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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 03.05.2007
Aktenzeichen: 5 K 232/02
Rechtsgebiete: UStG


Vorschriften:

UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
UStG § 3 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

5 K 232/02

Umsatzsteuer 1998

Tatbestand:

Die Klägerin ist in Großbritannien ansässig und steuerlich registriert. Tätigkeitsschwerpunkt ist der Handel mit Waren (hier: Mobiltelefonen), die überwiegend in Großbritannien bestellt und ins Ausland geliefert werden.

In der Regel werden die Verkäufe von der Klägerin mit einer sog. "ship to hold"-Klausel vereinbart. Dies bedeutet, dass die Waren, die vom Kunden bestellt werden, zunächst in ein "sicheres" Lager in Kundennähe transportiert werden. Der Kunde bekommt im Lager die Gelegenheit, seine Bestellung auf Vollständigkeit und ordnungsgemäßen Zustand zu kontrollieren. Die anschließende Herausgabe der bestellten Waren durch den Lagerhalter erfolgt erst im Anschluss an die Zahlung des Kunden. Diese Handhabung dient der Sicherung des Zahlungsanspruchs der Klägerin.

Im Streitjahr hat die Klägerin mit der deutschen Fa. H.S. Geschäftsbeziehungen unterhalten. Von der Fa. H.S. gingen in 1998 dabei folgende Bestellungen ein.

1. Bestellung vom 07.04.1998

Mit Telefax vom 06.04.1998 bestellte die Fa. H.S. Mobiltelefone bei der Klägerin Mobiltelefone der Marke Ericcson über einen Warenwert von GBP 513.180. Am 07.04.1998 wurde die Spedition M. beauftragt, die Waren nach X (Stadt in Deutschland) zu transportieren. Als Referenz war angegeben: "Shop to hold Our Ref 980422 HS". Als Empfänger war auf dem Auftrag angegeben: D. Mobilfunk GmbH (Schwestergesellschaft der Klägerin). Mit Schreiben vom 08.04.1998 bat die Klägerin die Fa. D. Mobilfunk GmbH, die Paletten aufzuteilen und erinnerte daran, dass dieser Bestand weder geprüft noch ausgeliefert werden dürfe, bevor nicht die Freigabe durch sie (Klägerin) erfolgt sei. Ebenfalls am 08.04.1998 erklärte die Fa. H.S. per Fax an die Klägerin, dass die Telefone am 08.04.1998 alle bis auf 900 Stück GF 768 bezahlt werden. Nach Bezahlung gab die Klägerin die Telefone bis auf die 900 Stück GF 768 frei. Die verbleibende Partie (900 Stück GF 768) wurde mit Fax vom 15.04.1998 freigegeben.

2. Bestellung vom 21.04.1998

Die Bestellung vom 21.04.1998 erfolgte ohne separaten schriftlichen Bestellauftrag. Sie ergänzte die Bestellung vom 07.04.1998, da es sich um die gleichen Produkte und Typen der zuvor bestellten Ware handelt. Es wurden von der Fa. H.S. lediglich weitere Stückzahlen nachgeordert mit einem Warenwert von GBP 202.750,--. Die Waren wurden wie auch schon bei der Bestellung vom 07.04.1998 laut Lieferschein und Rechnungen noch am selben Tag von der Spedition M. von Großbritannien nach Deutschland, in das Lager der Fa. D. Mobilfunk GmbH transportiert. Nach Zahlung durch die Fa. H.S. wurden die Waren am 23.04.1998 an die Fa. H.S. freigegeben.

