung für Lohnsteuer

Tatbestand:

Streitig ist, ob auf Rechnung der Klägerin von mehreren ihrer Arbeitnehmer bei Dritten bezogene Waren Sachbezüge darstellen, für die die Freigrenze von 44 Euro des § 8 Abs. 2 Satz 9 Einkommensteuergesetz (EStG) gilt.

Die Klägerin ist arbeitsvertraglich verpflichtet, ihren Arbeitnehmern neben dem Gehalt verschiedene Zusatzleistungen zu erbringen. U.a. gewährt sie "einen regelmäßigen Gutscheins-, Waren- oder Dienstleistungsbezug nach Wunsch des Arbeitnehmers" im Wert von 44 EUR. Der Arbeitnehmer kann bis zum 30. November eines Jahres bestimmen, welche konkreten Waren, Dienstleistungen oder Gutscheine er im Folgejahr beziehen möchte. Sollte der vereinbarte Wert überschritten werden, sind die Arbeitnehmer zur anteiligen Rückzahlung an die Klägerin verpflichtet.

Die Arbeitnehmer konnten sich auch für den Bezug von Waren oder Dienstleistungen einer Tankstelle entscheiden. Die Klägerin hatte für diesen Fall mit dem Betreiber der Tankstelle (T) vereinbart, dass diese Arbeitnehmer monatlich nach ihrer Wahl bei T Güter "aus allen Warengruppen" im Wert von bis zu 44 EUR auf Rechnung der Klägerin beziehen dürfen. Die Arbeitnehmer erhielten jeweils eine dementsprechend limitierte "T Card", eine Kundenkarte des T. Die Arbeitnehmer kauften mittels der Kundenkarte für 44 EUR monatlich im Wesentlichen Benzin verschiedener Sorten, aber z.B. auch Tabak- und Süßwaren ein. T erteilte der Klägerin monatlich Rechnungen mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer. Die Rechnungen wiesen die von jedem Arbeitnehmer bezogenen Waren oder Dienstleistungen aus. Die Klägerin sah hierin keinen lohnsteuerpflichtigen Vorgang.

Der Beklagte (das Finanzamt) beanstandete im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung dem Prüfer folgend diese Vorgehensweise und nahm die Klägerin mit Bescheid vom 6. Dezember 2006 für die nicht angemeldeten und abgeführten Lohnabzugsbeträge gemäß § 42 d Abs. 1 EStG in Haftung.

Es war der Ansicht, es liege kein Sachbezug vor, sodass die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nicht einschlägig sei. Die Kundenkarte sei einem Warengutschein, der nicht beim Arbeitgeber einzulösen sei, vergleichbar. In einem solchen Fall komme ein Sachbezug nur in Betracht, wenn die Ware konkret bezeichnet und zusätzlich kein Höchstbetrag angegeben sei. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall nicht gegeben. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsbescheid vom 10. Januar 2007) die Klage.

Die Klägerin meint, die Tankkarte sei mit einem Gutschein nicht vergleichbar. Die Tankkarte beinhalte kein Guthaben, über das der Arbeitnehmer verfügen könne, sondern diene lediglich der Legitimation der Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer habe durch die Tankkarte keinen Rechtsanspruch auf den Bezug von Waren. T könne den Warenbezug jederzeit verweigern. Ebenso könne die Klägerin die Tankkarte jederzeit sperren lassen. Bei einem Gutschein erfolge durch die Zahlung des Gutscheinwerts eine Kaufpreisvorauszahlung an das einlösende Unternehmen. Bei der Tankkarte hingegen kreditiere T gegenüber der Klägerin. Anders als bei einem Gutschein verbleibe das Eigentum an der Tankkarte bei T.

Die Klägerin erbringe die Warenlieferungen oder Dienstleistungen. Sie bediene sich lediglich des T als Erfüllungsgehilfen, um ihre arbeitsvertragliche Pflicht, die vereinbarte Vergütung zu leisten, zu erfüllen. Die Erfüllung sei nicht bereits in der Übergabe der Tankkarte, sondern erst in dem Bezug der einzelnen Waren oder Dienstleistungen durch die Arbeitnehmer zu sehen. Die Arbeitnehmer hätten keine Ansprüche gegen T, sondern nur gegen die Klägerin. Die Sachbezugsfreigrenze sei auch dann zu beachten, wenn eine Warenabgabe an die Arbeitnehmer nicht im Betrieb stattfinde.

