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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: VI 305/2006
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
EStG § 62 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 1
EStG § 63 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg

VI 305/2006

In dem Rechtsstreit

hat das Finanzgericht Nürnberg

durch

...

aufgrund mündlicher Verhandlung am 18.12.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin für das Jahr 2005 Kindergeld für das Kind T deswegen nicht zusteht, weil der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist.

Die Klägerin bezog laufend Kindergeld für ihre Tochter T (geb. xxx.1985), die ab 01.04.2003 als Krankenpflegeschülerin in Ausbildung war (voraussichtliches Ausbildungsende 31.03.2006). Mit Bescheid vom 17.07.2003 hob der Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für T ab Oktober 2003 auf (Vollendung des 18. Lebensjahrs), weil die Einkünfte und Bezüge von T den Grenzbetrag übersteigen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Am 28.12.2005 beantragte die Klägerin erneut, ihr Kindergeld für T für die Zeit der Ausbildung zu bewilligen. Dem Antrag waren die Erklärungen zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes für die Kalenderjahre 2003 und 2004 beigefügt.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 03.01.2006 sollte der Klägerin für T Kindergeld i.H.v. 2.310 EUR für den Zeitraum Oktober 2003 bis einschließlich Dezember 2004 (15 x 154 EUR) nachgezahlt werden.

Am 27.03.2006 wurde ein erneuter Antrag auf Kindergeld für T eingereicht. Beigefügt war die Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes für das abgelaufene Kalenderjahr 2005 und für das laufende Kalenderjahr 2006 (Prognose), sowie die Lohnsteuerbescheinigung für T für das Jahr 2005.

Mit Bescheid vom 29.03.2006 wurde gegenüber der Klägerin Kindergeld für T ab Januar 2005 i.H.v. monatlich 0 EUR festgesetzt. Zur Begründung war ausgeführt, der Grenzbetrag der Einkünfte werde überschritten. Der Beklagte ermittelte dabei die Gesamtsumme der Einkünfte und Bezüge von T mit 8.026,33 EUR.

Im Einspruchsverfahren machte der Klägervertreter weitere Werbungskosten für T geltend. Der Beklagte gelangte bei einer Neuberechnung zu einer Gesamtsumme der Einkünfte und Bezüge von 7.979,33 EUR.

 Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit11.860,03 EUR
WerbungskostenFahrten zur Arbeit966,00 EUR
Aufwendungen Arbeitsmittel379,65 EUR
Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Sozialversicherung2.535,05 EUR
Gesamtsumme der Einkünfte und Bezüge7.979,33 EUR

Der Klägervertreter machte darüber hinaus noch Aufwendungen geltend, die bei T steuerrechtlich Sonderausgaben darstellen:

1. Beiträge zur privaten Zusatzkrankenversicherung i.H.v. 71,28 EUR;

2. Beiträge zur Rentenversicherung auf ein Leben mit aufgeschobener Rentenzahlung, Beitragsrückgewähr bei Tod vor Rentenbeginn und wahlweiser Rentengarantiezeit bei der Volksfürsorge i.H.v. 540 EUR;

3. die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung i.H.v. 393,50 EUR;

4. Aufwendungen für Kontaktlinsen i.H.v. 214,08 EUR.

Bei Berücksichtigung dieser Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen lägen die Einkünfte und Bezüge von T unter dem Grenzbetrag von 7.680 EUR.

Darüber hinaus berief sich der Bevollmächtigte der Klägerin auf ein Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen vom 23.02.2006 Az. 1 K 76/04, wonach alle Aufwendungen bei der Grenzbetragsberechnung zu berücksichtigen seien, die dem Kind nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Des weiteren habe das Finanzgericht Niedersachsen in dem vorgenannten Urteil ausgeführt, dass die Fallbeilwirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG das aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleitete Proportionalitätsgebot (Art. 3 GG) verletze. Aus Gründen der Systemgerechtigkeit und der Wiederspruchsfreiheit bedürfe es einer Übergangsregelung, die den Umständen Rechnung trage, dass mit steigenden Einkünften und Bezügen des Kindes die Unterhaltspflicht der Eltern zwar abnehme aber nicht sofort gänzlich entfalle.

