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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 20.02.2007
Aktenzeichen: 13 K 206/05
Rechtsgebiete: GrEStG


Vorschriften:

GrEStG § 1 Abs. 2a S. 1
GrEStG § 23 Abs. 6 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

13 K 206/05

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob für bestimmte Anteilsübertragungen an neue Gesellschafter (in der Zeit von 1998 bis 2002) Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2a GrEStG besteht. Dabei geht es auch um die Auslegung des § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG wegen des zeitlichen Anwendungsbereichs der neueren Fassung des § 1 Abs. 2a GrEStG.

Im Dezember 1997 waren an der Klägerin (eine Grundbesitzgesellschaft) die AKS-AG mit 99 vom Hundert und die AKS-GmbH mit 1 vom Hundert beteiligt. Die AKS-AG war alleinige Gesellschafterin der AKS-GmbH.

Am 31. Dezember 1997 übertrug die AKS-AG 5 vom Hundert der Anteile an der Klägerin auf die AKS-GmbH (Altgesellschafter). Entsprechend hielten nun die AKS-AG 94 vom Hundert der Anteile an der Klägerin und die AKS-GmbH die restlichen 6 vom Hundert.

Am 1. November 1998 übertrug die AKS-AG 88 vom Hundert der Anteile an der Klägerin auf die M-AG (Neugesellschafter). Entsprechend hielten nun die AKS-AG 6 vom Hundert der Anteile an der Klägerin, die AKS-GmbH 6 vom Hundert und die M-AG 88 vom Hundert.

Am 29. Dezember 1998 veräußerte die AKS-AG sämtliche Anteile an der AKS-GmbH an Herrn C. D. (mittelbarer Neugesellschafter).

Die AKS-AG ging in Insolvenz und schied aus der Klägerin aus (dazu Antrag auf Grundbuchberichtigung vom 21. März 2002). Die ihr verbliebenen 6 vom Hundert der Anteile an der Klägerin wuchsen den beiden übrigen Gesellschaftern zu. Entsprechend hielten nun die AKS-GmbH 9 vom Hundert der Anteile an der Klägerin und die M-AG 91 vom Hundert.

Das beklagte Finanzamt (FA) nahm an, dass durch die beschriebenen Anteilsübertragungen innerhalb von fünf Jahren (ab 1998) mindestens 95 vom Hundert der Anteile an der Klägerin auf neue Gesellschafter übergegangen waren und somit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a GrEStG vorlagen.

Hierbei rechnete das FA wie folgt:

im Jahr 1998 unmittelbarer Verkauf von Anteilen an die M-AG (88 vom Hundert)

noch im Jahr 1998 mittelbarer Verkauf von Anteilen an Herrn C.D. (6 vom Hundert durch die AKS-GmbH hindurch)

im Jahr 2002 unmittelbare Anwachsung (3 vom Hundert zur M-AG)

im Jahr 2002 mittelbare Anwachsung (3 vom Hundert zu Herrn C.D. über AKS-GmbH)

Nach diesem Rechenwerk waren insgesamt 100 vom Hundert von den Anteilen der Klägerin auf neue Gesellschafter übergegangen, unmittelbar 91 vom Hundert und mittelbar 9 vom Hundert.

Entsprechend gab das FA den Bescheid vom 24. Juni 2002 über eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer (nach § 17 GrEStG) an die Klägerin heraus. Für die Berechnung der Grunderwerbsteuer wurde der im Antrag auf Grundbuchberichtigung vom 21. März 2002 genannte Wert des Grundstücks in Höhe von 10 Millionen EUR herangezogen. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO und sollte, sobald der nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG heranzuziehende Grundbesitzwert vorläge, entsprechend geändert werden.

Die Klägerin trug mit ihrem Einspruch vom 19. Juli 2002 vor, dass die Grunderwerbsteuer nach § 6 Abs. 1 GrEStG insoweit nicht zu erheben sei, soweit die M-AG bereits mit 88 vom Hundert und die AKS-GmbH mit 6 vom Hundert an der Klägerin beteiligt gewesen sei. Entsprechend sei danach lediglich ein Betrag (Besteuerungsgrundlage) von 600.000 EUR (6 vom Hundert von 10 Millionen EUR) zu versteuern gewesen.

Das FA folgte zunächst dem Einspruchsbegehren mit dem Änderungsbescheid vom 26. Juli 2002, der erneut unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt wurde. Dann aber - mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 6. August 2002, der wiederum unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging - kehrte das FA zur vollen Besteuerung zurück.

