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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 02.06.2009
Aktenzeichen: 7 V 76/09
Rechtsgebiete: EStG, AO, FGO


Vorschriften:

EStG § 4 Abs. 5
EStG § 9 Abs. 5
AO § 361 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 2
FGO § 69 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antragsgegner (das Finanzamt) wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (Aussetzung der Vollziehung) verpflichtet, einen um 535 EUR höheren Jahresfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte 2009 des Antragstellers sowie einen um 950 EUR höheren Jahresfreibetrag auf der Lohnsteuerkarte 2009 der Antragstellerin einzutragen.

Die Kosten des Verfahrens hat das Finanzamt zu tragen. Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Im Klageverfahren, das unter dem Aktenzeichen 7 K 75/09 beim erkennenden Senat anhängig ist, streiten die Beteiligten für das Steuerjahr 2009 darüber, ob für die Aufwendungen bezüglich ihrer häuslichen Arbeitszimmer höhere Freibeträge auf ihren Lohnsteuerkarten einzutragen sind, obwohl nach der ab dem Veranlagungszeitraum 2007 geltenden Regelung des § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19.7.2006 (BGBl. I, 1652) Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind, sofern nicht (ausnahmsweise) das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.

Die Antragsteller sind miteinander verheiratet, er ist Schulleiter einer Realschule, sie ist Lehrerin an einer Grundschule. Die Antragsteller, die jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, nutzen in ihrem eigenen Einfamilienhaus mit Anbau und einer gesamten Wohn- und Nutzfläche von rund 218 qm (davon Anbau: etwa 53 qm) jeweils ein häusliches Arbeitszimmer (rund 12 und 11 qm groß). In den Vorjahren (bis einschließlich 2006) berücksichtigte das Finanzamt die von den Antragstellern insoweit geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Neben anderen unstreitigen, den Arbeitnehmer-Pauschbetrag übersteigenden Werbungskosten machen der Antragsteller bezüglich seines Arbeitszimmers für das Streitjahr 535 EUR an (voraussichtlichen) Kosten geltend, die Antragstellerin 950 EUR. Die Antragsteller tragen (unwidersprochen) vor, dass ihnen für die Vor- und Nachbereitung des Schulunterrichts keine geeigneten Arbeitsplätze in der Schule zur Verfügung stehen. Zwar stünde dem Antragsteller zeitweise ein Büro für seine Schulleitertätigkeit zur Verfügung. Dieses Büro könne er aber nur während der vormittäglichen Unterrichtszeit nutzen, weil zum Unterrichtsende hin nach Weisung der vorgesetzten Behörde die Raumtemperatur erheblich gesenkt werde.

Gegen den insoweit ablehnenden Bescheid über die Lohnsteuer-Ermäßigung 2009 legten die Antragsteller erfolglos Einspruch ein. Ihren Antrag, wegen der Aufwendungen für ihre Arbeitszimmer höhere Freibeträge im Wege vorläufigen Rechtsschutzes (Aussetzung der Vollziehung) auf den Lohnsteuerkarten für 2009 einzutragen, lehnte das Finanzamt ab. Die Antragsteller haben daraufhin beim Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),

im Wege der Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über Lohnsteuerermäßigungen 2009 auf der Lohnsteuerkarte 2009 des Antragstellers einen um 535 EUR erhöhten Freibetrag und auf der Lohnsteuerkarte 2009 der Antragstellerin einen um 950 EUR erhöhten Freibetrag einzutragen.

Das Finanzamt beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es verweist auf die ab 1.1.2007 geltende Neuregelung des § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung der neuen Vorschrift lägen nicht vor. Denn bei Lehrern befinde sich der Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung regelmäßig nicht im häuslichen Arbeitszimmer, weil die berufsprägenden Merkmale eines Lehrers im Unterrichten bestünden und diese Leistungen in der Schule oder vergleichbaren Lehreinrichtungen zu erbringen seien (mit Hinweis auf BFH-Urteil vom 26.2.2003 VI R 125/01, BFHE 202, 109, BStBl. II 2004, 72).

Das Finanzamt hat im vorliegenden Verfahren keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Antragsteller zur Nutzung und zur Höhe der voraussichtlichen Kosten der Arbeitszimmer geäußert.

