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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 01.04.2008
Aktenzeichen: II 27/05
Rechtsgebiete: AO, BGB


Vorschriften:

AO § 44 Abs. 1
AO § 71
AO § 191
AO § 370 Abs. 4 S. 3
BGB § 2058
BGB § 2059 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

II 27/05

Haftung für Umsatzsteuer u.a.

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Senat des Finanzgerichts Nürnberg

durch

aufgrund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 01.04.2008

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Der Haftungsbescheid vom 06.12.2002, geändert durch den Bescheid vom 09.08.2004, dieser in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2005, geändert durch den Bescheid vom 30.11.2006, wird dahin geändert, dass die Haftungsschuld des Klägers in Höhe von ......,.. EUR festgesetzt wird.

2. Die bis zum Ergehen des Bescheides vom 30.11.2006 angefallenen Kosten trägt das Finanzamt zu 1/4 und der Kläger zu 3/4; die übrigen Kosten trägt das Finanzamt zu 3/17 und der Kläger zu 14/17.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht den Kläger wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des verstorbenen A. B. gemäß § 71 AO in Haftung genommen hat.

Der Kläger war in der Zeit von September 1996 bis August 2001 als Arbeitnehmer in der Gaststätte C. des A. B. angestellt. Seine Tätigkeiten umfassten dabei die Verbuchung der Geschäftsvorfälle, die Einzahlung von Gaststätteneinnahmen auf der Geschäftsbank und bei Abwesenheit des Betriebsinhabers in dessen Auftrag die Unterzeichnung von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen. Auf ausdrückliche Anweisung des Geschäftsinhabers A. B. richtete der Kläger eine von den tatsächlichen Verhältnissen abweichende Buchführung ein, die den beim Finanzamt eingereichten Steuererklärungen zugrunde gelegt wurde.

Im Rahmen von steuerstrafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen wurde am 18.09.2001 die Wohnung des Klägers durchsucht. Dort wurden Beweismittel wie Tagesabrechnungen, sonstige Unterlagen sowie Daten auf einem PC sichergestellt, die belegten, dass der Kläger an der Kassen- und Buchführung der Gaststätte C. mitgewirkt hatte. Der Betriebsinhaber A. B. verstarb am 02.04.2002.

Das Finanzamt nahm den Kläger ohne vorherige Anhörung mit dem Bescheid vom 06.12.2002 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des A. B. nach § 71 AO für rückständige Umsatzsteuern von ......,.. EUR, Lohnsteuern von .....,.. EUR und Solidaritätszuschlägen hierfür von ....,.. EUR aus dem Betrieb der Gaststätte C. i.H.v. insgesamt 199.792,22 EUR in Haftung. Die Haftungsbeträge errechnete es aus dem A. B. betreffenden Ermittlungsbericht. Im Einzelnen wird auf den Haftungsbescheid vom 06.12.2002 mit Anlage verwiesen. Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein.

Im Rahmen des mit Beschluss des Amtsgericht Xxx vom 19.06.2002 angeordneten Verfahrens zur Nachlassverwaltung über das Vermögen des verstorbenen A. B. meldete das Finanzamt im Aufgebotsverfahren nach § 1973 BGB, § 989 ZPO einen Betrag von ......,.. EUR als Abgabenforderungen gegen den Nachlass an, davon Umsatzsteuern von ......,.. EUR und Lohnsteuern von ....,.. EUR. Am 17.12.2002 erließ das Amtsgericht Xxx ein rechtskräftiges Ausschlussurteil. In der Folgezeit meldete das Finanzamt weitere rückständige Steuern und steuerliche Nebenleistungen nach, zuletzt mit der Forderungsanmeldung vom 25.07.2003. Insgesamt beliefen sich die angemeldeten Forderungen das Finanzamtes auf ......,.. EUR.

Aufgrund eines Vergleichs (vgl. Vereinbarung vom 13.02.2004, FG-Akte Bl. 143-145), der von allen Ausschlussgläubigern zur Vermeidung eines Nachlassinsolvenzverfahrens im Nachlassverwaltungsverfahren abgeschlossen wurde, erhielt das Finanzamt auf die vor dem Ausschlussurteil angemeldeten Forderungen bei einer Vergleichsquote von 42,26% eine Ausschüttung von .....,.. EUR und einen weiteren Betrag von ...,.. EUR. Damit waren die Forderungen gegen den Nachlass abgegolten; die vor dem Ausschlussurteil angemeldeten Abgabenforderungen wurden mit Bescheid vom 14.09.2004 gegenüber der Nachlassverwalterin erlassen. Von dem Erlass waren Umsatzsteuern für 1996 bis August 2001 in Höhe von .....,.. EUR erfasst, für die auch der Kläger mit dem angefochtenen Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden war. Das Verfahren zur Nachlassverwaltung wurde mit Beschluss des Amtsgericht Xxx vom 09.11.2004 aufgehoben.