Dass die Arbeitnehmer eigene Aufwendungen ersparten, sei für jeden Sachbezug kennzeichnend und demzufolge kein Argument von einer Einnahme in Geld auszugehen.

Da § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG Sachbezüge als Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, definiere und die Tankkarte kein Guthaben enthalte, müsse im Streitfall zwingend von einem Sachbezug ausgegangen werden. Die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmer Rückzahlungen an die Klägerin zu leisten hätten, stehe der Anwendung des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG nach seinem Wortlaut nicht entgegen.

Der amtlichen Begründung für § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG (BTDrucks 13/1686, S. 8) könne man nicht entnehmen, dass die Regelung nur für Sachbezüge gelten solle, deren Einordnung und Bewertung in keinem vertretbaren Verhältnis zu ihrer steuerlichen Auswirkung stünden. In der Begründung sei im Zusammenhang mit einem festgestellten Vereinfachungsbedarf über die Regelung des § 8 Abs. 3 EStG für Rabatte des Arbeitgebers hinaus lediglich beispielhaft die Erfassung von Dritten bezogener Waren oder Dienstleistungen aufgeführt. Der Gesetzgeber habe aber mit § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG bewusst eine Begrenzung allein nach der Höhe geschaffen. Art und zahlenmäßiger Umfang der Sachbezüge spielten keine Rolle.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 6. Dezember 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Januar 2007 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend führte der Vertreter des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung aus, die T Card wirke wie ein Zahlungsmittel. Die Arbeitnehmer unterlägen keiner Produktbindung und könnten bei ihren Einkäufen bei T über 44 EUR frei verfügen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Haftungsbescheid vom 6. Dezember 2006 und der Einspruchsbescheid vom 10. Januar 2007 sind rechtmäßig.

Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet ein Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine fremde Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.

Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG) und zum Fälligkeitstermin abzuführen (§ 41a Abs. 1 EStG). Steuerpflichtiger Arbeitslohn ist dadurch gekennzeichnet, dass dem Arbeitnehmer Einnahmen (Bezüge oder geldwerte Vorteile) zufließen, die für seine Arbeitsleistung gewährt werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Einnahmen sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen (§ 8 Abs. 1 EStG). Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Sachbezüge), sind nach näherer Maßgabe des § 8 Abs. 2 EStG zu bewerten, wenn, wie hier, nicht die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 3 EStG für vom Arbeitgeber bezogene Waren oder Dienstleistungen (Personalrabatte) eingreift. Für Sachbezüge, die nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG zu bewerten sind, gilt eine Freigrenze von 44 EUR (§ 8 Abs. 2 Satz 9 EStG).

Die Klägerin hat dadurch, dass sie die Kosten der von den Arbeitnehmern bei T bezogenen Waren oder Dienstleistungen bis zur Höhe von 44 EUR monatlich getragen hat, diesen Arbeitnehmern lohnsteuerpflichtigen Barlohn zugewendet, auf die die Sachbezugsfreigrenze keine Anwendung findet. Auch wenn die Klägerin ihren Arbeitnehmern insoweit kein Geld bar oder unbar zukommen lässt, sondern ihnen nur den kostenlosen Bezug der Waren oder Dienstleistungen des T ermöglicht, fließen den Arbeitnehmern doch Einnahmen in Geld im Sinne des § 8 Abs. 1 EStG zu, die die Klägerin ihnen für ihre Arbeitsleistung gewährt. Daran ändert nichts, dass die Klägerin mit den Arbeitnehmern eine Entlohnung durch den Bezug von Waren und Dienstleistungen vereinbart hat.

Die Frage nach der lohnsteuerrechtlichen Behandlung von Waren- oder Benzingutscheinen stellt sich im Streitfall nicht. Die Kundenkarte ist nicht mit einem solchen Gutschein vergleichbar. Ein Gutschein repräsentiert eine gegen einen Dritten bestehende Forderung auf eine Sache oder Dienstleistung. Dies tut die Kundenkarte nicht. Sie verschafft den Arbeitnehmern keinen Anspruch auf eine Ware oder Dienstleistung des T. Die Kundenkarte legitimiert die Arbeitnehmer lediglich gegenüber dem Kassenpersonal des T, im Rahmen der von der Klägerin und T getroffenen Vereinbarung Waren oder Dienstleistungen auf Rechnung der Klägerin zu beziehen.