II. Der Antrag hat Erfolg.

1. a) Zu den Beträgen, die im Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden können, gehört gemäß § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG berufsbedingter Aufwand (Werbungskosten), der bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anfällt, soweit er den Arbeitnehmer-Pauschbetrag übersteigt. Da nach § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der ab 2007 geltenden Fassung - im Gegensatz zu der bis dahin bestehenden Gesetzeslage - die Aufwendungen des Arbeitnehmers für das häusliche Arbeitszimmer grundsätzlich keine Werbungskosten mehr sind, liegen die einfach-gesetzlichen Voraussetzungen für die Eintragung der geltend gemachten Arbeitszimmerkosten auf den Lohnsteuerkarten der Antragsteller nicht vor. Unter Zugrundelegung allein dieser einfach-gesetzlichen Regelung hat das Finanzamt deshalb zutreffend die Eintragung der begehrten Freibeträge auf den Lohnsteuerkarten abgelehnt.

Lehnt das Finanzamt die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ganz oder teilweise ab, so handelt es sich dabei um einen vollziehbaren Verwaltungsakt - wie bei dem Ablehnungsbescheid nach Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen -, gegen den vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung in Betracht kommt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 8.10.1991 1 BvL 50/86, HFR 1992, 75; BFH-Beschluss vom 29.4.1992 VI B 152/91, BFHE 167, 152, BStBl. II 1992, 752; zuletzt BFH-Beschluss vom 23.8.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799, 800). Auf Antrag soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen ( § 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dann der Fall, wenn bei einer summarischen Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die (abgesehen von unklaren Tatfragen) Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Es genügt, dass der Erfolg des Rechtsmittels ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 89 mit weiteren Nachweisen, Loseblatt, Stand: April 2006). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen. Das gilt auch dann, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, ob die maßgebliche gesetzliche Regelung verfassungsgemäß ist; an die Zweifel hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit sind keine strengeren Anforderungen zu stellen als beim Einwand fehlerhafter Rechtsanwendung (vgl. BFH-Beschluss vom 23.8.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799, 800 mit weiteren Nachweisen).

b) Im Streitfall liegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide vor, weil deren Grundlage, die einfach-gesetzliche Neufassung des § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel hervorruft.

Die ganz oder zumindest nahezu ausschließliche berufliche Nutzung der im Streit befindlichen Arbeitszimmer wird durch die Anerkennung der entsprechenden Aufwendungen als Werbungskosten in den Einkommensteuerveranlagungen der Vorjahre bis einschließlich 2006 indiziert. Außerdem gehen die Beteiligten in diesem Verfahren übereinstimmend davon aus, dass die Antragsteller ihr jeweiliges Arbeitszimmer ganz oder zumindest nahezu ausschließlich beruflich nutzen. Das Gericht legt deshalb den von den Antragstellern vorgetragenen Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde.

Des Weiteren legt das Gericht zugrunde, dass den Antragstellern für einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit als Lehrer in der Schule kein ausreichender (anderer) Arbeitsplatz zur Verfügung steht (so auch die allgemeine Einschätzung im BVerfG-Urteil vom 7.12.1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, 311, für die Berufsgruppe der Lehrer). Das gilt auch für den Antragsteller, der zwar als Schulleiter einen Büroraum in der Schule nutzen kann, dies jedoch nur während der von der Schulbehörde bestimmten Nutzungszeit, die gerichtsbekannt für die Vor- und Nachbereitung der Tätigkeit als Lehrer nicht ausreicht.

Die Kosten der häuslichen Arbeitszimmer, um deren (vorläufige) steuerliche Anerkennung gestritten wird, sind nach dem bisherigem Verständnis für die Antragsteller beruflich veranlasst. Sie sind zur Erwerbssicherung unvermeidlich, denn wer als Lehrer seiner Dienstverpflichtung nicht folgt und seinen Unterricht - mangels angemessenen Arbeitsplatzes in der Schule - zu Hause nicht vor- und nachbereitet, kann auch nichts verdienen. Entsprechend sind die Arbeitszimmerkosten nach dem aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ( Art. 3 Abs. 1 GG) entwickelten Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit (mit dem Nettoprinzip als Unterprinzip), dem Gebot der Folgerichtigkeit und nach den verfassungsrechtlichen Grundsätzen zum "pflichtbestimmten Aufwand" (dazu allgemein: BVerfG-Beschluss vom 4.12.2002 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27) zu berücksichtigende Erwerbsaufwendungen.