Wegen auf die Steuerschulden des A. B. geleisteter Zahlungen änderte das Finanzamt den Haftungsbescheid vom 06.12.2002 und nahm den Kläger nun in dem Bescheid vom 09.08.2004 mit einem Haftungsbetrag i.H.v. ......,.. EUR in Anspruch. Die Berechnung der Haftungssumme ist in der Anlage zu diesem Bescheid dargestellt, auf die verwiesen wird.

Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 15.02.2005 vom Amtsgericht Xxx u.a. wegen Hinterziehung eigener Einkommensteuer 1996 bis 1999 und wegen Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer und Lohnsteuer zu Gunsten des A. B. zu einer Geldstrafe von 270 Tagessätzen zu je ..,.. EUR (insgesamt ....,.. EUR) verurteilt.

Grundlage für die Strafzumessung waren folgende von dem Kläger eingestandene hinterzogene Steuern (vgl. im Einzelnen FG-Akte Bl. 100-103):

 USt9-12/9619971998199920001-8/01
EUR    

Dies entspricht für Lohnsteuer insgesamt .....,.. EUR.

 LohnSt9-12/9619971998199920001-8/01
EUR    

Eine Verurteilung wegen Hinterziehung von Solidaritätszuschlägen erfolgte nicht.

In der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2005 minderte das Finanzamt erneut die Haftungsschuld auf nunmehr ......,.. EUR wegen weiterer Tilgungen auf die Steueransprüche. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Den gegen den geänderten Haftungsbescheid vom 09.08.2004 erhobenen Einspruch verwarf es als unzulässig.

Der Kläger hat fristgerecht Klage erhoben. Im Klageverfahren widerrief das Finanzamt den geänderten Haftungsbescheid vom 09.08.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung nach § 131 AO teilweise und ermäßigte die Haftungsforderung nun auf ......,.. EUR. Die Minderung der Haftungsschuld ergab sich, weil das Finanzamt in seine ursprüngliche Berechnung zum Teil Umsatzsteuerschulden mit einbezogen hatte, zu deren Hinterziehung der Kläger nicht Beihilfe geleistet hatte.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 06.12.2002, geändert durch den Bescheid vom 09.08.2004, dieser in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.04.2005, geändert durch den Bescheid vom 30.11.2006, ersatzlos aufzuheben.

Hilfsweise beantragt der Kläger,

die Haftungsschuld insoweit zu mindern, als sie auf erlassene Umsatzsteuer 1996 bis 08/2001 entfällt (.....,.. EUR),

als sie auf Lohnsteuerschulden 01-08/1996 entfällt,

als die Steuerschulden durch die Ausschüttungen im Nachlassverwaltungsverfahren getilgt wurden (.....,.. EUR),

als Lohnsteuerschulden durch die Arbeitnehmer des A. B. beglichen wurden,

als die hinterzogene Steuer hätte ermäßigt oder aus anderen Gründen ein Steuervorteil hätte beansprucht werden können;

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Weiter beantragt der Kläger

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen Folgendes vor:

Es sei ihm aus der Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung zugunsten des verstorbenen A. B. kein finanzieller Vorteil erwachsen. Er sei nun arbeitslos und habe trotz Umschulung keine Arbeitsstelle gefunden. Das von ihm bewohnte Hausgrundstück sei schwer verkäuflich und ebenso wie die zwei landwirtschaftlichen Grundstücke von keinem beachtlichen Wert. Seine finanziellen Möglichkeiten seien bereits aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 8.100 EUR ausgeschöpft. Im Verhältnis zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen führe die Inanspruchnahme durch den Haftungsbescheid zur Bedrohung seiner Existenz. Er wäre auf Dauer gesellschaftlich ausgegrenzt und müsste an der Armutsgrenze leben.

Im Hinblick auf die Akzessorietät der Haftung sei zu beachten, dass das Finanzamt aus der Nachlassverwaltung des Vermögens des verstorbenen A. B. Zahlungen auf dessen Steuerschulden erhalten habe, die bei der Bestimmung der Haftungsschuld zu berücksichtigen seien. Ebenso habe sich der im Rahmen der Vergleichsvereinbarung getroffene Erlass zu seinen Gunsten auszuwirken. Denn die in der Erlassverfügung aufgeführten Positionen 17 bis 29 seien mit Beträgen identisch, die ihm gegenüber im Haftungsbescheid geltend gemacht worden seien.

