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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 01.10.2009
Aktenzeichen: 15 K 110/09
Rechtsgebiete: FGO, AO, EStG, InsO


Vorschriften:

FGO § 41 Abs. 1
FGO § 41 Abs. 2
FGO § 102
AO § 157 Abs. 2
EStG § 2 Abs. 7
EStG § 37 Abs. 3
InsO § 35
InsO § 38
InsO § 53
InsO § 55 Abs. 1
InsO § 80 Abs. 1
InsO § 81
InsO § 295 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist, ob aufgrund einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbständigen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einkommensteuer-Vorauszahlungen gegenüber der Insolvenzverwalterin festgesetzt werden können.

Die Insolvenzschuldnerin ist als Ärztin selbständig tätig.

Durch Beschluss des Amtsgerichts V. - Insolvenzgericht - vom xx. xx 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens führte die Klägerin den Praxisbetrieb der Insolvenzschuldnerin zunächst fort. Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass der Betrieb der Arztpraxis mit Ablauf des 30. Juni 2007 aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben werde.

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 2007 gegenüber der Insolvenzschuldnerin Vorauszahlungen zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag ab 2008 festgesetzt hatte und diesen Bescheid der Klägerin bekanntgegeben hatte, beantragte diese mit Schreiben vom 16. Januar 2008, Einkommensteuer-Vorauszahlungen gegenüber der Insolvenzmasse auf 0 EUR herabzusetzen. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21. Januar 2008 ab. Zur Begründung führte der Beklagte an, die Festsetzung sei aufgrund dessen, dass die Einkommensteuer eine Personensteuer sei, nicht gegenüber der Insolvenzmasse, sondern gegenüber der Insolvenzschuldnerin erfolgt. Die Klägerin sei als Insolvenzverwalterin lediglich der Bekanntgabeadressat der Vorauszahlungsbescheide.

Gegen die Ablehnung der Anpassung der Vorauszahlungen legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung äußerte sie die Ansicht, aufgrund der bedingungslosen Freigabe der selbstständigen Tätigkeit erbringe die Insolvenzschuldnerin durch ihre Arbeit und durch nicht zur Insolvenzmasse gehörende Gegenstände Leistungen, die nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. April 2005 (V R 5/04, BStBl II 2005, 848) keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) begründeten. Die Tätigkeit zähle vielmehr zum Bereich der insolvenzfreien Tätigkeit. Demnach sei sie in ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalterin nicht Bekanntgabeadressat für die Einkommensteuer, die möglicherweise aus dieser Tätigkeit resultiere. Die Vorauszahlungsbescheide seien an die Insolvenzschuldnerin zu richten.

Während des Einspruchsverfahrens setzte der Beklagte durch Bescheide vom 31. März 2008 und vom 16. November 2008 die Vorauszahlungen zur Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2008 und 2009 gegenüber der Insolvenzschuldnerin in jeweils verminderter Höhe fest. Die Bescheide wurden der Klägerin gegenüber bekannt gegeben. Zuletzt berücksichtigte der Beklagte Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus selbstständiger Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 23.765 EUR sowie Versicherungsbeiträge in Höhe von 2.332 EUR als Sonderausgaben.

Der gegen diesen Bescheid aufrechterhaltene Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg; der Beklagte wies diesen durch Einspruchsbescheid vom 16. Februar 2009 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen stellten Masseverbindlichkeiten dar. Die Klägerin habe als Insolvenzverwalterin die steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldnerin wahrzunehmen. Sie sei somit Bekanntgabeadressat der Vorauszahlungsbescheide.

Hiergegen richtet sich die am 18. März 2009 bei Gericht erhobene Klage. Zur Begründung wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsvorverfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass keine Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus der selbständigen Tätigkeit als Ärztin zur Insolvenzmasse fließen würden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Januar 2008 über die Ablehnung des Antrags auf Festsetzung der Vorauszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf 0 EUR, die Vorauszahlungsbescheide über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 31. März 2008 und vom 17. November 2008 und den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 16. Februar 2009 den Beklagten zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, und festzustellen, dass die aus den Einnahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin resultierende Einkommensteuer nicht als Masseverbindlichkeit im Rahmen des Insolvenzverfahrens geschuldet wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und verweist insoweit auf die dortigen Ausführungen. Ergänzend weist er darauf hin, dass es nach seiner Ansicht der Klägerin freistehe, einen Aufteilungsantrag zu stellen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt (§ 79 a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 79 Abs. 2 FGO; Schriftsatz der Klägerin vom 28. April 2009, Bl. 24 der Gerichtsakte; Schriftsatz des Beklagten vom 6. April 2009, Bl. 22 der Gerichtsakte).

