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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 08.06.2005
Aktenzeichen: 2 K 267/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 40b Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand

Streitig ist die Anwendung der Vervielfältigungsregelung des § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG im Streitjahr 1999 und dabei, ob Zukunftssicherungsleistungen durch den Arbeitgeber "aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses" erbracht worden sind.

Der Kläger war im Streitjahr alleiniger Gesellschafter der A-GmbH (im Folgenden: GmbH) und seit 1970 deren einziger Geschäftsführer. Im Juni 1999 (Streitjahr) vollendete er das 65. Lebensjahr. Nach dem Anstellungsvertrag des Klägers mit der GmbH aus dem Jahr 1988 erwarb der Kläger mit der Vollendung des 65. Lebensjahres einen Pensionsanspruch i.H.v. ... DM monatlich.

Die Gesellschafterversammlung der GmbH beschloss im Hinblick darauf am 11. Mai 1999 in der Person des Klägers die Aufhebung des Dienstvertrages mit dem Kläger zum 30. Juni 1999 in einer gesonderten Aufhebungsvereinbarung. Im Übrigen sollte die GmbH zur Ablösung der Pensionsvereinbarung den Betrag aus der Rückdeckungsversicherung in eine Direktversicherung mit Rentensofortbezug zugunsten des Klägers einzahlen. Die GmbH und der Kläger gingen davon aus, dass diese Leistung gegenüber dem Kläger teilweise nach § 40b EStG pauschaliert lohnversteuert werden könne.

In einer "Aufhebungs- und Abwicklungsvereinbarung" vom 22. Mai 1999 vereinbarten die GmbH, vertreten durch den Kläger, und der Kläger die Aufhebung des Anstellungsvertrages und die Ablösung der Pensionsvereinbarung wie im Beschlusses der Gesellschafterversammlung vorgesehen.

"Damit das Wissen, die Erfahrung, die Kunden- und Lieferbeziehungen der Gesellschaft auch weiterhin zur Verfügung stehen" (Präambel des Vertrages), entwarf die GmbH ferner einen Anstellungsvertrag mit dem Kläger, der eine Weiterbeschäftigung ab dem 1. Juli 1999 und auf unbestimmte Zeit mit einer eingeschränkten Aufgabenstellung (§ 1) und zu niedrigeren Bezügen (§ 2) vorsah. Diesen Vertrag unterzeichnete der Kläger unter dem 28. Juni 1999. Zum 1. Juli 1999 stellte die GmbH zwei Geschäftsführer ein, die sodann am gleichen Tag den Anstellungsvertrag mit dem Kläger für die GmbH unterzeichneten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vertrag verwiesen.

Einen Teilbetrag der von der GmbH abgeschlossenen Direktversicherung versteuerte die GmbH nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG pauschal mit 20%, und zwar i.H.v. ... DM. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr berücksichtigte der Kläger nur die laufenden Bezüge als Geschäftsführer und als Berater der GmbH als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Das FA veranlagte den Kläger insoweit erklärungsgemäß durch Bescheid vom 30. August 2001.

In der Folgezeit führte das Betriebsstättenfinanzamt der GmbH dort eine Außenprüfung durch. Das dortige FA war der Ansicht, die von der GmbH gezahlten Beträge zur Direktversicherung mit Rentensofortbezug seien mit ... DM als (lohn-)steuerpflichtiger Bezug des Klägers zu erfassen. Es könne auch kein Teilbetrag i.H.v. ... DM mit 20% pauschal versteuert werden, da nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG dies nur aus Anlass der Beendigung eines Dienstverhältnisses möglich sei. Das Dienstverhältnis mit dem Kläger habe aber über den 30. Juni 1999 hinaus fortbestanden. Dem folgte im Anschluss das hier beklagte FA in einem Änderungsbescheid vom 15. Mai 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.

Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Pauschalversteuerung der Einzahlung in die Direktversicherung i.H.v. ... DM lägen gemäß § 40b EStG vor, da das Dienstverhältnis zum 30. Juni 1999 beendet worden sei. Abzustellen sei auf die besondere Art des Dienstverhältnisses und damit hier das "Geschäftsführerdienstverhältnis". Das sei eindeutig endgültig beendet worden. Die Auffassung des FA sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt haltbar.

