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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 03.06.2009
Aktenzeichen: 4 K 12096/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 6b Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Übertragung einer nach dem Verkauf eines Betriebes nach § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebildeten Rücklage auf land- und forstwirtschaftliches Anlagevermögen.

Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr gemäß § 26b EStG zusammen zu Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte bis März 1996 mit dem Betrieb eines Campingplatzes auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG. Daneben erzielte er mit einem weiteren Betrieb Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG). Der Kläger ermittelte die Einkünfte jeweils durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft ermittelte er für das der Vorschrift des § 4a Abs. 1 Nr. 1 EStG entsprechende Wirtschaftsjahr.

1996 veräußerte er den Campingplatz einschließlich des Anlagevermögens für x DM und errechnete einen Veräußerungsgewinn in Höhe von x DM. In Höhe eines Teilbetrags erklärte er laufenden Gewinn und bildete hinsichtlich des verbleibenden Gewinns eine Rücklage nach § 6b EStG, die er auf seinen landwirtschaftlichen Betrieb übertrug. Nach Abzug des Verlustes aus dem laufenden Betrieb erklärte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von x DM. Die Einkommensteuer 1996 wurde entsprechend diesen Angaben mit dem gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid vom 16. August 1999 festgesetzt.

Ende des Jahres 2000 führte das Finanzamt R beim Kläger eine auch das Streitjahr umfassende Außenprüfung durch. Bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft führten die insoweit zwischen den Beteiligten unstreitigen Feststellungen zu einer Gewinnerhöhung um x DM. Den Verkauf des Campingplatzes wertete die Prüferin als Betriebsaufgabe und ermittelte bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Aufgabegewinn in Höhe von x DM. Die Prüferin versagte die Bildung und Übertragung einer Rücklage aus dem Gewerbebetrieb in den landwirtschaftlichen Betrieb unter Hinweis auf die Vorschrift des § 6b Abs. 4 S. 2 EStG und erfasste stattdessen für das Jahr 1996 einen tarifbegünstigten Aufgabegewinn. Das beklagte Finanzamt (FA) folgte der Auffassung der Prüferin und erließ unter dem 18. Januar 2001 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996, mit dem es die Einkommensteuer auf x DM festsetzte. Den gegen den Änderungsbescheid eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsbescheid vom 15. Februar 2005 als unbegründet zurück, weil es weiterhin die Ansicht vertrat, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6b Abs. 4 S. 2 EStG eine Übertragung vom Gewerbebetrieb auf einen landwirtschaftlichen Betrieb untersagt und der zwischen den Beteiligten unstreitige Aufgabegewinn in Höhe von x DM daher bei der Einkommensteuerfestsetzung 1996 zu erfassen sei.

Mit der Klage begehren die Kläger die Besteuerung nach dem von ihnen erklärten Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit einhergehend in Höhe des verbleibenden Veräußerungsgewinns die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG und deren Übertragung auf den landwirtschaftlichen Betrieb.

Sie sind der Meinung, dass die Vorschrift des § 6b Abs. 4 S. 2 EStG abweichend von ihrem Wortlaut im Wege einer teleologischen Reduktion dahin auszulegen sei, dass die Übertragung einer im Gewerbebetrieb gebildeten Rücklage auf einen landwirtschaftlichen Betrieb zulässig sei, wenn der Veräußerungsgewinn nicht der Gewerbesteuer unterliege. Zweck der Vorschrift sei die Sicherung des Gewerbesteueraufkommens. Löse der Vorgang keine Gewerbesteuerpflicht auslöse, sei auch das Gewerbesteueraufkommen nicht gefährdet.

Die Kläger beantragen,

...

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an seiner im Vorverfahren vertretenen Auffassung fest und nimmt zur Begründung auf die Ausführungen im Einspruchsbescheid Bezug.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Einkommensteuerbescheid 18. Januar 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Unrecht die Bildung und Übertragung einer Rücklage nach § 6b EStG versagt.

Nach § 6b Abs. 1, 3 EStG können Steuerpflichtige, die wie der Kläger ihren Gewinn durch Bestandsvergleich ermitteln, unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen bei der Veräußerung von Grund und Boden und Gebäuden im Wirtschaftsjahr der Veräußerung grundsätzlich eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden und bis zur Höhe dieser Rücklage einen Betrag von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgütern abziehen.

Nach § 6b Abs. 4 S. 2 EStG ist der Abzug einer nach § 6b Abs. 1, 3 EStG gebildeten Rücklage bei Wirtschaftgütern, die zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören oder der selbständigen Arbeit dienen, aber nicht zulässig, wenn der Gewinn bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebes entstanden ist.

Zwar spricht der eindeutige Gesetzeswortlaut für die Auffassung des Beklagten, dass eine Übertragung der Rücklage auf den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb des Klägers nicht in Betracht kommt.

