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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.12.2007
Aktenzeichen: 9 V 309/06
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 5 Abs. 1
Zur - freien - Schätzung der Höhe der Rückstellung für die Verpflichtung des Steuerpflichtigen und Antragstellers zur künftigen Betreuung bereits abgeschlossener Versicherungs- und Bausparverträge.
Finanzgericht Niedersachsen

9 V 309/06

Gründe:

Streitig ist, ob die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuer(ESt.-)festsetzung 2004 und des darauf aufbauenden ESt.-Vorauszahlungsbescheids 2005 deshalb ernstlich zweifelhaft und insoweit die Vollziehung auszusetzen ist, weil der Antragsgegner (das Finanzamt -FA-) bei der Veranlagung der Antragsteller keine Rückstellung für die Verpflichtung des Antragstellers zur künftigen Betreuung bereits abgeschlossener Lebens- und Krankenversicherungs- und Bausparverträge angesetzt hat.

Die -verheirateten- Antragsteller werden zur ESt. zusammenveranlagt. Der Antragsteller erzielt als Versicherungskaufmann Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 bildete der Antragsteller unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.7.2004 XI R 63/03, BStBl. II 2006, 866, eine gewinnmindernde Rückstellung für die künftige Betreuung bereits abgeschlossener Lebens- und Krankenversicherungs- und Bausparverträge von 311.823,58 Euro. Das FA ließ bei der Veranlagung die Rückstellung außer Ansatz und erhöhte dementsprechend bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Gewerbesteuerrückstellung den erklärten gewerblichen Verlust von 159.222 Euro auf einen Gewinn von 137.222 Euro und setzte entsprechend zu leistende Vorauszahlungen fest.

Gegen den ESt.-Bescheid 2004 vom 5.12.2005 und den darauf beruhenden ESt.-Vorauszahlungsbescheid 2005 vom 5.12.2005 legten die Antragsteller Einsprüche ein. Über die Einsprüche hat das FA noch nicht entschieden. Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung des ESt.-Bescheids 2004 und des ESt.-Vorauszahlungsbescheids 2005 lehnte das FA durch Bescheid vom 23.2.2006 ab. Auf die dagegen gerichteten Einsprüche setzte das FA durch Bescheid vom 11.5.2006 die ESt. 2004 auf der Grundlage einer anzuerkennenden Rückstellung von (44.483 Euro für Betreuung von Lebensversicherungsverträgen + 1.800 Euro für Stornierungen von Lebensversicherungs-verträgen =) 46.283 Euro aus und lehnte eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung durch Einspruchsbescheid vom 15.6.2006 ab.

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrem an das Gericht gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 8.8.2006. Der Antragsteller sei vertraglich zur weiteren Betreuung bereits abgeschlossener Lebens- und Krankenversicherungs- und Bauspar-verträge verpflichtet. Dementsprechend habe er nach den Grundsätzen des BFH-Urteils XI R 63/03, a.a.O., eine Rückstellung zu bilden. Der geschätzte jährliche Aufwand für die Betreuung eines Lebensversicherungsvertrages betrage pro Jahr mindestens zwei Stunden, eines Krankenversicherungsvertrags 1 Stunde und eines Bausparvertrags 0,5 Stunden. Ausgehend von Durchschnittskosten je Mitarbeiterstunde in 2004 von 24,32 Euro und einer 5 jährigen Laufzeit und dementsprechendem Abzinsungsfaktor von 0,765 ergebe sich im Streitjahr ein Rückstellungsbedarf für die Betreuung der 53 Krankenversicherungsverträge von (53 x 1 x 24,32 x 5 x 0,765 =) 4.930,27 Euro und für die 125 Bausparverträge von (125 x 0,5 x 24,32 x 5 x 0,765 =) 5.814 Euro. Für die Betreuung der 528 Lebensversicherungs-verträge mit einer Laufzeit von 12 Jahren und dementsprechendem Abzinsungsfaktor von 0,526 ergebe sich ein Rückstellungsbedarf von (528 x 2 x 24,32 x 12 x 0,526 =) 162.104,27 Euro, der 58 Lebensversicherungsverträge mit einer Laufzeit von 8 Jahren und einem Abzinsungsfaktor von 0,652 ein Rückstellungsbedarf von (58 x 2 x 24,32 x 8 x 0,652 =) 14.714,96 Euro und die Betreuung der 5 Lebensversicherungsverträge mit einer Laufzeit von 5 Jahren und einem Abzinsungsfaktor von 0,765 ein Rückstellungsbedarf von (5 x 2 x 24,32 x 5 x 0,765 =) 930,24 Euro. Bei Ansatz dieser Rückstellungsbeträge ergebe sich für das Streitjahr eine ESt. von 0 Euro und seien dementsprechend auch keine Vorauszahlungen festzusetzen.

Die Antragsteller beantragen,

die Vollziehung des ESt.-Bescheids 2004 vom 5.12.2005 und des ESt.-Vorauszahlungsbescheids 2005 vom 5.12.2005 vollumfänglich und ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Vortrag der Antragsteller und die Sach- und Rechtslage rechtfertigten über die bereits (auf der Grundlage einer Gesamt-Rückstellung von 46.283 Euro) erfolgte Aussetzung der Vollziehung hinaus keine weitere Vollziehungsaussetzung. Für die Betreuung der Lebensversicherungsverträge könne ohne Nachweis eines darüber hinausgehenden Aufwandes nur ein Zeitaufwand von 0,5 Stunden pro Vertrag und Jahr anerkannt werden und hinsichtlich der Krankenversicherungs- und Bausparverträge sei bisher keine eine Rückstellung rechtfertigende Betreuungsverpflichtung belegt.