Die Klägerin hat den Arbeitnehmern mit der Zusage an T, die Rechnungen bis zur Höhe von 44 EUR zu tragen, eine Art Zahlungsmittel überlassen, das als Einnahme in Geld anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 2004 VI R 29/02, BStBl II 2005, 135 zu Lohnzahlungen in ausländischer Währung). Die Vereinbarungen der Klägerin mit ihren Arbeitnehmern und T sind in ihrem wirtschaftlichen Gehalt mit einem von der Klägerin an die Arbeitnehmer ausgegebenen, nur bei T gültigen Zahlungsmittel im Wert von monatlich 44 EUR vergleichbar. Die Arbeitnehmer können ohne Produktbindung "aus allen Warengruppen" des T frei auswählen. Unerheblich ist, ob die Arbeitnehmer dabei einen Rechtsanspruch gegen T auf den Bezug von Waren und Dienstleistungen haben. Sollte T den Bezug verweigern, fehlte es am Zufluss von Einnahmen bei den Arbeitnehmern, sodass auch keine Lohnsteuer anfiele.

Die Kundenkarte repräsentiert keine Sachbezüge in Form von Waren oder Dienstleistungen des T. Weder die Arbeitnehmer noch die Klägerin haben aufgrund der Vereinbarungen Ansprüche gegen T auf Bezug von Waren oder Dienstleistungen. Die Arbeitnehmer haben aus dem Arbeitsvertrag lediglich einen Anspruch gegen die Klägerin, ihnen den Bezug von Waren und Dienstleistungen bei T zu ermöglichen und die dabei anfallenden Kosten bis zur Höhe von 44 EUR monatlich zu tragen.

Sinn und Zweck des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG schließen im Streitfall die Anwendung der Sachbezugsfreigrenze aus, auch wenn der von der Klägerin den Arbeitnehmern überlassene Barlohn zweckgebunden nur für Einkäufe von Waren und Dienstleistungen bei T zur Verfügung steht.

Die Sachbezugsfreigrenze wurde durch Art. 1 Nr. 13 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl. I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) in das Einkommensteuerrecht eingeführt. Wie sich aus den dazu veröffentlichten Gesetzesmaterialien ergibt (BTDrucks 13/1686, S. 8), verfolgte der Gesetzgeber damit die Absicht, über die bisherigen Möglichkeiten der Festsetzung von Sachbezugswerten nach § 8 Abs. 2 Sätze 6 bis 8 EStG und über die seit 1990 geltende Sonderregelung für Belegschaftsrabatte in § 8 Abs. 3 EStG hinaus auch die Erfassung der von Dritten bezogenen Waren und Dienstleistungen sowie die Besteuerung der privaten Nutzung betrieblicher Einrichtungen (z.B. des Telefons am Arbeitsplatz) zu vereinfachen.

Von der Freigrenze ausgeschlossen sein sollten jedoch diejenigen Sachbezüge, deren Erfassung bereits durch amtliche Sachbezugswerte vereinfacht ist. Das zeigt, dass durch die Neuregelung nur die Erfassung bestimmter Einnahmen erleichtert werden soll, deren zutreffende Einordnung und Bewertung ansonsten in keinem vertretbaren Verhältnis zu ihrer steuerlichen Auswirkung stehen würde. Sie hat hingegen nicht den Zweck, es dem Arbeitgeber zu ermöglichen, seinen Arbeitnehmern auf wie auch immer geartete Weise einen monatlichen Gegenwert von (jetzt) 44 EUR steuerfrei zukommen zu lassen (BFH-Urteil vom 27. Oktober 2004 VI R 51/03, BStBl II 2005, 137).

Die Ausführungen in dem Beschluss vom 12. April 2007 in dem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (11 V 65/07) sind nicht dahin zu verstehen, die Anwendung der Freigrenze bei Sachbezügen sei davon abhängig, dass ihre Bewertung Schwierigkeiten bereite. Im Streitfall geht es um den Zufluss von Barlohn.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).



Ende der Entscheidung

Zurück