Mit dem dagegen erhobenen Einspruch vom 6. September 2002 verlangte die Klägerin nun die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren erhebt die Klägerin Klage und trägt im Wesentlichen Folgendes vor:

§ 1 Abs. 2a GrEStG in der Fassung bis zum 31. Dezember 1999 habe einen mittelbaren Gesellschafterwechsel als Tatbestandsmerkmal nicht gekannt. Folglich dürfe die Übertragung der Gesellschaftsanteile der AKS-GmbH von der AKS-AG an Herrn C.D. im Jahre 1998 bei der Grenzbetrachtung (95 vom Hundert) nicht berücksichtigt werden. Außerdem sei die Auffassung des FA, wonach es allein darauf ankomme, wann der letzte Teilakt von mehreren Anteilsübertragungen verwirklicht worden sei, nicht korrekt. Nicht korrekt sei auch die Annahme des FA, dass mittelbare Anteilsübertragungen vom neugestalteten § 1 Abs. 2a GrEStG erfasst seien, obwohl diese bereits vor dem 1. Januar 2000 vollzogen worden seien. Die Klägerseite stützt sich insbesondere auf die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2a alter Fassung GrEStG in Verbindung mit § 23 Abs. 3 GrEStG.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide des FA über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom 26. Juli 2002 und 6. August 2002 in der Fassung des Bescheides vom 6. November 2003 und die Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2003 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA verbleibt bei seiner Ansicht, dass der § 1 Abs. 2a GrEStG in seiner neueren Fassung hier anwendbar ist. Denn zum einen sei die letzte entscheidende und somit auch die Grunderwerbsteuer auslösende Veränderung in der Gesellschaftsstruktur nach dem 1. Januar 2000 durch die Anwachsung der Anteile der AKS-AG bei ihren Mitgesellschaftern durch das Ausscheiden der AKS-AG aus der Klägerin erfolgt. Zum zweiten spreche - im Unterschied zur Anwendungsvorschrift aus dem Jahre 1997 (§ 23 Abs. 3 GrEStG) - der § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG von der Verwirklichung eines Erwerbsvorgangs und nicht von Rechtsgeschäften; hiernach werde nicht auf die einzelnen (sukzessiven) Anteilsübergänge abgestellt. Im Übrigen stützt sich das FA auf verschiedene Verwaltungserlasse zur Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG.

Während des Klageverfahrens hat das FA einen weiteren Bescheid unter dem Datum vom 6. November 2003 herausgegeben, mit dem der zur Besteuerung heranzuziehende Grundbesitzwert (endgültig) 9.880.500 EUR betragen soll. Hingewiesen wird auf den Inhalt des Verhandlungsprotokolls sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und auf den Inhalt der Steuerakten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind ersatzlos aufzuheben. Denn die "mittelbare" Veränderung des Gesellschafterbestandes des Jahres 1998 (von 6 vom Hundert) wird nicht von der ab 1. Januar 2000 verschärften fiktiven Grunderwerbsbesteuerung bei der Grenzbetrachtung (95 vom Hundert) nach Maßgabe des § 1 Abs. 2a GrEStG erfasst.

1. Gemäß der neueren Fassung des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG nach dem Steuer"entlastungs"gesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl. I 1999, 402) liegt ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft vor, wenn zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück gehört und sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt ändert, dass mindestens 95 vom Hundert der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen. Diese neuere (bezüglich der "mittelbaren" Anteilsübertragung verschärfte) Fassung des § 1 Abs. 2a GrEStG ist erstmals auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1999 verwirklicht werden (vgl. § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG).

Vorher, ab dem 1. Januar 1997 (dazu § 23 Abs. 3 GrEStG), galt folgende (insoweit gemäßigte) Fassung:

Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich bei ihr innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand vollständig oder wesentlich, gilt dies als auf die Übereignung des Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft. Eine wesentliche Änderung des Gesellschafterbestandes ist anzunehmen, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Übertragung des Grundstücks auf die neue Personengesellschaft darstellt. Dies ist stets der Fall, wenn 95 vom Hundert der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen.

Für die Besteuerung kommt hier allein die neuere (verschärfte) Gesetzesfassung des § 1 Abs. 2a GrEStG in Betracht, weil diese nicht allein die unmittelbare ("bei ihr"), sondern auch die "mittelbare" Veränderung des Gesellschafterbestandes tatbestandserfüllend erfasst und so ein Erreichen bzw. Überschreiten der 95-vom-Hundert-Grenze ermöglichen würde. § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG ordnet aber für diese Neufassung keine Rückwirkung auf bis zum 1. Januar 1997 verwirklichte Erwerbsvorgänge an, so dass die hier beschriebenen unmittelbaren Veränderungen ab dem Jahre 1998 nicht mit der "mittelbaren" Veränderung des Gesellschafterbestandes des Jahres 1998 (6 vom Hundert) zusammengerechnet werden dürfen. Danach wird die Besteuerungsgrenze von "mindestens 95 vom Hundert" nicht erreicht, die Grunderwerbsteuerpflicht entfällt insgesamt.