3. Bestellung vom 27.04.1998

Mit ergänzender Bestellung vom 27.04.1998 wurden weitere Stückzahlen nachgeordert mit einem Warenwert von GBP 513.000,--. Die Fa. H.S. hatte bereits am 21.04.1998 GBP 15.000,-- angezahlt. Die bestellte Ware wurde am 27.04.1998 durch das Transportunternehmen M. per Lkw von Großbritannien zum Lager der D. Mobilfunk GmbH transportiert. Der Transport erfolgte mit dem Vermerk "Ship to hold". Auf den Frachtbriefen war als Empfängerin wiederum die Fa. D. Mobilfunk GmbH angegeben. Nachdem die Fa. H.S. zwischenzeitlich zahlungsunfähig geworden war, wurde ein neuer Abnehmer von der Klägerin gesucht. Die Ware wurde dann mit Bestellauftrag vom 29.04.1998 von der deutschen Firma MMV unter Berücksichtigung der Anzahlung der Fa. H.S. in Höhe von GBP 15.000,-- zum Preis von GBP 498.000,-- abgenommen.

Die Klägerin behandelte die Lieferung der Mobiltelefone von Großbritannien nach Deutschland als steuerfreie innergemeinschaftliche (Versendungs)Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 und 3 UStG i.V.m. § 6 a UStG

Der Beklagte folgt dem nicht. Voraussetzung hierfür sei, dass der Lieferer im Zeitpunkt der Übergabe der Ware an den Spediteur alles Erforderliche getan habe, um die Ware an den bereits feststehenden Abnehmer gelangen zu lassen. Bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung (Verbringung in ein Lager - Herausgabe nur bei Bezahlung) könne nicht die Rede davon sein, dass der Leistungsempfänger bereits bei Beginn der Versendung die Verfügungsmacht über die Ware erhalte. Außerdem sei im Frachtbrief nur der Spediteur und nicht der Abnehmer genannt. Mangels Verschaffung der Verfügungsmacht im Ausland (Großbritannien) sei - so der Beklagte - der Verbringungstatbetand nach § 1a Abs. 2, § 6a UStG erfüllt mit der Folge, dass die nachfolgende Freigabe an den inländischen Abnehmer der deutschen Umsatzsteuer unterliege (Inlandslieferung, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Wegen der Einzelheiten verweist der Beklagte auf die Feststellungen im Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts K. 10.05.2000.

Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit ihrer Klage. Sie trägt vor, der Fa. H.S. die Verfügungsmacht an der Ware bereits in Großbritannien verschafft zu haben.

- Tatsächliche Verschaffung der Verfügungsmacht

Mit der Übergabe der Ware an den Spediteur zur Auslieferung an den Abnehmer habe sie alles ihr Mögliche getan, um die zügige Abwicklung der Liefertransaktion zu gewährleisten. Dass die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft noch von dem Eintritt einer Bedingung i.S.d. § 158 BGB abhänge, stehe dieser Würdigung nicht entgegen, weil sie die Waren an einen ihr selbst namentlich bekannten Abnehmer versendet habe. Die Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft stehe lediglich unter der Bedingung der vollständigen Zahlung des Kaufpreises und damit unter Prämisse, dass sich der Käufer vertragstreu verhalte. Die Freigabe-Erklärung von Verkäuferseite könne vom Käufer selbst durch Nachweis der Kaufpreiserfüllung erzwungen werden.

Die Vereinbarung zur Nutzung eines "sicheren Lagers" diene ausschließlich der Sicherung des Kaufpreises und beeinflusse nicht die umsatzsteuerliche Beurteilung des Leistungsortes. Die Freigabe der Waren aus dem "sicheren Lager" erfolge branchenüblich nach Bestätigung des Zahlungseingangs auf dem Konto der Klägerin. Der Abnehmer erhalte die Ware zum frühestmöglichen Zeitpunkt, soweit er seinerseits die Voraussetzungen erfülle. Der Vergleich des Finanzamts mit einem Konsignationslager gehe fehl, weil vorliegend nicht die Lagerung der Ware bis zur Entnahme durch den jeweiligen Kunden beabsichtigt sei, sondern die Aufbewahrung bis zur Bezahlung der Ware. Da neben dem Abnehmer auch der Preis und die Menge der Lieferungen durch einen konkreten Bestellauftrag des Abnehmers bestimmt sei, scheide schon aus diesem Gesichtspunkt die Annahme eines Konsignationslagers der Klägerin bei ihrer Schwestergesellschaft D. Mobilfunk GmbH aus.