Die einfach-gesetzliche Neuregelung des § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG - nach der diese Erwerbsaufwendungen grundsätzlich nicht, auch nicht begrenzt, abzugsfähig sind - führt zu ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln.

Diese Zweifel ergeben sich beispielsweise aus dem soeben veröffentlichten Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Münster an das Bundesverfassungsgericht vom 8.5.2009 (1 K 2872/08 E, DStR 2009, 1024; Aktenzeichen des BVerfG: 2 BvL 13/09).

Schon vor und mit der Einführung der Neuregelung zur (fast kompletten) Nichtabzugsfähigkeit der Arbeitszimmerkosten wird in der Fachliteratur und anderen Medien erörtert, dass diese Vorschrift insbesondere gegen das objektive Nettoprinzip verstößt. So kritisiert Lang nach grundlegenden Ausführungen zum "Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht" die neue Vorschrift zu den Arbeitszimmerkosten (StuW 2007, 3, 7, 14; vgl. auch Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Auflage 2008, 123, 315 f.):

"Damit schließt der Fiskalgesetzgeber alle Steuerpflichtigen vom Steuerabzug notwendiger Arbeitszimmerkosten aus, die ihren Beruf nicht ... von der Wohnung aus ausüben. Dazu gehören u.a. Lehrer und Hochschullehrer, deren beruflicher Mittelpunkt in der Schule bzw. in der Universität liegt. Zudem sind die Steuerpflichtigen mit mehreren Erwerbstätigkeiten, von denen eine ihren Mittelpunkt nicht im Arbeitszimmer hat, gleichheitswidrig benachteiligt. Dazu gehören u.a. Arbeitnehmer (Beamte, Richter), die ihre fachschriftstellerische Nebentätigkeit nicht in ihrem von Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Büro ausüben können oder dürfen. In all diesen Fällen typischen Erwerbsaufwands bei der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers überschreitet der Fiskalgesetzgeber den ihm gleichheitsrechtlich eingeräumten Typisierungsspielraum. Die hauptsächlich fiskalisch motivierte Beschränkung des Steuerabzugs von notwendigen Erwerbsaufwendungen verletzt den Gleichheitssatz, indem sie die Gruppen von Steuerpflichtigen, denen notwendige Arbeitszimmerkosten außerhalb des zulässigen Typisierungsspielraums entstehen, gleichheitswidrig diskriminiert".

Leisner-Egensperger ( FR 2006, 1018, 1028; vgl. auch ihr Gutachten vom 23.8.2006 unter www.gew.de) kommt zu folgendem Fazit:

"Im Ergebnis verstößt die Neufassung durch die Aufhebung der vor allem Lehrer betreffenden Vorschrift, dass beschränkte Abzugsfähigkeit zu gewähren ist, wenn ein anderer Arbeitsplatz fehlt, gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet das objektive Nettoprinzip wenigstens insoweit, als pflichtbestimmten Aufwendungen bei der Regelung der Abzugsfähigkeit differenzierend Rechnung zu tragen ist. Die Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG ab 2007 führt insoweit zu einer verfassungswidrigen Regelung, als sie der Pflichtbestimmtheit der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht ausreichend Rechnung trägt. Zumindest müsste daher eine beschränkte Abzugsfähigkeit der Aufwendungen im bisher geltenden Umfang bei Fehlen eines anderen Arbeitsplatzes aufrechterhalten bleiben, jedenfalls für Lehrer. Der 'Nähe' des Arbeitszimmers zur privaten Lebensführung trägt die Beschränkung der Abzugsfähigkeit (mehr als) ausreichend Rechnung. Der totale Abzugsausschluss beruht demgegenüber auf der völlig realitätsfremden Fiktion der totalen Wohnnutzung. Dies ist sogar in sich widersprüchlich, jedenfalls wenn eine unwiderlegliche Dienstverpflichtung zur dienstlichen Nutzung besteht, wie im Falle der Lehrer. Die noch aufrechterhaltene 'Mittelpunktslösung' ändert daran nichts. Sie setzt ein anderes Kriterium ein: das des Gewichtes der häuslichen Arbeit bei einer Gesamtbetrachtung aller Aktivitäten. Auf deren Pflichtbestimmtheit hebt sie jedoch nicht ab".

