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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 15.10.2008
Aktenzeichen: 3 K 13/2007
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 2a
AO § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

3 K 13/2007

Kindergeld

In dem Rechtsstreit

...

hat der 3. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

aufgrund mündlicher Verhandlung

in der Sitzung vom 15.10.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist der Kindergeldanspruch des Klägers für die Monate Januar bis Dezember 2005 für seinen Sohn A.

Der Kläger heiratete am 11.12.2004 in 1 /Ukraine die ukrainische Staatsangehörige B. Am 10.01.2005 hat sie dort das Kind A geboren.

Mit Antrag vom 16.02.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Kindergeld für A. Von der zuständigen Meldebehörde erhielt die Beklagte im Rahmen der Antragsbearbeitung die Auskunft, das Kind A sei seit 25.01.2006 in 2 gemeldet. Mit Bescheid vom 20.06.2006 bewilligte daraufhin die Beklagte Kindergeld für A ab Januar 2006 und lehnte im Übrigen die Gewährung von Kindergeld ab mit der Begründung, das Kind habe erst ab Januar 2006 seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 05.12.2006 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Die dagegen erhobene Klage wird im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es sei unzutreffend, dass A bis Dezember 2005 seinen Wohnsitz außerhalb Deutschlands gehabt habe. Die Voraussetzungen für einen Wohnsitz des Kindes im Ausland lägen gerade nicht vor. Die Kindesmutter sei ausweislich der Meldebescheinigung des 2 vom 01.12.2006 seit 17.05.2004 in 2 gemeldet und unterhalte dort ihre Wohnung. Im Ausland habe sie keinen Wohnsitz mehr, gelegentliche Besuche in der Ukraine würden ausschließlich privaten Familienbesuchen dienen. Aus der Anmeldung der Eheschließung am 27.10.2004, einem Schreiben des 2 vom 03.11.2004 und dem Ehefähigkeitszeugnis vom 15.11.2004 ergebe sich, dass die Eheleute eindeutig beabsichtigten, die Ehe in Deutschland zu schließen. Die Ehefrau des Klägers sei aus privaten Gründen im August 2004 in die Ukraine gereist, die Rückreise hätte Ende September, Anfang Oktober erfolgen sollen. Aufgrund von Fieberanfällen und Schwangerschaftsproblemen hätten die Ärzte empfohlen, den Rückflug um ca. vier Wochen zu verschieben. Als sich auch in dieser Zeit der Gesundheitszustand nicht stabilisierte, hätten die Ärzte keine Einwilligung für den Rückflug gegeben. Die Ehefrau des Klägers hätte es im Hinblick auf die bevorstehende Geburt vorgezogen, sich in Deutschland in einem Krankenhaus zu befinden. Die Trauung erfolgte dann entgegen der ursprünglichen Absicht am 11.12.2004 gezwungenermaßen im Ausland, weil sich die Ehefrau des Klägers zu diesem Zeitpunkt bereits in stationärer Behandlung befand. Eine Beantragung von neuen Passdokumenten sei deshalb nicht möglich gewesen. Nach der Geburt des Sohnes per Kaiserschnitt habe die Ehefrau des Klägers weiterhin stationär behandelt werden müssen. Der Kläger habe aus beruflichen Gründen wieder nach Deutschland zurück gemusst und habe seine Ehefrau vor Ort nicht unterstützen können. Nachdem sich die Kindesmutter von der Geburt erholt hatte, habe sie sofort im März einen ukrainischen Personalausweis, welcher am 04.05.2005 ausgestellt worden sei, beantragt. Mit dem neuen Personalausweis habe die Ehefrau des Klägers dann Anfang Juni einen neuen internationalen Reisepass, sowie die Geburtsurkunde des Sohnes beantragen können. Diese sei am 19.07.2005 ausgestellt worden, der Reisepass am 04.08.2005. Die Frau des Klägers habe sich weiterhin gegen ihre Wünsche im Ausland aufgehalten. Außer den üblichen Reiseutensilien habe sie keine weiteren Gegenstände bei sich gehabt. Vielmehr habe sie sich nach der Geburt komplett neu einkleiden und sämtliche Babyartikel für das Kind anschaffen müssen.