- Fiktion der Lieferung bei der Versendungslieferung

Unabhängig von der Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsmacht seien die Voraussetzungen der gesetzlichen Fiktion § 3 Abs. 6 UStG im Streitfall erfüllt. Bei Versendungslieferungen gelte die Fiktion, dass die Lieferung bei Beginn der Versendung als ausgeführt gilt. Durch § 3 Abs. 6 UStG werde für eine Versendungslieferung das Vorliegen der Lieferung als solche, der Lieferungszeitpunkt sowie der Lieferort kraft gesetzlicher Fiktion bestimmt. Substituiert werde demnach die nach § 3 Abs.1 UStG erforderliche Verschaffung der Verfügungsmacht auch für den Fall, dass der versendete Gegenstand den Abnehmer tatsächlich nicht erreiche, weil etwa der Gegenstand nicht abgenommen worden sei (BFH-Urteil vom 21.04.1993 XI R 102/90, BStBl II 1993, 732; Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Anm. 448 ff.; Birkenfeld, USt-Hdb. Bd. I Rn. 887 ff.).

Des weiteren unterstreiche die Verwendung des Incoterms "CIF Deutschland" den Übergang der Verfügungsmacht in Deutschland, da mit Übergabe der Waren an den Spediteur die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer übergehe. Die verwendete CIF-Klausel bestimme für den Gefahrübergang den Abgangsort der Lieferung, d.h. Großbritannien (vgl. Lehr in AW-Prax 2000, S. 185). Seitens des Verkäufers sei damit das Geschäft abgeschlossen. Entscheidend für die Zurechnung der Waren sei, ob der Käufer der Waren die Gefahr des Verlustes der Waren zu tragen habe und an Wertsteigerungen teilnehme, d.h. eine eigentümerähnliche Stellung einnehme. Die Voraussetzung des Besitzübergangs sei hingegen nicht entscheidend.

- Lieferscheine/Frachtbriefe - Empfänger der Ware

Der Bestimmtheit des Abnehmers stehe auch nicht entgegen, dass die Adresse der Fa. D. Mobilfunk GmbH in den Lieferscheinen genannt sei. Denn die Eintragung als Empfänger beziehe sich nur auf die Adresse als Übergabeort der Waren. Der Abnehmer der Waren (Fa. H.S.) gehe ansonsten klar aus den Geschäftspapieren hervor.

Der Auffassung des Beklagten, dass im Frachtbrief ein Hinweis auf den endgültigen Abnehmer - angelehnt an § 408 Abs. 1 Nr. 5 des Handelsgesetzbuches (HGB) - enthalten sein müsse, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr könne eine ergänzende Willenserklärung (wie z.B. die Bestellorder) als Nachweis für die Bestimmtheit des Abnehmers zu Beginn der Versendung angeführt werden.

- Beschluss des 41. Treffens des MWSt-Ausschusses der EU

In diesem Beschluss vom 28.02.1994 und 01.03.1994 zu Art. 29 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie sei bestimmt worden, dass bei Versendungslieferungen im Falle des Ersatzes eines Abnehmers durch einen anderen Abnehmer im selben Mitgliedstaat weiterhin eine innergemeinschaftliche Lieferung angenommen werde.

Dem Beschluss habe folgender Sachverhalt zugrunde gelegen: Ein Lieferer A (im vorliegenden Fall die Klägerin) aus dem Mitgliedstaat 1 (Großbritannien) verkauft Waren an den Unternehmer B (Fa. H.S.) im Mitgliedstaat 2 (Deutschland). Die Waren werden aus dem Mitgliedstaat 1 (Großbritannien) versendet. Bei Ankunft der Waren am Bestimmungsort 2 (Deutschland) verweigert B (Fa. H.S.) die Annahme der Waren. Lieferer A liefert daraufhin die Waren an den Unternehmer C (Fa. MMV), der ebenfalls im Mitgliedstaat 2 ansässig ist.