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unzulässig.

1. Der Antrag der Klägerin auf Feststellung, dass die aus den Einnahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin resultierende Einkommensteuer nicht als Masseverbindlichkeit im Rahmen des Insolvenzverfahrens geschuldet werde, ist unzulässig. Die begehrte Feststellung ist nach § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO subsidiär.

Nach § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, wenn der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor.

Die Entscheidung, welche Einkünfte bei der Festsetzung der Einkommensteuer oder etwaiger Vorauszahlungen zur Einkommensteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter zu berücksichtigen sind, ist eine solche über Besteuerungsgrundlage, deren Feststellung nach § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) einen mit Rechtsbehelfen nicht anfechtbaren Teil des Einkommensteuer- oder Vorauszahlungsbescheids bildet. Die Klägerin kann allerdings Einkommensteuerbescheide oder - wie im Streitfall - Ablehnungsbescheide auf Anpassung der Vorauszahlungsbescheide anfechten mit dem Ziel der Verpflichtung der Finanzbehörde und damit im Wege der Gestaltungsklagen nach § 40 Abs. 1 FGO ihre Rechte verfolgen.

Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass sich die Frage der Berücksichtung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Insolvenzschuldnerin wohl während des gesamten Insolvenzverfahrens und damit über einen mehrere Veranlagungszeiträume umfassenden Zeitraum hinziehen wird. Aufgrund des Prinzips der Abschnittsbesteuerung sind für jeden Veranlagungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen selbständig zu ermitteln und der Sachverhalt und die Rechtslage ohne Bindung an die frühere Beurteilung neu zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 IX B 100/03, BFH/NV 2004, 532 und BFH-Urteile vom 25. April 1990 I R 78/85, BFH/NV 1990, 630, und vom 7. Februar 1969 VI R 174/67, BStBl II 1969, 314).

2. Der Antrag auf Aufhebung der Bescheide über die Ablehnung der Anpassung und die Festsetzung der Vorauszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf 0 EUR hat Erfolg.

Die angefochtenen Bescheide vom 21. Januar 2008 über die Ablehnung des Antrags auf Festsetzung der Vorauszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag auf 0 EUR, die Vorauszahlungsbescheide über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 31. März 2008 und vom 17. November 2008 und der dazu ergangene Einspruchsbescheid vom 16. Februar 2009 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat seiner Ermessensentscheidung unzutreffend die Ansicht zugrunde gelegt, dass die Vorauszahlungen unter Berücksichtigung positiver Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus der selbständigen Tätigkeit als Ärztin gegenüber der Klägerin festzusetzen sind.

Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 EStG setzt das Finanzamt die Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer durch Bescheid fest und kann diese bis zum Ablauf des auf den Vorauszahlungszeitraum folgenden 15. Kalendermonats an die Einkommensteuer anpassen, die sich für den Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird (§ 37 Abs. 3 Satz 3 EStG).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 8. November 1979 IV R 42/78, BStBl II 1980, 147) liegt die Anpassung der Vorauszahlungen im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Damit ist den Steuerbehörden ein nicht bis zum letzten nachprüfbarer Ermessensbereich zugewiesen. Dem Gericht ist es nach § 102 FGO verwehrt, über die Überprüfung der Ermessensentscheidung der Finanzbehörde hinaus eigene Ermessenserwägungen oder Tatsachenermittlungen anzustellen. Eine fehlerfreie Ermessensausübung setzt aber insbesondere voraus, dass die Finanzbehörde ihre Entscheidung anhand des einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts trifft (vgl. BFH-Urteil vom 15. Juni 1983 I R 76/82, BStBl II 1983, 672 mit Nachweisen) und dabei die Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 1981 VII R 84/80, BStBl II 1981, 740).

Die auf die vom Beklagten angesetzten Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus selbständiger Tätigkeit entfallenden Ertragsteuern sind keine Masseverbindlichkeiten und können daher nicht durch Bescheid gegenüber der Insolvenzverwalterin geltend gemacht werden. Es sind damit keine Einkünfte, die sich auf die Höhe der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 2008 und 2009 auswirken. Dies hat der Beklagte verkannt.

a) Die Einkommensteuer ist nach § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG eine Jahressteuer. Die Grundlagen für die Festsetzung sind für das jeweilige Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Der Veranlagungszeitraum für die Festsetzung der Einkommensteuer ist ebenfalls das Kalenderjahr (§ 25 Abs. 1 EStG).