Bei der Feststellung der strafrechtlich relevanten Verkürzung von Umsatzsteuern seien aufgrund des Kompensationsverbotes nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO möglicherweise Vorsteuerbeträge auf die Betriebseinnahmen nicht in Ansatz gebracht worden. Ebenso werde die zutreffende Ermittlung der Lohnsteuer bestritten, da teilweise Zuschätzungen erfolgt seien und er für Lohnsteuer des gesamten Jahres 1996 in Anspruch genommen werde, obgleich sich seine Beihilfe zur Hinterziehung nur auf die Zeiträume von September bis Dezember 1996 erstreckt habe.

In rechtlicher Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass zwischen dem eigentlichen Steuerschuldner und dem nach § 71 AO Haftenden ein Gesamtschuldverhältnis nach § 44 AO bestehe. Dies bedeute, dass die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirke. Es seien daher die im Nachlassverwaltungsverfahren erlangten Beträge auf die Haftungsschuld anzurechnen und es sei zu berücksichtigen, dass das Vermögen des verstorbenen A. B. überschuldet gewesen sei. Es sei daher aus dem Nachlassverwaltungsverfahren, in dem eine Zahlungsquote von 43% erreicht wurde, der Rückschluss dahin zu ziehen, dass das Finanzamt beim Steuerschuldner die Umsatzsteuer nicht in voller Höhe hätte erlangen könne, sondern lediglich zu einer Quote von rund 43%; dies müsse bei der Berechnung der Haftungsschuld berücksichtigt werden. Es müsse der gegenüber dem Nachlass des Steuerhinterziehers ausgesprochene Erlass auch gegenüber ihm, dem Haftungsschuldner, der lediglich als Gehilfe an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen sei, wirken, wie es sich aus § 191 Abs. 5 AO ergebe.

Er könne sich auf die Grundsätze der anteiligen Tilgung von Umsatzsteuern für den Fall der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners im Zeitpunkt der Fälligkeit berufen. Aus den Feststellungen im Nachlassverwaltungsverfahren ergebe sich, dass A. B. bereits in den Jahren ab 1996 erheblich überschuldet gewesen sei und seine aufwändige Lebensführung nur durch Konsumkredite habe finanzieren können. Es hätten bereits in dieser Zeit Vollstreckungsmaßnahmen, auch durch das Finanzamt, gegen A. B. stattgefunden. Er, der Kläger, habe zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form dazu beigetragen, dass Zahlungsmittel zur Begleichung der Steuerschulden bei Fälligkeit nicht vorhanden gewesen seien. Insoweit sei keine Ursächlichkeit zwischen seinem Tatbeitrag zur Steuerhinterziehung und dem Ausfall der Steueransprüche gegeben.

Schließlich sei seine Inanspruchnahme als Haftender ermessensfehlerhaft gewesen. Das Finanzamt habe sein Auswahlermessen unzutreffend ausgeübt, weil es für die Lohnsteuerschulden nicht die beschäftigten Arbeitnehmer als Schuldner in Anspruch genommen habe. Weiter habe das Finanzamt nicht berücksichtigt, dass ihm aus der Tat kein Vorteil erwachsen sei, dass er in schlechten Einkommens- und Vermögensverhältnissen lebe, dass ihm lediglich als Gehilfe nur ein sehr geringer Schuldvorwurf gemacht werden könne und dass die existentielle Auswirkung der Haftung außer Verhältnis zum Strafmaß stehe.

Wegen des Klägervortrages im Einzelnen wird auf die Schriftsätze vom 13.07.2005, vom 20.10.2005, vom 12.01.2006 und vom 11.12.2006 und auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es unter Hinweis auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung folgende Gesichtpunkte vor:

Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung habe es die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie die Schwere seiner Schuld hinsichtlich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gewürdigt und berücksichtigt.

Da der Haftungsanspruch nach § 71 AO Schadensersatzcharakter habe, sei die Inanspruchnahme eines Haftenden durch die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der Haftungsnorm vorgeprägt und die Höhe des Haftungsanspruchs durch den verursachten Steuerschaden bestimmt. Soweit es den Kläger für Umsatzsteuerschulden des A. B. in Haftung genommen habe, zu deren Hinterziehung er nicht beigeholfen habe, sei der Haftungsbescheid geändert worden.

In die Haftungsbeträge habe es nur die Lohnsteuern für die Beschäftigten der C. einbezogen. Da der Kläger für Lohnsteuer 1996 verurteilt worden sei, sei eine Aufteilung nach Monaten nicht vorzunehmen gewesen. An welche in der C. beschäftigten Personen die Schwarzlöhne von A. B. gezahlt worden seien, habe es im Einzelnen nicht ermitteln können; die Inanspruchnahme des Arbeitgebers sei daher zu Recht erfolgt.