Der Mehrwertsteuerausschuss komme zu der Lösung, dass der Lieferer A (Klägerin) eine direkte innergemeinschaftliche Lieferung an C (Fa. MMV) ausführe und sich demnach nicht im Mitgliedstaat 2 (Deutschland) umsatzsteuerlich registrieren lassen müsse. Die entsprechende Anwendung auf den Streitfall führe zu der Lösung, dass die Klägerin die Verkäufe an die Fa. MMV zu Recht als innergemeinschaftliche Lieferungen mit Steuerbarkeit in Großbritannien behandelt habe und somit in Deutschland nicht zur Registrierung verpflichtet sei.

- AdV-Beschluss des Nds. FG vom 12.11.2004 - 16 V 137/04

Der genannte AdV-Beschluss des 16. Senats betreffe einen im wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt. Die Antragstellerin habe dort ebenfalls Handys an Abnehmer ins europäische Ausland geliefert. Bei Lieferungen im Verfahren "shipment on hold" hätte der Kunde eine Anzahlung zu erbringen gehabt; erst danach hätte die Antragstellerin einen Spediteur beauftragt, der die Waren abholte und sie im Empfängerland lagerte.

Der 16. Senat habe im Aussetzungsverfahren eine Versendungslieferung und eine innergemeinschaftliche Lieferung bejaht, da die Antragstellerin ausreichend dargelegt habe, dass es sich bei dem Freigabeverfahren um einen Handelsbrauch zur Kaufpreissicherung handele, so dass es sich bei einer Verweigerung der Freigabe aus anderen Gründen lediglich um eine theoretische Möglichkeit handele.

Die Klägerin beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid 1998 vom 02.08.2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2002 aufzuheben und die durch Einspruchsbescheid festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von 514.812,-- DM und der Zinsen zur Umsatzsteuer in Höhe von 18.000,-- DM auf jeweils Null DM herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, dass die Verschaffung der Verfügungsmacht erst im Inland durch die Freigabeerklärung der Klägerin erfolgt ist.

- Aussonderung der Ware erst im Lager

Die Aussonderung der bestellten Ware sei erst nach Zahlungseingang im Lager der Fa. D. Mobilfunk GmbH erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sich die Ware im Lager auf Paletten befunden, ohne dass eine konkrete Zuordnung der Ware zu einem bestimmten Abnehmer möglich gewesen sei. So sei ausweislich der Lieferscheine keine individualisierbare Menge bestimmter Handys sondern eine Lieferung von "23 case electrical equipment" erfolgt.

- Keine Lieferfiktion bei der Versendung

Die Fiktion des § 3 Abs. 6 UStG, wonach die Lieferung bei Beginn der Versendung als ausgeführt gelte, greife vorliegend nicht. Voraussetzung hierfür sei, dass der Lieferer im Zeitpunkt der Übergabe der Ware an den Spediteur alles Erforderliche getan habe, um die Waren an den bereits feststehenden Abnehmer gelangen zu lassen. Dies sei der Fall, wenn der Lieferer dem Spediteur die Weisung erteilt habe, den Gegenstand unmittelbar an den Abnehmer weiterzuleiten (Abschn. 30 Abs. 3 UStR). Der Begriff der Lieferung erfordere, dass die Verfügungsmacht einer bestimmten Person verschafft werde. Der Abnehmer müsse bei Beginn der Versendung bereits faktische in der Lage sein, über den Liefergegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen. Das sei dann der Fall, wenn der Spediteur die Funktion eines bloßen Überbringers der Ware habe.

