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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: 6 K 572/05
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 63 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 70 Abs.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

6 K 572/05

Kindergeld/Einkommensteuer

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die aufgrund einer Prognoseentscheidung erfolgte, bestandskräftige Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung der rückwirkenden Festsetzung von Kindergeld nach Ablauf des Prognosezeitraums entgegensteht.

Die Klägerin erhielt für ihr 1985 geborenes Kind T Kindergeld. T absolvierte von Oktober 2002 bis September 2005 eine Ausbildung zur Krankenschwester.

Mit Bescheid vom 6. April 2004 hob die Beklagte diese Festsetzung ab Januar 2004 auf, da sie aufgrund einer Prognoserechnung davon ausging, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahr 2004 den maßgeblichen Grenzbetrag übersteigen würden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2004 zurückgewiesen wurde. Diese Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 14. Mai 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die rückwirkende Festsetzung von Kindergeld ab dem 1. Januar 2004. Zur Begründung führte sie an, dass mit der Einbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge, wie sie das Bundesverfassungsgericht nunmehr für geboten halte, die Einkünfte der Tochter im Jahr 2004 unter dem maßgeblichen Grenzbetrag lägen. Die Beklagte ermittelte daraufhin zu berücksichtigende Einkünfte und Bezüge der Tochter T für das Jahr 2004 i.H.v. 5.618 EUR. Mit anschließendem Bescheid vom 30. August 2005 setzte die Beklagte jedoch nur Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2004 bis Dezember 2004 neu fest. In demselben Bescheid lehnte sie eine Festsetzung für den Zeitraum Januar bis April 2004 mit der Begründung ab, dass der bestandskräftige Bescheid vom 6. April 2004 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2004 einer Neufestsetzung für diesen Zeitraum entgegenstehe. Die Klägerin legte gegen die teilweise Ablehnung der Neufestsetzung Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 30. August 2005 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Mit der nunmehr erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, Kindergeld für ihre Tochter T auch für den Zeitraum Januar bis April 2004 zu erhalten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihr für ihre Tochter T für den Zeitraum Januar bis April 2004 Kindergeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest, dass der bestandskräftige Aufhebungsbescheid vom 6. April 2004 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2004 einer rückwirkenden Festsetzung von Kindergeld entgegenstehe.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, zugunsten der Klägerin Kindergeld für deren Tochter T für den Zeitraum Januar bis April 2004 festzusetzen.

1. Die Klägerin hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a Einkommensteuergesetz (EStG) für das gesamte Jahr 2004 einen Anspruch auf die Gewährung von Kindergeld, da die Einkünfte und Bezüge der Tochter i.H.v. 5.618 EUR unter dem maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680 EUR lagen. Hiervon gehen auch beide Beteiligten zu Recht und unstreitig aus.

2. Der Festsetzung von Kindergeld für den streitigen Zeitraum steht der bestandskräftige Aufhebungsbescheid vom 6. April 2004 nicht entgegen, da dieser nach § 70 Abs. 4 EStG geändert bzw. aufgehoben werden kann.

Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten.

Die Vorschrift soll Probleme beseitigen, die dadurch entstehen, dass wegen der monatlichen Zahlweise des Kindergeldes bereits vor oder während des Kalenderjahres Kindergeldfestsetzungen im Wege von Prognoseentscheidungen erfolgen müssen, obwohl in diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststeht, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten werden. Erst nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres ist klar, welcher Sachverhalt tatsächlich verwirklicht worden ist, wie hoch also die maßgeblichen Einkünfte und Bezüge tatsächlich waren. Deshalb besteht die Notwendigkeit, die Prognoseentscheidung nach Ablauf des Kalenderjahres nachträglich korrigieren zu können. Folglich werden die tatsächlich erzielten Einkünfte und Bezüge immer erst nach Ablauf des Kalenderjahres bekannt im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG.

Die Änderungsbefugnis nach § 70 Abs. 4 EStG besteht dabei nicht nur dann, wenn sich der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt anders darstellt, als dies im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung angenommen worden ist, sondern auch dann, wenn sich die rechtliche Beurteilung nach Ablauf des Kalenderjahres und in Kenntnis des vollständig verwirklichten Sachverhalts gegenüber der vorläufigen Beurteilung in der Prognoseentscheidung verändert (vgl. Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21. März 2006 13 K 398/05, Pust in Littmann/Bitz/Pust, Kommentar zum EStG, § 70 Rz. 259; ebenso zur Rechtslage vor Einführung des § 70 Abs. 4 EStG: BFH-Urteil vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, BStBl II 2002, 86; BFH-Urteil vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Dementsprechend ist § 70 Abs. 4 EStG auch dann anwendbar, wenn die Familienkasse nach Ablauf des Kalenderjahres eine geänderte Rechtsauffassung bzgl. der Berechnung der Einkünfte und Bezüge des Kindes vertritt. Dies ist vorliegend der Fall, da die Beklagte nunmehr - entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts - die Sozialversicherungsbeiträge bei der Berechnung der maßgeblichen Einkünfte und Bezüge berücksichtigt und somit zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einkünfte und Bezüge der Tochter der Klägerin den maßgeblichen Grenzbetrag im Jahr 2004 unterschritten haben.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Ende der Entscheidung

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