Die aus der Nachlassverwaltung eingegangen Zahlungen seien i.H.v. 15.972,08 EUR auf rückständige Einkommensteuern und Solidaritätszuschläge des A. B. verbucht worden. Es habe nach § 225 Abs. 3 AO die Reihenfolge der Tilgung selbst bestimmen und bei der Entscheidung die Interessen der Erben einbeziehen können.

Es habe die auf die Haftungsschuld geleisteten Zahlungen und Verrechnungen bei dem geänderten Haftungsbescheid berücksichtigt. Der im Rahmen der Nachlassverwaltung gegenüber den Erben ausgesprochene Erlass habe nur klarstellende Bedeutung gehabt und nur Wirkung gegenüber den Erben entfaltet. Es sei dadurch zum Ausdruck gekommen, dass es über den Vergleich hinaus weitere Ansprüche nicht habe verwirklichen können.

Die Haftungsbeschränkung des § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO komme für die Haftung des Klägers nicht in Betracht, weil er an einer Steuerhinterziehung teilgenommen habe. Für die Durchbrechung der Haftungsbeschränkung genüge es, wenn die Steuerhinterziehung durch Beihilfe begangen worden sei (§ 191 Abs. 5 Satz 2 AO).

Eine Beschränkung der Haftung auf eine bestimmte Benachteiligungsquote des Finanzamts sei nicht vorzunehmen gewesen. Denn zum Zeitpunkt der Fälligkeit der hinterzogenen Umsatzsteuerbeträge habe keine Zahlungsunfähigkeit des A. B. bestanden. Zwar habe dieser erhebliche Schulden gehabt, jedoch hätten ihm genügend liquide Mittel zur Verfügung gestanden, um die Steuern in den Voranmeldungszeiträumen zu bezahlen. Es hätte zum Fälligkeitszeitpunkt auch noch ausreichend Vermögen vorgelegen, wie etwa ein Bausparguthaben i.H.v. 200.000 DM, auf das im Wege der Vollstreckung zugegriffen hätte werden können. Im Übrigen komme die Beschränkung der Haftung grundsätzlich nur im Rahmen der Haftung als Vertreter nach § 69 AO in Betracht; ein solcher sei der Kläger aber nicht gewesen.

Wegen des Sachvortrages des Finanzamtes im Einzelnen wird auf die Stellungnahmen vom 10.08.2005, vom 10.11.2005 und auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat nur teilweise Erfolg. Zwar haftet der Kläger nach § 71 AO für die hinterzogenen Steuern. Zahlungen und Verrechnungen auf die Steuerrückstände des A. B. sind aber zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen.

1. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist der Haftungsbescheid vom 30.11.2006. Der mit dem zulässigen Einspruch angegriffene ursprüngliche Bescheid vom 06.12.2002 wurde in Gestalt des geänderten Bescheides vom 09.08.2004 zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens (§ 356 Abs. 3 AO). Die mit der zulässigen Klage angegriffene Einspruchsentscheidung vom 15.04.2005 wurde gemäß § 68 FGO in Gestalt des geänderten Haftungsbescheides vom 30.11.2006 zum Gegenstand des Verfahrens (vgl. Gräber/von Groll, FGO-Kommentar, 6. Aufl. 2006, § 68 Rz. 61; Haunhorst in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG-Kommentar, § 18 Exkurs Haftung, Rz. 1234 ff). Der Mangel des rechtlichen Gehörs vor Bekanntgabe des ersten Haftungsbescheides wurde durch das Einspruchsverfahren geheilt (§ 126 Abs. 1 Nr. 3 AO).

2. Das Finanzamt war berechtigt, den Kläger wegen seiner Beihilfe zur Steuerhinterziehung des verstorbenen A. B. gemäß § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.

a) Nach § 71 AO haftet für verkürzte Steuern, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Er kann gemäß § 191 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dabei ist zunächst über die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung zu entscheiden. Diese Entscheidung unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, AO-/FGO-Kommentar, § 191 AO Tz. 15). Bei einer vorsätzlichen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist die Inanspruchnahme des Gehilfen als Haftungsschuldner nach §§ 71, 191 AO wegen des Schadensersatzcharakters der Haftungsnorm sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach vorgeprägt; besonderer Ermessenserwägungen bedarf es hierbei nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile vom 21.01.2004 XI R 3/03, BStBl. II 2004, 919 und vom 08.09.2004 XI R 1/03, HFR 2005, 293; BFH-Beschlüsse vom 08.06.2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822 und vom 13.08.2007 VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23 m.w.N. der Rspr.). Wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 71 AO haftet der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung in Höhe der aufgrund seines Tatbeitrages hinterzogener Beträge (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss vom 11.02.2002 VII B 323/00, BFH/NV 2002, 891 m.w.N.).