Diese Voraussetzung sei im Streitfall: Hier fehle es an einem bei Beginn der Versendung "feststehenden Abnehmer". Die Bestimmtheit des Abnehmers sei unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer innergemeinschaftlichen Lieferung (Birkenfeld, USt-Hdb. Bd. I Rz. 919). Die Formulierung "feststehender Abnehmer" bedeute demnach, dass derjenige, der die Ware bestelle, diese auch abnehmen müsse. Bloßer Besteller oder Auftraggeber zu sein, reiche insofern nicht.

- Lieferscheine/Frachtbriefe - Empfänger der Ware

Für die hier streitige Lieferung der Mobiltelefone habe es keinen feststehenden Abnehmer gegeben. Die Fa. H.S. sei bloßer Besteller gewesen. Sie sei weder in den Lieferscheinen noch in den Frachtpapieren als Abnehmer benannt (vgl. BFH-Urteil vom 10.11.1966 V 73/64, BStBl III 1967, 101).

- Freigabe-Klausel

Außerdem habe sich die Klägerin mit der Freigabe-Klausel die endgültige Verschaffung der Verfügungsmacht ausdrücklich vorbehalten. Im Gegensatz zur Nachnahme (Rücklieferung der Ware bei Zahlungsunfähigkeit eines bestimmten Abnehmers) habe im Streitfall bei dem gescheiterten Versuch der Lieferung an den Besteller (Fa. H.S.) bereits ein Ersatzabnehmer bereit gestanden und die Ware tatsächlich abgenommen (so die Fa. MMV bei der Bestellung vom 27.04.1998). Wenn aber die Klägerin im Falle der Zahlungsunfähigkeit an einen anderen zahlungsfähigen Abnehmer liefere, bedeute dies, dass der Abnehmer bei Beginn der Geschäfte nicht feststehe sondern beliebig sei.

- CIF-Klausel

Aus der Verwendung des Incoterm "CIF" ließen sich bereits grundsätzlich keine Folgerungen auf den Leistungsort ableiten (keine Verschiebung des Leistungsort durch privatrechtliche Vereinbarung). Zudem folge aus der Verwendung der CIF-Klausel, dass der Verkäufer die Prämie für die Seetransportversicherung zu leisten habe. Damit fühle sich der Verkäufer gerade dafür zuständig, die Ware bis zu deren Ankunft beim Kunden zu schützen. Dies spreche nicht für eine Verschaffung der Verfügungsmacht bereits bei Beginn der Versendung.

- AdV-Beschluss des Nds. FG vom 12.11.2004 - 16 V 137/04

Dem Beschluss des 16. Senats habe ein anderer Sachverhalt als im Streitfall zugrunde gelegen. Im Beschlussfall sei an einen bei Beginn der Versendung feststehenden Abnehmer geliefert worden. Demgegenüber sie im Streitfall nicht nur an vertragliche Auftraggeber (Besteller), sondern auch an andere Abnehmer geliefert worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Die Lieferungen der Mobiltelefone unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer. Sie wurden im Inland, nämlich in X (Lager der Fa. D. Mobilfunk GmbH) ausgeführt. Dort wurde den Abnehmern die tatsächliche Verfügungsmacht verschafft ( § 3 Abs. 1 und Abs. 7 Satz 1 UStG).

Die Lieferung ist nicht bereits in Großbritannien erfolgt, weil keine Versendungslieferung i.S.d. § 3 Abs. 6 UStG vorliegt.

§ 3 Abs. 1 UStG definiert die Lieferungen eines Unternehmers als Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über den Gegenstand zu verfügen. Dieser Vorgang wird als "Verschaffung der Verfügungsmacht" bezeichnet. Damit ist ein Vorgang tatsächlicher Art bezeichnet. Eine Lieferung liegt (nur) vor, wenn Substanz, Wert und Ertrag an dem betreffenden Gegenstand unbedingt und endgültig übertragen werden.