Der Senat teilt aber unter Berücksichtigung des in der Begründung des Gesetzesentwurfs zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willens die Auffassung der Kläger, dass im Streitfall die Vorschrift abweichend von ihrem Wortlaut unter Beachtung des mit ihr verfolgten Zwecks im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend zu interpretieren ist, dass eine Übertragung der im Gewerbebetrieb entstandenen stillen Reserven auf zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Wirtschaftgütern zulässig ist, wenn der Veräußerungsgewinn nicht der Gewerbesteuer unterliegt.

Unter Einbeziehung der Begründung zu § 6b Abs. 4 S. 2 EStG im "Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftssteuergesetzes, des Spar-Prämiengesetzes, des Wohnungsbau-Prämiengesetzes und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1964) vom 19. Juni 1964" (Bundestagsdrucksache IV/2400) ist der Senat der Auffassung, dass der Regelungsinhalt des § 6b Abs. 4 S. 2 EStG über den nach seinem Wortlaut erkennbaren Gesetzeszweck hinausgeht. In der Begründung wird ausschließlich auf die gewerbesteuerlichen Auswirkungen der Übertragung von stillen Reserven abgestellt, ohne dass dies in der Regelung selbst zum Ausdruck kommt, so dass eine den Wortlaut einschränkende Auslegung geboten erscheint (so auch FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. Oktober 1993, 2 K 2169/92 EFG 1994, 615).

In der Gesetzesbegründung zu § 6 b Abs. 4 Satz I 1 Ziff. 3 und Satz 2 EStG wird zunächst dargelegt, dass die Neutralisierung von Gewinnen, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern einer inländischen Betriebsstätte entstehen, sich nicht nur auf die Einkommensteuer, sondern auch auf die Gewerbesteuer auswirke, weil ohne die Regelung des § 6b EStG auch Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag ausgelöst werde. Weil die Übertragung dieser stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter einer Betriebsstätte, deren Gewinne nicht von der Gewerbesteuer erfasst seien, zur Folge habe, dass sich auch die stillen Reserven nicht mehr auf die Gewerbesteuer auswirkten, werde deshalb durch Absatz 4 Satz 1 Ziff. 3 bestimmt, dass aufgedeckte stille Reserven nicht auf Anlagegüter einer Betriebsstätte im Ausland übertragen werden könnten. Im anschließenden Satz wird weiter ausgeführt, dass "aus den gleichen Erwägungen in Absatz 4 Satz 2 bestimmt (wird), daß stille Reserven, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebes aufgedeckt worden sind, nicht auf Wirtschaftsgüter übertragen werden können, die zu einem Betrieb einer anderen Einkunftsart gehören. Dagegen ist die Übertragung stiller Reserven, die bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs oder eines Betriebs im Rahmen der Einkunftsart "selbständige Arbeit" aufgedeckt worden sind, auf Wirtschaftsgüter anderer Betriebe im Rahmen dieser Einkunftsarten oder auf Wirtschaftsgüter eines Gewerbebetriebs ebenso zulässig wie die Übertragung der bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebs aufgedeckten stillen Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Gewerbebetriebs des Steuerpflichtigen" (Bundestagsdrucksache IV/2400, S. 64).

Dieser Begründung entnimmt der Senat in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum, dass die Regelung nur verhindern soll, dass ein gewerblicher Veräußerungsgewinn endgültig der Gewerbesteuer entzogen wird (so auch Schmidt/Glanegger EStG Kommentar 28. Aufl. (2009) § 6b Rz. 77; Frotscher/Siewert, EStG Kommentar 137. Lfg. § 6b Rz. 119; Heger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 6b E 43; Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach Kommentar zum EStG und KStG, EStG § 6b Anm. E 142; Blümich/Schlenker EStG Kommentar, § 6b Rz. 221). Ein anderer Zweck lässt sich dieser Regelung nicht entnehmen.

Da der bei der Veräußerung oder Aufgabe eines Gewerbebetriebes im Ganzen erzielte Gewinn nicht dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen ist (st. Rspr., BFH-Urteil vom 3.Februar 1994 III R 23/89, BFHE 174, 372, BStBl II 1994, 709) und damit auch nicht der Gewerbesteuer unterliegt, kann die Gewerbesteuer durch die Übertragung stiller Reserven auf Ersatzwirtschaftsgüter gemäß § 6 b EStG auch nicht verloren gehen. Aus diesem Grund legt der Senat die Vorschrift abweichend von ihrem Wortlaut dahin aus, dass Gewinne, die aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebes resultieren und nicht der Gewerbesteuer unterliegen, von dem Übertragungsverbot nach § 6b Abs. 4 S. 2 EStG nicht erfasst werden.

Soweit der Kläger den im mit der Veräußerung des Campingplatzes erzielten Gewinn nicht im Jahr der Veräußerung der Einkommensteuer unterworfen hat, konnte er eine Rücklage bilden und diese seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb übertragen. Danach ist unter Hinzurechnung der unstreitigen Gewinnerhöhungen bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von x DM die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von x DM sowie Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von x DM und im Ergebnis nach einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von x DM festzusetzen

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Beklagte hat als der unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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