b) Zutreffend ist das Finanzamt von der Beihilfe des Klägers zur Steuerhinterziehung des inzwischen verstorbenen A. B. ausgegangen (§ 370 AO, § 27 StGB). Der Kläger hat auf Veranlassung seines Geschäftsherrn durch die Erstellung einer unzutreffenden Buchhaltung, durch seine Mitwirkung an der Vereinnahmung für steuerliche Zwecke nicht erfasster Gelder, durch die Zahlung schwarzer Löhne und durch die Abgabe unzutreffender Steueranmeldungen vorsätzlich an der Verkürzung von Umsatzsteuern, Lohnsteuern und darauf entfallender Solidaritätszuschläge als Gehilfe teilgenommen. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung und der Verurteilung des Klägers wegen dieser Taten fest. Der Kläger hat diese Taten in seinem Geständnis im Strafverfahren und im steuerlichen Verfahren eingeräumt.

3. Die Haftung nach § 71 AO erstreckt sich auf die hinterzogene Steuer. Dies folgt aus dem Schadensersatzcharakter der Haftungsnorm des § 71 AO. Zurecht hat das Finanzamt den Haftungszeitraum von September 1996 bis August 2001 bestimmt und die Haftung auf die in dieser Zeit entstandenen, aber nicht erklärten Betriebssteuern begrenzt. Es durfte dabei in die Haftungsschuld auch die auf Lohnsteuer entfallenden Solidaritätszuschläge einbeziehen, weil auch die Hinterziehung dieser Ergänzungsabgaben von den Beihilfehandlungen des Klägers mit umfasst war. Unerheblich ist, dass eine strafrechtliche Verurteilung insoweit nicht erfolgt ist; denn das Finanzamt konnte über das Vorliegen dieser Straftaten selbständig entscheiden (vgl. Pahlke/Koenig/Intemann, AO-Kommentar, § 71 Rz. 14). Damit war neben dem zeitlichen Rahmen auch der Haftungsrahmen der Höhe nach bestimmt, nämlich für Umsatzsteuern insgesamt ......,.. EUR, für Lohnsteuern insgesamt .....,.. EUR und darauf gemäß § 4 SoliZG zu erhebenden Solidaritätszuschlag von 5,5%, also ....,.. EUR.

Hinsichtlich der Berechnung des Haftungsumfanges für Umsatzsteuern waren zu Gunsten des Klägers auch die mit den verkürzten Umsätzen zusammenhängenden Vorsteuerbeträge mit einzubeziehen. Das steuerstrafrechtliche Verbot nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zur Kompensation der Vorsteuern wurde vom Finanzamt im geänderten Haftungsbescheid vom 30.11.2006 nicht mehr angewandt. Auch im Strafbefehl vom 25.08.2004 (dort Seite 3) wurde für die Strafzumessung ebenso verfahren.

Das Gericht geht von folgenden Beträgen aus:

 USt9-12/9619971998199920001-8/01
EUR    

Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat ihn das Finanzamt nicht für Lohnsteuern aus Voranmeldungszeiten vor dem September 1996 in Anspruch genommen und ebenso nicht für Lohnsteuern, die namentlich bekannten Beschäftigten eindeutig zuordenbar waren. Grundlage der Berechnung für die Haftungssumme wegen Lohnsteuer ist der Ermittlungsbericht vom 22.10.2002 betreffend A. B. (dort Anlage 3), der auch für das Strafverfahren gegen den Kläger maßgeblich war. Zur Überzeugung des Gerichts wurde die für die Monate September bis Dezember 1996 hinterzogene Lohnsteuer vom Finanzamt im Wege der Schätzung wirklichkeitsgerecht ermittelt und nur die Lohnsteuer in Ansatz gebracht, die nicht namentlich ermittelbaren Lohnempfängern zuordenbar war. Auch die hinterzogenen Lohnsteuern für die folgenden Zeiträume bis August 2001 wurden zutreffend ermittelt, also

 LohnSt9-12/9619971998199920001-8/01
EUR    

Somit betrug der maßgebliche Haftungsschaden einschließlich Solidaritätszuschlag insgesamt ......,.. EUR.