Wird der Gegenstand der Lieferung an den Abnehmer versendet, so gilt die Lieferung mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur als ausgeführt ( § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Diese Regelung lehnt sich an die bürgerlich-rechtliche Gestaltung ( § 447 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) an, wonach mit der Übergabe der verkauften Sache an den Spediteur die Gefahr des Untergangs der Ware auf den Käufer übergeht. Das UStG bedient sich demnach bei der Versendungslieferung einer Fiktion von Lieferungsort und Lieferungszeitpunkt (vergl. zu § 3 Abs. 7 UStG a.F.: BFH-Urteil vom 21.04.1993 XI R 102/90, BStBl II 1993, 731). Denn der Abnehmer erhält die tatsächliche Verfügungsmacht am gelieferten Gegenstand erst mit dessen Aushändigung durch den Spediteur.

Die Verschaffung der Verfügungsmacht scheitert nicht bereits an der fehlenden Aussonderung der Ware in Großbritannien. Zwar lässt sich die Nämlichkeit der bestellten Ware (Stückzahlen und Handytyp) dem Frachtbrief (23 cases electrical equipment) nicht direkt entnehmen. Der Senat ist jedoch aufgrund der Aussage der Klägerin (Aussonderung der Ware nach Bestellung und anschließende Übergabe der bestellten - individualisierten - Ware an den Spediteur) davon überzeugt, dass sich in den Versandboxen (cases) tatsächlich die zuvor von der Fa. H.S. bestellte Ware befunden hat. Im Lager der Fa. D. Mobilfunk GmbH ist die Ware dann allenfalls noch in Partien aufgeteilt worden, falls der Abnehmer nur einen Teil der bestellten Ware bezahlen konnte (z.B. Aufteilung der Ware in zwei Teillieferungen bei der Bestellung vom 07.04.1998).

Zu beachten ist jedoch, dass der Abnehmer im voraus bekannt sein muss, denn § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG verlagert lediglich Ort und Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht auf den Beginn der Versendung. Steht bei Beginn der Versendung noch nicht fest, an wen geliefert wird, greift § 3 Abs. 6 UStG nicht ein (st. Rspr. vgl. BFH-Urteil vom 12.09.1991 V R 118/87; BStBl II 1991, 937 m 24.02.1994; Martin in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rz. 461; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Rz. 3120; Birkenfeld, USt-Hdb Bd. 1 Rz. 868). Ein Versenden an einen bestimmten Abnehmer wird nur dann vorliegen, wenn der Lieferer im Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur alles erforderlich getan hat, um den Gegenstand an einen bereits feststehenden Abnehmer gelangen zu lassen ( Abschn. 30 Abs. 3 Satz 3 UStR).