Eine Übergangsregelung bei Überschreitung des in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geregelten Grenzbetrages könne durch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm gerechtfertigt werden. Eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG würde erst in Betracht kommen, wenn sich in Zukunft herausstellen sollte, dass eine Übergangsregelung nicht durch verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes zu erreichen sei.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage beantragt die Klägerin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten,

den Ablehnungsbescheid vom 29.03.2006 und die Einspruchsentscheidung vom 18.09.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für die Tochter T Kindergeld für das Kalenderjahr 2005 zu bewilligen.

Für den Fall des Unterliegens wird die Zulassung der Revision beantragt.

Zur Begründung der Klage wiederholt der Klägervertreter lediglich sein Vorbringen im Einspruchsverfahren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Eine über die Einspruchsentscheidung hinausgehende Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin des Beklagten klargestellt, dass der Klägerin das Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2003 bis einschließlich Dezember 2004 mit den Januarbezügen 2006 nachgezahlt worden sei. Ein Bewilligungsbescheid sei nicht ergangen. Man sei entsprechend der Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG davon ausgegangen, dass ein Bescheid nicht erforderlich sei. Bei dem Bescheid vom 29.03.2006 handele es sich im Ergebnis um eine Ablehnung der Bewilligung von Kindergeld.

Der Klägervertreter hat nochmals hervorgehoben, zumindest die von der Tochter der Klägerin geleisteten Beiträge zur privaten Rentenversicherung i.H.v. 540 EUR seien aufgrund der Bedeutung, die die private Vorsorge für die Alterssicherung habe, den Zwangsabgaben vom Arbeitslohn gleichzusetzen und damit auch im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen.

Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 29.11.2006 auf den Einzelrichter übertragen worden, § 6 FGO.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Für das Streitjahr 2005 scheitert die Bewilligung von Kindergeld für T an der Überschreitung des Jahresgrenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG besteht u.a. Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird es allerdings nur berücksichtigt, wenn die Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder zur Berufsausbildung bestimmt sind, den Jahresgrenzbetrag von 7.680 EUR im Jahr 2005 nicht überschreiten.

2. Die berücksichtigungspflichtigen Einkünfte und Bezüge der Tochter T im Jahr 2005 betragen insgesamt 7.979,33 EUR und übersteigen damit den Jahresgrenzbetrag.

a) Ob bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte und Bezüge neben den vom Kind geleisteten Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung auch die vom Kind gezahlte Lohnsteuer, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen sind, kann letztlich dahingestellt bleiben, weil im konkreten Fall auch bei Berücksichtigung dieser Abzüge vom Lohn der Tochter T (gezahlte Lohnsteuer i.H.v. 136 EUR), der Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 EUR nicht unterschritten worden wäre.

b) Soweit der Klägervertreter von T getragene Aufwendungen, die allenfalls sonstige Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastungen darstellen, bei der Ermittlung der Gesamtsumme der Einkünfte und Bezüge des Kindes berücksichtigt haben möchte, kann dem das Gericht nicht folgen.

Der Klägervertreter kann sich bei seinem Sachvortrag weder auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2005 Az. 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 berufen noch auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23.02.2006 1 K 76/04, EFG 2006, 1592.

aa) Nach der Rechtsprechung des BVerfG sollten nur lohngebundene Abzüge, die nicht für die Lebenshaltung zur Verfügung stehen, bei der Ermittlung, ob der Jahresgrenzbetrag über- oder unterschritten wird, Berücksichtigung finden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem erwähnten Beschluss vom 11.01.2005 die Frage offen gelassen, ob auch Beiträge eines Kindes zu seiner privaten Krankenversicherung bei der Ermittlung der Gesamtsumme seiner Einkünfte und Bezüge abzuziehen sind, wenn das Kind nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert ist (und damit der Abzug der Versicherungsbeiträge vom Arbeitslohn unterbleibt) und ein vergleichbarer Krankenversicherungsschutz nur durch eine Privatversicherung vermittelt wird. Dieser Sachverhalt lag dem angeführten Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen zugrunde. Dort ging es um eine Studentin, die nicht pflichtversichert war und bei der der Krankenversicherungsschutz nur über eine Privatversicherung abgedeckt werden konnte.