Kritisch zur Neuregelung ebenfalls Wesselbaum-Neugebauer ( FR 2007, 416, 424):

"Betroffen von dieser Gesetzesänderung sind nicht nur Lehrer und Richter, sondern u.a. auch Vertriebsmitarbeiter, Handelsreisende, sich in einer Fortbildung befindende Arbeitnehmer sowie Nebenerwerbstätige, bei denen das Arbeitszimmer zu weniger als 50% der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit genutzt wird bzw. bei denen für diese Tätigkeiten kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. ... Für die von der Einschränkung betroffenen Steuerpflichtigen bewirkt die Neuregelung eine Einschränkung des Nettoprinzips, welche nicht mit der Vermeidung von Ermittlungen im Privatbereich oder mit einer Gefährdung der Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs begründet werden kann. Vor diesem Hintergrund stellt die Neuregelung eine nicht verfassungskonforme Einschränkung der geltenden Besteuerungsprinzipien dar. Den hiervon Betroffenen verbleibt daher keine andere Wahl, als genau das zu tun, was der Gesetzgeber vermeiden wollte, nämlich Rechtsmittel einzulegen und die Gerichte um eine Klärung zu bemühen".

Kritisch zur Neuregelung auch Kreft (GStB 2/2009, 45) und Paus (EStB 2008, 252, 255 ff.) sowie viele Beiträge während des Gesetzgebungsverfahrens (etwa Bund Deutscher Finanzrichter und Finanzrichterinnen, Öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD "Entwurf eines Steueränderungsgesetzes", 41 ff.). Kreft (am angegebenen Ort, 47) kennzeichnet insgesamt die Arbeitszimmer-Problematik als "dubios" mit Hinweis auf folgendes Beispiel:

"Ein Ehepaar nutzt in seinem Einfamilienhaus zwei gleichgroße Büros ausschließlich für die jeweiligen selbständigen Tätigkeiten. Der Ehemann geht daneben einer nichtselbständigen Tätigkeit außerhalb des Arbeitszimmers nach. Ergebnis: Die Ehefrau hat den unbegrenzten Abzug ihrer Arbeitszimmerkosten, der Ehemann hingegen wird vom Abzug gänzlich ausgeschlossen".

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sind ferner deshalb anzunehmen, weil der Vorsitzende Richter des so genannten Lohnsteuersenats (VI. Senat) des Bundesfinanzhofs ( Kanzler ) in der Fachliteratur (NWB vom 2.4.2007, Fach 6, 4799, 4807) folgende einschlägige Ausführungen gemacht hat:

"Eine der Gegenfinanzierungsmaßnahmen des JStG 1996 zum Familienleistungsausgleich waren die Abzugsbeschränkungen für das häusliche Arbeitszimmer. Diese Gesetzesänderung mag tatsächlich Mehrsteuern ergeben haben. Für den Praktiker war sie in erster Linie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Allein der VI. Senat des BFH hat in den zehn Jahren der Geltung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG mehr als 80 Entscheidungen zu diesem Tatbestand veröffentlicht, während auf den Zeitraum bis 1995 nur 33 Entscheidungen entfielen. Dies mag ein Gradmesser für die Verärgerung der Betroffenen sein. Die Neuregelung des Abzugsverbots für Arbeitszimmeraufwendungen durch das StÄndG 2007 (v.19.7.2006, BGBl. 2006 I S. 1652), die nur noch die sog. Mittelpunktsfälle vom Abzugsverbot ausnimmt, wird diesen Unmut noch verstärken. Schon wird über eine Neuausrichtung der bisherigen Rechtsprechung zum Begriff des Mittelpunkts im Wege einer verfassungskonformen Auslegung und über eine Normenkontrolle in Fällen nachgedacht, in denen kein anderer Arbeitsplatz (wie etwa bei Lehrern) zur Verfügung steht".