4. Der Kläger kann sich zur Überzeugung des Gerichts nicht darauf berufen, dass er wegen Überschuldung des A. B. im Haftungszeitraum nur anteilig in Höhe einer Benachteiligungsquote für USt haftet.

a) Die von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätze der nur anteiligen Haftung für Umsatzsteuer bei mangelnder Liquidität im Zeitpunkt der Fälligkeit der von der Haftung betroffenen Steuern sind grundsätzlich auch im Rahmen des § 71 AO beachtlich (vgl. Haunhorst in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG-Kommentar, § 18 Exkurs Haftung, Rz. 1047 ff; 1153 m.w.N.). Ebenso anerkannt ist aber in der Rechtsprechung des BFH, dass dieser Grundsatz dann Einschränkungen erfährt, wenn durch die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen aussichtsreiche Beitreibungsmaßnahmen vereitelt worden sind oder eine vorsätzliche Liquiditätsverschlechterung des Unternehmens gesichert worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11.02.2002 VII B 323/00, a.a.O.).

b) Auf die Umstände des Streitfalles angewandt ergibt sich, dass mit der Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuer- und Lohnsteueranmeldungen Schwarzgelder erlangt werden sollten um unversteuerte Löhne zahlen und den aufwändigen Lebensunterhalt des A. B. finanzieren zu können; gerade dies führte zu einem durch die unrichtigen Steueranmeldungen verdeckten Liquiditätsentzug. Dieser Vorteil sollte durch die Steuerhinterziehung des A. B. und die Beihilfe des Klägers hierzu langfristig sichergestellt werden. Somit kommt eine nur anteilige Steuerhaftung für den Kläger nicht in Betracht.

c) Im Übrigen hat der Kläger die Liquiditätsprobleme des Unternehmens des A. B. zu den Fälligkeitszeitpunkten lediglich behauptet, tatsächliche Zahlungsprobleme im Haftungszeitraum aber nicht belegt (vgl. Haunhorst, a.a.O. Rz. 1052 ff). Umstände für eine eingeschränkte Zahlungsfähigkeit des A. B. ergeben sich aber für den Haftungszeitraum auch nicht aus den Akten. Das Nachlassverwaltungsverfahren beweist keine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit im Haftungszeitraum. Für eine Zahlungsunfähigkeit bereits im Jahre 2001 oder früher finden sich keine Anhaltspunkte. Letzter maßgeblicher Haftungszeitraum war August 2001, letzter haftungsrelevanter Fälligkeitszeitpunkt für die Anmeldungssteuern war September 2001.

A. B. verstarb am 02.04.2002, die Nachlassverwaltung wurde mit dem Beschluss des Amtsgerichts Xxx vom 19.06.2002 angeordnet.

5. Wegen der Abhängigkeit der Haftungsschuld vom Bestand der Steuerschuld (Akzessorietät) führt die Erfüllung der Steuerschuld durch Zahlung und Aufrechnung auch zum Wegfall des Haftungsanspruches (§ 44 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO). Die bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung erfolgten Zahlungen auf die Steuerschulden des A. B. bzw. Verrechnungen mit den Steuerrückständen waren daher zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen (vgl. Haunhorst, a.a.O. Rz. 1009 ff; 1109). Dabei hält es das Gericht im Streitfall für zwingend, dass die gemäß § 225 Abs. 2 AO bestimmte Tilgungsreihenfolge Beachtung findet, weil der verstorbene Steuerpflichtige A. B. eine Tilgungsbestimmung nicht mehr treffen konnte und daher zu Gunsten des haftenden Klägers die gesetzlich vorgeschriebene Reihenfolge anzuwenden war. Auch wenn das Finanzamt - wie es vorträgt - für die im Nachlassverwaltungsverfahren erlangten Gelder eine Bestimmung nach § 225 Abs. 3 AO treffen konnte, so war unter dem Gesichtspunkt der Akzessorietät der Haftung eine sachgerechte Entscheidung nur so vorzunehmen, dass sie zu Gunsten des Klägers als dem letztlich verbliebenen (Haftungs-)Schuldner wirkte, also vorrangig die Lohnsteuern als Steuerabzugsbeträge zu tilgen waren (vgl. Haunhorst, a.a.O. Rz. 1013).

6. Das Gericht folgt jedoch nicht der Auffassung des Klägers, dass auch der im Rahmen der Nachlassverwaltung ausgesprochen Erlass zu seinen Gunsten wirken müsse und die Haftungsschuld insoweit zu reduzieren sei.