Auch in der Insolvenz ist für den jeweiligen Besteuerungszeitraum eine einheitliche Veranlagung durchzuführen, in die sämtliche Einkünfte einzubeziehen sind, die der Insolvenzschuldner in dem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die steuerlichen Rechtsfolgen der Tatbestandsverwirklichung, also der Grund und die Höhe des Einkommensteueranspruchs, richten sich allein nach dem Steuerrecht (BFH-Urteil vom 7. November 1963 IV 210/62 S, BStBl III 1964, 70; BFH-Urteil vom 14. Februar 1978 VIII R 28/73, BStBl I 1978, 356; BFH-Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117).

Im Falle einer Insolvenz ist diese einheitlich ermittelte Einkommensteuer aber den verschiedenen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien nach insolvenzrechtlichen Maßgaben zuzuordnen (BFH-Urteil vom 14. Februar 1978 VIII R 28/73, BStBl II 1978, 356; BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477; BFH-Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117).

Wird die Steuerforderung durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründet, so handelt es sich um eine sonstige Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Eine als Masseverbindlichkeit zu qualifizierende Steuerforderung ist nach § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen. Sie wird mittels Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 73/92, a.a.O.; BFH-Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 61/94, a.a.O.; BFH-Urteil vom 5. März 2008 X R 60/04, BFH/NV 2008, 1569). Beruht die Steuerforderung auf dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners, ist sie gegenüber dem Insolvenzschuldner festzusetzen (Urteil des Niedersächsischen FG vom 28. Oktober 2008 13 K 457/07, EFG 2009, 486).

Die auf Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus selbständiger Arbeit entfallenden Ertragsteuern sind keine "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Insolvenzschuldnerin die Tätigkeit nach Freigabe durch die Insolvenzverwalterin ausgeübt hat und die Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind.

Sonstige Masseverbindlichkeiten sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

Der erkennende Berichterstatter ist der Auffassung, dass durch eine Betätigung des Insolvenzschuldners zumindest dann keine Masseverbindlichkeit "in anderer Weise" nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet werden kann, wenn dieser die selbständige Tätigkeit aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat und die Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangt sind. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht nach § 80 Abs. 1 InsO nur dem Insolvenzverwalter das Recht zu, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen. Damit kann grundsätzlich nur er Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, Masseverbindlichkeiten seien Verbindlichkeiten, die "durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" begründet werden. Daraus wird deutlich, dass eine Verbindlichkeit sachbezogen auf das Insolvenzverfahren begründet werden muss, um als Masseverbindlichkeit Berücksichtigung zu finden (Bäuerle in Braun, InsO, 3. Auflage 2007, § 55 Rz. 15). Dabei legen die §§ 35, 38, 80 und 81 InsO fest, dass die durch § 35 InsO definierte Insolvenzmasse den Altgläubigern zur Befriedigung der Verfahrenskosten und der durch den Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten zur Verfügung steht. Im Gegensatz dazu stellen durch den Insolvenzschuldner begründete Neuverbindlichkeiten durch die Nutzung insolvenzfreien Vermögens keine Masseverbindlichkeiten dar.

Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Durch die Einführung der Absätze 2 und 3 in § 35 InsO (eingefügt durch das Gesetz vom 13. April 2007, BGBl. I 2007, 509; anwendbar nach Art. 103c Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur InsO für alle Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Juli 2007 eröffnet werden) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass der Insolvenzverwalter Vermögen zur Betätigung des Insolvenzschuldners aus dem Insolvenzbeschlag mit konstitutiver Wirkung freigeben kann. Die Insolvenzmasse haftet dann für die durch die entsprechende Tätigkeit begründeten Verbindlichkeiten lediglich dann, wenn der Insolvenzverwalter pfändbares Vermögen aus dieser Tätigkeit zur Insolvenzmasse zieht oder der Insolvenzschuldner nach § 295 Abs. 2 InsO Zahlungen an den Insolvenzverwalter vornimmt. Lediglich durch eine strikte Trennung der Insolvenzmasse vom insolvenzfreien Vermögen ist gewährleistet, dass auf der einen Seite die Insolvenzmasse den Altgläubigern als Haftungsmasse verbleibt und auf der anderen Seite die Neugläubiger des (Insolvenz-)Schuldners als natürliche Person auf eine Haftungsmasse (das insolvenzfreie Vermögen) zugreifen können (im Ergebnis so auch FG Nürnberg im Urteil vom 11. Dezember 2008 4 K 1394/2007, EFG 2009, 867).