Welche Anforderungen hieran im Einzelfall zu stellen sind, ist streitig: Der BFH verlangt, dass der Abnehmer der Ware im Frachtbrief genannt sein muss. Nur dadurch sei sichergestellt, dass der Frachtführer zur Auslieferung der Ware an den Abnehmer verpflichtet und der Abnehmer zum Empfang der Ware berechtigt sei (vgl. BFH-Urteils vom 10. November 1966 V 73, 74 BStBl III 1967, 101 - Ladeschein auf Order; ebenso: FG Düsseldorf, Urteil vom 14.06.1985 IX 37/78 U, UR 1985, 138; Heuermann in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 3 Abs. 6 und 7 Rz. 92). Demgegenüber soll es nach einer anderen Auffassung ausreichen, wenn der Abnehmer nach anderen Unterlagen, wie etwa der Vertragsurkunde oder dem Bestellschein, bei Beginn der Versendung feststeht (Baden FG Baden-Württemberg vom 02.12.1982 III 424/79, UR 1983, 73; Stadie, in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 1a Rz. 20; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 3 Rz. 3123).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Benennung der Fa. H.S. im Bestellschein ausreicht. Die Aushändigung der Ware durch den Spediteur war nämlich noch von einer von der Klägerin zu erteilenden Freigabe abhängig. Hierbei handelt es sich um eine Bedingung, die dem Gedanken der Versendungslieferung widerspricht, wonach der Lieferer im Zeitpunkt der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur bereits alles erforderlich getan haben muss, um den Gegenstand an einen bereits feststehenden Abnehmer gelangen zu lassen. Mit der Freigabe-Klausel behielt die Klägerin nämlich auch nach Beginn der Versendung weiterhin Zugriff auf die Ware. Die Aushändigung der Ware durfte von Seiten der Schwestergesellschaft (D. Mobilfunk GmbH) erst erfolgen, nachdem die Ware vom Besteller bezahlt war. Erst dann erfolgte die Freigabe seitens der Klägerin mit der Folge, dass erst zu diesem Zeitpunkt die Verfügungsmacht an der Ware endgültig und unumkehrbar auf den Erwerber überging. Die Übergabe der Ware sollte letztlich erst Zug-um-Zug gegen Zahlung des Kaufpreises erfolgen. So erfolgte - wie die Bestellung vom 07.04.1998 zeigte - bei Teilzahlung auch nur eine anteilige Herausgabe der Ware. Bei Zahlungsunfähigkeit erfolgte - wie die Bestellung vom 27.04.1998 zeigte - keine Rücklieferung der Ware sondern ein umgehender Abverkauf der Ware an einen anderen Käufer. Dies belegt, dass es der Klägerin weniger auf die konkrete Person des Bestellers als vielmehr auf die Abgabe der Ware in Deutschland zu einem bestimmten Preis an einen zahlungsfähigen Käufer ankam.

Ob es sich bei dem genannten Freigabe-Verfahren um einen (üblichen) Handelsbrauch zur Absicherung des Kaufpreises handelt, kann dahinstehen, weil nicht nationales Zivil- und Handelsrecht, sondern gemeinschaftsrechtliches Umsatzsteuerrecht zur Bestimmung des Leistungsorts maßgebend ist (Birkenfeld, USt-Hdb. Bd. I Rz. 864.1; Martin, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rz. 459 Lippross, Umsatzsteuer. 20. Aufl. S. 121, a.A. im Ergebnis Nds FG, Beschluss vom 12.11.2004 16 V 137/04, DStRE 2006, 356). Diese Auffassung wird jüngst bestätigt durch die Schlussanträge der Generalanwältin K. vom 11. Januar 2007 in der Rechtssache C-409/04 - teleos - (abrufbar über juris). Dort wird ausgeführt, dass die Vorschriften über den innergemeinschaftlichen Warenverkehr in der 6. EG-Richtlinie ausdrücklich auf objektive Umstände (z.B. physisches Bewegen der Ware über die Grenze) abstellen. Durch die im internationalen Handel gebräuchlichen Handelsklauseln (incoterms) könne sich keine andere Anknüpfung ergeben, weil der innergemeinschaftliche Warenverkehr ansonsten mit erheblichen Risiken belastet und damit weniger attraktiv wäre (vgl. Tz. 52 der Schlussanträge).

Die von der Klägerin vertretenen Auffassung hätte - wie die Bestellung vom 27.04.1998 zeigt - ein Auseinanderfallen von zivilrechtlichem Besteller und tatsächlichem Abnehmer zur Folge. Eine solche Unsicherheit in der Bestimmung der Person des Abnehmers wäre mit erheblichen Risiken im innergemeinschaftlichen Warenverkehr verbunden.

Der von der Klägerin zitierte Beschluss des 41. Treffens des MWSt-Ausschusses der EU vermag diese Unsicherheit nicht zu beseitigen. Zum einen betrifft er einen anderen Sachverhalt (Annahmeverweigerung statt Zahlungsunfähigkeit). Zum anderen stand dort die Person des (die Annahme verweigernden) Abnehmer bereits bei Versendung der Ware fest. Dies ist im Streitfall aufgrund der Besonderheiten des Freigabe-Verfahrens gerade nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Ende der Entscheidung

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