a) Die aufgrund der Nachlassverwaltung zugunsten der Erben eingetretene Haftungsbegrenzung wirkt nicht gegenüber dem Kläger. Die Erben des verstorbenen A. B. sind im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Abs. 1BGB) Schuldner der von A. B. begründeten Steueransprüche geworden (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO). Durch den Übergang der Steuerschulden auf die Erben ist die Haftung des Klägers jedoch nicht ausgeschlossen worden (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 45 AO Tz. 7). Er ist Gesamtschuldner geblieben (§ 44 Abs. 1 AO), zusammen mit den Erben (vgl. §§ 2058, 2059 Abs. 2 BGB). Die Erben konnten jedoch rechtswirksam durch die Nachlassverwaltung gemäß § 1975 BGB und deren Beendigung infolge der Vergleichsvereinbarung vom 13.02.2004 gegen die Forderungen des Finanzamtes aus dem Erbe nach A. B. die Dürftigkeitseinrede gemäß § 1990 BGB erlangen (vgl. Münchner Kommentar BGB/Siegmann, 4. Aufl. 2004, § 1988 Rz. 4, 6). Diese Einrede führt jedoch nicht zum Erlöschen der Gläubigerforderungen, im Streitfall also zum Erlöschen der Steuerforderungen gemäß 47 AO, sondern dient nur der Abwehr des Zugriffs auf das eigene Vermögen der Erben (vgl. Palandt, BGB-Kommentar, 67. Aufl. 2008, § 1990 Rz. 7).

b) Der vom Finanzamt im Rahmen des Nachlassverwaltungsverfahrens ausgesprochne Erlass war nur gegenüber den Erben aus persönlichen Billigkeitsgründen im Sinne von § 227 AO beachtlich. Denn grundsätzlich wirkt ein Erlass im steuerlichen Gesamtschuldverhältnis nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person die Voraussetzungen eintreten (§ 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Das Gericht versteht den im Zusammenhang mit der Vergleichsvereinbarung ausgesprochenen Erlass nur als eine klarstellende Bekundung gegenüber den Erben, somit als Bestätigung ihrer Rechte aus §§ 1975, 1990 BGB. Ein Anspruch des Klägers auf die Anrechnung der erlassenen Steuerschulden kann daher wegen der auf die Erben bezogenen Billigkeitsgründe nicht begründet werden (vgl. Kruse, in Tipke/Kruse, a.a.O., § 44 Tz. 19 ff; Pahlke/Koenig/Koenig, a.a.O. § 44 Rz. 19).

c) Im Streitfall kann sich der Kläger zudem wegen der von ihm begangenen Steuerhinterziehung nicht auf § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO berufen, weil für die Haftung als Steuerhinterzieher der Grundsatz der Akzessorietät nach § 191 Abs. 5 Satz 2 AO durchbrochen wird. Diese Vorschrift gilt nicht nur, wie der Kläger meint, allein für die täterschaftliche Begehung der Steuerhinterziehung (so z.B. Jatzke in Beermann/Gosch, AO-/FGO-Kommentar, § 191 Rz. 49, Rüsken in Klein, AO-Kommentar, 9. Aufl. 2006, § 191 Rz. 107), sondern für jede Begehungsform der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO, also auch für die Beihilfe zur Steuerhinterziehung (vgl. Kruse, in Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO Tz. 23; Dumke in Schwarz, AO-Kommentar, § 191 Rz. 55; Halaczinsky in Koch/Scholz, AO-Kommentar, 5. Aufl. 1996, § 191 Rz. 23; vgl. auch BFH-Urteil vom 21.11.2000 VII R 8/00, BFH/NV 2001, 570). Das erkennende Gericht ist der Auffassung, dass sich der Wortlaut der Vorschrift des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO auf die Definition der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 AO bezieht, die nicht nach Täterschaft oder Teilnahme unterscheidet. Jedenfalls gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO, nämlich die Einschränkung der Erlasswirkung, diese auf die Haftung eines Gehilfen einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO anzuwenden (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 25.08.1999, Az. 7 K 2815/96, EFG 2000, 295). Aus der Intention des Gesetzgebers, die Vorschrift nicht zu ändern, schließt das Gericht, dass der Regelungsinhalt des § 191 Abs. 5 Satz 2 AO keiner Korrektur bedurfte, weil die Anwendung der Vorschrift nicht problematisch erschien (vgl. Boeker in Hübschmann//Hepp/Spitaler, AO-/FGO-Kommentar, § 191 AO Rz. 2, 3 zum Entwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1985). Die bis dahin ergangene Rechtsprechung hatte ebenso die Beihilfe als Begehungsform einer Steuerhinterziehung angesehen (vgl. BFH- Urteil vom 12.04.1983 VII r 3/80, HFR 1983, 397).

