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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 13.10.2005
Aktenzeichen: 14 K 364/03
Rechtsgebiete: GG, EStG, FSJG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. d
EStG § 63 Abs. 1
FSJG § 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

14 K 364/03

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Tochter des Klägers ein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d Einkommensteuergesetz (EStG) abgeleistet hat.

Die Tochter des Klägers, ist am ... geboren und besuchte zunächst das Gymnasium ..., wo sie das Abitur ablegte. Im ... teilte ihr die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) mit, dass sie in das Programm "Live and Work in Australia" aufgenommen worden sei und dass sie voraussichtlich in der Zeit vom ... bis zum ... ein "freiwilliges soziales Jahr" in Australien ableisten könne. Träger des Programms "Live and Work in Australia" ist die britische Wohlfahrtsorganisation GAP Activity Projects Ltd. mit Sitz in Großbritannien.

Die beklagte Agentur für Arbeit (AA) gewährte dem Kläger zunächst für seine Tochter laufend Kindergeld in gesetzlicher Höhe. Am ... beantragte der Kläger sodann bei der AA, ihm auch für die Zeit des freiwilligen sozialen Jahres seiner Tochter Kindergeld zu gewähren. Mit Bescheid vom ... lehnte es die a.A. ab, dem Kläger ... weiterhin Kindergeld zu zahlen. Das Programm "Live and Work in Australia" sei kein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG. Mit Bescheid vom ... korrigierte die a.A. ihren Aufhebungsbescheid vom ... und gewährte dem Kläger für seine Tochter nachträglich Kindergeld für die Monate ... und .... Anschließend legte der Kläger gegen den Bescheid vom ... Einspruch ein. Das Programm "Live and Work in Australia" sei von der a.A. mit einer Werbebroschüre angepriesen worden. Andere Familienkassen in Deutschland hätten daher in vergleichbaren Fällen ein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG anerkannt. Mit Einspruchsbescheid vom ... wies die a.A. den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Ein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG könne nur angenommen werden, wenn der Träger des sozialen Jahres seinen Sitz im Inland habe. Daran fehle es hier. Träger des Programms "Live and Work in Australia" sei die GAP, die ihren Sitz in Großbritannien habe.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein bisheriges Begehren weiterverfolgt. Weder aus § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG noch aus dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und anderer Gesetze vom 27. Mai 2002, Bundesgesetzblatt 2002 I, Seite 1667 ff. (FSJG) ergebe sich, dass Kindergeld bei Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres im Ausland nur dann weiterbewilligt werden könne, wenn der Träger des jeweiligen Dienstes seinen Sitz im Inland habe. § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG verweise lediglich für den Begriff des freiwilligen sozialen Jahres auf § 3 FSJG. In § 3 FSJG sei jedoch gerade nicht geregelt, dass der Träger des im Ausland geleisteten freiwilligen sozialen Jahres seinen Sitz im Inland haben müsse. Die Anforderung an den Träger seien vielmehr isoliert in § 5 FSJG geregelt. Diese Regelung stehe jedoch augenscheinlich in keinerlei Bezug zu der Definition des freiwilligen sozialen Jahres in § 3 FSJG. Daraus folge eindeutig, dass bei einem freiwilligen sozialen Jahr im Ausland nicht ausschlaggebend sei, wo der Träger des sozialen Jahres seinen Sitz habe. Dementsprechend hätten daher die Agenturen für Arbeit in ... und in ... in vergleichbaren Fällen unabhängig vom Sitz des Trägers Kindergeld gewährt. Nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) müsse nun auch im Streitfall so verfahren werden.

In der Zeit vom ... bis zum ... hat ... als Teilnehmerin des Programms "Live and Work in Australia" ein Auslandspraktikum in einem Mädcheninternat in Perth, Australien absolviert.

Der Kläger beantragt,

die Agentur für Arbeit zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom ... in der Gestalt des Änderungsbescheids vom ... sowie in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom ... für seine Tochter für die Zeit vom ... bis zum ... Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die a.A. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Rechtsauffassung fest. Ergänzend weist sie darauf hin, dass auch nach ihren internen Dienstanweisungen ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland nur anerkannt werden könnte, wenn der Träger seinen Sitz im Inland habe.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat für die Zeit vom ... bis zum ... keinen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter, da ... für diesen Zeitraum kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt werden kann. Nach § 63 Abs. 1 EStG werden bei der Gewährung von Kindergeld nur Kinder i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigt, wobei § 32 Abs. 3 bis 5 EStG entsprechend gilt. Nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, bei der Gewährung von Kindergeld nur berücksichtigt, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und u.a. ein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. Gesetzes zur Förderung eines freiwilliges sozialen Jahres leistet.

Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall - entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht - nicht vor. ... hat in der Zeit vom ... bis zum ... mit ihrer Teilnahme an dem Programm "Live and Work in Australia" kein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres geleistet. Zwar kann, worauf der Kläger in zutreffender Weise hingewiesen hat, ein freiwilliges soziales Jahr nach § 3 Abs. 1 FSJG, auch im Ausland geleistet werden. Diese Regelung gilt nach Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und anderer Gesetze vom 27. Mai 2002 ab dem 1. Juni 2002 und ist damit im Streitfall auch anwendbar. Als Träger des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland kommen jedoch nach § 5 Abs. 2 Satz 1 FSJG nur juristische Personen in Betracht, die Maßnahmen i.S.d. § 3 FSJG durchführen und Freiwillige für einen Dienst im Ausland vorbereiten, entsenden und betreuen, und die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 FSJG entscheidet die zuständige Landesbehörde über die Zulassung eines Trägers des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 FSJG muss darüber hinaus das freiwillige soziale Jahr im Ausland von einer zentralen Stelle eines nach § 5 FSJG anerkannten Trägers pädagogisch begleitet werden.

Diesen Vorgaben des Gesetzes zur Förderung eines freiwilliges sozialen Jahres genügt das Programm "Live and Work in Australia" nicht. Der Träger des Programms, die GAP Activity Projects Ltd., hat ihren Sitz schon nicht, wie von § 5 Abs. 2 Satz 1 FSJG gefordert, in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in Großbritannien. Darüber hinaus ist die GAP Activity Projects Ltd. auch nicht von einer Landesbehörde entsprechend § 3 Abs. 2 Satz 2 FSJG als Träger eines sozialen Jahres im Ausland zugelassen worden. Schließlich ist ..., die Tochter des Klägers, auch nicht während ihres Auslandspraktikum in dem Mädcheninternat in Perth, Australien von einer zentralen Stelle eines nach § 5 FSJG anerkannten Trägers pädagogisch begleitet worden.

Der Senat vermag sich auch nicht der Rechtsauffassung des Klägers anzuschließen, wonach § 5 FSJG isoliert die Anforderungen an den Träger eines sozialen Jahres regele, diese Regelung jedoch augenscheinlich in keinerlei Bezug zur Definition des freiwilligen sozialen Jahres in § 3 FSJG stehe. § 3 Abs. 2 FSJG nimmt, entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht, vielmehr ausdrücklich auf § 5 FSJG Bezug, da § 3 Abs. 2 Nr. 1 FSJG für ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland zwingend die pädagogische Begleitung von einer zentralen Stelle eines nach § 5 anerkannten Trägers fordert. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 FSJG können jedoch, wie oben bereits dargelegt, als Träger eines freiwilligen sozialen Jahres im Ausland nur juristische Personen zugelassen werden, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben. Darüber hinaus verweist § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG, entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht, auch nicht für den Begriff des freiwilliges soziales Jahr isoliert auf § 3 FSJG, sondern fordert vielmehr ein freiwilliges soziales Jahr i.S.d. Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres. Daraus folgt zweifelsfrei, dass ein freiwilliges soziales Jahr kindergeldrechtlich nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 lit. d EStG nur anerkannt werden kann, wenn sämtliche Vorgaben des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres erfüllt sind.

2.

Darüber hinaus ergibt sich im Streitfall auch aus Art. 3 Abs. 1 GG für den Kläger kein Anspruch auf Gewährung von Kindergeld für seine Tochter ..., selbst wenn, wie der Kläger geltend gemacht hat, die Agenturen für Arbeit in ... und ... in vergleichbaren Fällen unabhängig vom Sitz des Trägers Kindergeld gewährt haben sollten. Verwaltungen und Gerichte sind selbst dann nicht befugt, ein Gesetz allgemein oder im Einzelfall zu suspendieren, wenn eine Norm in zahlreichen Fällen und über einen längeren Zeitraum hinweg nicht befolgt wird (BFH-Urteil vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, BStBl. II 1989, 836, 840). Art. 3 Abs. 1 GG fordert lediglich Gleichheit vor dem Gesetz, also Gleichheit im Recht. Eine Gleichheit im Unrecht kann es dagegen nicht geben (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 1967 1 BVR 176/65, BVerfGE 21, 245, 261).

Im Streitfall hätten die Agenturen für Arbeit in ... und ..., wenn sie in vergleichbaren Fällen tatsächlich unabhängig vom Sitz des Trägers Kindergeld für ein im Ausland abgeleistetes "freiwilliges soziales Jahr" gewährt hätten, nach der oben dargestellten Rechtslage gegen zwingendes Gesetzesrecht verstoßen. Weder die a.A. noch das Gericht wären jedoch berechtigt oder verpflichtet, diese rechtswidrige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit in ... und ... fortzuführen und in der Sache - unabhängig von der tatsächlichen Rechtslage - ebenso zu entscheiden.

3.

Darüber hinaus hat der Kläger im vorliegenden Fall auch keine weiteren Gesichtspunkte vorgetragen, aus denen sich für die Zeit vom ... bis zum ... ein Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter ergeben könnte. Anhaltspunkte dafür, dass ... kindergeldrechtlich aus anderen Gründen zu berücksichtigen wäre, ergeben sich auch nicht aus der Gerichtsakte oder aus der Kindergeldakte, die die a.A. unter der Kindergeldnummer ... für den Kläger führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).



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