Die Rechtsprechung habe die Vergünstigung des § 40b EStG nur bei Änderungskündigungen in Gestalt der Regelungen im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) versagt. Ein solcher Fall liege im Streitfall nicht vor, denn der Kläger habe als Geschäftsführer überhaupt nicht dem KSchG unterlegen. Daher könne keine Änderungskündigung vorgelegen haben. Der Kläger sei auch gar nicht gekündigt worden; vielmehr sei einvernehmlich ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden. Gegen eine Änderungskündigung im materiellen Sinne spreche auch die fehlende Gleichzeitigkeit. Der Aufhebungsvertrag sei nicht zugleich mit dem späteren Anstellungsvertrag als Angestellter geschlossen worden. Außerdem seien die Vertragspartner nicht identisch gewesen. Der Aufhebungsvertrag sei auf Seiten der Gesellschaft von der Gesellschafterversammlung geschlossen worden, während der spätere Anstellungsvertrag des Klägers als Angestellter von den neuen Geschäftsführern für die Gesellschaft unterzeichnet worden sei. Ein Geschäftsführerdienstverhältnis sei mit dem Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers nicht vergleichbar. Die Befugnisse eines Geschäftsführers seien viel weitreichender. Außerdem habe sich das Entgelt pro Stunde bei beiden Tätigkeiten deutlich unterschieden.

Die Rechtsprechung des BFH habe stets bei besitzstandswahrenden Betriebsübergängen (§ 613a BGB) keine Beendigung der Arbeitsverhältnisse angenommen, sei aber von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen, wenn ein neues, aber inhaltlich anderes Arbeitsverhältnis - auch mit demselben Arbeitgeber - eingegangen worden sei (BFH-Urteile vom 10. Oktober 1986, VI R 178/83, BStBl II 1987, 186; vom 21. Juni 1990, X R 48/86 BStBl II 1990, 1021; vom 16. Juli 1997, XI R 85/96, BStBl II 666 und vom 12. April 2000, XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195).

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Einkommensteuerbescheid 1999 in Gestalt des Einspruchsbescheides dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um ... DM vermindert werden.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen

und hält daran fest, dass das Dienstverhältnis mit dem Kläger im Jahre 1999 nicht beendet worden sei. Es handele sich wirtschaftlich betrachtet um eine Situation, die einer Änderungskündigung entspreche. Bereits vor Ablauf des Anstellungsverhältnisses als Geschäftsführer habe die Weiterbeschäftigung als Berater festgestanden. Die neuen Geschäftsführer der GmbH, die vom Kläger als einzigen Gesellschafter ausgewählt und angestellt worden seien, hätten sich praktisch der Unterzeichnung der vorbereiteten Vereinbarung mit dem Kläger nicht entziehen können. Unter solchen Umständen sei mit der zu § 3 Nr. 9 EStG ergangenen Rechtsprechung von einer Fortsetzung des Dienstverhältnisses auszugehen.

Gründe

Die Klage ist im erkannten Umfang begründet.

Die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit sind jedoch nicht gemäß § 40 b Abs. 2 Satz 3 EStG um 125.136 DM zu vermindern, da die Voraussetzungen für eine pauschale Versteuerung nicht vorlagen.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine solche pauschale Versteuerung nur "aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses" möglich. Im Streitfall wurde das Dienstverhältnis mit dem Kläger jedoch nicht im Sinne dieser Vorschrift "beendet". Zwar endete das zunächst eingegangene Dienstverhältnis als Geschäftsführer zum 30. Juni 1999, es schloss sich aber unmittelbar zum 1. Juli 1999 ein inhaltlich verändertes Dienstverhältnis als Berater mit der GmbH an. Dies steht der Vergünstigung nach § 40b EStG entgegen.