Die Frau des Klägers hätte in Deutschland nicht den Umweg über ein Ehefähigkeitszeugnis gehen müssen, wenn nicht die Absicht bestanden hätte, in Deutschland zu heiraten und A in einem deutschen Krankenhaus zur Welt zu bringen. Die Probleme mit den Behörden in der Ukraine seien als gerichtsbekannt zu unterstellen, dort gingen die Uhren anders. Trotz des ständigen Einsatzes der Kindesmutter sei es ihr nicht früher möglich gewesen, die vom 19.07.2005 datierende Geburtsurkunde und die Legalisation am 20.10.2005 zu besorgen. Der Kinderausweis von A datiere ebenfalls vom 20.10.2005. Entsprechend der sofortigen Antragstellung sei der Kindesmutter dann ein Visum mit Datum 28.11.2005, gültig ab 25.01.2006, gewährt worden. Der Aufenthalt in der Ukraine sei somit gegen den Willen der Kindesmutter und gegen den Willen des Kindes gewesen, da A als Baby seinen Wohnsitz nur von der Mutter ableiten könne. Die Frau des Klägers habe daher ihren Wohnsitz weiterhin in 2 gehabt und hiervon abgeleitet habe auch A seit seiner Geburt dort seinen Wohnsitz.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 20.06.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 05.12.2006 insoweit aufzuheben als damit ein Kindergeldanspruch für die Monate Januar bis Dezember 2005 abgelehnt wurde und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn A in gesetzlicher Höhe ab Januar 2005 zu gewähren.

Für die Beklagte wird Klageabweisung beantragt und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 lägen die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht vor. Unstreitig habe sich das Kind mit seiner Mutter von seiner Geburt an bis Januar 2006 durchgehend in der Ukraine aufgehalten. Im Januar 2006 sei das Kind erstmalig mit seiner Mutter nach Deutschland gekommen, ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland sei damit erst ab Januar 2006 begründet worden. Unabhängig davon, dass der unfreiwillige Aufenthalt der Kindesmutter in der Ukraine nicht nachgewiesen sei, stelle der Wohnsitzbegriff nach § 8 AO nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ab.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der vorliegenden Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte die Gewährung von Kindergeld für das Kind A für die Monate Januar bis Dezember 2005 abgelehnt, denn das Kind hatte im streitigen Zeitraum im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt.

1. Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden für Zwecke der Kindergeldfestsetzung nicht berücksichtigt, es sei denn, sie leben im Haushalt eines Berechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG). Weil die Ukraine kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, im Streitfall Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum keine Anwendung finden und das Kind A auch nicht im Haushalt eines Berechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Nr. 2a EStG wohnte, ist zu prüfen, ob das Kind seinen Wohnsitz (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) in Deutschland bereits ab Januar 2005 hatte.

Der Wohnsitzbegriff i.S.d. § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit -wenn auch in größeren Zeitabständen- aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßiger aufeinanderfolgender kurzer Zeiträume oder ein Aufenthalt, der nur Besuchscharakter hat, reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99, BStBl. II 2001, 294 m.w.N.).

Ob jemand eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er sie beibehalten und benutzen wird, bzw. ob sich jemand unter Umständen an einem Ort aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Anhaltspunkte für das darin liegende Zeitmoment, das sich auf die in Betracht kommende Wohnsitzbegründung bezieht und von dort aus gesehen in die Zukunft gerichtet ist, kann die Sechs-Monats-Frist des § 9 Satz 2 AO sein (vgl. BFH-Urteil vom 30.08.1989 I R 215/85, BStBl. II 1989, 956).