d) Das Gericht stimmt im Übrigen dem Finanzamt zu, dass es sich bei dem im Rahmen der Nachlassverwaltung ausgesprochenen Erlass nicht um einen Erlass im Sinne von § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO handelte, der gegenüber dem Steuerschuldner ausgesprochen wurde. Vielmehr hatte er nur gegenüber den Erben hinsichtlich der Nachlassverwaltung klarstellende Bedeutung, weil sich die Rechtsfolgen bereits unmittelbar aus der durch die Vergleichsvereinbarung beendeten Nachlassverwaltung ergaben (vgl. allgemein BMF-Schreiben vom 17.12.1998, Az. IV A 4-S 0550-29/98, BStBl. I 1998, 1500 Tz. 9.2 und 9.3). Insoweit verweist das Gericht auf die zutreffende Begründung in der Einspruchsentscheidung (§ 105 Abs. 5 FGO). Auch im Übrigen entfaltet die Nachlassverwaltung nur Wirkung gegenüber den Erben, nicht auch gegen den Kläger. Er kann daher keine Rechte daraus herleiten, dass das Finanzamt nicht bereits im Aufgebotsverfahren sämtliche bis dahin angefallene Steuerrückstände angemeldet hatte.

7. Nach diesen Grundsätzen war die Haftungsschuld des Klägers, die durch seine Beteiligung an der Steuerhinterziehung begründet war, auf die zum Zeitpunkt der Inhaftungnahme noch offenen Steuern zu begrenzen und um Zahlungen und Gutschriften, die bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung auf die Hauptschuld geleistet wurden, zu mindern.

Das Gericht berechnet die Haftungsschuld wie folgt:

 Steuerschaden wegen BeihilfeUmsatzsteuerLohnsteuerSolidar.ZuschlagEUR
Rückstände am 06.12.2002   
Haftungsschuld   
Zahlungen aus Nachlassverwaltung   
Verrechnung lt. Einspr.Entsch.   
Haftungsschuld  

Es verbleibt somit eine Haftungsschuld von insgesamt ......,.. EUR.

Da die anzurechnenden Beträge durch die haftungsbetroffenen Lohnsteuern und Solidaritätszuschläge aufgezehrt wurden, brauchte das Gericht nicht zu entscheiden, ob nur eine anteilige Verrechnung nach den von A. B. insgesamt geschuldeten Umsatzsteuern zu den wegen der Beihilfe des Klägers haftungsrelevanten Umsatzsteuern vorzunehmen sei, wie es das Finanzamt in der Stellungnahme vom 10.08.2005 ausgeführt hat.

8. Das Finanzamt konnte den Kläger nach pflichtgemäßen Ermessen mit Haftungsbescheid in Anspruch nehmen (§§ 5, 191 Abs. 1 Satz 1 AO), weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung nach § 71 AO vorlagen. Das Entschließungs- und Auswahlermessen kann vom Gericht nur im Rahmen des § 102 FGO überprüft werden. Ermessensfehler sind jedoch im Streitfall nicht feststellbar.

a) Bei der Inanspruchnahme eines Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§§ 5, 191 Abs. 1 AO), die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 24.11.2005 V R 37/04, BStBl. II 2006, 466; Gräber/von Groll, FGO-Kommentar, 6. Aufl., § 102 Rz. 2 m.w.N.). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessenentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung, begründet werden (vgl. §§ 121 Abs. 1, 126, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO); andernfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist bei der Haftung nach § 71 AO wegen des Schadensersatzcharakters der Haftungsnorm die Ermessensentscheidung vorgeprägt. Es besteht kein Grund, Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus dem Grad des Verschuldens des Haftenden, aus dem von ihm erlangten wirtschaftlichen Vorteilen oder aus den finanziellen Verhältnissen und Möglichkeiten des Haftungsschuldners ergeben (BFH-Urteile vom 21.01.2004 XI R 3/03, a.a.O. und vom 08.09.2004 XI R 1/03, a.a.O.; BFH-Beschluss vom 13.08.2007 VII B 345/06, a.a.O.).

b) Diese Grundsätze auf den Streitfall bezogen lassen keine unsachgemäßen Erwägungen des Finanzamtes bei seiner Entscheidung feststellen. In der Einspruchsentscheidung hat das Finanzamt ausführlich dargestellt, welche Gründe es zum Erlass des Haftungsbescheides bewogen haben (Entschließungsermessen) und warum es den Kläger als Haftenden herangezogen hat (Auswahlermessen). Dabei hat es zu den Einwendungen des Klägers, die er im Einspruchsverfahren angeführt hat, unter rechtlichen und sachlichen Gesichtspunkten Stellung bezogen. Es hat dabei sowohl die wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten des Klägers angesprochen als auch die Umstände seiner strafrechtlichen Verurteilung.

9. Da der Kläger nur teilweise obsiegt hat, waren die Kosten verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wegen der rechtlichen Schwierigkeit des Streitfalles war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

10. Die Revision war im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur zu § 191 Abs. 5 Satz 2 AO zur Klärung der Rechtsfrage zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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