Das Gericht kann im Streitfall offen lassen, ob es sich in dieser Frage der erweiterten verfassungskonformen Auslegung der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch das Niedersächsische Finanzgericht anschließt.

Mit dem dort entschiedenen Sachverhalt ist der Streitfall nicht annähernd zu vergleichen, da die Tochter der Klägerin gesetzlich krankenversichert war und die private Zusatzversicherung lediglich die Inanspruchnahme von zusätzlichen Komfortleistungen abdecken sollte. Die Aufwendungen für den Krankenversicherungsschutz, der durch die gesetzliche Krankenversicherung vermittelt wird, wurden, da sie durch Abzug vom Arbeitslohn geleistet wurden, bei der Berechnung des Gesamtbetrags der Einkünfte und Bezüge bereits berücksichtigt.

bb) Bei den darüber hinaus vom Klägervertreter geltend gemachten Aufwendungen, die bei der Einkommensteuerveranlagung von T als sonstige Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastungen Berücksichtigung finden können, handelt es sich nicht um an den Arbeitslohn gebundene Abzüge, die der Bestreitung des Lebensunterhalts nicht zur Verfügung stehen und deshalb nicht bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG mit einbezogen werden dürfen. Es handelt sich bei den streitigen Aufwendungen um freiwillige Verwendung von Nettoarbeitslohn zum Lebensunterhalt.

cc) Dies gilt auch für die Aufwendungen in Höhe von 540 EUR für eine private Altersvorsorge von T. Diese Aufwendungen sind den Zwangsabzügen vom Arbeitslohn, die dem Arbeitnehmer nicht für die Lebenshaltung zur Verfügung stehen, nicht gleichzustellen. Für eine Berücksichtigung dieser Aufwendungen im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des Einkünftebegriffes in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, entsprechend dem Beschluss des BVerfG vom 11.01.2005, ist kein Raum. Dies würde den Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung einer Norm entgegen deren eindeutigen Gesetzeswortlaut endgültig sprengen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164) ist die verfassungskonforme Auslegung einer Norm statt einer Vorlage gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG, §§ 80ff BVerfGG geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege der verfassungskonformen Auslegung nicht begründet werden. Andernfalls würde der Rechtsanwender, hier das Gericht, den rechtspolitischen Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorgreifen.

Die vom Klägervertreter geforderte Auslegung der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf die Aufwendungen in Höhe von 540 EUR für eine private Altersvorsorge von T stünde in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers.

c) Soweit der Klägervertreter meint, die Klage sei auch deswegen begründet, weil die Fallbeilwirkung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht dem Proportionalitätsgebot des Artikel 3 Grundgesetz (GG) entspricht, hält das Gericht derartige verfassungsrechtliche Bedenken für möglich, jedoch würde eine ggf. verfassungsrechtlich gebotene Übergangsregelung zur Vermeidung der Fallbeilwirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zwingend zu einem Kindergeldanspruch der Klägerin führen. Denn eine Übergangsregelung könnte bereits vor Erreichen des Grenzbetrags eingreifen, weil bei Erreichen der Grenzbetrags keine Unterhaltsleistungen seitens der Eltern mehr erforderlich sind.

Dem Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen vom 23.02.2006 1 K 76/04 war dieser rechtliche Gesichtspunkt im Übrigen allenfalls als "obiter diktum" angehängt. Das Finanzgericht Niedersachsen hat der Klage bereits aus anderen Gründen stattgegeben und nur im Wege eines "obiter diktum" ausgeführt, "selbst wenn private Krankenversicherungsbeiträge nicht bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes berücksichtigt werden könnten und damit der maßgebliche anteilige Grenzbetrag i.H.v. ... überschritten wäre, hätte der Senat der Klage zum überwiegenden Teil stattgegeben". Diese vorsichtige und schwammige Formulierung zeigt deutlich, dass es sich nur um Hilfserwägungen handelt.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird zuzulassen, § 115 Abs. 2 FGO.



Ende der Entscheidung

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