Die ernstlichen Zweifel werden noch durch die Ausführungen des früheren Vorsitzenden des VI. Senats des Bundesfinanzhofs ( Drenseck ) in Schmidt (Kommentar zum EStG, 28. Auflage 2009, § 19 Anm. 60 unter "Arbeitszimmer" zur Rechtslage ab 2007) betont:

"Die FinVerw geht zu Unrecht davon aus, dass die bisherige Rspr zum Tätigkeitsmittelpunkt in vollem Umfang auf die ab 2007 geltende Vorschrift übertragen werden kann (BMF BStBl I 07, 442, insb Beispiele bei Rz 11). Die Rspr ist deshalb nicht übertragbar, weil sie auf der Grundlage der bisherigen abgestuften Abzugsmöglichkeit ergangen ist (Ehehalt und Greite DB 06, Beilage 6 zu Heft 39 S 9, 27 ff, ausführl). Insb in den Fällen der Handelsvertreter und Lehrer war die Wertung, der Tätigkeitsmittelpunkt liege im Außendienst bzw. in der Schule, vertretbar, weil diesen Stpfl ein (wenn auch auf 1250 EUR begrenzter) WK-Abzug deshalb zustand, weil sie für die Bürotätigkeit keinen anderen Arbeitsplatz hatten. Bei Fortführung der bisherigen Rspr zum Tätigkeitsmittelpunkt stünde diesen Stpfl nun gar kein Abzugsbetrag mehr zu, obwohl das Arbeitszimmer zwingend erforderlich ist, um den Beruf und damit die Einkunftserzielung auszuüben. .... Unter Tätigkeitsmittelpunkt wird man den Ort verstehen müssen, an dem wesentl Grundlagen für die Berufsausübung gelegt werden, ohne die der Beruf nicht zufriedenstellend ausgeübt werden kann. Hierunter fallen die Berufsgruppen der Handelsvertreter, der Lehrer, der Architekten, der Bildjournalisten, der Teleheimarbeiter, sofern sie für die unumgängl Arbeiten keinen anderen Arbeitsplatz als den im häuslichen Arbeitszimmer haben. In diesen Fallgestaltungen kann die bisherige Rspr nicht fortgeführt werden (aA FG Rhpf v 17.2.2009, Rev VI R 13/09, u.a. mit der eigenartigen Begründung, Lehrer könnten ihre Vorbereitungsarbeiten auch in einer Arbeitsecke in den Wohnräumen verrichten). Im Wege verfkonformer Auslegung wird man hier zum Vollabzug der Arbeitszimmerkosten kommen müssen, da das Arbeitszimmer der Tätigkeitsmittelpunkt ist. Dabei kann nicht unbeachtet bleiben, dass in derartigen Fällen (auch dann, wenn das Arbeitszimmer als Büro und Lager genutzt wird) die vom Gesetzgeber angenommene Missbrauchssituation von vornherein nicht besteht (s auch Paus INF 07, 302; Wesselbaum-Neugebauer FR 07, 416)".

Auch die Kommission "Steuergesetzbuch" unter dem Dach der Stiftung Marktwirtschaft mit über 70 Experten aus dem Deutschen Bundestag, aus der Wissenschaft, aus der Rechtsprechung, aus der Verwaltung, aus Unternehmen und aus der Beratung sowie mit ihrem Vorsitzenden Lang, kritisiert im "Entwurf eines Steuergesetzbuches" vom November 2008 (34), dass der

"Gesetzgeber in der gegenwärtigen Legislaturperiode das Nettoprinzip verletzt (hat), so durch die Zinsschranke ( § 4h EStG), durch die Erweiterung des Abzugsverbots für Arbeitszimmerkosten ( § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG) und durch die Abschaffung der Pendlerpauschale bis zum 20 Entfernungskilometer ( §§ 4 Abs. 5a; 9 Abs. 2 EStG)". Nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 EStG-Entwurf sind als Erwerbsausgaben abziehbar: "Ausgaben für einen Arbeitsraum und seine Ausstattung, wenn der Raum ausschließlich für die Erwerbstätigkeit genutzt wird und dafür kein anderer Arbeitsplatz vorhanden ist".