Im Streitfall hat die Insolvenzverwalterin die selbständige Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin freigegeben und Vermögen heraus ist nicht zur Insolvenzmasse gelangt, so dass die Ertragsteuern aus dieser selbständigen Tätigkeit nach §§ 35, 55 InsO keine Masseverbindlichkeiten sind. Einkommensteuern und Vorauszahlungen, die auf der selbständigen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin beruhen, sind nicht gegen die Insolvenzmasse zu richten.

b) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Klägerin nicht Bekanntgabeadressatin der Bescheide, soweit diese auf Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus selbständiger Arbeit entfallenden Ertragsteuern oder Vorauszahlungen festsetzen.

Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Im Insolvenzverfahren sind Bescheide über Steuerforderungen, die zu den Masseverbindlichkeiten gehören, an den Insolvenzverwalter zu richten (BFH-Beschluss vom 29. September 1970 II B 22/70, BStBl II 1970, 830). Da im Streitfall die auf Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus selbständiger Arbeit entfallenden Ertragsteuern oder Vorauszahlungen keine Masseverbindlichkeiten sind, sind auch entsprechende Bescheide nicht an die Insolvenzverwalterin zu richten. Dies entspricht auch deren Rechts- und Pflichtenstellung als Vermögensverwalterin nach der Regelung des § 34 Abs. 1, 3 AO. Die Norm bestimmt, dass Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten des Eigentümers des Vermögens treffen, soweit ihre Verwaltung reicht. Die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters nach § 80 InsO bezieht sich aber, wie auch die Neuregelung des § 35 InsO deutlich macht, nicht auf freigegebenes und damit insolvenzfreies Vermögen. Dies entspricht auch der Regelung des Anwendungserlasses zur AO (BStBl I 2008, 26) unter Nr. 2.9.5 zu § 122, der besagt, dass der Insolvenzverwalter nicht Bekanntgabeadressat für Verwaltungsakte an den Schuldner sei, die sein insolvenzfreies Vermögen betreffen.

Nicht entscheidend ist, dass die Einkommensteuerschuld als einheitliche Steuerschuld mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht (§ 36 Abs. 1 EStG) und dass Steuerpflichtiger der Insolvenzschuldner ist und bleibt. Ausschlaggebend ist vielmehr, wann, durch welche Vorgänge und in welchem Umfang die Steuerschuld im Laufe des Veranlagungszeitraums begründet wurde. Danach bestimmt sich, ob es sich um eine Masseverbindlichkeit oder eine insolvenzfreie Forderung handelt. Dementsprechend hat der BFH mit Urteil vom 11. November 1993 (XI R 73/92, a.a.O.) für das Jahr der Konkurseröffnung entschieden, dass gegen den Konkursverwalter die Einkommensteuer insoweit festgesetzt werden konnte, soweit sie die Konkursmasse betraf. Nichts anderes kann während eines laufenden Insolvenzverfahrens gelten, soweit die einheitliche Einkommensteuer durch Besteuerungsmerkmale beeinflusst wird, die auf der einen Seite die Insolvenzmasse und auf der anderen Seite das insolvenzfreie Vermögen betreffen. Entsprechend der Pflichtenverteilung haben sowohl der Insolvenzschuldner nach § 33 AO, als auch der Insolvenzverwalter nach § 34 AO Steuererklärungen für Einkünfte abzugeben, die "ihr" Vermögen betreffen. Die einheitlich ermittelte Einkommensteuer ist nach dem Maßstab des Verhältnisses der jeweiligen (Teil-)Einkünfte aufzuteilen (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 73/92, a.a.O.). Nur soweit die Einkommensteuer Masseverbindlichkeit darstellt, ist der Bescheid dem Insolvenzverwalter bekanntzugeben. Entsprechendes gilt im Streitfall für die Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheide.

Dies hat der Beklagte bei der erneuten Ermessensentscheidung über den Antrag auf Anpassung der Vorauszahlungen zu berücksichtigen (§ 101 Satz 2 FGO). Die Sache ist nicht spruchreif. Von einer Ermessensreduzierung auf Null ist im Streitfall nicht auszugehen. Der Beklagte wird im Rahmen der Sachaufklärung zu ermitteln haben, in welcher Höhe sich die Einkommensteuern 2008 und 2009 voraussichtlich ergeben werden und unter Berücksichtigung welcher Besteuerungsgrundlagen diese Einkommensteuern und die Vorauszahlungen Masseverbindlichkeiten darstellen und gegen die Klägerin zu richten sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Das Verhältnis der Teilung entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und auf § 151 Abs. 1, 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

4. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen. Rechtsprechung des BFH zur Auslegung der §§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 35 InsO - insbesondere unter Berücksichtigung der neu eingeführten Absätze 2 und 3 in § 35 InsO - ist für den Bereich der Ertragsteuern nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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