Die Vervielfältigungsregelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Arbeitgeber die Möglichkeit erleichtern, bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis unverfallbare Versorgungszusagen auf eine außerbetriebliche Versorgungseinrichtung zu übertragen (vgl. Wagner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 40b EStG Anm. 48 m.w.N.). Der Arbeitgeber soll danach mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers die Möglichkeit bekommen, auch das Risiko der Versorgung des Arbeitnehmers auf einen Dritten übertragen zu können. Der Arbeitnehmer erhält zugleich eine Absicherung, die nicht mehr vom wirtschaftlichen Schicksal seines bisherigen Arbeitgebers abhängig ist und in dessen Geschäftstätigkeit er i.d.R. auch keinen Einblick mehr hat. Zur Berechnung des Vervielfältigers werden alle Kalenderjahre, in denen das Dienstverhältnis des Arbeitnehmers zu dem Arbeitgeber bestanden hat, herangezogen. Dabei ist die steuerliche Förderung des Aufbaus einer Altersversorgung nicht von den Zufälligkeiten eines oder mehrerer betriebsinterner Arbeitsplatzwechsel abhängig (ebenso Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 40 b Rdnr. C 16). Es zählen dementsprechend zu diesen Kalenderjahren alle im Betrieb ausgeübten Tätigkeiten seit der Einstellung durch den Arbeitgeber. Das kann von der Tätigkeit als Auszubildender, Geselle, Meister über innerbetriebliche Beförderungen und Aufgabenerweiterungen (z.B. Prokurist) bis zum Geschäftsführer reichen. Der Gesetzgeber hat insoweit keine Abstufung oder Wertung nach der Art der in den Kalenderjahren ausgeübten Tätigkeit innerhalb des Betriebes vorgesehen. Die Regelung des § 40b EStG ist damit bewusst pauschalierend, um nicht evtl. zwischen Jahren mit Versorgungszusagen des Arbeitgebers und anderen Jahren unterscheiden zu müssen. Wenn aber ein Aufgabenzuwachs - wie vorstehend dargestellt - zu keiner jeweils abweichenden Beurteilung im Rahmen des § 40b EStG führt, kann umgekehrt auch eine Verminderung der Aufgaben des Arbeitnehmers keine abweichende Betrachtung rechtfertigen. Auch hier muss es bei der pauschlierenden Betrachtung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses verbleiben. Im Streitfall war der Kläger zwar zunächst bis zum 30. Juni 1999 als Geschäftsführer und danach "nur" noch als Berater der nachfolgenden Geschäftsführer tätig, dies stellt aber nur eine Änderung der inhaltlichen Ausgestaltung des ansonsten ununterbrochenen Arbeitsverhältnissen dar. Insbesondere steht dem nicht entgegen, dass das eine Arbeitsverhältnis als Geschäftsführer zivilrechtlich am 30. Juni 1999 geendet hatte, bevor am 1. Juli 1999 das neu gestaltete Arbeitsverhältnis begründet wurde, denn die Fortführung einer Tätigkeit im Betrieb war - wie die Präambel des neuen Vertrages belegt - vor der Einstellung der neuen Geschäftsführer durch die Gesellschaft bzw. den einzigen Gesellschafter (der Kläger) bereits angelegt, da die neuen Geschäftsführer auf die geschäftlichen Kontakte, das Know-how usw. des Klägers angewiesen waren.

Diese Auslegung des § 40b EStG entspricht auf Arbeitnehmerseite der ansonsten anerkannten Auffassung, dass bei einer Änderung auf der Seite des Arbeitgebers wie einer Änderung der Rechtsform des Unternehmens (vgl. Wagner in Herrmann/Heuer/Raupach, aaO.) oder bei Betriebsübernahmen im Sinne des § 613a BGB ebenfalls fortbestehende Dienstverhältnisse angenommen werden. Damit wird eine einfache Handhabung der Regelung ermöglicht, die ohne eine Berücksichtigung der betriebsinternen Tätigkeitsmerkmale auskommt. Eine Differenzierung hätte erhebliche Ermittlungs- und Nachweisprobleme bei der Steuerfestsetzung zur Folge, die der Gesetzgeber vermeiden wollte. In der Regel stehen für lange zurückliegende Jahre auch gar keine solchen Unterlagen mehr zur Verfügung. Besondere Aufbewahrungspflichten für solche Unterlagen bestehen auch nicht.