Da mithin beachtliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Arbeitszimmer-Neuregelung erhoben werden, die der beschließende Senat teilt, und die Streitfrage höchstrichterlich zu klären sein wird (dazu auch das Revisionsverfahren mit dem BFH-Aktenzeichen VI R 13/09 nach dem klageabweisenden Urteil des 3. Senats des FG Rheinland-Pfalz vom 17.2.2009 3 K 1132/07, DStRE 2009, 460), ist das Vorliegen von verfassungsrechtlichen Zweifeln als Voraussetzung der Aussetzung der Vollziehung zu bejahen. Dabei ist es hier - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren - unerheblich, ob die verfassungsrechtlichen Zweifel eher zur verfassungskonformen Auslegung des Tätigkeitsmittelpunkts führen oder ob sie zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Neuregelung gerinnen und damit einen Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG nach sich ziehen werden (so wie aktuell FG Münster vom 8.5.2009 1 K 2872/08 E). Denn die hierfür erforderlichen vertieften rechtlichen Überlegungen bleiben dem anhängigen Klageverfahren vorbehalten.

Die Hinweise des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 9.12.2008 zur Verfassungswidrigkeit der ehemaligen Neuregelung der Entfernungspauschale auf die grundsätzliche Zulässigkeit von bestimmten Abzugsverboten (2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BFH/NV 2009, 338, 346) führen zu keiner anderen Würdigung. Denn diese Äußerungen beziehen sich nicht auf die neue, hier einschlägige Gesetzesfassung, sondern auf die alte Fassung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, nach der noch 1.250 EUR pro Jahr abzugsfähig waren. Dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9.12.2008 die alte Regelung zum (noch möglichen, wenn auch eingeschränkten) Abzug von Arbeitszimmerkosten meinte, ergibt sich auch aus dem dortigen Verweis auf die ältere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.12.1999 (2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297), nach der die (beschränkte) Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmmer nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ( Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist.

Der erkennende Senat folgt nicht der Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 6.11.2007 13 V 13146/07, EFG 2008, 367), nach der (mit Blick auf BVerfGE 101, 297) der verfassungsgerichtliche Gesichtspunkt "einer fehlenden Nachprüfbarkeit der Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre" auch eine vollständige Versagung des Werbungskostenabzugs decke und nach der grundsätzlich "die räumliche Trennung des Arbeitszimmers vom privaten Bereich" keinen zwangsläufigen, pflichtbestimmten Aufwand darstelle. Denn diese argumentativen Ausgangspunkte halten einer Nachprüfung nicht stand: Wenn - wie hier - für einen wesentlichen Teil der Erwerbstätigkeit eines Lehrers (Vor- und Nacharbeit des Unterrichts) in der Schule kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, dann kann in der Regel von der beruflichen Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers (nicht nur von einer kargen Arbeitsecke im Wohnzimmer oder in der Küche) ausgegangen werden (ähnlich auch BVerfGE 101, 297, 311). In der Regel ist - jedenfalls bei der Berufsgruppe der Lehrer - ein Eindringen in die Privatsphäre nicht erforderlich. Ob die erklärte ausschließlich berufliche Nutzung von Räumen tatsächlich gegeben ist, kann in einzelnen Missbrauchs-Verdachtsfällen überprüft werden (vgl. §§ 90, 99 AO; dazu Lang, StuW 2007, 3, 13 f.). Verweigert dann der Steuerpflichtige den finanzamtlichen Zutritt zum häuslichen Arbeitszimmer ohne hinreichenden Grund, darf das Finanzamt die steuerliche Berücksichtigung der Arbeitszimmerkosten versagen (so Urteil des Niedersächsischen FG vom 9.3.1993 VII 314/90 rechtskräftig, EFG 1994, 182; vgl. auch Lang in Tipke/Lang, am angegebenen Ort, 123).

c) Der Anspruch der Antragsteller auf effektiven Steuer-Rechtsschutz tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft des Staates zurück.