Dem Vorbringen des FA, es sei innerhalb der Fünfjahresfrist des § 1 Abs. 2a GrEStG in Verbindung mit § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG auf den letzten Teilakt des Erwerbsvorgangs (hier Anwachsung im Jahre 2002) abzustellen, folgt der erkennende Senat nicht. Denn in Anlehnung an das Urteil des BFH vom 8. November 2000 (II R 64/98, BFHE 194, 252, BStBl. II 2001, 422), das zur zeitlichen Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG alter Fassung in Verbindung mit § 23 Abs. 3 GrEStG ergangen ist und insbesondere mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG eine für den Steuerbürger vorhersehbare Besteuerungsrechtslage verlangt, beginnt der Lauf der Fünfjahresfrist für "mittelbare" Änderungen des Gesellschafterbestandes erstmals nach dem Inkrafttreten der neuen Vorschrift, nämlich am 1. Januar 2000. Die einfach- sowie verfassungsrechtlichen Ausführungen des BFH zu dem Auslegungsergebnis des § 23 Abs. 3 GrEStG sind nach Auffassung des Senats auch auf den hier einschlägigen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2a GrEStG in Verbindung mit § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG übertragbar. Denn mit der Neufassung des § 1 Abs. 2a GrEStG sind "mittelbare" Anteilsübertragungen erstmals in den Gesetzestatbestand aufgenommen worden, die die Grunderwerbsbesteuerung verschärfen, damit die Rechtsposition des Steuerbürgers (nur künftig) verschlechtern (vgl. auch NFG-Urteil vom 11. Juli 2000 7 K 374/99, EFG 2000, 1408 sowie anschließendes BFH-Urteil vom 30. April 2003 II R 79/00 BFHE 202, 387, BStBl. II 2003, 890 - ähnlich wie das BFH-Urteil vom 8. November 2000, a.a.O.; offen lassend dagegen BFH-Urteil vom 27. April 2005 II R 61/03, BFHE 210, 56, BStBl. II 2005, 649).

Auch dass Verwaltungsanweisungen (etwa BMF vom 7. Februar 2000, BStBl. I 2000. 344, 346 sowie Ländererlasse vom 26. Februar 2003, BStBl. I 2003, 271, 273 Tz. 5) "mittelbare" Veränderungen des Gesellschafterbestandes vor Inkrafttreten des neueren § 1 Abs. 2a GrEStG für grunderwerbsteuerrelevant erklärten, ist irrelevant. Denn das (allein maßgebliche) Gesetz, nämlich die alte Fassung der fiktiven Grunderwerbsbesteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG, enthielt keinen Hinweis auf "mittelbare" Gesellschafter-Bestandsveränderungen und war auch in diesem Sinne nicht auslegungsfähig (Veränderungen des Gesellschafterbestandes nur "bei ihr"). Eine anderslautende Verwaltungsansicht kann deshalb keinen Bestand haben (in diesem Sinne auch Viskorf in Borruttau, Kommentar zum GrEStG, 15. Auflage 2002, § 23 Anm. 74; neuerdings auch Pahlke in Pahlke/Franz, Kommentar zum GrEStG, 3. Auflage 2005, § 23 Anm. 27, § 1 Anm. 305, a.A. noch 2. Auflage 1999, § 23 Anm. 19).

Auch der Einwand des FA, § 23 Abs. 3 GrEStG verwende einen anderen Begriff (mit einer anderen Rechtsfolge) als der hier einschlägige § 23 Abs. 6 Satz 2 GrEStG, greift nicht durch. Denn der Gesetzgeber setzt zur Bezeichnung grunderwerbsteuerrelevanter Vorgänge mal den Begriff "Rechtsgeschäft", mal den Begriff "Erwerbsvorgang" ein, ohne dass damit unterschiedliche Rechtsfolgen verknüpft sind (vgl. Überschrift und Text des § 1 GrEStG).

Der Senat hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin so ausgelegt, dass auch der erste Bescheid in einer Reihe von vielen angefochtenen Bescheiden, nämlich der Bescheid vom 24. Juni 2002, vom Klageantrag umfasst wird.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision an den BFH ergeht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 1 und 2 Nr. 1 FGO).



Ende der Entscheidung

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