Dem steht nicht entgegen, dass in dem neuen Arbeitsvertrag ab 1. Juli 1999 keine weitergehenden Versorgungszusagen getroffen worden sind, denn umgekehrt ist bei der Berechnung der Kalenderjahre - wie dargestellt - auch ansonsten unberücksichtigt zu lassen, ob für alle Jahre solche Zusagen bestanden haben. Das dürfte regelmäßig bei einer Aufnahme der Tätigkeit im Unternehmen als Auszubildender oder Geselle nicht der Fall sein.

Auch sieht der Wortlaut des Gesetzes für die Pauschalversteuerung nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG keine Zäsur auf den Zeitpunkt des Erreichens des 65. Lebensjahres vor, obwohl eine solche Regelung nicht ferngelegen hätte. Eine Lücke des Gesetzes, die durch eine entsprechende Anwendung der Regelung auf diesen Zeitpunkt zu schließen wäre, sieht der Senat jedoch nicht. Vielmehr kann die Regelung nicht über ihren wörtlichen Regelungsbereich hinaus angewendet werden. Deshalb hat auch der BFH bei einer Nachholung von Zahlungen, zu denen der Arbeitgeber verpflichtet war, die Anwendung der Vervielfältigungsregelung in entsprechender Weise abgelehnt (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1987, VI R 204/83, BStBl II 1988, 379).

Danach konnte der Arbeitgeber jedenfalls im Streitjahr wegen des fortdauernden Dienstverhältnisses die Regelung des § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG nicht anwenden und die Zahlung der Direktversicherung führt beim Kläger selbst zu steuerpflichtigen Bezügen.

b) Auf die Auslegung des § 40b EStG ist schließlich - entgegen der Ansicht des Klägers - die Auslegung und Rechtsprechung zu § 3 Nr. 9 EStG im Wesentlichen nicht übertragbar, denn diese hat einen ganz anderen Regelungshintergrund. Dort soll aus sozialpolitischen Gründen eine Steuerbefreiung gewährt werden, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll (BFH-Urteile vom 16. Juli 1997, aaO. und vom 12. April 2000, XI R 1/99, aaO.). Dem entspricht der unterschiedliche Wortlaut beider Vorschriften: § 40 b EStG stellt auf die "Beendigung" des Dienstverhältnisses ab, also auf einen tatsächlichen Vorgang, § 3 Nr. 9 EStG dagegen auf die "Auflösung des Dienstverhältnisses", also die rechtliche Seite des Vorgangs.

Die vom Kläger herangezogene Rechtsprechung betrifft vor allem Änderungskündigungen mit Betriebsübernahmen, die sogar jeweils nicht zum Steuervorteil nach § 3 Nr. 9 EStG führten. Soweit der BFH im Urteil vom 10. Oktober 1986 (aaO.) bei einer Kündigung eines technischen Leiters mit Prokura und anschließender Weiterbeschäftigung nach rund 3 Wochen, nachdem das Unternehmen erkannt hatte, dass es auf den Mitarbeiter zunächst noch angewiesen war, nicht vergleichbar. Im Streitfall stand bereits vor dem Ausscheiden des Klägers fest, dass das Unternehmen auf seine Mitarbeit weiter angewiesen sein würde. Außerdem erfolgte die Weiterbeschäftigung lückenlos.

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen, da die Auslegung der Vorschrift des § 40b Abs. 2 Satz 2 EStG in Fällen der inhaltlichen Veränderung des Dienstverhältnisses mit dem gleichen Arbeitgeber noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135, 136 Abs. 1 Satz 1 und 3 FGO, da das FA mit einer Änderung des zu versteuernden Einkommen zugunsten des Klägers von nur ... DM unterlegen ist, der Kläger aber im Übrigen mit seinem Antrag, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um ... DM überwiegend (zu rund 98%) unterlegen ist.

Ende der Entscheidung

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