Im Falle von ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschrift ist nach langjähriger höchstrichterlicher Rechtsprechung wegen des Geltungsanspruchs jedes verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Steuer-Rechtsschutzes als erforderlich angesehen worden. Danach ist eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen geboten. Diese Rechtsprechung ist allerdings in jüngerer Zeit dahingehend modifiziert worden, dass die staatlichen Haushaltsinteressen in der Abwägung weniger stark berücksichtigt werden (so BFH-Beschluss vom 23.8.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799; vgl. auch Seer in Tipke/Lang, am angegebenen Ort, 1071).

Der beschließende Senat stellt auf der Grundlage dieser modifizierten höchstrichterlichen Rechtsprechung fest, dass im Streitfall Anhaltspunkte für eine gemeinwohlbegründete Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes weder vorgetragen noch erkennbar sind. Der (denkbare) Einwand mit der Größenordnung der mit der Neuregelung verbundenen Steuermehreinnahmen ist - jedenfalls für den Streitfall - nicht geeignet, das öffentliche Interesse als vorrangig zu beurteilen. Denn es kann nicht richtig sein, dass das Unrecht nur groß genug sein muss, damit es nicht mehr gutzumachen ist (vgl. Balke in: Harzburger Steuerprotokoll 1993, Köln 1994, 85, 97; umfassend Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, Bochumer Dissertation, veröffentlicht 2003, 85 ff.). Ein solcher Haushaltsvorbehalt würde jeden (legislativen) Verfassungsverstoß mit genügender finanzieller Breitenwirkung rechtfertigen. Das wäre ein "rechtsstaatlich unerträgliches Ergebnis" (so Seer in Tipke/Kruse, am angegebenen Ort, § 69 FGO Tz. 97), da im Ergebnis damit der individuelle Rechtsschutz auf der Strecke bleiben würde. Im Übrigen werden durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung Risiken für die öffentliche Haushaltswirtschaft, die mit der Verplanung bzw. Verausgabung möglicherweise verfassungswidriger Steuern verbunden sind, gerade vermieden ( Seer, StuW 2001, 3, 17 f. mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Seer in Tipke/Lang, am angegebenen Ort, 1072).

Im Übrigen ist es offensichtlich, dass die Arbeitszimmerkosten von Lehrern, um deren vorläufige einkommensteuerliche Anerkennung gestritten wird, jedenfalls nach bisherigem Verständnis für die Antragsteller - wie bereits ausgeführt - beruflich veranlasst sind. Das insofern naheliegende Aussetzungsinteresse der Antragsteller wird (im Sinne des BFH-Beschlusses vom 23.8.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799, 801) dadurch verstärkt, dass das Bundesverfassungsgericht, falls es entsprechend künftiger Vorlage- und Aussetzungsbeschlüsse sowie im Sinne des aktuellen Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts Münster vom 8.5.2009 (1 K 2872/08 E) entscheiden sollte, nach seiner bisherigen vorherrschenden Praxis möglicherweise nicht die Nichtigkeit des § 9 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG (neue Fassung) feststellen, sondern die Vorschrift lediglich als grundgesetzwidrig ansehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger Frist eine Änderung für die Zukunft aufgeben könnte. Auch vor dem Hintergrund der bisherigen Weitergeltungsanordnungen für verfassungswidrige gesetzliche Vorschriften, der so genannten pro-futuro-Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts (zur Problematik auch Bendixen, ZRP 2009, 85, 86) hält der beschließende Senat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wie bei der Berufspendlerpauschale (vgl. Beschluss des Niedersächsischen FG vom 2.3.2007 7 V 21/07, EFG 2007, 773; bestätigt durch BFH-Beschluss vom 23.8.2007 VI B 42/07, BStBl. II 2007, 799; mit Einfluß auf die zeitliche Wirkung des BVerfG-Urteils vom 9.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BFH/NV 2009, 338, vgl. vorletzten Absatz: dort keine Weitergeltungsanordnung für die verfassungswidrige Regelung) - für erforderlich.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen, weil die Frage des (fast ausschließlichen) Wegfalls der Abzugsmöglichkeiten von Kosten des häuslichen Arbeitszimmers ab 2007 grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO). Nach § 131 Abs. 1 FGO hat die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung, wenn dies nicht besonders ausgesprochen ist.

Ende der Entscheidung

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