Die Aufgabe des Wohnsitzes im Inland ist vollzogen, sobald Umstände eingetreten sind, die erkennen lassen, dass die betreffende Person nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wird (BFH-Urteil vom 19.03.2002 VIII R 52/01, BFH/NV 2002, 1146). Bei einer Auslandsreise kann dies der Zeitpunkt der Ausreise oder ein späterer Zeitpunkt sein, wenn sich die Person zunächst nur vorübergehend im Ausland aufgehalten hat. Die Feststellungslast zum Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland als tatbestandliche Voraussetzung für einen Kindergeldanspruch liegt beim Kindergeldberechtigen (BFH-Urteil vom 23.11.2000 VI R 107/99 a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein Wohnsitz des Kindes A im Inland nicht seit seiner Geburt sondern erst ab Januar 2006 gegeben. Zwar hat der Wohnsitz des Klägers und der Kindesmutter im strittigen Zeitraum im Inland weiterbestanden. Jedoch hat weder sie noch der Kläger dem Kind A dadurch einen inländischen Wohnsitz vermittelt. Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Eheschließung und die Geburt in der Ukraine nicht beabsichtigt waren oder sich die Rückkehr nach Deutschland tatsächlich aufgrund unvorhergesehener Umstände verzögert hat, denn darauf kommt es nicht an. Entscheidungserheblich ist, dass sich das Kind des Klägers bis Januar 2006 nicht selbst in der Wohnung der Eltern im Inland aufgehalten bzw. befunden hat. Der Wohnsitzbegriff enthält nicht nur ein Willenselement, sondern auch ein tatsächliches Element, das durch den Begriff "innehat" im Wortlaut des § 8 AO deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Der steuerrechtliche Wohnsitzbegriff des § 8 AO unterscheidet sich von dem der §§ 7 und 8 BGB dadurch, dass er nicht auf den rechtsgeschäftlichen Willen des Steuerpflichtigen, sondern auf die tatsächliche Gestaltung abstellt und insgesamt an äußerliche Merkmale anknüpft. Subjektive Momente sind unbeachtlich. Es kann deshalb auch ein Minderjähriger abweichend von § 11 BGB einen steuerlichen Wohnsitz begründen, auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (vgl. Tipke/Kruse, AO, FGO, § 8 AO Tz. 3 m.w.N.). Maßgebend ist der objektive Zustand, das Innehaben einer Wohnung durch den Steuerpflichtigen und die Umstände, "die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird". Besteht dieser Zustand objektiv, so ist ein entgegenstehender Wille des Steuerpflichtigen unbeachtlich (vgl. Tipke/Kruse, AO-FGO, § 8 AO Tz. 2 m.w.N.). Umgekehrt sind bei fehlenden objektiven Umständen subjektive Momente unbeachtlich.

Dem steht nicht entgegen, dass Kinder im Regelfall den Wohnsitz der Eltern teilen, solange nach den äußerlich erkennbaren Umständen davon auszugehen ist, dass die elterliche Wohnung für das Kind bestimmt ist und von diesem auch als eigenes Heim angesehen wird (vgl. Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler zu § 8 AO Rz. 39), denn dies setzt zunächst voraus, dass das Kind einen Wohnsitz bei seinen Eltern bereits begründet hat. Dieser wird jedoch grundsätzlich nicht allein durch die Absicht der Eltern, das Kind solle ab seiner Geburt in der gemeinsamen Wohnung im Inland leben, begründet. Über die Grundsätze des Familienwohnsitzes können Personen über einen Familienangehörigen einen Wohnsitz beibehalten, nicht aber erstmals begründen (vgl. Urteil des FG Nürnberg vom 28.09.2005 III 130/2005, [...]).

Einer Erweiterung des Wohnsitzbegriffes für minderjährige Kinder, wie es das Finanzgericht Baden - Württemberg in seiner Entscheidung vom 29.01.2008 4 K 83/07 (EFG 2008, 693) vorgenommen hat, ist nicht zuzustimmen. Zum einen kann auch bei minderjährigen Kindern das nach § 8 AO erforderliche tatsächliche Element nicht außer Acht gelassen werden. Zum anderen ist nach Auffassung des Senats eine derartige Erweiterung des Wohnsitzbegriffes weder allgemein noch im Streitfall rechtlich geboten.

Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob der Meinung zu folgen ist, nach der das Kind von Geburt an seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat bzw. den Wohnsitz der Mutter im Inland teilt, wenn es innerhalb angemessener Zeit nach der Geburt ins Inland verbracht wird (vgl. z.B. Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rn. 163; Urteil des Finanzgerichts Baden - Württemberg vom 29.01.2008 4 K 83/07, a.a.O.), denn die Einreise des Kindes A ins Inland erfolgte jedenfalls nicht innerhalb eines noch als angemessen zu beurteilenden Zeitraums.

Gleiches gilt für den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 AO. Er erfordert die körperliche Anwesenheit (vgl. Tipke/Kruse, AO-FGO, § 9 AO Tz. 14 m.w.N.). A hatte deshalb im Zeitraum vor Januar 2006 auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland.

Für die strittigen Monate besteht somit kein Kindergeldanspruch.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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