Der Antrag ist nur im tenorierten Umfang begründet.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. 2. 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454, undvom 30. 12. 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Derartige Zweifel sind hier gegeben.

Nach § 5 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.mit § 249 Abs. 1 Satz 1 Handelsgesetzbuch (HGB) sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Zwar dürfen Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Ein Bilanzausweis ist unter anderem aber dann geboten, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartner gestört ist (vgl. BFH-Urteil XI R 63/03, a.a.O., 867). Hier gehen beide Beteiligten davon aus, daß der Antragsteller vertraglich verpflichtet war, ohne zusätzliches Entgelt Lebensversicherungsverträge nach ihrem Abschluss noch weiter zu betreuen und abzuwickeln. Auch kann dem Antragsteller darüber hinaus aufgrund seines mit der Öffentlichen Versicherung Oldenburg geschlossenen Rahmenvertrags und der dazu gehörenden Anlagen im Hauptverfahren der Nachweis gelingen, dass er entsprechend auch zu einer weiteren Betreuung der Krankenversicherungs- und Bausparverträge verpflichtet war. Danach ist im Aussetzungsverfahren davon auszugehen, daß sich der Antragsteller im Hinblick auf die fortzusetzende Betreuung sowohl bezüglich der Lebensversicherungs- als auch der Krankenversicherungs- und Bausparverträge am Bilanzstichtag 31.12.2004 in einem Erfüllungsrückstand befand und dafür eine Rückstellung zu bilden ist. Die Höhe der Rückstellung bemißt sich nach der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens der Verbindlichkeit und ihrer wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag, wobei diese Voraussetzungen im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen sind. Dabei ist der Steuerpflichtige gehalten, zur Rechtfertigung der von ihm begehrten Rückstellung konkrete Tatsachen darzulegen und trägt insoweit die Feststellungslast. Ist der Steuerpflichtige zur Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach berechtigt, sind aber die für die Höhe der Rückstellung maßgeblichen Grundlagen nicht zu ermitteln oder zu berechnen, sind diese gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V. mit § 162 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) vom Gericht im Schätzungswege festzulegen. Im vorliegenden Fall hatte der Antragsteller erst nach Bekanntwerden des BFH-Urteils XI R 63/03, a.a.O., Anlaß, Vorkehrungen zum Nachweis des anfallenden Betreuungsaufwandes zu treffen und liegen dementsprechend für das Streitjahr keine Aufzeichnungen zum Zeitaufwand vor. Entsprechend dem Ziel und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet das Gericht über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aber grundsätzlich ohne -entscheidungsverzögernde- Beweisaufnahme summarisch nach Aktenlage. Dementsprechend war entgegen dem Antrag des FA vom 21.11.2007 auch die vom FA in Aussicht genommene Außenprüfung bei den Antragstellern nicht mehr abzuwarten und nunmehr über den bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag zu entscheiden. Da den Akten die hier für die Höhe der Rückstellung maßgeblichen Faktoren und Umstände aber nicht entnommen werden können, ist die Höhe der Rückstellung somit zu schätzen. Nach den Vorträgen der Beteiligten sprechen Argumente für den vom Antragsteller bei Lebensversicherungsverträgen angenommenen Zeitaufwand von 2 Stunden pro Vertrag und Jahr (so Herr R von der Öffentlichen Versicherung Oldenburg in seiner Stellungnahme vom 31.8..2007, Stellungnahmen von Hegemann/Querbach, Gestaltende Steuerberatung 2005, Seite 343, Hegemann/Querbach in Wirtschaftsdienst Versicherungs- und Bausparkaufleute 2005, Heft 8, Seite 11, oder eventuell auch Kahlen in Wirtschaftsdienst Versicherungs- und Bausparkaufleute 2005, Seite 5) wie auch für einen geringeren Zeitaufwand (Schätzung des Klägers im Fall des BFH-Urteils XI R 63/03, a.a.O., 867, Schätzung des Finanzgerichts Münster im Urteil vom 13.9.2007 12 K 6087/04 E, [...], Seite 14) und hat sich das FA entsprechend seinem Rechtsstandpunkt weder zur Angemessenheit des von den Antragstellern angesetzten Zeitaufwandes für die Betreuung von Krankenversicherungs- und Bausparverträgen noch zu den Durchschnittskosten je Mitarbeiterstunde, Betreuungszeiträumen und Abzinsungsfaktoren geäußert. Mangels eindeutiger Anhaltspunkte hält es danach das Gericht für angemessen, die Höhe der im Aussetzungsverfahren anzusetzenden Rückstellung insgesamt mit einem Betrag von 100.000 Euro zu schätzen, wobei dieser Betrag zugleich als Grundlage für die Festsetzung der ESt.-Vorauszahlungen 2005 anzunehmen ist.

Soweit das Aussetzungsbegehren der Antragsteller darüber hinausgeht, ist auch keine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte geboten.

Die Berechnung der auszusetzenden Steuerbeträge war entsprechend § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem FA zu übertragen (vgl. Beschluss des BFH vom 12. 10. 1983 I S 2/81, BStBl. II 1984, 212, Tipke/Kruse-Tipke, Kommentar zur AO und FGO, Stand der Loseblattsammlung: Mai 2006, § 100 FGO Rz. 35).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Eine Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO war nicht zu treffen. Das behördliche Aussetzungsverfahren (§ 361 Abs. 2 AO,§ 69 Abs. 2 FGO) ist für die vom Gericht nach § 69 Abs. 3 FGO zu treffende Aussetzungsentscheidung kein Vorverfahren i.S.des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. Tipke/Kruse-Brandis, a.a.O., § 139 FGO Rz. 126 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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